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(Petra)

Narratives Erzählen

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Auch ich bitte herzlich darum, diesen interessanten Thread nicht zu zerhacken. Mit dem alten kann ich nichts anfangen, darin steht eine eng gefasste Definition, wie man sie bei Wikipedia o.ae. haette nachschlagen koennen, die aber nicht diskutiert und nicht ausgelotet wird. Es ist wieder so eine Baukastenanleitung, die mir persoenlich nichts bringt.

 

Hier dagegen werden Grenzen und Uebergaenge von Definitionen sowie Moeglichkeiten und Wirkungen untersucht, erprobt und diskutiert. Ich habe davon mehr, komme auf neue Gedanken.

 

Ich denke, die zwei Threads erfuellen die sehr unterschiedlichen Beduerfnisse sehr unterschiedlicher User, haben daher beide ihre Daseinsberechtigung und sollten bleiben duerfen. Fuer mich ist der hier ein sehr dichter Thread.

 

Sehr wichtig finde ich Thomas Hinweis auf Henry James und die Frage von Deutung.

Ich moechte - auch in diesem Zusammenhang - auf John Steinbecks "Fruechte des Zorn" hinweisen, fuer mich ein sehr starkes Beispiel fuer die Nutzung verschiedener Erzaehltechniken mit groesstmoeglicher Wirkung:

 

Steinbeck fuehrt jeweils ein oder mehrere Szenen (aus wechselnden Perspektiven weniger Hauptpersonen) ungedeutet vor, ist dabei sehr dicht und sinnlich am Geschehen, drueckt den Leser in die Szene praktisch hinein, zeigt, laesst den Leser mit seiner Geschichte allein.

Danach folgt ein Kapitel, in dem Steinbeck eine weitere Szene von aussen auktorial bzw. mit anderem personalen Erzaehler und kommentierend erzaehlt und vorfuehrt zugleich. Mit diesen Einschueben (die jeweils die vorhergegangene Szene ergaenzen, eine andere Ebene liefern und fuellen, aber nicht die eigentliche Handlung weiterfuehren) fuehrt Steinbeck m.E. ein starkes aus narrativen und szenischen Elementen zusammengesetztes Gewebe vor, in dem er die zuvor gezeigte Szene in einen Zusammenhang einordnet und ausdeutet. In den Szenen selbst laesst er den Leser aber voellig frei.

 

Ein Roman, der mich immer wieder vor allem dadurch fesselt, dass es vom Leser gekonnt diesen Wechsel verlangt und damit ein geschlossenes Ganzes erzeugt.

 

Herzliche Gruesse von Charlie.

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Ich probier mal eine knappe Antwort auf das "wo narrativ, wo szenisch" zu geben, ohne mich zu sehr mit den Details zu beschäftigen. Ich setze eigentlich beides nicht allzu bewußt ein, sondern mische es, wie es Tempo und Duktus des Romans gerade verlangen. Das Narrative empfinde ich dabei generell als etwas altmodischer, das Szenische als etwas "Hollywoodesquer". Beides hat seine Vorteile, das einzige DON'T sind für mich Beschreibungen von Gefühlen:

 

"Es war der glücklichste Tag seines Lebens."

 

Solange man das vermeidet, ist alles in Ordnung mit dem Roman.

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Hier ein weiteres Beispiel aus dem Fundus des Narrativen – alt und vermutlich jedem bekannt:

 

Da machten sich auf auch Joseph aus Galiäa aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem ... damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem Weib, die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

 

Und noch ein Textbeispiel, das Ihr vermutlich auch alle kennt:

 

Und so sah Gwarhir sie mit seinen scharfen, weitsehenden Augen, als er mit dem wilden Wind heranbrauste und, der großen Gefahr des Himmels trotzend, in der Luft kreiste: zwei kleine dunkle Gestalten, verlassen, Hand in Hand auf einem kleinen Hügel, während die Welt unter ihnen keuchte und bebte und Ströme von Feuer näherkrochen.Und als er sie gerade erspähnte und hinabstieß, sah er sie hinfallen, erschöpft oder erstickt von Qualm und Hitze, oder schleißlich von Verzweiflung übermannt und die Augen vor dem Tode verschließend. Seite an Seite lagen sie; und herab stürzte sich Gwaihir, und herab kamen Landroval und Meneldor der Schnelle; und in einem Traum, nicht ahnend, welches Schicksal ihnen widerfuhr, wurden die Wanderer emporgehoben und davongetragen aus der Dunkelheit und

dem Feuer.

 

(Hier, würde ich sagen, verzeiht man dem Meister sogar die Partizipien.)

 

Was ich damit zeigen wollte, ist der Einsatz narrativer Sequenzen, um einer Erzählung Feierlichkeit und Erhabenheit zu verleihen, manchmal sogar durch die gebundene Sprache - rhythmisch und/oder gereimt - was im Original des o.g. Textes sogar noch deutlicher wird (aber das hat mir jemand geklaut).

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Was ich damit zeigen wollte, ist der Einsatz narrativer Sequenzen, um einer Erzählung Feierlichkeit und Erhabenheit zu verleihen, manchmal sogar durch die gebundene Sprache - rhythmisch und/oder gereimt - was im Original des o.g. Textes sogar noch deutlicher wird (aber das hat mir jemand geklaut).

Das ist ein hochinteressanter Aspekt, den ich, dein erstes Beispiel betreffend sogar noch erweitern möchte: Dadurch, dass diese Worte von Generationen wiederholt wurden, immer wieder auch laut gelesen oder gekannt werden, sind wir fast wieder an einem anderem Phänomen dran: Dem wirklichen Erzählen, der mündlichen Überlieferung, die sich früher zum Memorieren auch fester Formen bedient hat (siehe Märchenstrukturen etc.).

Da tritt nun sozusagen wirklich einer ans Lagerfeuer und erzählt im reinsten Sinne des Wortes.

 

Schöne Grüße,

Petra

 

 

Von wem ist Beispiel 2 - ich kenne es nicht...

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Von wem ist Beispiel 2 - ich kenne es nicht...

 

wenn mich nicht alles täuscht, ist das aus "Herr der Ringe" - die Szene auf dem Feuerberg, nachdem Frodo sich doch (widerwillig) von dem Ring getrennt hat - oder irre ich mich?

 

Für mich ergibt sich folgender Zwischenstand der Erkenntnis:

Es gibt

- Beschreibungen

- das narrative Erzählen

- das showige Erzählen und

- die Szene als solche (zum Mitleben)

 

In dieser Reihenfolge nähert man sich als Leser dem Geschehen an.

Von weit weg und mit Abstand berichtet, über die Erzählkunst mit "Mitmachpotential", bei der man schon näher an das Geschehen rankommt bis zur Show, in der man sich nägelkauend selbst mit den Unbillen (Aufgaben, Erlebnissen) des Protas identifiziert.

 

Bevor ich darüber nachdenken kann, wie und wann ich was am besten anwende, um den richtigen Mix für das beste Leseerlebnis zu erzeugen, muss ich mir mal im Klaren darüber sein, was denn welcher Stil beim Leser welche Reaktion hervorruft.

 

Das epische Erzählen (wunderschön, die Assoziation mit dem Märchenerzähler! Das trifft für mich den Punkt!) und natürlich die Beschreibungen sind für die Stimmungsmache da. Das Aquarell im Hintergrund, quasi.

 

Das Erzählen mit Showelementen (in homöopatischer Form! Sehr nett, Barbara!) bringt mich als Leser schon näher an die Story. Um beim Malerbild zu bleiben sind das für mich die Konturen, die einen 3D-Effekt erzielen.

 

Und die Show an sich macht dann Feuer unter dem Hintern.

Da greif ich dann in die Farbtöpfe und will dem Leser das Gefühl geben, dass er mit Pinsel und Palette mit am Werken ist.

 

Vielleicht ist das jetzt einmal eine recht oberflächliche Conclusio, aber für einen Überblick hilft es mir zunächst - wenn ich denn richtig liege!

 

Worauf ich nun gespannt eure Meinung abwarte. :s09

 

Liebe Grüße bis dahin

Gabi

Schachzüge, Störfaktor, Grenzenlos nah, Infinity/ alle bei Thienemann, &&http://www.gabriele-gfrerer.at&&http://teamor61.blogspot.com/

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Hallo Gabi,

ich mag "oberflächliche" Conclusiones, weil sie den Vorteil haben, dass man am Stoff bleiben kann und sich nicht stundenlang um den Gebrauch des richtigen Fachbegriffs streiten muss ;)

Du sprichst etwas Wichtiges an: Wie wirkt was auf die Leser?

Leider kann man hier schon nicht mehr verallgemeinern, denn einer, der Hochliteratur gewöhnt ist, wird bei narrativem Erzählen kein bißchen zusammenzucken - aber einer, der Actionthriller gewohnt ist, wird wahrscheinlich schon stocken und das als ungewöhnlich empfinden. Spannend finde ich dann gerade die Grenzüberschreitenden, Barbaras Beispiel von John le Carré passt in diesem Zusammenhang wunderbar.

 

Und dann haben wir das Ganze ja nie in Reinform. Ich versuche auch eine Zusammenfassung:

Wir haben gesehen, dass narrative Elemente den Leser stärker leiten und einen Erzähler sichtbarer machen können. Sie scheinen Texte eindeutiger zu machen, können Informationen vermitteln, aber auch die Zeitstruktur beeinflussen, indem sie raffen oder dehnen. Von einigen wird beobachtet, dass ein nicht narrativer Text offenbar interpretierbarer und offener wirkt - ein narrativer dagegen bestimmter, geschlossener. Was man in der Lesepraxis überprüfen müsste.

Denn was ist mit dem hier:

...er sah, sah eine Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungeheuer, eine Art Urweltwildnis aus Inseln, Morästen und Schlamm führenden Wasserarmen - sah aus geilem Farngewucher, aus Gründen von fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk haarige Palmenschäfte nah und fern emporstreben...

Mir kam die Szene beim Lesen von Annas Kakaobaum in den Sinn (nein Peter, auch diese ist keine reine Beschreibung, wenn man sie ganz liest). Dieser Mensch sieht diesen Urwald, ich werde geleitet, mache mir Bilder, sehe eindeutig vor mir, was ich zu sehen habe.

Aber ist es eindeutig? Nein. Thomas Mann hat in dieser Szene die psychische Verfassung seines Dichters Aschenbach (Tod in Venedig) enthüllt, das narrative Erzählte ist also noch auf einer zweiten Bedeutungsebene zu verstehen. Und auf einer dritten: Aschenbachs Beziehung zu seiner geordneten bürgerlichen Geisteswelt... und auf einer vierten: Aschenbachs Ausbrüche kündigen sich an, das, was bei ihm "im Schlamm" heranwächst.

Sind narrative Elemente tatsächlich so viel eindeutiger als szenisch erzähltes?

 

der Übersicht halber mehr im nächsten Posting...

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Ich möchte noch ein Beispiel bringen, an dem mir deutlich wird, dass diese Leitzordner-Kastenware zwischen reinem narrativen und reinem szenischen Erzählen vielleicht in bestimmten Romanen vorkommen mag, dass aber eigentlich diejenigen Passagen am meisten vermögen, in denen der Autor nicht nach Zahlen im Gewürzregal sucht, sondern fröhlich nach Gusto würzt. Dieses unmerkliche Changieren hat Wirkungen...

Gleichzeitig ist es ein Beispiel für ein Buch, das von vorn bis hinten narrativ ist... von wegen, man müsse das immer brav abwechseln. Allerdings... der Stil ist ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig - und ich muss stark einkürzen, weil Sätze oft über mehrere Seiten laufen - und kann nicht zu sehr kürzen, weil sonst die Wechsel nicht deutlich werden.

Schaut mal hinein, ob das "rein narrative" in unseren Definitionen immer erhalten bleibt:

 

...denn in Gedanken sah er sich schon weit oben in höheren Regionen, zusammen mit Turgenjew, seinem Herzensfreund, der solche Verehrung genoss, dass sein Ruhm als junger, aber bereits namhafter Schriftsteller auch zu seinem Ruhm wurde und sein, Dostojewskis, Ruhm, der eines noch am Anfang stehenden, aber schon bekannten Autors, auf Turgenjew zurückwirkte, und so, gemeinsam darin sonnend, schwebten sie über allen, und alle bewunderten ihre außergewöhnliche Freundschaft, diese unglaubliche, beispiellose seelische Übereinstimmung, bis Turgenjew ihm zum erstenmal ein Bein stellte...

... plötzlich sah er sich vor diesem dünkelhaften Herrn auf einem Stuhl sitzen, er rutschte hin und her und versuchte, die Hände gegen die Knie gestemmt, aufzustehen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht - er blieb sitzen, wurde bald bleich, bald rot, und ringsum lachten alle - über ihn! über seine Freundschaft! ... und Turgenjew ... seine (Turgenjews) Anspielung in der Kontroverse mit jemandem aus dem Panjew-Kreis richtete sich auch gegen Nekrassow und sogar gegen Belinski, die neuerdings bei literarischen Abenden Preferance spielten - was für eine stumpfsinnige Beschäftigung -, wozu sie sich an einen abseits, vor einer Nische, stehenden Kartentisch setzten, als existiere er, Dostojewski, gar nicht...

 

Wie gesagt, das ist im Original ein einziger Satz. Aus Leo Zypkin: Ein Sommer in Baden-Baden.

 

Schöne Grüße,

Petra

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... plötzlich sah er sich vor diesem dünkelhaften Herrn auf einem Stuhl sitzen, er rutschte hin und her und versuchte, die Hände gegen die Knie gestemmt, aufzustehen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht - er blieb sitzen, wurde bald bleich, bald rot, und ringsum lachten alle - über ihn! über seine Freundschaft! ... und Turgenjew ... seine (Turgenjews) Anspielung in der Kontroverse mit jemandem aus dem Panjew-Kreis richtete sich auch gegen Nekrassow und sogar gegen Belinski, die neuerdings bei literarischen Abenden Preferance spielten - was für eine stumpfsinnige Beschäftigung -, wozu sie sich an einen abseits, vor einer Nische, stehenden Kartentisch setzten, als existiere er, Dostojewski, gar nicht...

 

Splitter szenischen Erzählens unter Narratives mischen, "wozu sie sich an einen Abseits, ....setzten". Funktioniert gut, obwohl üblich eher das Gegenteil ist:

 

Szenisch erzählen und Splitter von narrativem beimischen:

"kommst du mit in die Disco?" fragte Paul.

"nö, kann nich", sagte Peter, der jeden Freitag nach Feierabend vor dem Plattenbau auf dem Brachfeld spielte, das irgendein Planer vergessen haben musste und das deshalb weder bebaut, noch zum Parkplatz wurde und auch nicht zum Zwecke der Verschönerung der Stadtgärtnerei anheimfiel. Jeden Freitag nach Dienstschluß trafen sie sich dort, Peter, Freddy, Five, Goran und ein paar andere und bolzten bis tief in die Nacht, aber Peter traute sich nicht, Paul das zu gestehen. Das war ihm peinlich. Also sagte er: "meine Ma erlaubt's nicht"

 

Narrativ ist nicht statisch, beinhaltet auch nicht distanziertes Erzählen, kann zoomen, Gedanken lesen (vor allem für Haltungen, Meinungen einer Person eignet es sich).

 

Hans Peter, der jetzt doch hier postet, ich hoffe, ihr verzeiht es mir.

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Ein Sommer in Baden-Baden - boah, liest Du Bücher, Petra.  :)

 

Gut, damit kann ich nicht mithalten, aber Narratives, um die Stimmung des Protagonisten zu untermalen, nutze ich gerne, und hier ein viel schlichteres Beispiel aus der eigenen Küche, mit dem ich zeigen möchte, was ich darunter verstehe:

 

Almut sah hoffnungsvoll zu der Maria auf, die mit einer Hand ihren Sohn auf dem Knie hielt. In der anderen Hand hielt sie ein Kreuz. Oder zumindest so etwas ähnliches. Das Abendrot malte Schatten auf ihrem Gesicht, und es schien, als höre sie nachdenklich zu. Wahrscheinlich tat sie das auch.

Almut schwieg und ließ ihre Gedanken ruhen. Ihre Augen schweiften von der Mariengestalt zum geöffneten Fenster. Dort, über dem Grün der Weingärten und Wiesen ging die Sonne unter und ließ einige Wolkenstreifen gegen das blasse Blau des Himmels aufflammen. Eine Amsel sang ihr Abendlied in dem alten Apfelbaum vor der Mauer, und einige Schwalben jagten in wilden Sturzflügen nach den Insekten, die sich in der warmen Abendbrise tummelten. Irgendwo blökte eine Kuh, und aus dem Hof klang das träge Gackern eines müden Huhns empor. Almuts Blick verlor sich in der Ferne. Sie sah nicht mehr die blauschattigen Hügel und den langsam sich violett färbenden Horizont. Sie sah die Bilder des Tages vor sich, jetzt ohne die Beklemmung, die zuvor ihr Herz umfangen hatte.

Als sich die ersten Sterne mit ihrem zarten Flimmern bemerkbar machten und die Schatten in den Zimmerecken wuchsen, wandte sie sich vom Fenster ab.

 

Ich hätte auch einfach schreiben können: das Gebet beruhigte ihre aufgewühlten Gefühle.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Kurzes off-topic:

Hans-Peter, ich verstehe absolut nicht, warum du dies hier als verbotenes Terrain betrachtest. Ich wollte hier nur sdt-Predigten, wie man sie in anderen Threads hat, ausschließen, um das Thema verfolgen zu können - wenn du also nicht als Prediger kommst... so what? (Ich bring nach Landau Sandelförmchen mit, dann können wir mal mit Sand schmeißen ;) )

Anna, solche Bücher liest man in Baden-Baden, vor Turgenjews Villa oder Dostojewskis Ruinstätte ;)

 

Schöne Grüße,

Petra

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Anna, Dein Beispiel gefällt mir sehr. Ich finde, man sieht darin sehr schön, wie stark der Tonfall der Erzählstimme zu der ruhigen, besinnlichen Stimmung beiträgt, die in dieser kurzen Passage entsteht. Und wenn man das z.B. mit Petras Zitat aus "Ein Sommer in Baden Baden" vergleicht: sofort hat man eine andere Stimme im Ohr, viel aufgeregter und gehetzter.

 

Das finde ich besonders spannend am narrativen Erzählen: dass die Erzählstimme selbst bereits so viel transportiert. Bei kurzen narrativen Einschüben in szenischen Texten kommt das kaum zum Tragen, da bleibt man als Leser ganz dicht bei den Personen - aber wenn das Narrative eine große Rolle im Roman spielt, trägt diese Stimme ganz stark zur Atmosphäre bei.

 

Das heißt aber wohl auch, dass man diese Stimme gestalten muss. Man muss sich überlegen, wann man dicht an die Szenen heranzoomt und wann man auf Distanz geht, wann man schnell wird und wann langsam, wann man springt, wohin man springt, wie stark sich die Erzählstimme den Personenstimmen anverwandeln soll ... usw.

 

Ich finde, das ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hach Barbara,

du Trost an einem schreibintensiven Wochenende! Du hast mir eben ein Rätsel gelöst. Ich glaube, ich habe eine ziemlich auffällige Erzählstimme und habe mich ständig gefragt, ob ich einfach zu blöd bin, die durchzuhalten oder warum ich sie öfter verliere. Das passiert genau am Übergang zum Szenischen! Denn wenn ich z.B. viele Dialoge bringe und Szenen zeige, wird die Sprache drumherum anders, so "normal", der Ton verliert sich. Während eine andere Figur, mit stark szenischem Erleben, in ihrem alltäglicheren Ton bei mir nur so flutscht und auch flüssig klingt ... klar, jetzt verstehe ich warum!

 

Ich glaube, du hast mir gerade einen sehr wichtigen Schlüssel geliefert, was ich machen muss, wenn ich die beiden aufeinanderhetzen werde. :s20

Wärmsten Dank!

Petra

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(Peter_Dobrovka)

ich mag "oberflächliche" Conclusiones, weil sie den Vorteil haben, dass man am Stoff bleiben kann und sich nicht stundenlang um den Gebrauch des richtigen Fachbegriffs streiten muss ;)

Das hab ich nicht ganz verstanden, aber auch ich bin des Streitens um den richtigen Fachbegriff total überdrüssig und stimme daher mal blind zu.

 

Du sprichst etwas Wichtiges an: Wie wirkt was auf die Leser?

Leider kann man hier schon nicht mehr verallgemeinern, denn einer, der Hochliteratur gewöhnt ist, wird bei narrativem Erzählen kein bißchen zusammenzucken - aber einer, der Actionthriller gewohnt ist, wird wahrscheinlich schon stocken und das als ungewöhnlich empfinden.

Woraus nährt sich der Glaube, ein Actionthriller wäre szenischer? Wäre zu verifizieren, aber ad hoc würde ich das nicht unterschreiben.

 

Und dann haben wir das Ganze ja nie in Reinform.

Nur in Drehbüchern.

 

Ich versuche auch eine Zusammenfassung:

Wir haben gesehen, dass narrative Elemente den Leser stärker leiten und einen Erzähler sichtbarer machen können. Sie scheinen Texte eindeutiger zu machen, können Informationen vermitteln, aber auch die Zeitstruktur beeinflussen, indem sie raffen oder dehnen. Von einigen wird beobachtet, dass ein nicht narrativer Text offenbar interpretierbarer und offener wirkt - ein narrativer dagegen bestimmter, geschlossener.

Jetzt wird es interessant.

Vor allem, da ich gerade meine erste Antwort überdacht habe und noch mal neu ansetze.

 

Meine erste Antwort:

Da ist tatsächlich ein weiterer Faktor außer der Zeitkompression und Weglasserei. Nämlich der Grad der Behauptung und Interpretation. Die Szene behauptet mehr. Sie führt konkrete Handlungen und Dialoge an. Als wäre man mit der Kamera dabei, oder gar live. Autoren, die szenisch schreiben, überlassen die Interpretation des Ablaufes dem Leser.

Narrative Passagen behaupten weniger, aber sie werten mehr. Führen den Leser mehr an der Hand, wie die Dinge zu verstehen sind.

Beispiel: Eine Szene, in der ein Paar sich streitet. Man erfährt die konkreten Worte, die sie sich an den Kopf werfen, im Gegenzug jedoch ist es dem Leser überlassen, wie er die Beziehung der beiden zueinander interpretiert. Narrativ könnte da stehen "er hatte versucht, sie durch einige halbherzig vorgetragene Vorwürfe zu provozieren, aber sie hatte ihm schnell klargemacht, wer der wahre Herr im Haus war."

 

In dem Moment, in dem ich das niedergeschrieben hatte, wurde mir klar, daß das eine Show don't Tell Problematik ist. Niemand hindert einen am Interpretieren und Werten in einer Szene, schlimmstenfalls mit Adjektiven. Und niemand hindert einen in einer narrativ erzählten Passage, die reinen Fakten zu nennen und jede Wertung außen vor zu lassen.

 

Ich hab mich jetzt selbst verwirrt. Hilfe!

 

Peter

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Gut, damit kann ich nicht mithalten, aber Narratives, um die Stimmung des Protagonisten zu untermalen, nutze ich gerne, und hier ein viel schlichteres Beispiel aus der eigenen Küche, mit dem ich zeigen möchte, was ich darunter verstehe:

 

Almut sah hoffnungsvoll zu der Maria auf, die mit einer Hand ihren Sohn auf dem Knie hielt. In der anderen Hand hielt sie ein Kreuz. Oder zumindest so etwas ähnliches. Das Abendrot malte Schatten auf ihrem Gesicht, und es schien, als höre sie nachdenklich zu. Wahrscheinlich tat sie das auch.

Almut schwieg und ließ ihre Gedanken ruhen. [...]

 

Ich hätte auch einfach schreiben können: das Gebet beruhigte ihre aufgewühlten Gefühle.

Ist das wirklich narrativ? Ich würde es eher als *noch* szenisch beschreiben, weil ich beim Lesen eine Szene vor Augen habe.

 

Aber bevor wir uns in Haarspaltereien verlieren, mir ist anhand deines Textes etwas anderes aufgefallen: Szenisch und Narrativ sind nicht Gegensätze, sondern es gibt zwischen beiden eine Grauzone. Klar, eine Aktionszene, ein fetziger Dialog ist szenisch, eine ruhige Erzählung: "Ein König hatte eine Tochter, die war so schön, dass selbst die Sonne erstaunte, die doch so manches gesehen hat" narrativ. Aber dazwischen ist natürlich mehr möglich, es ist nicht wie bei der erzählperspektive, bei der entweder Ich oder 3. Person (oder allwissend) da ist.

 

Was mir noch aufgefallen ist: Narratives erzählen erzählt oft davon, was ist, weniger, was passiert. Eher eine Haltung: Er war wütend, warum schenkte ihm Allah keinen Sohn und deshalb prügelte er: Das schildert wie die Person immer ist. Er war wütend, zog seinen Colt und ballerte wild in der Gegend herum, ist eine eher einmalige Wut.

 

Gibt natürlich jede Form von Übergängen.

 

Und viele versuchen, diese "so war es immer" szenisch zu erzählen. Sie erzählen eine typische Szene, wo er den Gürtel abschnallt und Frau und Kinder verprügelt und anschließen wird angedeutet: So macht er's immer.

 

Dabei ist das - die Haltung einer Person, wie sie die Welt sieht, was in ihrer Vergangenheit liegt, ihre Beziehungen - etwas, für das sich narrativ gut eignet. Wenn man's kann.

 

chaotisch überlegende Grüße

 

Hans Peter, der sich fragt, was Sandelförmchen sind

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Ist das wirklich narrativ? Ich würde es eher als *noch* szenisch beschreiben, weil ich beim Lesen eine Szene vor Augen habe.

 

Diese Bedenken sind mir hinterher auch gekommen, aber noch habe ich Peters Hinweis auf "Beschreiben ist Foto" versus "Erzählen bewegt sich" in Erinnerung.

Wenn man so will, ist es eine undramatische Szene oder ein bewegtes Beschreiben.

 

Ist es nicht wundervoll, dass wir die Zwischentöne entdecken?

 

Dabei ist das - die Haltung einer Person, wie sie die Welt sieht, was in ihrer Vergangenheit liegt, ihre Beziehungen - etwas, für das sich narrativ gut eignet.  

 

Stimmt, zumal wenn man sich bemüht, das szenisch darzustellen, lenkt man möglicherweise von der eigentlichen Handlung ab, und muss es, wegen der ausufernden Seitenzahlen, später kürzen und einen narrativen Satz draus machen.

Wenn man's kann.

 

Ja, aber - was ist denn so schwer daran?  :-?

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Nachdem ich jetzt zehn Hemden gebügelt habe und dabei mir dieses Thema beständig durch den Kopf ging, muss ich noch etwas hinzufügen:

 

Ich vermute mal, dass weder Leo Zypkin, noch Flaubert, nicht Thomas Mann, noch Kleist, Homer nicht und Markus, Matthäus, Lukas und Johannes je etwas von "show don't tell" gehört haben, sich über narrativ oder szenisch keine Gedanken gemacht haben, Beschreibungen bewusst in Erzählungen eingesteut haben, sondern schlichtweg geschrieben haben, wie ihnen der Schnabel gewachsen war (schön schiefes Bild!).

 

Ich selbst habe in einem ähnlich literaturwissenschaftlichen Status der Unschuld gelebt, bevor ich in diese Forum kam. Ich habe zwar immer ordentlich meine Kapitel geplant, mir Gedanken darüber gemacht, wann welche Information fällig ist, wann Sonne und Mond stimmungsvoll aufzugehen haben - aber ob ich narrativ oder szenisch, Rückblende oder Echtzeit schreiben würde, darüber habe ich mir in 15 Jahren keine Gedanken gemacht (seht das bitte, bitte nicht als Provokation, sondern als schlichte Feststellung meinerseits).

Das WAS habe ich geplant, das WIE hat sich immer aus der Geschichte ergeben, die ich erzählen wollte.

Und ich denke, so werde ich es auch weiterhin halten.

 

Trotzdem ist es spannend, zu analysieren, welche Wirkung die Erzählweise hat, insofern ist dieser Thread hier sehr sinnvoll und ausgesucht lehrreich.

 

sonnige Sonntagsgrüße

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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(Peter_Dobrovka)

Kurzer Einwurf: Das Show don't Tell sowie die Unterscheidung narrativ und szenisch und hassenichgesehn sind uralte Hüte und größtenteils bis zu Aristoteles zurückverfolgbar, der die Grundlagen für die Erzählweise des Abendlandes legte und noch heute eine beängstigende Gültigkeit hat, wie ich neulich mal im Original nachgelesen habe.

 

Nur gab und gibt es für viele Dinge keinen Namen, das kam erstmals mit den Schreibratgebern auf, und hier im Forum tut man sich halt leichter mit dem drüber Reden, wenn man markante Begriffe für immer wiederkehrende Muster hat.

 

Peter

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Liebe Anna,

mir geht es ganz genau wie dir und diesen Status der Unschuld möchte ich mir auch weitgehend bewahren, um nicht zu verkrampfen. Und den Aristoteles werden zwar viele Schriftsteller gekannt haben, aber sicher saßen die auch anders am Text und haben sich eher gefragt: Klingt das jetzt so besser oder so? (Vergröbert dargestellt).

 

Warum ich mich aber verstärkt mit solchen Fragen beschäftige und auch solche Bücher wie den Scheffel-Martinez schmökere, das liegt daran, dass ich neuerdings an eigene Grenzen gelange, wo es mir nicht mehr genügt, "aus dem Bauch" zu schreiben. Das äußerst sich einerseits darin, dass ich mit Passagen nicht zufrieden bin, fühle, dass die anders erzählt werden müssen... aber gern lernen möchte, warum das so ist. Ich fühle mich derzeit wie der Dorfbastler, der zum ersten mal in der Großstadt in einen Baumarkt kommt. Auf einmal weiß ich, dass ich den Nagel nicht unbedingt mit einem Stein einklopfen muss, sondern dass es jede Menge unterschiedlicher Hämmer gibt. Insofern ist das faszinierend und lehrreich für mich.

 

Peter, bei deinem Posting habe ich jetzt allerdings auch den Knoten im Kopf. Ich vermute, dass du unter dem Wort "behaupten" etwas anderes verstehst als ich. Mal grübeln...

 

Schöne Grüße,

Petra

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Peng!

 

Da habichsmalwieder!

 

Ich habe nichts dagegen, Fachbegriffe zur Analyse zu verwenden. Ich frage mich nur, ob man sich nicht selbst Fesseln anlegt, wenn man sich VOR dem Erzählen zu enge Vorgaben des "Wies" macht. Leider kann ich z.B. Thomas Mann nicht mehr fragen, ob er seine Bandwurmsätze bewusst konstruiert hat, oder ob das eben einfach seine Erzählstimme oder - anders ausgedrückt - sein persönlich bevorzugter Stil war. Aber vielleicht gibt es dazu ja Quellen.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Ich frage mich nur' date=' ob man sich nicht selbst Fesseln anlegt, wenn man sich VOR dem Erzählen zu enge Vorgaben des "Wies" macht.[/quote']

Anna, das ist ein ganz spannender neuer Thread, magst du ihn aufmachen?

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Hallo AnnaS,

 

Ich vermute mal, dass weder Leo Zypkin, noch Flaubert, nicht Thomas Mann, noch Kleist, Homer nicht und Markus, Matthäus, Lukas und Johannes je etwas von "show don't tell" gehört haben, sich über narrativ oder szenisch keine Gedanken gemacht haben, Beschreibungen bewusst in Erzählungen eingesteut haben, sondern schlichtweg geschrieben haben, wie ihnen der Schnabel gewachsen war (schön schiefes Bild!).

 

Die Herrn aus der Bibel und Homer stammen aus einer Zeit, wo die Trennung alle Texte religiös waren, und sich Epik und Lyrik noch nicht getrennt hatten. Und Theater in dem Sinne gab es zu beiden Zeiten nicht, zumindest so weit mir bekannt ist.

Dementsprechend handelt es sich um sehr stark vom mündlichen Erzählen geprägte Texte. Aber mit Sicherheit handelt es sich auch um Texte, die sehr systematisch am Handwerk Erzählen orientiert sind. (Wie man u.a. an den klassischen rh. Mitteln und an bestimmten Vorbildern der Bibel erkennt, sowie an Parabeln und anderen klassischen Erzählformen).

 

Flaubert hat viele Stunde pro Seite geschrieben, und hat versucht kein Verb auf einer Seite zu wiederholen. Natürlich hat er sich Gedanken über das Schreiben gemacht, und auch über das Dramatische als Element des Theaters, und das narrative, als Element der Romanwelt. Denn nicht umsonst gilt Flauberts Werk als eines der ersten Romane, die entstanden, als Fiktion diskutiert wurde, und von den klassischen Antiken- und Mittelalterstoffen abgegangen wurde.

Kleist hatte nicht nur seine Kantkrise, er hat sich intensiv mit den Schriften der Aufklärung beschäftigt, mit dem klassischen Dramen und ihrem Aufbau.

Henry James z.B. hat "Dramatisiere" verwendet, also scheint es schon ein Begriff zu seiner Zeit gewesen zu sein. Und Thomas Mann, hat Texte nach Musikstücken geschrieben, und hat sich immer wieder mit seinem Werk, besonders auch mit Schiller und Goethe beschäftigt, u.a. sicherlich auch mit Schillers "Über die ästhetische Erziehung des Menschen", mit Lessings "Hamburger Dramaturgie"- die beide wichtige Grundlage vieler Autoren geworden sind.

 

Oder anders gesagt: Bei allen Autoren seit dem Mittelalter kann man die Beschäftigung mit Schreibtheorie nachweisen, anfangend mit der Rhetorik, mit Erzähltechniken und antiken Vorbildern und gegenwärtigen Vorbildern (Bsp. Artussage). Und natürlich auch mit dem Diskurs des Erzählens, der aus der Beschäftigung mit Romanen entsteht.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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Wenn man's kann.

 

Ja, aber - was ist denn so schwer daran? :-?

Anna, schließ nicht von dir auf andere. In den Stapeln abgelehnter Manuskripte findest du haufenweise Beispiele dafür, dass es den meisten keineswegs leicht fällt. Wenn du mir nicht glaubst, bitte mal deine Lektorin, einen Blick auf die abgelehnten Manuskripte werfen zu dürfen ;-). Da wimmelt es von mißlungenen narrativen Passagen. Nein, ist keineswegs leicht.

 

Hans Peter

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Ich habe noch ein schönes Beispiel für eine ganz eigene Form narrativen Erzählens (aus einem Bestseller):

 

"Dieses schreibe ich, Sinuhe, der Sohn Senmuts und seines Weibes Kipa - nicht um die Götter Kemets zu preisen, denn der Götter bin ich überdrüssig -, nicht um Pharaone zu verherrlichen, denn auch ihrer Taten bin ich müde. Sondern um meiner selbst willen schreibe ich es, weder um Göttern und Königen zu schmeicheln noch aus Furcht oder auch aus einer Hoffnung auf die Zukunft. Denn im Verlaufe meines Lebens habe ich so vieles erfahren und verloren, daß keine eitle Furcht mich quält, und des Hoffens auf Unsterblichkeit bin ich müde wie der Götter und der Pharaonen. So schreibe ich dieses nur für mich selbst und glaube, mich dadurch von allen Schreibern der Vergangenheit wie auch der Zukunft zu unterscheiden [...]

 

Doch was geschrieben worden ist, wurde auf Befehl der Könige geschrieben oder um Göttern zu schmeicheln oder aber um Menschen zu verleiten an Dinge zu glaube, die nie geschehen sind - oder zu glauben, daß alles anders geschen sei, als es in Wirklichkeit geschah - oder daß des einen oder anderen Anteil an den Geschehnissen größer oder geringer gewesen sei, als es in Wirklichkeit war. Das meine ich, wenn ich behaupte, daß alles, was seit Urzeiten und bis heute geschrieben worden ist, der Götter oder der Menschen wegen geschrieben wurde."

 

Narratives Erzählen + Ich-Perspektive. Außerdem viele Behauptungen (TELL!). Das klappt in Mika Waltaris "Sinuhe der Ägypter" nur, weil es den Klang alter Texte nachvollzieht, eine etwas erhabene Sprache hat, aber nicht so sehr, wie Priester es wählen würden, gleichzeitig auch *gegen* die übliche Auffassung geschrieben wurde.

 

Und Waltari mach aus diesem Text eine Klammer. Er beginnt mit dem obigen in einer Art Prolog und endet seine Lebensbeichte ähnlich:

 

"Doch segne ich die Papyrusblätter und den Schreibstift, die mich wieder zu einem kleinen Kinde werden ließen, das in einem Binsenboote stromabwärts segelte, ohne schon um das Leid des Lebens und um die Qual der Erkenntnis zu wissen. Wieder bin ich ein kleiner Knabe im Hause meines Vaters Senmut gewesen, wieder sind die heißen Tränen Metis, des Fischausweiders, auf meine Hände getropft. Mit Minea bin ich auf den Straßen Babyloniens gewandert und Merits schöne Arme haben meinen Hals umschlungen. Ich habe mit den Leidenen geweint und mein Getreide unter die Armen verteilt. An all das erinnere ich mich gern; meiner bösen Taten und meiner bitteren Verluste will ich aber lieber nicht gedenken. [...]

Denn ich, Sinuhe, bin ein Mensch und habe als solcher in jedem Menschen, der vor mir war, gelebt und werde in einem jeden, der nach mir kommt, leben. Ich lebe in den Tränen und im Jubel der Menschen, in seinem Kummer und seiner Furcht, in seiner Güte und seiner Bosheit, in Gerechtigkeit und Unrecht, im Schwachen wie im Starken. Als Mensch werde ich ewig im Menschen leben, und darum ersehne ich keine Opfer für mein Grab und keine Unsterblichkeit für meinen Namen.

Dies schrieb Sinuhe, der Ägypter, der sein Leben lang einsam gewesen"

 

Hier auch narrativ, 1. Person, zunächst sehr anschaulich (show), dann zieht er daraus den Schluß, die Konklusio seines Lebens - Tell, kein Zweifel.

 

Hans Peter

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Schööön, lieber Hans-Peter.

Waltari war der Begleiter meine Kindheit

Aber das nur nebenbei.

 

Warum ich mich fragte, ob das narrative Schreiben so schwer ist, lag daran, dass ich entweder hier oder irgendwo anders (Gedächtnis wie Sieb) gelesen habe, Schreibanfänger würden überwiegend narrativ schreiben, das Szenische müsse man ihnen erst beibügeln.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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