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Die Flucht - Vertreibungskitsch, nazi-Abenteuer od

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Die Flucht lief letztes Wochenende im Fernsehen. Gesehen habe ich sie nicht, dafür aber das Buch gelesen.

 

Meine Meinung findet ihr hier:

(Link ungültig)

 

Und was ist das? Historisch sicher nicht - obwohl sich da manche Zeitzeugengeschichte, unter anderem die der Zeitchefin Marion Gräfin Dönhoff anbieten würde, die genügend spannenden Stoff hätten.

 

Aber man kann ja auch auf einer historischen Folie gute Geschichten erzählen. Nur ist es das auch nicht. Die Geschichte ist jämmerlich erzählt, die Figuren offenbar nur dazu da, die Ziele der Autorinnen zu erfüllen. Irgendwo kommt alles vor, aber immer greifen die Autorinnen rechtzeitig ein, bevor es ernst wird. Autoren sollten Problemen und Konflikten aus dem Weg gehen, so wohl das Motto.

 

"Wir erzählen emotional, die Figuren sind nicht mehr didaktisch wie in den 70er Jahren, sie sind viel spürbarer.", sagt der Produzent Nico Hofmann.

 

Haha. Die Figuren sollen vor allem eins: Lesererwartungen erfüllen. Oder, besser gesagt: die Erwartungen der Produzenten erfüllen, die diese den Lesern andichten. Ein Lehrbeispiel für die Diskussion um "Auftragsschreiben".

 

Nichts gegen den Auftrag, etwas über "Flucht und 3. Reich" zu schreiben. Alles dagegen, dort unterzubringen, was "hineingehört". "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" machen Abenteuerurlaub in Flucht und Vertreibung. Da will man was geboten bekommen. Da soll alles inklusive sein.

 

Da gehört rein:

"Vergewaltigung und Russen"

"Erschiessung Fahnenflüchtiger"

"Böse SSler, die aber nichts mit den Deutschen zu tun haben"

"Herz und Schmerz"

"Liebesgeschichte mit Widerstandskämpfer"

 

Und so ist es dann auch. Die Hauptperson, die Gräfin, eine hehre Lichtgestalt, die sich zwischen dem preußisch korrekten Junker vom Nachbargut und dem französichen Kriegsgefangenen entscheiden muss (ratet mal, für wen sie sich entscheidet).

 

Der preußisch korrekte Junker, der Offizier ist, für die Pflicht bis zum bitteren Ende (aber natürlich kein Nazi). Dass diese Figur dann wochenlang mit einem Fluchttreck durch die Gegend zieht (obwohl absolute Urlaubssperre herrscht, alles kämpfen muss, was männlich ist und laufen kann), weil er schließlich als Konkurrent des Franzosen gebraucht wird und am Schluß den Zuschauern ein Kriegsgericht geboten werden muss.

 

Die Gutsleute, allesamt ehrfürchtig zur Gräfin aufschauend und Staffage, aber ebenfalls keine Nazis (bis auf einen Bub, einen Bösen braucht man ja).

 

Die Nazis, die wohl vom Mars gekommen sein müssen (mit normalen Menschen haben sie selbstverständlich nichts zu tun). Obwohl, wenn ich es genau betrachte: Keiner der Personen scheint irdischen Ursprungs zu sein. Solche Gestalten gibts nicht in Wirklichkeit, nicht mal in schlechter Fantasy, sowas gibts nur im Fernsehen und in Doku-Fiction.

 

Kurz gesagt: Wer ein Beispiel für Trivialliteratur braucht: Bitte sehr hier ist es.

 

Und wer Modicks Buch "Bestseller" kennt, gewinnt den Verdacht, dass hier eifrig das, was er als Satire geschrieben hat, zur realen Vorlage genommen wurde.

 

Und man sollte sich zum Vergleich "Namen, die keiner mehr nennt" mit der Fluchtgeschichte der richtigen Gräfin Dönhoff durchlesen. 44 Seiten, die mehr erzählen, als diese grausame Kolportage auf 400 Seiten.

 

Hans Peter

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Ich fand den Film auch nicht überzeugend, von dem ich mir viel mehr versprochen hatte. Zumal einige Tage vorher in meiner Tageszeitung ein Betroffener berichtete, der Film decke sich fast hundertprozentig mit seinen Erfahrungen, die er als Junge auf der Flucht gemacht hatte. Ich kann mir kaum vorstellen, dass seine Mutter ein solche Kolportage miterlebt hat.

Ich habe mir beide Teile angesehen, weil mein Vater aus Westpreußen stammt und seine Eltern ebenfalls fliehen mussten, aber da gibt es wohl sehr viel authentischere Schilderungen. Nicht zuletzt Günter Grass' "Im Krebsgang", das mir gut gefallen hat (zumindest die historischen Teile).

 

Viele Grüße,

Susanne

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Buch kenne ich nicht, Film hatte ich gesehen. Ich persönlich hatte mir mehr erhofft, war vom Ergebnis enttäuscht - wobei ich ihn nicht so vernichtend kritisieren würde wie es hier geschieht. Mir fehlte da vor allem eine runde Dramaturgie bzw. ein guter Spannungsaufbau. Vom historischen Standpunkt her fand ich ihn nicht so schlecht: manches war zwar hanebüchen; anderes schien mir aber durchaus ausgewogen.

LG,

Julia

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Hallo Ihr Lieben,

 

zu der Anmerkung der Verwendung von Klischees möchte ich folgendes beitragen:

 

- großväterlicherseits war meine Familie (verarmte) Adlige aus Ostpreußen

- 1940 wurde meine Großmutter - als selbstständige Schneiderin tätig - mehrere Monate inhaftiert, als sie sich weigerte, ein jüdisches Lehrmädchen zu entlassen

- nach ihrer Entlassung war sowohl das Mädchen als auch deren Familie "verschwunden"

- Wohnsitz meiner Oma lag in Nähe der Wolfsschanze. Bei einem Besuch des Führers brachte die Schule ihm ein Ständchen. Da meine Mutter eine schöne Singstimme hatte, musste sie ein Solo singen und A.H. persönlich einen Blumenstrauß überreichen

- Bürgermeister der Stadt war Nazi und alter Freund meiner Familie. Er hat einem Mitglieder meiner Familie durch seinen EInfluss das Leben gerettet (soviel zum "guten" Nazi)

- mein Opa gilt seit 1944 als vermisst (und wurde erst 1999 für tot erklärt)

- meine Familie traute sich nicht, Opstpreußen früher zu verlassen

- meine Oma flüchtete mit meiner Mutter erst im Januar 1945 mit dem großen Treck übers Haff

- die Erzählungen über diese Flucht übertreffen die dargestellten Szenen in dem Film um ein Vielfaches

- sie haben alle (bis auf meinen Opa) überlebt ...

 

Klischees? Jede Menge! Aber alle wahr.

Bereits vor Jahren hatte ich ein Exposé über meine Familiengeschichte entwickelt. Bisher wurde es mit den Bemerkungen: "Zu viele Klischees", "zu unwahrscheinlich" usw. von keinem Verlag angenommen.

 

Das Leben schreibt einfach die unwahrscheinlichsten Geschichten. 1944/45 haben sich Tausende auf den Weg gemacht - kein Wunder, dass sich die Geschichten ähneln.

 

Zu dem Film (Buch habe ich nicht gelesen): Ich fand ihn sehr ergreifend, mich störte nur eines:

Obwohl sie seit Tagen auf der Flucht sind, war die Hauptperson perfekt frisiert und der Mann stets gut rasiert. Auch seine Haare lagen wie eine "Eins", wie von einem Friseur gestylt.

Ansonsten war es nun mal leider so, wie in dem Film geschildert. Auch die Liebesgeschichte fand ich gut und auf keinen Fall unrealistisch.

 

Liebe Grüße

Rebecca

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- großväterlicherseits war meine Familie (verarmte) Adlige aus Ostpreußen

- 1940 wurde meine Großmutter - als selbstständige Schneiderin tätig - mehrere Monate inhaftiert, als sie sich weigerte, ein jüdisches Lehrmädchen zu entlassen

- nach ihrer Entlassung war sowohl das Mädchen als auch deren Familie "verschwunden"

- Wohnsitz meiner Oma lag in Nähe der Wolfsschanze. Bei einem Besuch des Führers brachte die Schule ihm ein Ständchen. Da meine Mutter eine schöne Singstimme hatte, musste sie ein Solo singen und A.H. persönlich einen Blumenstrauß überreichen

- Bürgermeister der Stadt war Nazi und alter Freund meiner Familie. Er hat einem Mitglieder meiner Familie durch seinen EInfluss das Leben gerettet (soviel zum "guten" Nazi)

- mein Opa gilt seit 1944 als vermisst (und wurde erst 1999 für tot erklärt)

- meine Familie traute sich nicht, Opstpreußen früher zu verlassen

- meine Oma flüchtete mit meiner Mutter erst im Januar 1945 mit dem großen Treck übers Haff

- die Erzählungen über diese Flucht übertreffen die dargestellten Szenen in dem Film um ein Vielfaches

- sie haben alle (bis auf meinen Opa) überlebt ...

 

Klischees? Jede Menge! Aber alle wahr.

Hallo Rebecca,

 

Klischees sind immer wahr ;-). Das ist das Problem. Es *gab* Liebesgeschichten zwischen Deutschen und Zwangsarbeitern, "Eine Liebe in Deutschland" von Hochhuth dokumentiert einen Fall. Zum Klischee wird es dann, wenn es plötzlich nur noch sowas gibt, wenn alle Filme und Bücher so aussehen.

 

Klaus Modick hat dieses Strickmuster in "Bestseller" persifliert.

 

Und du hast recht, es gab die unwahrscheinlichsten Geschichten. Ich weiß von zwei Leuten, die zu Himmler vordringen konnten und die er gerettet hatte. Das eine ein kommunistischer Landtagsabgeordneter, das andere ein Mann, der zu vorgerückter Stunde Himmler gegenüber SSlern als "Reichsheini" tituliert hatte.

 

Wohlgemerkt: Es handelt sich bei Himmler um einen der erfolgreichsten Massenmörder der Weltgeschichte, auf dessen Konto Millionen von Toten gehen (und der kein Blut sehen konnte).

 

Du hast Recht, es gab die unwahrscheinlichsten Dinge.

 

Noch ein anderes Beispiel. Es gab ostpreußische Adlige, die im Widerstand waren. Marion Gräfin Dönhoff hat in "Namen, die keiner mehr nennt" einem davon ein Denkmal gesetzt (Heinrich Lehndorff). Typisch war das allerdings nicht, die meisten waren stramme Nazis, die oberen Ränge von NSDAP und SS lesen sich wie ein Who is Who des ostpreußischen Adels.

 

Obwohl sie seit Tagen auf der Flucht sind, war die Hauptperson perfekt frisiert und der Mann stets gut rasiert. Auch seine Haare lagen wie eine "Eins", wie von einem Friseur gestylt.

Da triffst du den Nagel auf den Kopf. Das ist der Punkt, den ich dem Buch ankreide. Nicht nur die Haare, die Geschichte ist perfekt frisiert, gestylt.

 

Und genau das merkt man. Ein Beispiel:

Dieser Heinrich ist einer von der Pflichtfraktion. "Als Soldat muss ich Befehle befolgen."

In diesem Fall war der Befehl, dass alle Männer, die laufen konnten, kämpfen mussten. Und der Herr reist wochenlang mit einem Flüchtlingstreck durch die Lande. Nicht, dass das nicht vorgekommen sein mag. Aber im Buch finde ich nicht den geringsten Hinweis darauf, warum er das tut, sich über sein eigenes Pflichtbewußtsein hinwegsetzt - außer eben, dass man zum Abschluß einen Militärrichter brauchte und einen Konkurrenten, damit die Heldin zwischen zwei Männern stehen konnte.

 

Hans Peter

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Hallo Susanne, Julia,

 

Buch kenne ich nicht' date=' Film hatte ich gesehen. Ich persönlich hatte mir mehr erhofft, war vom Ergebnis enttäuscht - wobei ich ihn nicht so vernichtend kritisieren würde wie es hier geschieht.[/quote']

Ich habe den Film nicht gesehen, aber kann mir gut vorstellen, dass er nicht so schlecht wie das Buch ist. Ein Punkt ist, dass das Buch jeden Kameraschwenk mitmacht, alles, was im Film passiert (aber seine Gründe im Filmmedium hat). Das ist natürlich nervig.

 

Ich hatte mir dann auch Marion Gräfin Dönhoffs Buch "Namen, die keiner mehr nennt" besorgt (Rezi:(Link ungültig)). Das Buch empfehle ich jedem als Alternative, allein die kurze Schilderung ihrer Flucht ist nicht nur realistischer, auch weit spannender als "Die Flucht" ihrer Großnichte.

 

Natürlich ist auch die Großtante nicht frei von Vorurteilen. Die ostelbischen Junker sind in ihren Beiträgen weit liberaler und weltoffener, als sie es in der Realität waren - was nicht heißt, dass es darunter überhaupt keine liberalen Köpfe, keine weltoffenen Leute gegeben hat. Verständlich, die Ex-Zeit Chefin sieht die Vergangenheit, nachdem alles verloren wurde, natürlich rosiger, als sie war. Das muss man im Kopf behalten, wenn man die Texte liest.

 

Grüße

 

Hans Peter

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