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Die Angst vor dem Kitsch und die Mauer im Kopf

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Hallo Tereza,

 

habe ich das Böll-Beispiel richtig verstanden??!!!

 

Falls ja, hieße das doch, Böll hätte sich noch mehr vor Kitsch hüten müssen, weil die von dir erwähnte vermeintlich kitschige Stelle einen Bruch innerhalb des Buches darstellt..

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mir nicht klar, welche deutschen Autoren genau damit gemeint sind, die vor lauter Kitschangst, leblose Geschichten und Romane verzapfen. Hans Peter, nenne doch mal ein paar Namen, dass ich mir ein Bild davon machen kann!

Da solche Autoren (wegen der leblosen Geschichten) in der Regeln nicht veröffentlicht werden (jedenfalls nicht, bevor sie diese Barriere nicht überwunden haben), darf ich dir keine Namen nennen. Schließlich sind es Texte, die ich zur anonymen Überarbeitung bekommen habe.

 

Ich lese eher nur diffuse Ressentiments heraus, auf alles, was irgendwie literarisch ist oder literarisch zu sein meint.
Wohl eher Ressentiments auf alles, was literarisch zu sein *meint*. Manchmal findest du aber Texte bei Klagenfurt, obwohl ich das aus Zeitmangel die letzten zwei, drei Jahre nicht mehr verfolgt habe. Auf jeden Fall wird dort sehr schnell die Kitsch-Keule geschwungen, sobald jemand eine Geschichte erzählt. Ich erinnere mich an manche Reaktionen auf die Geschichte "der Boxer".

 

Was die Kitsch-Keule angeht: Die wurde auch schon gegen "Drachenläufer" geschwungen. Das findet sich oft in Feuilleton-Artikeln, allerdings kommt es in der Regel eher aus der zweiten Reihe.

 

Mir ist wirklich nicht so recht klar, von welchen Autoren da KONKRET die Rede ist.
Wie gesagt, weil diese Barriere ein erhebliches Hindernis beim Schreiben ist, bleiben solche Romane meist unveröffentlicht, weswegen ich schlecht darauf verweisen kann.

 

Ein paar solcher Geschichten, bei denen ich den Verdacht habe, findest du in den Beispielen von meinem "Vier Seiten für ein Halleluja". Manchmal ist es schwierig zu unterscheiden, weil natürlich gefühlsarme Texte auch aus anderen Gründen entstehen können.

 

Einen Autor kann ich dir aber auf jeden Fall nennen. Ich habe durchaus zeitweilig unter diesem Phänomen gelitten ;-). Tereza und andere kennen dieses Phänomen ja offensichtlich auch. Also denke ich nicht, dass das etwas ist, das ich mir einbilde.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ablaufen soll und bezweifle das.

Habe ich mir einen Autor vorzustellen, der sich ständig ermahnen muss, Dinge nicht zu schreiben, die er sonst schreiben würde, wenn er die "Mauer" nicht aufgerichtet hätte? Schreibt der gegen seine eigene "unbewusste" Schreibe an und konstruiert deshalb "tote Figuren"?

Schlimmer, da hat jemand einen Knoten im Hirn, der die Weiterentwicklung des Schreibens verhindert. Der die Personen immer an der Kandare zurückreißt, sobald sie was tun wollen, was vielleicht eventuell im Kitsch enden könnte. Und da die Personen damit gebremst werden, ist es eben eine stark gebremste Geschichte.

 

Gibt es solche AutorenInnen ?
Geh mal in literarischen Zirkeln, in literarische Foren. Dort gibt es immer einige der Sorte, die gerne und sofort Kitsch oder Mainstream schreien (um nicht der Verallgemeinerung zu verfallen: Das sind Gottseidank längst nicht alle).

 

Ich denke, dass man sich zu nichts zwingen soll, was absolut neben der eigenen SPRACHE liegt. Wer Kitsch schreiben will, soll ihn schreiben, der Markt ist da. Wer keinen Kitsch schreiben will, soll es lassen. Ich finde es viel wichtiger, dass man als Autor SEINE SPRACHE findet und in dieser schreibt- unabhängig davon, ob dabei Kitsch raus kommt oder "Literatur". Und ich glaube nicht daran, dass jemand zwecks Kitschvermeidung eine Sprache schreibt, die nicht die seine ist.

Es geht nicht um die Sprache, sondern um die Geschichte.

 

Natürlich hast du recht, ein Autor sollte seine Geschichte schreiben. Was gar nicht so einfach ist, wie alle hier wissen dürften. Wenn du dann noch einen Knoten im Hirn hast, einen inneren Zensor, der immer "Kitsch" oder "Mainstream" schreit, wird es nicht einfacher.

 

Grüße

 

Hans Peter

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Hallo Tereza,

 

habe ich das Böll-Beispiel richtig verstanden??!!!

 

Falls ja, hieße das doch, Böll hätte sich noch mehr vor Kitsch hüten müssen, weil die von dir erwähnte vermeintlich kitschige Stelle einen Bruch innerhalb des Buches darstellt..

 

Herzlichst

jueb

 

Huch, so ernst war das nicht gemeint. :o Ich habe das Buch seitdem nicht mehr gelesen und kann mich nur noch dunkel daran erinnern. Aber vielleicht hätte Böll es etwas differenzierter ausdrücken können. z.B. analysieren, welche Leere in dem Leben der Frau dieser Mann ausfüllt, anstatt ihre brennende Sehnsucht zu beschreiben. Der Satz allein klingt nach Liebesroman. Aber ehrlich gesagt würde er mich nicht stören. Er hat aber einige Kritiker gestört, wie z.B. meine damalige Lehrerin. Ich versuchte nur zu verstehen, wie sie das wohl sahen.

 

Viele Grüße

 

Tereza

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Ich bekomme auch solche Manuskripte eingereicht. Oft wunderbare Ideen, spannende Geschichten, sehr schöne Sprache, aber blasse Figuren. Weil man nicht in Kitsch verfallen wollte, bekomme ich zu hören, wenn ich das anspreche. Steif und unnahbar kommen sie daher.

Nicht jeder arbeitet mit Mitteln wie erlebte Rede u.ä., sodass die Ausdrucksmöglichkeiten dann sehr beschränkt sind, Gefühle darzustellen. Sie fehlen einfach. Und das ist eben schädlich für den Roman.

 

LG

Martina

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Wobei ich aber immer noch nicht verstanden habe, warum die Angst vor dem "Kitsch" da ist. Was bedeutet es, wenn große Gefühle vom einen Leser als genial erlebt, vom anderen als kitschig verrissen werden? Wer von beiden hat dann recht? Und wenn das Buch noch dazu erfolgreich ist, bedeutet das dann, dass die dumme Mehrheit eben Kitsch will oder bedeutet es, dass die kritische Minderheit ihre Gefühle aus lauter intellektueller Blasiertheit heraus fürchtet und deshalb sofort "Kitsch" schreit?

Ich finde an dem Böllzitat nichts Kitschiges, aber ich bin ja auch kein Literaturkritiker.

 

Gruß, Melanie

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Ich bekomme auch solche Manuskripte eingereicht. Oft wunderbare Ideen' date=' spannende Geschichten, sehr schöne Sprache, aber blasse Figuren. Weil man nicht in Kitsch verfallen wollte, bekomme ich zu hören, wenn ich das anspreche. Steif und unnahbar kommen sie daher.[/quote']

Genau das meine ich.

 

Oft verbunden mit der geradezu panischen Angst "Mainstream" zu schreiben. Wobei die Vorstellungen darüber, was Mainstream sei, oft höchst seltsam sind.

 

Und wegen dieser Panik entwickeln die Leute sich dann nicht weiter. Jedenfalls nicht, solange die Panik anhält ;-).

 

Die Böll Szene ist ein schönes Beispiel dafür. Ich kenne nicht den Zusammenhang, aber so allgemein gesehen, sehe ich darin kein Problem.

 

Grüße

 

Hans Peter

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Jetzt muss ich doch etwas los werden:

 

Auch wenn es offenbar Autoren gibt, die sich den Zugang zum eigenen Erzählstil erschweren, weil sie sich davor fürchten, kitschig zu schreiben - so habe ich verstanden, was du von dir berichtest, Hans Peter - ich finde es trotzdem problematisch, anderen Autoren zu unterstellen, es ginge ihnen genauso, weil man selbst ihre Texte als unlebendig empfindet. Und noch viel problematischer finde ich es, diesen Autoren dann zu raten, etwas mehr "Mut zum Kitsch" zu haben.

 

Meine Erfahrung ist: Gerade als Schreibanfänger oder als jemand, der noch kaum auf Erfolge verweisen kann, wird man ständig mit Leuten konfrontiert, die alles besser wissen und die einem genau und mit großem Nachdruck erkären, weshalb man völlig anders schreiben müsste. Auch wenn das oft sicher gut gemeint ist, ist die Wirkung meiner Erfahrung nach destruktiv. Es hilft nicht dabei, die eigene Erzählstimme zu finden. Im Gegenteil, es macht es viel viel schwerer. Und ich fürchte, dabei ist es völlig nebensächlich, ob diese Leute nun rufen "Das ist Kitsch!" oder ob sie rufen "Du hast ja eine Kitschphobie!"

 

Nichts für ungut

 

Barbara

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Es ist aber auch kontraproduktiv, wenn Anfängern andauernd geraten wird Kitsch unbedingt zu vermeinden. Gerade in Foren, wo fast alle Mitglieder Unterhaltungsliteratur schreiben, in der Kitsch ab und an nichts Verwerfliches ist. Dass man sich dennoch weiterentwickelt und irgendwann tatsächlich kitschfrei schreiben kann, dem steht ja nichts im Wege.

Aber dieser Aufruf der Vermeidung führt bei vielen zu Blockaden und es kommt gar nichts Gutes mehr dabei raus.

 

Es gibt eben immer 2 Seiten eines Themas.

 

LG

Martina

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Und noch viel problematischer finde ich es, diesen Autoren dann zu raten, etwas mehr "Mut zum Kitsch" zu haben.

Ich habe noch nie einem Anfänger geraten, mehr Mut zum Kitsch zu haben. Wenn ich einen konkreten Text habe, sage ich: Warum lässt du die X nicht mehr Freiheit? Was wäre, wenn sie ... ?

 

Meine Erfahrung ist: Gerade als Schreibanfänger oder als jemand, der noch kaum auf Erfolge verweisen kann, wird man ständig mit Leuten konfrontiert, die alles besser wissen und die einem genau und mit großem Nachdruck erkären, weshalb man völlig anders schreiben müsste.

In 90% der Fälle sind das dann allgemeine Aussagen, die sich an gängigen literarischen Rezensionen orientieren. Anfänger mit Feuilletonkritiken ihrer Texte zu konfrontieren, ist tödlich - und absolut unsinnig. Genau diese Argumente sind es in der Regel, die diese Kitschangst stärken.

 

Du darfst nicht schreiben: ""Sie sehnte sich nach seinen Händen, nach seinem Mund...", das ist Pfui, Pfui und abermals Pfui. Ich habe dieses Theater zum Überdruss von so vielen Möchtegern-Literaten in unzähligen Literaturhäusern gehört und du hast völlig recht: Es schadet enorm.

 

Deshalb auch dieser Thread.

 

Es geht nicht darum, völlig anders zu schreiben. Sondern darum, auch Lösungen zuzulassen oder zumindest zu erwägen, die angeblich Kitsch sind.

 

Hans Peter

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Mal abgesehen davon, das Kitsch doch sehr relativ ist, warum sollte es sich dabei um etwas Verwerfliches handeln? Menschen, die sich auch für kitschige Dinge begeistern können, sind nicht gleich von geringerem Niveau, sondern möglicherweise emotionaler. Was für den einen der Gartenzwerg im Vorgarten ist, mag für den anderen eine so blumige Umschreibungen in einem vermeintlich kitschfreien Roman sein, das einem nach dem Lesen eines solchen Satzes, wahrlich der Kopf schwirrt.

Doch wem es gefällt, sollte man seine Leidenschaften lassen.

Ich finde nicht, dass ich besonders kitschig schreibe. Besonders, weil es sicher Zeitgenossen gibt, die in meinen Texten Kitsch finden. Aber mein bevorzugtes  Genre wird von einigen als Kitsch abgetan, i.d.R. mit dem Spruch

"Sowas gibt es doch gar nicht!"

 

Für diese Menschen bedeutet, über etwas schreiben, das es doch nicht gibt, schlicht Kitsch.  :-? Für andere eben nicht.

 

Über "Mut zum Kitsch", habe ich noch nie nachgedacht, wohl aber über den Mut Gefühle schriftlich so zu verfassen, dass sie dem Fühlen beim Lesen nahe kommen.

 

Gruß Silvia

Die Trevelyan Schwestern - Jetzt geht es um Liebe

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Hallo zusammen,

 

ich rate den meisten Schreibanfängern Kitsch zu vermeiden, weil viele von ihnen bei der Darstellung von Gefühlen auf Kitsch zurückgreifen, statt sich wirklich mit der Situation auseinanderzusetzen. Es fehlt einfach noch das Handwerk und die Fähigkeiten, um Gefühle anders darzustellen und deshalb wird auf den einfachen Weg zurückgegriffen.

Wer später auf Kitsch zurückgreift, der darf das von mir aus gerne- ich versuche es weitgehend zu vermeiden, weil Kitsch eben eine riesige Fritteuse ist, in die man alles reinwerfen kann. Bei Kartoffeln kann das gut gehen, manche Dinge schmecken mit Panade recht ordentlich, aber vieles schmeckt einfach nur noch fettig oder gar nicht mehr.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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ich rate den meisten Schreibanfängern Kitsch zu vermeiden' date=' weil viele von ihnen bei der Darstellung von Gefühlen auf Kitsch zurückgreifen[/quote']

Müsste es nicht eigentlich heißen: "Ich rate den meisten Schreibanfängern, die Darstellung von Gefühlen zu vermeiden, weil viele von ihnen dabei auf Kitsch zurückgreifen"?

 

Ich beobachte hier mitunter eine Gleichsetzung von starken Gefühlen und Kitsch, die mich irritiert. Hat Kitsch nicht viel mehr mit der Verwendung abgenutzer Klischees zu tun als mit der Darstellung starker Gefühle?

 

Wer später auf Kitsch zurückgreift, der darf das von mir aus gerne

Gibt es das überhaupt? Dass Autoren sich bewusst für "Kitsch" entscheiden?

Oder wird als kitschig nicht eben gerade das empfunden, was subjektiv aus tiefstem Herzen zu kommen scheint, objektiv jedoch einfach die Unfähigkeit ist, klischeefrei zu schreiben und neue, unverbrauchte Bilder zu finden?

 

LG

Uschi

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Oder wird als kitschig nicht eben gerade das empfunden, was subjektiv aus tiefstem Herzen zu kommen scheint, objektiv jedoch einfach die Unfähigkeit ist, klischeefrei zu schreiben und neue, unverbrauchte Bilder zu finden?

 

Das kommt meiner Definition von Kitsch sehr nahe.

 

Meiner Meinung nach geht es aber nicht nur um starke Gefühle. Auch gemütliche, stimmungsvolle Bilder können sehr kitschig rüberkommen. Auch die Sprache der leisen Töne kann Kitsch transportieren.

 

LG

Martina

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ich rate den meisten Schreibanfängern Kitsch zu vermeiden, weil viele von ihnen bei der Darstellung von Gefühlen auf Kitsch zurückgreifen, statt sich wirklich mit der Situation auseinanderzusetzen. Es fehlt einfach noch das Handwerk und die Fähigkeiten, um Gefühle anders darzustellen und deshalb wird auf den einfachen Weg zurückgegriffen.

Hallo Thomas,

 

Kitsch vermeiden, das wollen wir sicher alle, nicht nur die Anfänger. Aber was du hier sagst, ist ja genau das, was Hans Peter als Problem mancher Anfängerautoren definiert. Sie folgen deiner Maxime und es führt zur Blockade. Nun haben sie überhaupt mit Gefühlen Probleme und trauen sich nicht aus der Ecke, schreiben flache Stories.

 

Vermeiden kann nicht der Weg zum Erfolg sein. Man kann auch niemals sein Handwerk lernen, wenn man den Stier nicht bei den Hörnern packt. Ich sage lieber, nichts wie ran an die großen Gefühle. Man merkt doch selbst, wenn man Kitsch produziert. Dann muss man es neu schreiben, überarbeiten, verbessern, in sich hinein horchen, wie fühlt sich das wirklich an, nicht nur die Hollywood-Packung. Man muss sich bemühen und daran arbeiten. Wer das nicht tut, wird es nie lernen.

 

Und wer den eigenen Kitsch nicht erkennt (zumindest beim dritten Lesen) ... nun, dem hilft auch kein Handwerk mehr.

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Milan Kundera oder Alberto Moravia scheinen mir zum Beispiel kein besonders romantischen Autoren. Ich finde' date=' bei ihnen klingt Sex oft wie groteske Gymnastik. [/quote']

(Zitat ist von Celia, warum jueb angezeigt wird, weiss die Technik, nicht ich)

 

Ich halte das Beispiel Alberto Moravia fuer gut geeignet. In "La Noia" beispielsweise wird Sex in der Tat dargestellt, als ginge Entseeltes miteinander um, aber das entspricht dem, was Moravia erzaehlt - der Beziehungslosigkeit, der Leere, der Kommunikationsunfaehigkeit zwischen den Sexpartnern (und anderen). Das ist sein Thema in diesem Roman, und er stellt es mit Distanz und sprachlicher Kuehle dar, nicht weil er Angst vorm Kitsch oder gar vor Gefuehlen hat (um Gottes Willen, er ist doch Italiener), sondern eben weil Gefuehlsarmut und Unueberwindbarkeit von Distanz sein Thema sind.

Falls einem diese Geschichte "tot", "gefuehlsarm" oder auch unertraeglich (dass sie das ist, klingt im Titel mit, oder nicht?) erscheint, so entspricht das Moravias Darstellungsabsicht. Er behauptet nicht: "Diese Art Leben ist leer, langweilig, unertraeglich, gefuehlsarm", sondern er stellt es so dar, dass es in den Lesenden hineindraengt, sich ausbreitet, dass man das Buch zuweilen beiseite legen muss, weil man es nicht mehr aushaelt. (Ein moderneres Beispiel fuer einen Autor, dem aehnliches da, wo er es will, gelingt, ist m.E. Michel Houellebecq.)

Ein tolles Buch.

Dass Moravia auch ganz anders kann (einem der das SO kann, glaube ich ohnehin, dass der auch anders kann, ich habe nicht den geringsten Grund, das anzuzweifeln, wenn Erzaehlabsicht und Erzaehltes so haargenau uebereinstimmen), beweist er in Romanen wie "Agostino" und "Ciocara", denen wohl kein Mensch die ganz angstfreie, bis ins Kleinste beobachtete, aufruettelnde Darstellung von Gefuehlen absprechen moechte.

 

Hans-Peter, ich hoffe, ich habe nach Deiner Erklaerung zum Umgang mit Schreibanfaengern jetzt etwas besser verstanden, was Du meinst, und ich kann unter den Praemissen auch voellig nachvollziehen, dass man im Zweifelsfall einen jungen Autor lieber erst einmal hemmungslos schreiben (und auch "kitschen") laesst, statt ihm Fesseln anzulegen, die ihn in den Startloechern festhalten.

Dem widerspreche ich nicht.

Allerdings habe ich es viel haeufiger erlebt, dass einem geraten wurde: "Das ist nicht mainstreamig genug!", "Das (z.B. Unhappy Ending, "beschaedigte Heldin", maennliche Hauptfigur etc.) kauft keiner!" oder auch: "Trag das doch mal 'n bisschen dicker auf" als umgekehrt. Mich zumindest haben diese Ratschlaege (die sich in der Zusammenarbeit mit Verlegern nie bestaetigt haben) sehr behindert und gehemmt, aber das mag einfach unterschiedlicher Erfahrung geschuldet sein.

 

Meine Ansicht bleibt in jedem Fall - und es ist mir dabei voellig egal, ob es um "Hochliteratur" oder "Unterhaltung" geht (das Zugestaendnis, dass fuer Unterhaltungsautoren Kitsch zulaessig sein soll, kommt mir vor wie die Bemerkung eines Protestanten, der einen Betendenen sieht und dem herausrutscht: "Was, du betest? Ach so, du bist katholisch."): Wenn ich eine Geschirrspuelmaschine beschreiben moechte, muss ich mir eine ansehen, und da ich keine habe, muss ich dann eben zum Nachbarn gehen und fragen, ob ich mir die mal ansehen darf und nachlesen, wie die funktioniert usw. Sowas wird dann bejubelt als "toll recherchiert"!

Wenn ich ein Gefuehl beschreiben moechte, ob ich's selbst habe oder mir beim Nachbarn ansehen muss - sollte ich mich nicht in mindestens derselben Weise um die Darstellung des Gefuehls bemuehen wie um die der Geschirrspuelmaschine? Weshalb genuegt fuer das Gefuehl der Einsatz einiger traenendruesenbewaehrter Versatzstuecke, waehrend die Geschirrspuelmaschine eine Beschreibung verdient, die sie als solche erkennbar macht?

 

Viele Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Und wer den eigenen Kitsch nicht erkennt (zumindest beim dritten Lesen) ... nun, dem hilft auch kein Handwerk mehr.

 

Aua, das tut weh! ;) Ist Kitsch doch auch Geschmackssache.

Wie kitschig ist ein Pärchen, das einen Sonnenuntergang zusammen ansieht? Manche würden sowas nie schreiben, andere sagen: Wie könnte die Natur kitschig sein?

Da gehen die Meinungen auseinander. Weshalb es um so wichtiger ist, sich da keine unnötigen Schranken zu bauen, sondern seiner Geschichte zu folgen. Und wenn da nun mal grade die Sonne untergeht, dann kann man das auch beschreiben!

 

LG

Martina

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[Man kann auch niemals sein Handwerk lernen' date= wenn man den Stier nicht bei den Hörnern packt. Ich sage lieber, nichts wie ran an die großen Gefühle. [/quote]

 

Hundertprozentig!

"Kitsch vermeiden" als Forderung soll ja nicht heissen, druckreife Rohfassungen zu produzieren, die nicht enttrieft werden muessen. (Und nebenbei: Zumindest mein Erstling hatte eine kundige Lektorin, die beim Enttriefen ordentlich geholfen hat. Auch wenn sie ruhig wesentlich radikaler haette sein duerfen.)

Und dass die Werke von Neunzehnjaehrigen ueberschwappen, ist selbstredend auch kein schlechtes Zeichen. Im Gegenteil.

Dass jeder selbst merkt, wann er Kitsch produziert, halte ich leider aus eigener trauriger Erfahrung fuer etwas zu optimistisch. Aber dass man es - wie das meiste - ueben kann, wenn man dranbleibt, das ist meiner Ansicht nach voellig richtig.

Und da treffe ich mich dann wieder mit Ulf: Ueben kann man's natuerlich nur, wenn man nicht beschliesst, von jetzt an statt Liebesakte und Sterbeszenen sicherheitshalber nur noch Geschirrspuelmaschinen zu beschreiben.

 

Zu Celias Boell-Beispiel wollte ich gern noch anfuegen: Solch ein Erlebnis hatte ich auch, als ein Mitschueler und ich in Klassenstufe zehn unter dem Tisch ein Exemplar der "WEise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke" teilten. Unser von mir bis dato verehrter Kunst- (nicht Deutsch-)lehrer riss uns das weg und schimpfte: "Wieso lest ihr, wenn ihr schon nicht aufpasst, nicht wenigstens was vernuenftiges statt solchen Kitsch?"

Solche Lehrer wie meinen und den von Celia finde ich schlichtweg unfaehig und nicht nur weil ich damals den Cornet geliebt hab', mir bescheuert vorkam und voellig verunsichert war, sondern weil ich es fuer wichtigtuerisch und kontraproduktiv halte, Schuelern sein eigenes unreflektiertes, aber so sehr wichtiges Werturteil von oben herab um die Ohren zu blasen, statt ihnen - was natuerlich deutlich mehr Arbeit macht - Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie ein eigenes Urteil entwickeln und trainieren koennen.

Wenn die "Angst vor der Angst vorm Kitsch" aus Erfahrungen mit solchen Lehrern resultiert, kann ich das nachvollziehen.

 

Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

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"Kitsch vermeiden" als Forderung soll ja nicht heissen' date=' druckreife Rohfassungen zu produzieren, die nicht enttrieft werden muessen. (Und nebenbei: Zumindest mein Erstling hatte eine kundige Lektorin, die beim Enttriefen ordentlich geholfen hat. Auch wenn sie ruhig wesentlich radikaler haette sein duerfen.)[/quote']

 

Eines verstehe ich nicht, Charlie: Wenn Du ständig darüber klagst, dass Du Mühe hast, KEINEN Kitsch zu schreiben, dann muss Deine authentische, eigene Erzählstimme ja wohl kitschig sein.

 

Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und ins Heftchen-Genre wechseln, dann musst Du Dich nicht so quälen und gegen Deine eigene Natur schreiben.

 

Irritiert

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Es wurde zwar schon mehrfach angesprochen, aber ich möchte mich noch einmal speziell den Schreibanfängern widmen (zu denen ich mich auch zähle).

 

Ich habe schon auf unzähligen Internetseiten, meist Weblogs, den Werdegang der hausgemachten Schreibblockaden betrachtet. Da sitzen Leute an ihren Rechnern und schreiben den Anfang eines Manuskripts (oft als Romananfang bezeichnet), überarbeiten die ersten zehn Seiten, legen sie beiseite, überarbeiten sie nochmal, dann streichen sie hier und verbessern da und rennen immer weiter in die Katastrophe. Irgendwann geht dann gar nichts mehr, es fließen keine Wörter, es bildet sich keine Handlung, die Charaktere sind nur Hüllen.

 

Vieles von dem hat auch mit der Angst vor Kitsch zu tun, mit der Angst vor platten Aussagen und der Angst vor dem zu simplen Wort.

Dabei ist es für jemanden mit wenig Erfahrung wohl kaum möglich, im ersten Durchgang einer Manuskriptfassung perfekt zu sein. Dazu bedarf es viel Erfahrung, der Offenheit für Wandlungen und viel Mut. Viele Anfänger wollen aber sofort die Perfektion. Da steht aber diese Mauer, die sie sich selbst da hingestellt haben, bei deren Bau sie sich von anderen wohlmeinenden Geistern helfen ließen.

 

Ich denke mir dann: "Schreib doch einfach mal!"

Kitsch und Krempel kann ich doch bei der Überarbeitung ausmisten. Wenn sich in meiner Rohfassung eine Frau nach "seinen Händen, seinem Mund" sehnt, dann ist das nur ein Platzhalter, um den Schreibfluss nicht zu bremsen. Im nächsten Durchgang schreibe ich das konkret.

Ich weiß, dass sich hier auch eine bestimmte Arbeitshaltung niederschlägt, aber viele Anfänger machen es sich unglaublich schwer. Völlig unnötig, wie ich finde.

 

Das Internet ist voll von solchen Beiträgen, voll von Leuten, die darüber schreiben, dass sie gern schreiben würden.

 

Möglicherweise hat meine Haltung aber auch mit meinem eigenen Anspruch zu tun: Ich möchte mit meinen Texten Leser unterhalten - wenn es irgendwann einmal "Königs Erläuterungen" zu meinen Texten gibt, habe ich mein Ziel verfehlt ...

:s13

 

Viele Grüße,

Melle

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Und wer den eigenen Kitsch nicht erkennt (zumindest beim dritten Lesen) ... nun' date=' dem hilft auch kein Handwerk mehr.[/quote']

 

Aua, das tut weh! ;) Ist Kitsch doch auch Geschmackssache.

Wie kitschig ist ein Pärchen, das einen Sonnenuntergang zusammen ansieht? Manche würden sowas nie schreiben, andere sagen: Wie könnte die Natur kitschig sein?

Was ist gegen Sonnenuntergänge einzuwenden, liebe Martina? Auch ein Pärchen darf einen solchen genießen. Das an sich ist nicht Kitsch. Kitschig ist es nur, wenn man es mit abgedroschenen Phrasen und Plattitüden beschreibt, à la Gefühl auf Knopfdruck aus der Dose. Und das hat mit unterschiedlichem Geschmack nichts zu tun.

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Nun, Melanie, da geht es mir entschieden anders. Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn es zu meinen Werken "Königs Erläuterungen" gäbe. Was Goethe und Schiller zur Ehre gereicht, könnte für mich doch nicht so falsch sein?! :-)

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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"Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und ins Heftchen-Genre wechseln, dann mus Du Dich nicht so quälen und gegen Deine eigene Natur schreiben.

 

Klar, Andrea. Ich haett' mich auch bei MacDonalds bewerben koennen, dann haett' ich mich mit der bloeden langen Ausbildung nicht so quaelen muessen und haett' auch immer gleich mein Abendbrot im Tuetchen gehabt.

Doof ist man aber auch manchmal ...

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Warum nicht aus der Not eine Tugend machen und ins Heftchen-Genre wechseln, dann mus Du Dich nicht so quälen und gegen Deine eigene Natur schreiben.

Etwas unpassend, oder? ;)

 

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Nun' date=' Melanie, da geht es mir entschieden anders. Ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn es zu meinen Werken "Königs Erläuterungen" gäbe. Was Goethe und Schiller zur Ehre gereicht, könnte für mich doch nicht so falsch sein?! :-)[/quote']

 

In diesem Fall hätte ich möglicherweise nicht richtig unterhalten und auch mein Roman wäre nicht intuitiv zu verstehen gewesen.

Andererseits würde mich auch interessieren, was man wohl in meine Texte hineininterpretiert. Möglicherweise habe ich mit meinem Krimi das Trauma des 11. September oder den Verlust meines ersten Haustiers verarbeitet, ohne mir dessen bewusst zu sein ...

 

:s06

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