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(Petra)

Narratives Erzählen

Empfohlene Beiträge

Liebe Leute,

kleines Experiment - ich will ab und zu auch einmal den Augenmerk auf bisher vernachlässigte Handwerksfragen lenken. Mir geht es hier um das narrative Erzählen, seine besonderen Wirkweisen, seine Vorteile, Tipps und Erfahrungen dazu.

 

Damit es nicht auch hier zu unseligen Metadiskussionen kommt, möchte ich freundlichst bitten, dass sich die Autoren zurückhalten, die der Meinung sind, SDT wäre allemal die bessere Lösung und narratives Erzählen käme nicht gut, weil... Ganz egozentrisch möchte ich mich hier wirklich nur um narratives Erzählen, seine Eigenschaften und Chancen bemühen - zusammen mit denen, die Erfahrung darin haben oder einfach nur neugierig sind und wie ich dazulernen wollen.

 

Vorab ein wenig Erzähltheorie aus dem Martinez-Scheffel:

Es gibt für "narratives Erzählen" unterschiedliche Begriffe. Das genannte Buch nennt es z.B. den "Modus" einer Erzählung, wobei das narrative den Modus der Distanz (versus dramatischer Modus) ausmache, andere sagen dazu "berichtende Erzählung" (versus "eigentliche / szenische E.), aus dem englischen Raum kommt das "telling" (versus showing) oder "simple narration" (versus scenic presentation). Egal, wie man es nennt - es ist immer das Gleiche.

 

Der Martinez-Scheffel (s. auch Buchkritiken) sieht die Stärke des narrativen Erzählens vor allem in der Regulierung von Distanz und Fokalisierung. D.h. ich kann hier nicht nur die Distanz zum Geschehen vergrößern, sondern auch den Erzähler als wahrnehmbare Größe stärker in den Vordergrund rücken. Je nach Moden und Genres wechselten durch die Jahrhunderte die Bewertungen solcher Erzählformen - um Wertigkeiten soll es hier aber nicht gehen. Zwei Möglichkeiten des narrativen Erzählens werden gezeigt:

- Erzählen von Worten

- Erzählen von Ereignissen

 

Da das Thema komplex ist und verflochten mir der Thematik von Figurenrede, indirekter Rede etc., möchte ich zuerst einmal Eindrücke oder Fragen von euch sammeln. Dann kann man das vertiefen.

Wo verwendet ihr bevorzugt narrative Erzählweise, wie beurteilt ihr deren Wirkung, welche Vorteile und Gestaltungsmöglichkeiten habe ich damit?

 

Neugierige Grüße,

Petra

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Dein Posting käme deutlich weniger als Sandkasten-Ätschbätsch rüber, wenn du anhand eines Beispiels verdeutlichen könntest, was du unter anschaulichem narrativen Erzählen verstehst und wie du die unterschiedlichen Pole des anschaulichen und weniger anschaulichen (?)  nE als Stilmittel einschätzt.

Du darfst aber gern einen eigenen SDT-Thread eröffnen.

Schöne Grüße,

Petra

 

[blue]Der Poster scheint seinen Beitrag, auf den du dich beziehst, inzwischen gelöscht zu haben. Empfehle daher immer, Zitierfunktion zu benutzen. (pd)[/blue]

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Hallo Petra,

 

wenn ich es richtig begriffen habe, worum es hier geht, würde ich vor allem im narrativen Erzählen die Möglichkeit sehen, das zu vermitteln, was man wirklich vermitteln möchte. Negativ formuliert: man lässt weniger Interpretationsspielraum, etwa dadurch, dass die Innensicht einer Figur sehr detailreich geschildert wird. Positiv ausgedrückt: Man überlässt die Interpretation nicht so sehr dem Zufall.

 

Ein narrativer Erzähler (oder ein narrativ gestalteter Erzähler) ist sehr präsent, er kann seine Geschichte erzählen, den Fokus verlagern, beliebig in die Tiefe gehen. Der Pool an Aspekten, die sich jederzeit vertiefen lassen, auf denen man verharren kann, ist praktisch unendlich groß.

 

Durch narratives Erzählen wird der Leser an der Hand genommen und vom Autor eine bestimmte Route entlang geführt. Man liefert dadurch meist eine Szenerie und deren Einordnung. Oder eben eine Figur und deren Gefühle. Eine Landschaft und deren Wirkung etc.

 

Glaub ich.

 

??? Ruth

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Liebe Ruth,

du kannst die Fragezeichen eigentlich weglassen - ich finde deine Beschreibung interessant und treffend.

Um mit einem konkreten Beispiel zu kommen (das mich auch veranlasst, über das Thema nachzudenken): ich führe in meinem Roman eine Figur über diese Erzählweise ein. Und zwar, weil diese Figur in selbstgewählter Isolation lebt und anfangs keinerlei Kontakt zu anderen Figuren hat. Dabei kommt es mir sehr stark auf ihre Innensicht an: wie sieht und empfindet sie die Welt, warum ist sie so. Ich habe dafür narrative Passagen und indirekte Rede gewählt (und bilde mir sogar ein, anschaulich zu sein).

Passt also alles, was du sagst.

 

Und jetzt kommt genau der Haken, an dem ich knoble: Durch diese völlige Figurenisolation entsteht so eine Art Glasglockeneffekt beim Lesen... mir kommt spontan Maren Haushofers "Die Wand" in den Sinn, wo die Glasglocke ja sogar real vorhanden war.

Meine Frage ist jetzt die: ab wann wird die Erzählstimme womöglich so übermächtig, dass ich die Figur selbst nur noch wie durch einen Nebel wahrnehme?

Kann es passieren, dass dieses An-die-Hand-Nehmen so stark wirkt, dass der Eindruck verwischt wird, man würde wirklich "aus dem Kopf der Figur heraus" erleben?

 

Auch ich kann es leider nur nebulös formulieren, weil ich überhaupt keine Erfahrung mit diesen Stilmitteln habe: Wo könnte die Bruchstelle im narrativen Erzählen liegen, wo der Erzähler übermächtig wird? Wie ließe sich das brechen, ohne die Erzählform zu ändern?

 

Bitte fragt mich, wenn ich unklar formuliere, ich stochere wie gesagt selbst...

 

Schöne Grüße,

Petra

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Hans-Peter, ich krieg mit deinen Stänkereien jetzt den Kropf. Das ist passiert, als ich literarische Romane ohne Handlungsgetriebenheit diskutieren wollte, jetzt passiert es wieder.

Ich sag's jetzt klipp und klar: Wenn du nicht respektieren kannst, dass hier mal etwas Anderes in anderer Weise diskutiert wird, weil jemand das Bedürfnis hat und sich an die richtet, die das gleiche Bedürfnis haben (ob Anfänger oder Profis), dann kann dieser Thread sofort geschlossen werden und ich überlasse Leuten wie dir das Feld, die ständig künstlich die Kiste zwischen einfach und gebildet aufmachen müssen, um Threads zu torpedieren. In diesem Forum sollte Platz sein, dass man sich auch mal über Spezialfragen speziell unterhält und nicht für seine Bildung schämen muss.

Auch diese Metadiskussion war unnötig wie ein Kropf.

Inzwischen auch sehr angesäuert,

Petra

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.... Was ist denn in euch hier gefahren :-?

Die Uhr wird doch erst am Sonntag umgestellt. Ihr kommt mir alle so gereizt und reizauslösend vor.

RAbe

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Hallo,

 

ich benutze narratives Erzählen vorallem, um eine gewisse Zeit zu überbrücken und das Geschehen zusammen zu raffen.

 

:s09 Kristin

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Hallo Petra,

 

ich habe das Wort "narritiv" noch nie gehört.

Deshalb mal ein Textbeispiel:

 

Ist es das?

 

Sie errichteten ihr Nachtlager im Schutz des Waldes und in sicherer Entfernung von den Lagerfeuern.

Während Peme und Tisea schliefen, hielt Hákon Wache. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken noch einmal zu den Feuern zurückzukehren, um nachzusehen, wer dort lagerte, aber er wagte es nicht, die beiden allein zu lassen und beschränkte sich darauf, die schattenhaften Gestalten aus der Ferne zu beobachten.

Der Mond ging auf und tauchte das nebelverhangene Hochland in silbernes Licht, während die Nacht voranschritt und dem Morgen entgegeneilte. Wie schon in den vorangegangenen Nächten sollte Peme ihn auch diesmal zur Mitte der Nacht ablösen. Aber wie schon zuvor, zögerte er den Augenblick, da er sie weckte, auch diesmal wieder so lange wie möglich heraus.

 

Unwissende Grüße

Monika

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So richtig, habe ich - glaube ich - auch nicht verstanden, was das narrative Erzählen sein soll. Ich würde es so sehen, wie Monika im vorhergehende Posting.

Da ich - durch ständige Gehirnwäsche ;) - automatisch immer SDT versuche, muss ich mich regelrecht zwingen narrative Elemente, wie in dem Beispiel angebracht, einzuführen. Ich denke, sie bringen etwas Ruhe und Distanz in einen Roman und haben daher auch ihre Berechtigung. Außerdem können Sachen gerafft dargestellt werden.

Rabe

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Hallo Rabe,

 

warum sollte ich vom Errichten des Lagers und stundenlanger langweiliger Nachtwache berichten?

Die Protas sind schon lange unterwegs und es ist nicht ihr erstes Nachtlager.

Man kann den Leser auch mit zuviel "Show" zum Weiterblättern und Seitenüberspringen treiben  ;)

 

Deshalb fasse ich solche Szenen gern so zusammen.

 

Liebe Grüße

Monika

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Wo verwendet ihr bevorzugt narrative Erzählweise, wie beurteilt ihr deren Wirkung, welche Vorteile und Gestaltungsmöglichkeiten habe ich damit?

 

Neugierige Grüße,

Petra

 

 

Hallo Petra und alle,

 

ich bin mir zwar auch nicht so ganz sicher, ob ich immer die richtige Definition vom narrativen Erzählen im Kopf habe, geschweige denn beherrsche. Aber wenn ich mir hier Monikas Beispiel anschaue, dann weiß ich sofort, warum ich diese Techink so sehr mag und selber auch gern benutze, selbst wenn ich oft gesagt bekomme, dass ich dadurch schneller in die Perpektiven-Falle stolpere als ohnehin schon.

 

Ein entscheidender Vorteil besteht für mich darin, dass ich Atmosphäre verzerrungsfrei schaffen kann. Sprich, ich lasse allzu subjektive Eindrücke ein wenig in den Hintergrund treten und bewirke damit, dass der Leser ein Bild "sieht", dass ich auch wirklich (fast) so haben wollte. Ich vermindere damit quasi das Risiko von Fehlinterpretationen.

 

Besonders gern nutze ich es, wenn sich z.B. Konflikte KURZ VOR ihrer Auflösung befinden. Warum ich das da mache - keine Ahnung, weil ich es gern so lese. Überhaupt kommt die Entscheidung dafür oder dagegen sehr aus meinem Bauch, denn meistens schreibe ich in der Rohfassung viel mehr narrativ, als später dann. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich die Rohfassung kopflos schreibe, aber irgendwie schon.. :s10

 

Hilfreich wäre für mich, wenn du, Petra oder jemand von den anderen Profis mal mit zwei oder drei ganz prägnanten Merkmalen um die Ecke kämt, anhand derer ich narratives Erzählen zweifelsfrei identifizieren könnte.

 

dankbare Grüße dafür, dass man hier fragen kann, was man sich sonst nicht traut zu fragen.  :s17

Dorit

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Liebe Petra, täte das hier Deiner Definition von narrativ entsprechen?

 

Im schwülen Dämmerlicht der Geschichte wuchs unter dem weit ausladenden Geäst der uralten Baumriesen ein schlanker Baum empor. Sein Stamm und einige dicke Äste waren über und über mit Büscheln kleiner, weißer Blüten besetzt, umschwebt von winzigen Mücken, die sich an ihrem Nektar labten. Dazwischen hingen längliche Früchte in allen Stadien der Reife. Waren sie schwer von Saft und Süße, lösten sie vom Stamm und landeten mit einem leisen Plopp auf der Erde.

Tropfende Blätter nässten den Boden des Waldes. Faulendes Laub, verwesendes Aas, schleimiges Gewürm und Jahrtausende alter Humus bildeten ein nahrhaftes Gemisch, in dem die Keimlinge zum Leben erwachen könnten.

Wenn sich denn nur die harte Schale der herabgefallenen goldenen Frucht öffnen würde und die darin enthaltenen Samen sich verstreuten.

Doch der Baum – eine recht anspruchsvolle Diva unter den Gewächsen – brauchte Geburtshilfe. Es waren die Affen, die schließlich eingriffen und zu seiner Vermehrung beitrugen. Angezogen von dem süßen Duft der Frucht machten sie sich daran, die zähe Schale mit Fingern und Zähnen zu öffnen, schlürften mit Behagen das helle, saftige Fleisch und spukten angewidert die darin eingebetteten Kerne aus. Sie schmeckten unerträglich bitter.

Aber genau das war die Absicht des Baumes. Die verschmähten Bohnen fielen auf den moderigen, aufgeweichten Grund. Und die immer gleich bleibenden unbewegliche, von tausend Gerüchen durchzogene Luft sorgte für das einzigartige Klima, in dem es dem Samen möglich war zu keimen. Nur hier, im halbdunklen, feuchtwarmen Mutterleib des tropischen Urwaldes gedieh der Kakaobaum, hier pflanze er sich fort, blühte, bildeten Fruchtstände und wieder Früchte. Er wuchs und starb und bildete Nährboden und Nahrung für kommende Generationen von Affen und Mücken und manch anderem Getier.

 

Das ist der Prolog zu meinem neuesten Machwerk.

 

Beispielstiftend

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Ja, Anna, das isses.

Schnell noch mal im Vorbeifliegen: die genaue Definition kann ich auch nicht. "Narratives Erzählen" ist eigentlich ein dämlicher Ausdruck, weil narrativ = erzählend heißt (erzählendes Erzählen). Die, die Englisch reden, nennen es "tell". Und wie ihr oben seht, streiten sich auch Literaturwissenschaftler um Begriffe.

Monikas Beispiel ist eines, besonders passend für die Situationen, wo Übergänge geschaffen werden, Dinge zusammengefasst.

 

Martinez-Scheffel bringt ein Beispiel aus Kafka, aus einer Stelle, an der eigentlich wörtliche Rede stehen könnte mit dem, was der Heizer sagt, aber Kafka löst das so:

Herr Schubal ist ungerecht. Herr Schubal bevorzugt die Ausländer. (zitierte Figurenrede). Herr Schubal verwies den Heizer aus dem Maschinenraum und ließ ihn Klosette reinigen, was doch gewiß nicht des Heizers Sache war (transponierte Rede). Einmal wurde sogar die Tüchtigkeit des Herrn Schubal angezweifelt, die eher scheinbar, als wirklich vorhanden war (erzählte Rede).

Das als besonderes Beispiel, in dem die Distanz auch noch durch unterschiedliche Redeformen gesteuert wird.

 

Ein Beispiel für narratives Erzählen von Ereignissen aus Flauberts Madame Bovary:

Emma stieg in die oberen Zimmer hinauf. Das erste war überhaupt nicht möbliert; aber im zweiten, dem ehelichen Shlafzimmer, stand ein Mahagonibett in einem Alkoven mit roten Vorhängen. Eine mit Muscheln verzierte Schachtel prangte als Schmuckstück auf der Kommode, und auf dem Schreibtischchen beim Fenster stand in einer Karaffe ein Orangenblütenstrauß, mit weißen Seidenbändern umwunden. Es war ein Brautbukett, der Hochzeitsstrauß der anderen!

 

Ein Beispiel für narratives Erzählen von Worten aus Kleists "Die Marquise von O.":

Der Graf setzte sich, indem er die Hand der Dame fahrenließ, nieder, und sagte, dass er, durch die Umstände gezwungen, sich sehr kurz fassen müsse; dass er, tödlich durch die Brust geschossen, nach P. gebracht worden wäre; dass er mehrere Monate daselbst am Leben verzweifelt hätte...

 

Und ja, bitte, immer frech fragen, auch ich lerne erst manches, indem ich hier schreibend nachdenke und nachlese!

 

Schöne Grüße,

Petra

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Der Martinez-Scheffel (s. auch Buchkritiken) sieht die Stärke des narrativen Erzählens vor allem in der Regulierung von Distanz und Fokalisierung. D.h. ich kann hier nicht nur die Distanz zum Geschehen vergrößern, sondern auch den Erzähler als wahrnehmbare Größe stärker in den Vordergrund rücken. Je nach Moden und Genres wechselten durch die Jahrhunderte die Bewertungen solcher Erzählformen - um Wertigkeiten soll es hier aber nicht gehen. Zwei Möglichkeiten des narrativen Erzählens werden gezeigt:

- Erzählen von Worten

- Erzählen von Ereignissen

 

Hey Petra,

ich konnte deinem Beitrag folgen bis auf "Erzählen von Worten" - das versteh ich überhaupt nicht.

 

Ich glaube ein sehr schönes Beispiel für "narratives" Erzählen findet sich in Süskinds "Das Parfüm". Da der "natürliche Perspektivträger" des Romans denkbar ungeeignet ist als "Perspektivträger" gebraucht zu werden, spielt der Erzähler eine große Rolle - und natürlich ist es dann immer ein Spiel mit der Distanz.

Besonders schön sieht man das in dem Buch, wenn Süskind vom narrativen weg, in die Figuren hineingeht. Zum Beispiel in den Parfümeur Baldini.

 

Im neunten Kapitel ist es noch eher narrativ (Zu jener Zeit gab es in Paris ein gutes Dutzend Parfumeure."). Der Erzähler führt uns sozusagen durch das Haus Baldinis.

Dann im zehnten Kapitel ("Chénier!" rief Baldini hinter dem Kontor hervor, wo er seit Stunden säulenstarr gestanden und die Türe angestarrt hatte, "ziehen Sie Ihre Perücke an!") betritt Baldini die Bühne, aber redet vor allem und es wirkt eher wie ein Dialog aus einem Drama (Süskind bedient sich sogar einer drama-ähnlichen Dialogdarstellung mit fettgedruckten Namen, der Erzähler wird also "unsichtbar", "perspektivlos").

Und im elften Kapitel sind wir dann endgültig "in" Baldini (Zwar hatte Giuseppe Baldini seinen duftenden Rock ausgezogen, aber nur aus alter Gewohnheit. Der Duft des Frangipaniwassers störte ihn schon längst nicht mehr beim Riechen, er trug ihn ja schon seit Jahrezehnten mit sich herum und nahm ihn überhaupt nicht mehr wahr".)

 

Also was sowas angeht, verschiedene "Erzähltechniken"/das Überblenden vom einen zum anderen ist "Das Parfum" sicher eine Fundgrube, gerade in den Baldini-Passagen.

 

Aber was du jetzt mit "Käseglocke" sagt, das ist mir so einfach zu abstrakt, glaube ich. Willst du uns nicht mal mit Beispielen füttern? Bei dieser Aussage von dir:

Meine Frage ist jetzt die: ab wann wird die Erzählstimme womöglich so übermächtig, dass ich die Figur selbst nur noch wie durch einen Nebel wahrnehme?

Fiel mir z.B. sofort die indirekte Rede ein, als Stilmittel. Wenn die Aussagen der Figuren zusammengefasst und durch die "Erzählstimme" gefärbt werden. Das ergibt dann vielleicht so einen "Nebel-Verwischungseffekt" (der auch oft sehr ironisch wirkt).

 

Ich hab das im "erzähltheoretischen Nachschlagewerk" meiner Wahl (Jochen Vogt, Aspekte erzählender Prosa) aufgedröselt bekommen - am Beispiel der Buddenbrooks.

Einmal lässt der Erzähler die Figur reden:

"Wenn es ein warmer Schlag ist", sprach Tony und nickte bei jedem Wort mit dem Kopfe, "so schlägt der Blitz ein. Wenn es aber ein kalter Schlag ist, so schlägt der Donner ein!"

und einmal fasst der Erzähler zusammen:

Herr Buddenbrook aber war böse auf diese Weisheit, er verlangte durchaus zu wissen, wer dem Kinde diese Stupidität beigebracht habe...

 

Und man sieht da ja schon einen "deutlichen" Verwischungseffekt, den die indirekte Rede mit sich bringt.

 

Gruß

Peter

 

Edit: Bei näherer Betrachtung und nochmaligem Durchlesen meines Beitrags, gehe ich davon aus, dass "Das Erzählen von Worten" einfach die "indirekte Rede" meint also zumindest das Zusammenfassen und Referieren von Figurenrede? :)

Hm, interessante Erfahrung. Mit dem eigenen Beitrag die eigenen Fragen zu beantworten. :s18

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Und jetzt kommt genau der Haken, an dem ich knoble: Durch diese völlige Figurenisolation entsteht so eine Art Glasglockeneffekt beim Lesen... ab wann wird die Erzählstimme womöglich so übermächtig, dass ich die Figur selbst nur noch wie durch einen Nebel wahrnehme?

Kann es passieren, dass dieses An-die-Hand-Nehmen so stark wirkt, dass der Eindruck verwischt wird, man würde wirklich "aus dem Kopf der Figur heraus" erleben?

 

Wo könnte die Bruchstelle im narrativen Erzählen liegen, wo der Erzähler übermächtig wird? Wie ließe sich das brechen, ohne die Erzählform zu ändern?

 

Liebe Petra,

 

ich denke, es kann durchaus passieren, dass der Erzähler so vereinnahmend wird durch seine Innensichten, dass sich ein Nebel zwischen ihn und den Leser schiebt. Obwohl man eigentlich denken sollte, je mehr Introspektive, desto näher ist man an der Figur. Aber ich glaube, zu große Nähe kann auch Nebel verursachen.

 

Ab einem gewissen Zeitpunkt läuft man Gefahr, die Figur durch die vielen Gedanken zu lähmen. Man verkrümelt sich so sehr nach Innen, dass kaum mehr einer mit reinkommen mag. Außerdem "passiert" zu wenig. Es ist aus solch einer Perspektive heraus unheimlich schwer, die Figur zur Abwechslung einfach mal Joggen oder aufs Klo zu schicken.

 

Dialoge helfen da, glaube ich, sehr. (Bei einer sozial isolierten Figur natürlich sehr schwierig...) Aber in Dialogen könnte man sanft wieder aus dem reflektierenden Modus aussteigen, nur das Gesagte schildern und dem Leser so auch die Gelegenheit geben, "das Gelernte anzuwenden", um es mal ganz blöde zu formulieren. Wenn man einen Charakter sehr detailliert vorgestellt hat, viele Innensichten die Einstellungen und das ganze "Uhrwerk" demonstriert haben, weiß der Leser schon von selbst, wie die Figur dann reagiert. Deswegen sind Dialoge oder einfach Szenen, in denen die Figur sehr beschäftigt ist, eine gute Gelegenheit, den Fokus wieder ein bisschen mehr nach außen zu verlagern.

 

Eine Gefahr des narrativen Erzählens habe ich kürzlich selbst zu spüren bekommen: Ich war so busy damit, die inneren Vorgänge transparent, logisch und schlüssig zu gestalten, dass mir auf der reinen Handlungsebene (was PASSIERT eigentlich?) riesige logische Patzer passiert sind! Ich hatte einfach nicht erkannt, dass es für meinen Prota nicht damit getan war, sich jetzt diese und jene Gedanken zu dem konkreten Ereignis zu machen, sondern dass es unbedingt noch einen Schritt weiter gehen musste, in dem, was er SAGT - und zwar nach außen.

 

Es ist echt kniffelig.

 

Hast du denn schon eine Strategie, ihn aus der Glasglocke zu lassen - ab und zu?

 

Gruß

 

Ruth

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Hallo Petra,

 

dann muss ich zusammenfassend sagen, dass meine Romane von dem Wechsel leben.

 

Bei meinen vielen Protagonisten beginne ich die Kapitel/Szenen meist mit narritivem Erzählen, um dem Leser das Springen in die andere Umgebung/Person zu erleichtern und deren Erlebnisse ( die bis dahin so spannend nicht waren) bis zu einem gewissen Punkt zusammenzufassen.

 

Dann geht es ganz normal mit "show" weiter.

Bis zum Kapitel- oder Szenenende.

 

Täte ich das nicht, würde ich entweder wichtige Informationen vergessen oder den Leser mit einer Fülle von Nebensächlichkeiten erschlagen, die nun wirklich nicht der Rede ( des Lesens) wert sind.

... und hätte am Ende einen 1000 Seiten Wälzer mit einer Unmenge Längen, die niemanden interessieren.

 

Also wird das, was seit der letzten Szene passiert ist, kurz und knapp zusammengefasst.

 

Wie heißt es doch so schön:

 

Getretener Quark wird breit, nicht stark  ;D

 

Liebe Grüße

Monika

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Ja, Monika, das ist sehr sinnvoll!

 

Da ich über große Zeiträume berichte, verwende ich beschreibende Passagen auch immer dann, wenn es beispielsweise zum Zeitraffungen geht. Wenn ich alles dramatisch/show darstellen wollte, würde mein Verlag mich einen Kopf kürzer machen, weil ihnen das Bibelpapier ausgeht (das ist die dünnste Papierqualität, die man verwendet, um dicke Wälzer handlich zu machen)

Ein schreckliches Beispiel von zuviel show ist (auch wenn ich jetzt hier eingefleischten Fans auf die Füße trete) Diana Gabaldon, insbesondere in ihrem letzten Band.

 

Kurzum, es gibt Situationen, wo nur Narratives weiterhilft, die Handlung zu straffen.

Das ist einer der Vorteile dieser Erzählweise.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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(Peter_Dobrovka)

Die Definition von narrativ befindet sich in diesem Thread:

(Link ungültig)

Sollte jemand anderer Meinung sein oder was ergänzen wollen, bitte dorthin posten. Hier sollten wir uns auf Petras Frage konzentrieren, wann wir narrative Erzähltechnik anwenden.

 

Sprach der Moderator

Peter

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.. vielleicht bin ich heute neben der spur, aber ich versteh nur bahnhof in diesem thread..

 

herzlichst: jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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(Peter_Dobrovka)

Ein narrativer Erzähler (oder ein narrativ gestalteter Erzähler) ist sehr präsent, er kann seine Geschichte erzählen, den Fokus verlagern, beliebig in die Tiefe gehen. Der Pool an Aspekten, die sich jederzeit vertiefen lassen, auf denen man verharren kann, ist praktisch unendlich groß.

 

Durch narratives Erzählen wird der Leser an der Hand genommen und vom Autor eine bestimmte Route entlang geführt. Man liefert dadurch meist eine Szenerie und deren Einordnung. Oder eben eine Figur und deren Gefühle. Eine Landschaft und deren Wirkung etc.

Ich glaube, ich ahne, was du meinst, aber ich bin mir nicht sicher. Hast du da ein Beispiel zur Hand? Oder mehrere?

 

Hallo Petra,

ich habe das Wort "narritiv" noch nie gehört.

Deshalb mal ein Textbeispiel:

Ist es das?

Sie errichteten ihr Nachtlager im Schutz des Waldes und in sicherer Entfernung von den Lagerfeuern.

[...]

Aber wie schon zuvor, zögerte er den Augenblick, da er sie weckte, auch diesmal wieder so lange wie möglich heraus.

Ja, das ist es ganz genau.

Ein sehr gutes Beispiel übrigens.

 

Besonders gern nutze ich es, wenn sich z.B. Konflikte KURZ VOR ihrer Auflösung befinden.

Beispiel?

 

Liebe Petra, täte das hier Deiner Definition von narrativ entsprechen?

 

Im schwülen Dämmerlicht der Geschichte wuchs unter dem weit ausladenden Geäst der uralten Baumriesen ein schlanker Baum empor.

[...]

Er wuchs und starb und bildete Nährboden und Nahrung für kommende Generationen von Affen und Mücken und manch anderem Getier.

Auch das ist ein gutes Beispiel für narrativ.

 

Ein Beispiel für narratives Erzählen von Ereignissen aus Flauberts Madame Bovary:

Emma stieg in die oberen Zimmer hinauf. Das erste war überhaupt nicht möbliert; aber im zweiten, dem ehelichen Shlafzimmer, stand ein Mahagonibett in einem Alkoven mit roten Vorhängen. Eine mit Muscheln verzierte Schachtel prangte als Schmuckstück auf der Kommode, und auf dem Schreibtischchen beim Fenster stand in einer Karaffe ein Orangenblütenstrauß, mit weißen Seidenbändern umwunden. Es war ein Brautbukett, der Hochzeitsstrauß der anderen!

Hohoo! Das ist KEIN narratives Erzählen. Das ist Beschreibung. Ausgenommen der eine Satz, in dem Emma in die oberen Zimmer hinaufsteigt.

 

Ein Beispiel für narratives Erzählen von Worten aus Kleists "Die Marquise von O.":

Der Graf setzte sich, indem er die Hand der Dame fahrenließ, nieder, und sagte, dass er, durch die Umstände gezwungen, sich sehr kurz fassen müsse; dass er, tödlich durch die Brust geschossen, nach P. gebracht worden wäre; dass er mehrere Monate daselbst am Leben verzweifelt hätte...

Ob das narrativ ist oder nicht, ist nicht eindeutig. Es käme darauf an, was er wortwörtlich gesagt hat, und das ist nicht bekannt. Würde der Dialog so lauten:

"Ich muß mich aufgrund der Umstände kurz fassen. Ich wurde tötdlich durch die Brust geschossen und nach P. gebracht. Dort bin ich mehrere Monate am Leben verzweifelt und ..."

dann ist das lediglich eine indirekte Rede. Narrativ ist es, wenn man Dinge zusammenfaßt. Abkehr von der Echtzeit. Narrativ ist Obiges, wenn der Graf in an dieser Stelle einen Viertelstündigen Monolog gehalten hat, der nicht in seinen Einzelheiten wiedergegeben wird.

 

Peter

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Liebe Petra,

 

es ist spät am Abend, darum nur ein paar unsortierte Einfälle:

 

Erst mal ein Beispiel: "Hundert Jahre Einsamkeit" von Garcia Marquez. Darin kommen durchaus Dialoge und szenisch gestaltete Passagen vor - aber das Ganze wird durch ein ständig präsente, ungeheuer souveräne Erzählstimme zusammengewoben. Man nehme nur den berühmten ersten Satz:

Viele Jahre später sollte der Oberst Aureliano Buendia sich vor dem Erschießungskommando an jenen fernen Nachmittag erinnern, an dem sein Vater ihn mitnahm, um das Eis kennenzulernen.

Der Roman lebt davon, dass ständig in der Zeit herumgesprungen wird, und ich glaube, so etwas geht nur narrativ. Weil nur der Erzähler den Fokus der Geschichte so frei verlagern kann. Bei rein szenischem Schreiben muss man bei Zeitsprüngen entweder schneiden und wirklich springen - oder man muss die Rückblenden als Erinnerungen "tarnen", was aber häufig wenig überzeugend wirkt, weil sich kein Mensch so geordnet erinnert, wie meistens erzählt wird.

 

Bei diesem narrativen Schreiben kann man auch ohne Probleme Informationen an den Leser weitergeben - direkt vom Erzähler an den Leser, ohne Umwege über Dialoge oder Gedanken der Personen oder lange Nachmittage in der Bibliothek (kennt ihr "Solaris"? ;)) Noch mal Hundert Jahre Einsamkeit, gleich die nächsten Sätze:

 

Macondo war damals ein Dorf von zwanzig Häusern aus Lehm und Bambus am Ufer eines Flusses mit kristallklarem Wasser, das dahineilte durch ein Bett aus geschliffenen Steinen, weiß und riesig wie prähistorische Eier. Die Welt war noch so jung, dass viele Dinge des Namens entbehrten, und um sie zu benennen, mußte man mit dem Finger auf sie deuten.

 

Und die Nachteile? Erstens natürlich die Distanz, die Du ansprichst, Petra. In Hundert Jahre Einsamkeit steckt man nie über lange Strecken im Kopf der Person, da ist immer der Erzähler mit dabei. Das heißt auch, dass die Gedanken und Gefühle immer gefiltert werden, sie kommen nie "direkt" beim Leser an. Und das kann auch heißen, dass man ihnen die Schärfe nimmt, dass man Konturen verwischt.

 

Mich hat eine sehr kluge Lektorin mal darauf hingewiesen, dass ich das bei meiner Hauptperson so machte. Mir war das gar nicht bewusst gewesen - aber unbewusst hatte ich offenbar beschlossen, dass meine Hauptperson einen Vermittler brauchte, jemanden, der sie den Lesern erklärt. Tatsächlich bekam die Person aber viel schärfere Konturen, als sie dann (in der Neufassung des Textes) den Lesern so vorgeführt wurde, wie sie sich benahm, ohne weiches Überleiten, In-Zusammenhang-Bringen etc. Allerdings fielen damit z.B. alle Rückblenden weg, ich musste den ganzen Aufbau ändern.

 

Und noch ein letzter Gedanke: Wenn der Erzähler deutlich zu hören ist, dann braucht er auch eine klar definierte und souveräne Stimme. Eine, die einem der Leser auch abkauft. Beim szenischen Schreiben kann man sich letztlich immer hinter den Figuren verstecken, und der Erzähler kommt höchstens mal ganz unauffällig für ein paar Sätze zu Wort. Aber in einer narrativen Passage von Gewicht steht er plötzlich allein auf der Bühne und soll für sich sprechen. Davor habe ich, ehrlich gesagt, am meisten Respekt.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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(Peter_Dobrovka)

Ich finde die Sache mit der Distanz, der Käseglocke und den Figurenkonturen sehr interessant und würde mir da, wie gesagt, Beispiele wünschen, um das besser begreifen zu können.

 

Ich nutze narrative Passagen genau wie Monika und Anna vorwiegend zur Straffung, wobei das unglücklich ausgedrückt ist, denn ich benutze sie nicht, wie ich ein Werkzeug benutze.

Nicht alles ist in einem Roman gleich interessant. Ich möchte, daß in einem Roman die interessanten Dinge ausführlich beschrieben werden und die uninteressanten am besten gar nicht, bzw. nur soweit sie für die Handlung bzw. das Verständnis wichtig sind. Wenn ein Vorgang für eine Szene nicht genug hergibt, wird daraus halt keine Szene, sondern ich narriere. Umgekehrt: Wenn ein Vorgang interessant ist und nach Szene schreit, dann wird es eine Szene.

Was ich interessant finde zu erwähnen: Der Übergang ist mitunter fließend. Es gibt ja kein Gesetz, das bestimmt, ein Kapitel entweder komplett szenisch oder komplett narrativ abzuhandeln. So habe ich durchaus Szenen, die auch mal von narrativen Passagen beschleunigt sein können.

Beispiel: Zwei Figuren unterhalten sich, szenisch. Dialog, Beschreibung der Mimik und was sie beim Reden tun, etc. Sie beschließen, an einen anderen Ort zu fahren. Die Fahrt und was während der Fahrt passiert, ist narrativ. Dann kommen sie am Ziel an, wo Action angesagt ist, und das Erzähltempo geht wieder in Szene über.

Die Durchmischung kann mitunter noch viel stärker sein. Ich bin um diese Uhrzeit nur leider nicht mehr fit genug, um Beispiele aus meinem Fundus herauszusuchen.

 

Um Distanz zu schaffen oder die Erzählerstimme stärker hervortreten zu lassen, habe ich bisher nie Maßnahmen ergriffen, da ich mir gar nicht vorstellen kann, warum man das anstreben sollte. Wäre auch hier dankbar, wenn mich jemand erleuchten könnte, wozu das gut ist.

 

Peter

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Um Distanz zu schaffen oder die Erzählerstimme stärker hervortreten zu lassen, habe ich bisher nie Maßnahmen ergriffen, da ich mir gar nicht vorstellen kann, warum man das anstreben sollte. Wäre auch hier dankbar, wenn mich jemand erleuchten könnte, wozu das gut ist.

 

 

In dem (von mir sehr gemochten) Buch von Scheffel/Martinez wird aus meinem liebsten Kafka-Roman (als Fragment unter dem Titel "Amerika" von Max Brod herausgegeben) zitiert, den ich fuer ein sehr gutes Beispiel fuer EINE moegliche Wirkung halte. Glasglocke ist schon ein ausgezeichnetes Bild, finde ich. Mir fiel dabei sofort - obwohl das als Drama, so szenisch wie nur denkbar, ja voellig herausfaellt - die uralte Peymann-Inszenierung von "Torquatto Tasso" aus Hamburg ein. Kennt die jemand? Da wurde der schreibende Tasso in der Tat in einen solchen Glaszylinder auf die Buehne gestellt. Ins Auge sprang sofort, dass dieser Mensch seine Umgebung nicht erreichen kann, dass er von Menschen um ihn getrennt bleibt, auch wenn er zu ihnen spricht.

Ein aehnlicher, ganz starker Effekt entsteht in "Amerika": Karl Rossmann kann um Mitgefuehl des Lesers nicht buhlen, denn so nahe laesst Kafka ihn nicht an uns heran. Seine (scheinbar) nuechtern erzaehlende, glasharte Sprache trennt die Figur radikal von den Lesern, die eben buchstaeblich hinter einer Glaswand stehen bleiben (die unwirkliche Darstellung eines "Amerika", das Kafka ja nicht kannte, traegt dazu bei), und die Erzaehlweise gestaltet den Inhalt - das vergebliche Kontaktaufnehmen Karls - eindringlich nach. (Am beachtlichsten: Das scheinbare Distanzieren des Schriftstellers, der damit - natuerlich - sich von sich selbst und dem Mitleid mit sich selbst distanziert) Dies mag im Leser (zumindest bei mir ist das der Fall) eine Erschuetterung und ein Mitleiden hervorrufen, die eigen und staerker sind als solche, um die die Figur mit eigener Stimme, eigenem Schluchzen, Flehen, Knien gebeten haette.

 

Dies ist nur eine von vielen Deutungen zu einem von vielen Beispielen. (Ich hoffe, es ist verstaendlich.)

 

Ueberspitzt liesse sich sagen: Manches wirkt staerker dadurch, dass es nicht gezeigt wird.

 

Dass ich es sehr, sehr schwer finde, so zu erzaehlen, brauche ich hoffentlich nicht dazuzuschreiben (Kafka als Beispiel heisst fuer mich immer auch: Vielleicht nimmt Lottchen lieber davon Abstand ...). Aber mit der "ganzen Palette" - wie es irgendwo gesagt wurde - zu malen, ist ohnehin sicher schwieriger als mit einigen ausgewaehlten Farben, auf die man sich versteht (wobei ich es fuer mich selbst legitim und sinnvoll finde, mich auf die zu beschraenken).

 

Charlie.

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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[Hohoo! Das ist KEIN narratives Erzählen. Das ist Beschreibung.

Sorry, alle meine Definitionsversuche und Textbeispiele stammen aus dem Martinez-Scheffel und nicht von mir.

Natürlich lassen sich narrativ auch wieder unterschiedliche Formen des Erzählens finden, aber ich hab mir erspart euch Seiten zu referieren, die zwar theoretisch und literaturwissenschaftlich interessant sind, aber hier vielleicht nur zu Haarspaltereien führen. ;)

Schöne Grüße,

Petra

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Ein Beispiel ganz anderer Art ist John le Carré. Bei ihm taucht der Erzähler nie völlig unter. Auch in den vielen und langen szenischen Passagen kommen wieder kleine narrative Schlenker, vor allem kurze Rückblenden vor. Oder Erzähler-Kommentare.

 

Die furchtbaren Dinge, die in seinen Büchern passieren, werden ganz häufig nicht direkt und unmittelbar erzählt, sondern im Nachhinein berichtet oder von einer der Figuren rekonstruiert. Man könnte meinen, dass sie dadurch weniger stark wirken, aber das Gegenteil ist der Fall. Zum Beispiel kann er durch diese Erzählweise immer wieder auf ein Ereignis zurückkommen, es von den verschiedensten Seiten beleuchten, es immer wieder in einen neuen Kontext stellen. Dadurch kann er Dingen sehr großen Raum geben, die rein szenisch beschrieben in kürzester Zeit vorbei wären. Auch die Motivation der Hauptperson wird sehr deutlich, weil sie in ihrem ganzen Kontext gezeigt wird. Die Vorgeschichte ist sozusagen immer mit zur Stelle, auch wenn die Hauptperson nur einen Kaffee trinkt.

 

Le Carré lenkt also die Aufmerksamkeit der Leser sehr stark. Er verlässt sich nicht darauf, dass sie schon die richtigen Verbindungen herstellen werden. (Vermutlich müsste er dann seine Geschichten sehr viel einfacher stricken.) Er (vielmehr der Erzähler) führt durch die Geschichte.

 

Dazu kommt noch etwas: In den Romanen gibt es oft lange Gespräche, in denen die eine Person der anderen etwas erzählt. Und natürlich erzählt sie narrativ. Sie berichtet. Dadurch, dass auch der Erzähler selbst oft narrativ "spricht", fügen sich diese mündlichen Passagen sehr gut in das Ganze ein. Rückblenden, wörtliche Rede, Gedanken - all das ähnelt sich im Duktus, auch wenn die Stimme ständig wechselt. Und der Roman insgesamt bekommt einen sehr nüchternen Tonfall und zugleich eine große Dichte.

 

Übriges weiß ich gar nicht, ob le Carré immer so schreibt. Was ich hier sage, bezieht sich vor allem auf "Agent in eigener Sache" und "Dame, König, As, Spion". Falls Interesse besteht, kann ich nachher eine Passage als Beispiel abtippen - aber ich möchte den Thread nicht unnötig damit verstopfen.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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