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(Ralph)

Grimwood: Replay

Empfohlene Beiträge

Hallo.

 

Ich muss einfach mal eins meiner Lieblingsbücher hier vorstellen!

 

Ken Grimwood: Replay – Das zweite Spiel. – Roman. Überarb. Neuausg. – Heyne, 2004. - 8,- Euro. – 411 S.

 

Was kann ein Science-Fiction-Roman leisten? Nicht mehr oder weniger als jegliche andere Belletristik. Sie kann zum Beispiel Aufschluss über diverse Fragen in Richtung Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft aufwerfen; die schlechteren Bücher liefern meistens Antworten. Grimwoods Roman Replay gibt keine Antworten, lässt den Leser aber umso stärker über sein Leben reflektieren.

Replay ist eines dieser Kultbücher, die von einer kleinen Leserschaft fast mystisch verehrt werden, aber der großen Masse völlig unbekannt ist. Dabei sind seine Ableger durchaus im „Mainstream“ präsent. Da wäre Frau Niffeneggers Frau eines Zeitreisenden zu nennen oder der Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Aber das Buch ist weit von einer einfachen Liebesgeschichte oder leichtem Klamauk entfernt. Die Grundidee ist simpel: Jeff Winston stirbt im ersten Satz des Buches - im Jahre 1988 - und erwacht als junger Mann in seinem alten Leben, im Jahre 1963, allerdings mit dem Wissen und Bewusstsein des Jeff Winston von 1988. Diese Wiederholung erlebt er immer wieder: Wenn er stirbt, erwacht er wieder von neuem in jüngeren Jahren, nur dass er jedes Mal später erwacht, bis sich Erwachen und Sterben letztendlich überschneiden.

Diese Grundidee mag nicht mehr allzu originell erscheinen, war sie vielleicht auch nicht 1986, als dieses Buch erschien, aber die Ausführung lässt mich behaupten, ohne es beweisen zu können, dass es sich um das beste Buch dieser Art handelt. Der Roman überrascht nicht nur durch die inhaltliche Behandlung dieses Themas, sondern ebenso formal, sprachlich und emotional.

Natürlich beginnt Jeff wie in jeder „Zeitreisegeschichte“ über Zeitparadoxa nachzudenken und dergleichen. Aber das ist an sich nicht wichtig. Es ist auch nicht wirklich interessant. Viel interessanter sind die Themen, die man vielleicht als universell bezeichnen kann: Was fängt man mit seinem Leben an? Was sagt uns Grimwood über das Leben? Was hat er uns über die Jahrzehnte (Sechziger bis Achtziger) zu erzählen?

Es wird nebenbei ein ganzes Panorama der amerikanischen Gesellschaft entworfen, es wird über Politik, Literatur und Kunst nachgedacht, es wird mit Zeitkolorit gearbeitet (für die Sechziger z. B. Hitchcock, Pynchon etc.) – und, und dies ist es, was das Buch groß macht: Es wird das menschliche Leid ernst genommen – und ausgeleuchtet.

„Kostbare Unschuld, dachte er, selige süße Ahnungslosigkeit, die nichts von den Wunden weiß, die ein wahnsinnig gewordenes Universum schlagen kann.“ (S. 129)

Was dieses Buch eben über die meisten Bücher dieser Art hinaus hebt ist, dass es nicht - wie die meisten Bücher über Zeitreisen - das „Bessermachen“ in den Vordergrund stellt (ich mache alles noch mal, nur besser), sondern vor allem den Verlust; das, was verloren geht, hier metaphorisch überhöht: Was verloren geht, wenn man stirbt.

Natürlich geht es auch um die Frage nach dem Sinn der Anstrengung in einem absurden Dasein, wenn am Ende alles wieder verloren wird, was eben besonders durch die ewige Wiederholung von Jeffs Lebenszyklus betont wird (wie ein moderner Sisyphus muss er sich immer wieder von neuem das Glück erkämpfen – um dann wieder alles zu verlieren).

„Aber warum überhaupt beginnen, wenn sich all seine Mühen unweigerlich als nutzlos erweisen würden?“ (S. 152)

Eine mögliche Antwort, zumindest für ein Leben von Jeff Winston: Das Lustprinzip.

„,Viele Leben’, flüsterte sie. ,Viele Schmerzen.’“ Und die kleine Französin fügt hinzu: „Lass uns zur Party gehen. La vie nous attend.“ (S.161)

Das französische, das existentialistische Kapitel, ist vermutlich eines der dunkelsten und dennoch attraktivsten Kapitel des Buches. Jeff vögelt sich durch die Zeit, nimmt Drogen und zieht sich schließlich, als auch diese Scheinwelt zusammenbricht, ins Einsiedlerdasein zurück.

Vielleicht einer der besten Einfälle Grimwoods war es, Jeff in einem seiner letzten Leben, Schriftsteller werden zu lassen. Jeff interviewt Menschen, die in Situationen großer Einsamkeit waren (Astronauten, Exilanten etc.). Grimwood kann somit über das Thema seines eigenen Buches reflektieren, das bei der Lektüre langsam immer weiter in den Vordergrund rückt: „Unser gemeinsames und unentrinnbares Ausgeschlossensein von den Jahren, die wir durchlebt und hinter uns gebracht haben, von den Menschen, die wir einmal waren und kannten und für immer verloren haben.“ (S. 350)

Trotz aller Traurigkeit ist es ein Buch, das Mut und Kraft schenkt, gerade weil es die Melancholie heraufbeschwört; gleichzeitig ist es eine Aufforderung, eine Aufforderung zum Leben.

La vie nous attend!

… nur, dies ist nicht so einfach wie es klingt, und auch das zeigt das Buch.

Noch ein paar Worte zum Stil:

Die ersten Kapitel wirken etwas dünn, fast oberflächlich. Aber spätestens ab Mitte des Buches wird klar, denke ich, dass es genau so sein musste. Denn aus der Wiederholung der gleichen Zeitabschnitte, potenzierten sich die Bedeutungen und die Beziehungsgeflechte der Personen und Ereignisse um ein Vielfaches. Es wäre vermutlich unerträglich gewesen, wenn schon gleich am Anfang eine zu starke Bindung zu den Personen und Ereignissen stattgefunden hätte. Das einzige, was man Grimwood vorwerfen kann, finde ich, ist dieser völlig überflüssige Epilog – eine Ankündigung zu einer Fortsetzung wie man sie aus Filmen kennt.

Abgesehen davon eines der besten Bücher, die ich seit langem gelesen habe.

Kleine Warnung: Das Vorwort, das der Heyne-Verlag dem Buch hinzugefügt hat, vermiest einem alles: Also dieses bitte nicht lesen!

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Beste Grüße,

Ralph

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Hallo Ralph! :)

 

das Buch ist tatsächlich ein herausragendes Werk

jammerschade dass es durch das Scienc Fiction Label einem breiten Publikum entgeht

 

Dein Arbeit bringt es auf den Punkt - das Buch ist eine Aufforderung zum Leben.

 

MfG Dombrosio

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Kann einfach nicht umhin, mich dieser Analyse und Rezension zu 100 % anzuschließen, da auch ich der Meinung bin, dass dieser Roman nicht die Aufmerksamkeit erhalten hat, die er verdient hätte.

Ihn in einem Satz mit dem unendlich erfolgreicheren und bekannteren 'Die Frau des Zeitreisenden' von Audrey Niffenegger zu nennen ist in jedem Falle angemessen.

 

Ein echter Geheim-Tipp!

Lesen!

 

Roy

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