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Der Anfang und was muss der Leser wissen

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Mit einer Rückblende zu starten ist schwierig, weil das deutlich Tempo rausnimmt- deshalb ist es besser erst die Figur kennen zu lernen, damit man aus dem Interesse in die Vergangenheit mitgeht. Wenn man aber so starten möchte, dann keine großen Erklärungen (die noch mehr Tempo rausnehmen), sondern eine Szene, wo die Figur durch Außen- und/ oder Innensicht sich selber vorstellt, dann erst nach und nach Erklärungen.

Das deckt sich mit meiner Erfahrung. Rückblenden am Anfang eines Buches sind gefährlich, vor allem, wenn der Autor das nicht beherrscht und/oder die Rückblende nur der Informationslieferung willen einschaltet.

 

Noch hat der Leser keine Beziehung zum Buch bzw. zum Helden aufgebaut. Schon muss er die anfängliche Erzählebene verlassen. Da sollte man sich gut überlegen, ob diese Rückblende passt - und vor allem, ob sie notwendig ist. Ob man nicht besser die Rückblende streicht und vielleicht das Wichtigste in einem narrativen Nebensatz (vielleicht auch einem Hauptsatz) unterbringt. Oder gleich mit der Rückblende anfängt.

 

Anders gesagt: Die Rückblende ganz am Anfang sollte gute Gründe haben, warum sie da steht. Sie sollte spannend sein und kein Lexikonartikel. Sie sollte mindestens soviel Energie haben, wie das, aus dem in die Rückblende gesprungen wird.

 

Vor allem: Sie sollte zur Geschichte passen und notwendig sein.

 

narrative Anfänge ohne Bezug auf die Figuren sind schwierig, die legendären Erklärungen bie Fantasy über Welt und Situation, weil der Leser meist die Figuren und die Situation selber kennen lernen möchte. Zudem sollte die Welt erst nach und nach aufgedeckt werden.

Aber ganz sicher! Auch narratives Erzählen braucht Figuren, Dramaturgie und Spannungsbogen. Die beliebten Info-Dumps, in denen Autoren die Leser mit Infos zumüllen, haben in aller Regel nix davon und tragen dazu bei, dass narratives Erzählen so in Veruf geraten ist. Dabei ist nicht das narrative Erzählen das Problem, sondern die Autoren, die es nicht beherrschen.

 

Das erste Kapitel soll Fragen aufwerfen. Wer sofort alle Fragen beantwortet, beantwortet damit die Frage nicht, warum man weiterlesen sollte.

Das ist was, was selten gesagt, aber ganz wichtig ist: Genauso wichtig, wie das, was im Text explizit steht, ist das, was da nicht steht. Oder nur zwischen den Zeilen.

 

Wenn ich es schaffe, dass der Leser einen zentralen Konflikt meiner Figur/ Figuren am Anfang entdeckt und von den Figuren und dem Konflikt mitgerissen wird, kann ich eigentlich alles andere falsch machen.

http://smilies.montsegur.de/18.gif

 

Hans Peter

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denn Leserinteresse kann man doch so oder so oder so wecken. Das ist doch das Schöne, dass die Leser unterschiedlich reagieren. Es gibt neben dem Aktionspotenzial eines Anfangs, das einen Leser durch Spannung packt, auch noch andere Potenziale, die einen Leser packen können. Nicht jeder Leser springt auf Spannung an. Es gibt genug Leser, die auf eine besondere Sprache anspringen. Auf eine Frage die aufgeworfen wird. Auf eine originelle Figur. Auf einen humorvollen Satz. Usw. Oder?

Richtig. Aber es muss was dasein, auf den der Leser (oder zumindest manche Leser) anspringen. Das meinte ich.

 

"Es war Krieg, und ich wurde verwundet. Als ich zurückkehrte, war ich wie abgeschnitten von allem, sprach tagelang nicht und kritzelte auf Wände, denn ich hatte getötet, bevor ich ein Mädchen geküsst hatte."

Diese beiden Sätze sind so genial, dass der Autor danach eine Menge Mist bauen müsste, um mich zu vertreiben ,-).

 

Diese zwei Sätze, mit denen der Roman beginnt, hätte man auch in Aktionsszenen packen können - aber ich denke, dass hier gerade die narrative Nüchternheit mit der der Ich-Erzähler sein Leben zusammenfasst und sich "erklärt", den Leser so trifft und zum Weiterlesen animiert.

Richtig, das ist so gut, das könnte vermutlich nie eine Verwandlung in eine Szene so bringen. Aber niemand hat hier behauptet, dass du immer mit Action beginnen musst. Der Name der Rose beginnt mit einer langen Erzählung eines alternden Mönches - das Buch wurde ein Bestseller und begründete ein eigenes Subgenre.

 

Mit "Erklärungen, Aufzählungen am Anfang eines Romans oder besser nicht" geht es mir wie mit allem anderen auch: Es kann im Kontext des jeweiligen Textes/der jeweiligen Geschichte perfekt passen.

Er muss aber passen. Wenn du etwas nur reinschreibst, weil du meinst, der Leser muss es wissen, hast du verloren.

 

Dein Beispiel "denn ich hatte getötet, bevor ich ein Mädchen geküsst hatte" erklärt nichts, zählt nichts auf, aber weckt eine Fülle von BIldern und sagt soviel über den Erzähler. Da sind die paar Worte, die da stehen, minimal gegen das, was da nicht steht, aber im Leserkopf geweckt wird.

 

Aber es ist eben genau keine Aufzählung. Eine Aufzählung wäre: "Ich war in der Flandern Schlacht gewesen und hatte erlebt, wie die deutschen erstmals Giftgas eingesetzt hatten. Die Schlacht fand vom 1.3. bis 23.3 statt, um 3Uhr51 hatten wir sie verloren. Die deutschen kommandierte General von Winzigleben, die Franzosen Oberst Dupont, dessen Mutter im Kindbett starb. Beteiligt waren 31 deutsche Bataillone, bei uns waren es nur 23. Später gruben wir Schützengrüben, die sich zu einer ganzen Stadt entwickelten. Die Gräben stießen rechtwinklig aneinander und liefen bei Regen voll Wasser. Ich hatte das Gewehr X/16 zu meiner Geliebten gemacht, reinigte es täglich, vergass nie, zu ölen, was zu ölen war, polierte den Griff, bis er glänzte, studierte die Exerzierregeln, insbesonders das Verhalten unter Feuer. Die Deutschen hatten große blonde Köpfe mit Schnauzbart und machten uns Angst, die PFerde hatten nix zu fressen und ihre Kadaver stanken, wenn sie von Granaten getroffen wurden. Das Gewehr X/16 wurde zu meiner geliebten, denn eine wahre Geliebte, eine Frau, bekam ich nie zu Gesicht und fand das sehr, sehr traurig."

 

Nein, hier teile ich deine Meinung nicht. Aufzählungen und Infodumps, die nur im Text stehen, weil der Autor dem Leser was beibringen will, funktionieren nicht. Ich kenn kein Beispiel dafür. Manchmal akzeptieren Leser das trotzdem, wenn anderes zum Lesen reizt. Aber sowas würde ich in jedem Fall verbessern und man kann sowas verbessern.

 

Zum Beispiel, indem man statt dem obigen Absatz mit seinen Aufzählungen den von dir zitierten Satz von Yoram Kaniuk nimmt.

 

Hans Peter

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Lieber hpr,

wir reden andeinander vorbei.

 

Mit "Erklärungen, Aufzählungen am Anfang eines Romans oder besser nicht" geht es mir wie mit allem anderen auch: Es kann im Kontext des jeweiligen Textes/der jeweiligen Geschichte perfekt passen.

Er muss aber passen. Wenn du etwas nur reinschreibst, weil du meinst, der Leser muss es wissen, hast du verloren.

 

Ich gehe davon aus, dass wenn ein Autor sich dafür entscheidet, seinen Roman mit einer Rückblende, einer Erklärung oder einer Aufzählung aus dem Leben einer der Figuren oder des Erzählers zu beginnen - zum Beispiel um den Erzähler damit zu charakterisieren -, dann hat er sich - wie bei allem anderen in seinem Roman - sehr gut überlegt, ob es passen oder nicht passen könnte. Dass es dennoch schief gehen kann - davor ist kein Autor gefeit, egal, was er am Anfang eines Romans einsetzt. So gesehen gilt dein "Es muss aber passen." für alle und alles.

 

Dass man als Autor nichts in den Text reinschreiben "sollte", was reine, von allem anderen losgelöste Leserinfo ist - darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, davon gehe ich in einem Autorenforum aus. Dennoch gibt es auch hier gelungene Ausnahmen. Und: Was der eine als Erklärung liest, liest der andere als Ergänzung/Einleitung/Vorbereitung/Dramatisierung usw. Auch da werden wir keinen Konsens finden - was meiner Meinung nach nicht schlimm ist. Das ist Leser und Autorenvielfalt.

 

Nein' date=' hier teile ich deine Meinung nicht. Aufzählungen und Infodumps, die nur im Text stehen, weil der Autor dem Leser was beibringen will, funktionieren nicht. Ich kenn kein Beispiel dafür. Manchmal akzeptieren Leser das trotzdem, wenn anderes zum Lesen reizt. Aber sowas würde ich in jedem Fall verbessern und man kann sowas verbessern.  [/quote']

 

Auch hier meine ich etwas anderes: Ich habe nie gesagt, dass der Autor durch Infodumps und Aufzählungen dem Leser etwas BEIBRINGEN WILL/SOLL, sondern dass man durch narrative Passagen, die Aufzählungen sein können, eine nachfolgende Szene einleiten und dramatisch aufladen kann. Außerdem habe ich zu bedenken gegeben, dass eine Aussage à la: "Auf keinen Fall Rückblenden, Erklärungen und Aufzählungen am Anfang, das vegrault die Leser", meiner Meinung nach nicht haltbar ist. Man kann Erklärungen, Aufzählungen nämlich auch - wie alle anderen Möglichkeiten - charakterisierend und dramatisierend einsetzen. Man kann sie wie alle anderen Möglichkeiten schlecht einsetzen. Man kann sie wie alle anderen Möglichkeiten gut einsetzen. Wie immer zählt für mich nur: Es "muss" zur jeweiligen Geschichte passen.

 

"Empörung" von Philipp Roth:

1. Satz:

"Ungefähr zweieinhalb Monate nachdem die gutausgebildeten, von den Sowjets und den chinesischen Kommunisten mit Waffen ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vorgedrungen waren und mit dem Einmarsch in Südkorea das große Leid des Koreakrieges begonnen hatten, kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark, benannt nach dem Mann, der die Stadt im siebzehnten Jahrhundert gegründet hatte."

 

So beginnt der Roman, und ich wage zu behaupten, dass der "Infodump" hier Sinn macht und den Ich-Erzähler charakterisiert.

 

Ich denke, es ist wichtig, als Autor die unterschiedlichsten Stilmittel und ihre Wirkung zu kennen und sie zu trainieren - aber sie dann auch so einzusetzen, dass sie der jeweiligen Geschichte am Besten dienen. Und das können meiner Meinung nach die unterschiedlichsten (und verrücktesten) Kombinationen sein. Und manchmal eben auch: Rückblenden/Aufzählungen/Erklärungen direkt am Anfang eines Romans. Kann sein. Muss nicht sein. Aber kann - und dass wird mir in Pauschalaussagen zu wenig berücksichtigt.

 

Mit "Do" und "Don't" kommt man hier meiner Meinung nach nicht weiter - wir machen hier nicht Malen nach Zahlen, sondern schreiben Geschichten, von denen sich jede einzelne von den anderen unterscheidet. Wo bei vielen Geschichten eine Rückblende/Erklärung/Aufzählung am Anfang den Fluss stören und langweilen bzw. den Leser herausreißen kann, kann es bei einer Geschichte genau DIE Lösung sein. (Das meine ich nicht als Angriff gegen dich, hpr, das weißt du hoffentlich?!)

 

Deshalb würden mich hier zum Beispiel Romananfänge sehr interessieren, die NICHT den gängigen Weg gegangen sind, sondern gelungene Beispiele für "Regelverstöße" sind. Die zu untersuchen, warum und wie funktionieren die, finde ich viel lehrreicher und spannender, als die Diskussion, was "darf" man und was "sollte man auf jeden Fall vermeiden".

 

Am Besten, aber wahrscheinlich ein naiver Traum: Verschiedene Möglichkeiten - hier eben zu Romananfängen - ohne "vergrault Leser", "ist gefährlich", "muss man", "darf man nicht",usw. rein auf ihre Wirkung hin zu diskutieren. Dann wäre das meiner Meinung nach ein Handwerksthread. So sind wir - und ich schließe mich da voll und ganz mit ein - sofort wieder in die leidige Diskussion abgerutscht, wie was wann gut eingesetzt ist. Und wie was wann schlecht. Das, was da eingesetzt wird/oder auch nicht, das fällt meiner Meinung nach hinten runter, weil es sofort mit einem Aufkleber "vergrault Leser" oder "sollte man nicht einsetzen" versehen wird.

 

Meine letzte 50 Cents - der Roman ruft und die Testleser motzen.

 

Liebe Grüße

Lisa

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Später gruben wir Schützengräben, die sich zu einer ganzen Stadt entwickelten. Die Gräben stießen rechtwinklig aneinander und liefen bei Regen voll Wasser.

 

Das gefällt mir. :-)

 

Liebe Grüße

Lisa

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Persönlich tendiere ich auch eher zu einem szenischen Anfang, aber das ist Geschmackssache. Also halte ich es mit AndreasE, wenn er sagt, der Anfang muss den Leser packen. Und viele Erklärungen und Rückblenden stören eher dabei. Man hat ja noch viele Seiten, um alles zur rechten Zeit zu erklären.

 

Ich lese gerade Paul Auster: "The Brooklyn Follies", wo er einen wirklich genialen Anfang hinlegt. Und der ist eher narrativ:

 

"Ich war dabei, mir ein ruhiges Plätzchen zum Sterben zu suchen."

 

Entschuldigt meine holprige Übersetzung. Er fährt dann fort: "Jemand hatte Brooklyn empfohlen, und so fuhr ich am nächsten Morgen von Westchester hinüber, um das Terrain auszuloten."

 

Wer da nicht gepackt wird!

 

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Wer da nicht gepackt wird!

 

Ich. Vielleicht bin ich durch Diskussionen wie diese ja irgendwie verdorben - mir kommt bei solchen Sätzen sofort der Gedanke hoch: Aha, so wirft also einer die Angel aus nach mir, dem Leser. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Ich hab das Buch trotzdem gelesen, weil es mir ein guter Freund so sehr empfohlen hatte und kann im Nachhinein sagen, dass meine erste Empfindung - für mich - stimmig war: Dieser erste Satz ist nicht viel mehr als ein Appetizer, das ganze weitere Geschehen des Romans kümmert sich dann nicht mehr viel um die prätendierte Dramatik.

 

Dito der Anfang des hoch gelobten "Scherbenparks". Ein unglaublich "reinziehender" erster Absatz. Und dann plätschert eine Geschichte daher, deren Sog nachlässt, Seite um Seite mehr. (Bei so was denke ich inzwischen manchmal, die Leute haben Hans-Peters (wirklich empfehlenswertes) "Vier Seiten für ein Halleluja" so ernst genommen, dass alle Energie dort - bei den ersten vier Seiten - verblieben ist. Vielleicht solltest du einen Fortsetzungsband schreiben , Hans-Peter: "Die anschließenden 246 Seiten"??  ;D)

 

Lisa, mit deiner Erlaubnis, zitiere ich mal die Roman/Geschichtenanfänge aus deinem/unserem Workshop, die jedenfalls mich "packen". Sie sind ausgesprochen schlicht, stellen meist ganz kurz den Helden oder die Lokalität vor und scheinen sich den Teufel darum zu kümmern, ob jetzt der Leser sofort wie angestochen mit dem Buch zur Kasse rennt. Dafür dringt irgendwie die Anteilnahme durch die Zeilen, die der Autor für sie hegt:

 

Auf der Hochzeit von Olga Ivanovna waren alle ihre Freunde und guten Bekannten zugegen.

Tschechow, Flattergeist

 

Ihr Leben war einfach und schwierig zugleich. Wie übrigens bei allen Menschen.

Tokarjewa, Eine Liebe fürs ganze Leben

 

Es war einmal im Bezirk Zlotogrod ein Eichmeister, der hieß Anselm Eibenschütz.

Roth, Das falsche Gewicht

 

"Was hältst du von dem neuen Paar?"

Updike, Ehepaare

 

Es war einmal (erzählt sich Mary Ann) eine wunderschöne Prinzessin, die hieß Miranda und besaß ein Wunschkästchen.

Lurie, Von Kindern und Leuten

 

Der junge Oberleutnant Klimov fuhr mit dem Postzug von Petersburg nach Moskau,

Tschechow, Typhus

 

Der Kollegienassessor Miguev blieb während eines Abendspaziergangs an einem Telegrafenmast stehen und seufzte aus tiefstem Herzen.

Tschechow, Der Fehltritt

 

An der breiten Steppenstraße, die man die große Spur nennt, hatte sich für die Nacht eine Schafherde niedergelassen.

Tschechow, Das Glück

 

Natürlich spielt der Titel unmittelbar darüber mit hinein.

 

Angelika

 

P.S. Ich wollte jetzt aber nicht die sehr interessante Diskussion über Infodump abwürgen.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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mir kommt bei solchen Sätzen sofort der Gedanke hoch: Aha' date=' so wirft also einer die Angel aus nach mir, dem Leser. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.[/quote']

 

Was ist so schlimm daran, wenn einer die Angel nach mir, dem Leser auswirft? Immerhin liegt dem Autor dann etwas an mir. Natürlich muss er das Versprechen dann nachher halten, aber die gute Absicht (mich ans Buch zu fesseln) bringt ihm zumindest bei mir schon mal einen Plus-Punkt. Mich verstimmt es weitaus mehr, wenn ich merke, da schreibt jemand, dem es ganz egal ist, wie es mir beim Lesen geht - oder der es gar als sein gutes Recht ansieht, von mir gelesen zu werden...

 

(Bei so was denke ich inzwischen manchmal, die Leute haben Hans-Peters (wirklich empfehlenswertes) "Vier Seiten für ein Halleluja" so ernst genommen, dass alle Energie dort - bei den ersten vier Seiten - verblieben ist. Vielleicht solltest du einen Fortsetzungsband schreiben , Hans-Peter: "Die anschließenden 246 Seiten"??  ;D )

 

http://www.smilies.4-user.de/include/Optimismus/smilie_op_043.gif Eine hervorragende Idee!

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mir kommt bei solchen Sätzen sofort der Gedanke hoch: Aha' date=' so wirft also einer die Angel aus nach mir, dem Leser. [/quote']

Natürlich ist das ein Köder, liebe Angelika. Aber das ist doch in Ordnung. Es hat sofort meine Neugierde geweckt, auch die nachfolgenden Seiten waren zwar narrativ, aber gut und interessant zu lesen. Nach zwei Seiten war ich dann endgültig drin in der Geschichte. Ob das Buch am Ende hält, was es verspricht ... ich werde es erfahren ... bin erst bei Seite 80. :)

 

Wenn ich hpr richtig verstanden habe, ging es doch um den gelungenen Einstieg für den Leser. Das kann man nur erreichen, wenn man den Leser gleich fesselt und ein Sog entsteht, der sich verfielfältigt. Und da macht es meiner Meinung nach keinen Sinn, eine Seite mit Vorgeschichte zu verbringen, außer die ist so spannend, dass man darüber ins Buch gezogen wird. Es ist eben wichtig, dass die Spannung nicht gleich wieder unterbrochen wird.

 

In Robert Harris "Imperium" wird sogar mit Vorgeschichte angefangen. Aber sehr knapp und sofort interessant:

 

"My name is Tiro. For thirty-six years I was the confidential secretary of the Roman statesman Cicero. At first this was exciting, then astonishing, then arduous, and finally extremly dangerous. During those years I believe he spent more hours with me than with any other person, including his family. I witnessed his private meetings and carried his secret messages." usw.

 

Auch das finde ich sehr gelungen.

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Was ist so schlimm daran, wenn einer die Angel nach mir, dem Leser auswirft?

 

Ich finde das nicht nur nicht schlimm, sondern äußerst legitim! Warum sollte ich, wenn ich in der Buchhandlung stehe, ein Buch nehmen, dass mich nicht auf den ersten Blick fesselt?

 

Mich verstimmt es weitaus mehr, wenn ich merke, da schreibt jemand, dem es ganz egal ist, wie es mir beim Lesen geht - oder der es gar als sein gutes Recht ansieht, von mir gelesen zu werden...

 

Das denke ich auch schon seit Langem. Für mich gibt es selbst- und leserorientierte Autoren. Die selbstorientierten Autoren verwirren mich oft und es bereitet mir Mühe, ihren Gedankengängen und -sprüngen zu folgen. Wenn ich das schon am Anfang merke, lege ich das Buch weg.

Mir fällt dabei immer wieder "Der Herr der Ringe" ein: Hätte ich beim ersten Mal nicht das etwas langatmige Infodumping durchgehalten, hätte ich das Buch schließlich nicht dreimal gelesen. Von mir aus hätte es mit der Begegnung von

Frodo und Gandalf anfangen können. Auch das schon zitierte Buch "Der Name der Rose" ist nicht gerade leicht zum Reinkommen. Aber diese Anfänge waren immerhin interessant genug, um mich bei der Stange zu halten. Der "Zauberberg" dagegen fängt spannend an und hat zwischendurch immer wieder Längen. Viele Beispiele könnten mir noch einfallen und wurden hier auch diskutiert, Andreas Wilhelms

Schäfer oder Andreas Eschbachs "Ausgebrannt", die mich von der ersten bis zur letzten Zeile gefesselt haben.

Aber ich will hier nicht zu viel loben ;), ich wage mal zu behaupten, dass die Mehrzahl der Leser einen spannenden Anfang und nicht zu viel Infodumping mag.

Da kommt die uralte Frage wieder auf: Für wen schreiben wir?

 

Christa

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Für mich gibt es selbst- und leserorientierte Autoren.

Aber gibt es etwas Schöneres als einen Autor, der ganz "selbstbezogen" seine ureigene Stimme bis zur Vollkommenheit entwickelt und einfach darauf vertraut, dass er immer Leser finden wird, die die gleichen Dinge schön finden wie er? Ich hoffe jedenfalls, dass dieser Typ Autor nie aussterben wird.

 

Mit den "Angeln" geht es mir dagegen oft so, dass ich denke "Ach, das schon wieder". Irgendwann kennt man die gängigen Tricks einfach, und dann wirken sie nicht mehr so, wie sie sollen, sondern wecken die Befürchtung, dass man den Rest des Romans evtl. ebenfalls schon hundertmal gelesen hat. Wie gesagt: So geht es mir persönlich, subjektiv.

 

Damit will ich also nur sagen: Leser sind verschieden. Was den anderen fesselt, geht am andern vorbei. Und die scheinbar "selbstbezogenen" Autoren richten sich vermutlich einfach an andere Leser. Einen Charakterfehler würde ich nicht gleich vermuten. ;)

 

Herzliche Grüße

 

Barbara

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Aber gibt es etwas Schöneres als einen Autor' date=' der ganz "selbstbezogen" seine ureigene Stimme bis zur Vollkommenheit entwickelt und einfach darauf vertraut, dass er immer Leser finden wird, die die gleichen Dinge schön finden wie er? Ich hoffe jedenfalls, dass dieser Typ Autor nie aussterben wird.[/quote']

 

Du wirfst mich um, Barbara!  :DJa, natürlich gibt es nichts Schöneres!

Lesen und Schreiben sind für mich jedoch Kommunikation. Ich glaube nicht, dass ein Autor seine ureigene Stimme bis zur Vollkommenheit im stillen Kämmerlein entwickelt. Irgendwann ist er "draußen", irgendwie. Und wird merken, ob er mit seiner Stimme andere erreicht hat. Er kann dann also getrost darauf vertrauen,

immer wieder Leser zu erreichen.

 

Mit den "Angeln" geht es mir dagegen oft so, dass ich denke "Ach, das schon wieder". Irgendwann kennt man die gängigen Tricks einfach, und dann wirken sie nicht mehr so, wie sie sollen, sondern wecken die Befürchtung, dass man den Rest des Romans evtl. ebenfalls schon hundertmal gelesen hat. Wie gesagt: So geht es mir persönlich, subjektiv.

 

Das steht nun wieder auf dem etwas anderen Blatt "Zu oft dagewesen". Wenn ich die immer gleichen Tricks finde, bin ich natürlich ebenfalls verstimmt. Der Autor sollte sich schon was Originelles, Ur-Eigenes einfallen lassen.

 

Und die scheinbar "selbstbezogenen" Autoren richten sich vermutlich einfach an andere Leser. Einen Charakterfehler würde ich nicht gleich vermuten. ;)

 

Klar, sie sind keine weltabgewandten Egomanen, sonst würden sie ja nicht schreiben! Aber sie müssen so kommunizieren können beim Schreiben, dass sie auf jeden Fall diejenigen Leser erreichen, die sie erreichen wollten. Denn Schreiben nur um des Schreibens Willen, nur um der Entwicklung der eigenen Stimme Willen, das tut niemand, auch wenn das oft behauptet wird. Jeder Autor ist nach innen und nach außen gerichtet.

 

Herzlichst

Christa

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Nur um das klarzustellen, AndreasE, Ulf und Christa:

 

Ich werde gerne aufgefischt! Wenn mich jemand mit einer guten Geschichte angelt, kann er mich durch einen ganzen Ozean von Worten ziehen. Und die ersten paar Sätze sollten natürlich den Duft haben, dass man anbeißen möchte. Aber dann muss ja wohl noch was hinterher kommen. Manche Bücher sagen: "Lies mich!" Bei anderen (und die haben immer einen mordsmächtigen Satz am Anfang stehen) höre ich mehr so was wie "Kauf mich, kauf mich!"

 

Womit ich nichts - ich schwöre es bei Gutenbergs Gebeinen - gegen das Interesse, verkauft zu werden gesagt haben möchte.

 

Lieber Himmel, habe ich jetzt selber die E und U Diskussion losgetreten? Bitte nicht, die Sache mit dem Infodump - wann soll der Leser was überhaupt wissen? - ist viel interessanter.

 

Ist diese Frage eigentlich schon mal im Hinblick auf das das Genre untersucht worden? Ich habe so eine Vermutung, dass das eine Rolle spielen könnte. Schließlich ist es bei Krimi und suspense so im Abstrakten wenigstens klar, oder? Und beim Entwicklungsroman, HR? Da  tappe ich augenblicklich umher.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Hallo, ich habe diese Diskussion nur am Rande, aber interessiert mit verfolgt. Für mich persönlich gibt es einen feinen, aber doch grundlegenden Unterschied, ob ein Autor, mit der Angel nach mir fischt (das lasse ich gerade noch zu), aber nicht dass er sich mir gegenüber anbiedert. Solche Bücher landen auf dem Komposthaufen. Ich meine damit Autoren, die alle "bewährten Textstrategien" der Leseverführung und Leseranbindung kühl kalkuliert zur Anwendung bringen. Ich merke die Absicht und bin verstimmt, und vermisse die persönliche Handschrift. Das ist für mich (ich weiß, nicht jeder stimmt mir da zu) bei Dan Brown der Fall. Wer so offensichtlich und auch so hölzern nach mir angelt, ohne etwas spezifisch Eigenes anzubieten, interessiert mich nicht. Ich finde schon, der Autor sollte - um es salopp zu formulieren - dem Leser nicht um jeden Preis in den Arsch kriechen.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Lesen und Schreiben sind für mich jedoch Kommunikation.

Ja, da stimme ich dir ganz und gar zu, Christa. Ich denke auch, dass sich der Autor immer an jemanden wendet, bewusst oder unbewusst. Nicht unbedingt an sein reales Zielpublikum - vielleicht eher an einen idealen Leser, vielleicht an etwas ganz Körperloses, aber irgendeinen Empfänger gibt es immer. Glaube ich.

 

Der Unterschied, über den wir reden, ist wohl folgender: Die einen umwerben ihren Leser und versuchen, ihm die Geschichte möglichst schmackhaft zu machen. Die andern sagen gewissermaßen: Sorry, aber diese Geschichte MUSS einfach so erzählt werden. Anders geht es nicht. Und überlassen dem Leser die Entscheidung, ob er sich darauf einlässt oder nicht.

 

Beides finde ich sehr, sehr legitim. (Und natürlich gibt es alle denkbaren Zwischenformen!) Und was man als Leser bevorzugt, ist einfach Geschmackssache. Mich persönlich beeindrucken zunehmend Autoren, die mir signalisieren, dass sich ihr Anfang, ihr Tonfall, ihre Sprache etc. nach dem richten, was die Geschichte will. Nicht nach dem, was dem Leser am besten schmeckt. Aber wie gesagt, ich will keinem von beidem die Berechtigung absprechen.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Ich nenne Saetze wie den von Auster (den ich ansonsten oft gern lese) Effekthascherei. Der Satz steht um des Effektes willen da, nicht weil die Geschichte ihn fordert. Und der Autor gibt mir ein Versprechen, das einzuhalten er nie vorhat.

(Uebrigens empfinde ich das genauso als Etikettenschwindel wie die Belegung mit einem Falsch-Titel)

Ein solcher Krachersatz (ich finde schon den Gedanken, ueber einen ersten Satz nachzudenken statt ueber einen Zugang zur Erzaehlung, sehr unschoen) nimmt einem Roman in meinen Augen etwas, das mir sehr wichtig ist: seine organische Geschlossenheit.

Gleiches gilt natuerlich umso staerker fuer eigens zum Leserfang vorn angepfropfte Prologe etc. (Motto: "DAs ist zu langsam. Schreibense uns da mal nen Prolog davor." "Und was soll ich da erzaehlen?" "Ganz egal. Hauptsache es kracht so richtig.")

 

Die Erzaehlhaltung, fuer die der Autor sich entscheidet, und der Einstiegspunkt, den er waehlt, sagen Zentrales ueber seinen Zugang zur Geschichte, sein Konzept. Seine Streuung der Informationen weist darauf hin, wo er die Schwerpunkte sieht und setzt. Daher muss mich kein Anfang "packen", "angeln" oder gar "krachen" - schon gar kein erster Satz. Auf den ersten Metern muss mir ein Autor (was womoeglich noch schwieriger ist) beweisen, dass er vorhat, seine Geschihte nicht gemaess gaengiger Moden und unter Einsatz schlichtester Tricks, sondern mit einem eigenen und offenbar durchdachten Konzept zu erzaehlen. Solange ich diesen Eindruck habe, gebe ich dem Autor gern Zeit. Ich brauche keinen Haken (ich finde bezeichnet, dass der in Dramaturgieratgebern "hook" nicht Haken genannt wird - als wuessten wir, wenn wir's auf Englisch hoeren, nicht, dass das nicht mehr ist als gebogener Draht) auf den ersten Metern, sondern eine starke Exposition.

 

Der Leser, der so viel Muehe und Neugier nicht aufbringt und ein Buch weglegt, weil ihn die ersten drei Seiten nicht packen, tut mir persoenlich leid.

Er braucht fuer mich und mein Buch keine Zeit zu haben, denn mein Buch und ich haben fuer ihn auch keine.

 

Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Der Leser, der so viel Muehe und Neugier nicht aufbringt und ein Buch weglegt, weil ihn die ersten drei Seiten nicht packen, tut mir persoenlich leid.

Er braucht fuer mich und mein Buch keine Zeit zu haben, denn mein Buch und ich haben fuer ihn auch keine.

WOW! Heftige Reaktion. Aber das war wohl, was AndreasE vorher meinte, glaube ich. Hier scheiden sich die Geister.

 

Das Auster-Buch habe ich wie gesagt noch nicht aus, aber was heißt Effekthascherei? Der Prota lässt sich die nächsten 10 Seiten nämlich genau über seinen zu erwartenden Tod aus, das Ende seiner Ehe und dass er sich ein stilles Plätzchen für seine letzte Zeit sucht. Ich fand es einfach interessant und gut geschrieben.

 

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Wenn mich jemand mit einer guten Geschichte angelt' date=' kann er mich durch einen ganzen Ozean von Worten ziehen. Und die ersten paar Sätze sollten natürlich den Duft haben, dass man anbeißen möchte. Aber dann muss ja wohl noch was hinterher kommen. Manche Bücher sagen: "Lies mich!" Bei anderen (und die haben immer einen mordsmächtigen Satz am Anfang stehen) höre ich mehr so was wie "Kauf mich, kauf mich!"[/quote']

 

Das finde ich schön ausgedrückt. Die Mogelpackungen, von denen ich einen hammermäßigen ersten Satz und ein Krachen erwarte, erkenne ich in den Buchhandlungen manchmal schon am Cover und nehme sie nicht in die Hand.

 

Ist diese Frage eigentlich schon mal im Hinblick auf das das Genre untersucht worden? Ich habe so eine Vermutung, dass das eine Rolle spielen könnte. Schließlich ist es bei Krimi und suspense so im Abstrakten wenigstens klar, oder? Und beim Entwicklungsroman, HR? Da  tappe ich augenblicklich umher.

 

In den Textkritiken hier habe ich -mit einem HR - gelernt, dass zu viele Infos am Anfang einfach erschlagend seien.

Ich lege ein Buch nur dann nach vier Seiten weg, wenn ich seinen Duft nicht gespürt habe, so war es z.B. beim "Parfüm". Da muss es überhaupt nicht krachen!

Zum berühmten ersten Satz haben wir in einer Diskussion schon mal herausbekommen, dass er durchaus eine tiefe Bedeutung für den ganzen Roman haben kann, nämlich alles in einem Augenblick quasi aufbitzen zu lassen. Günther Grass wurde zitiert, und ich habe es bei Julia Kröhn "Die Chronistin" gesehen.

("Sophie schrieb.")

 

Herzlichst

Christa

 

Angelika

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Für mich persönlich gibt es einen feinen' date=' aber doch grundlegenden Unterschied, ob ein Autor, mit der Angel nach mir fischt (das lasse ich gerade noch zu), aber nicht dass er sich mir gegenüber anbiedert. Solche Bücher landen auf dem Komposthaufen. Ich meine damit Autoren, die alle "bewährten Textstrategien" der Leseverführung und Leseranbindung kühl kalkuliert zur Anwendung bringen.[/quote']

 

Genau. Schreiben ist ja auch Verführung. Wir wollen aber nicht verführt werden von jemand, der einfach nur routiniert alle psychologischen Tricks anwendet, alle erogenen Zonen kennt und weiß, wie man sie aktiviert usw. - dessen Ziel aber nur ist, am Schluss "Na, wie war ich?" sagen zu können. :s21

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Hallo Montsegurler,

 

jetzt habe ich wieder Zeit für diesen Thread. Und da gibt es ja ein paar spannende neue Punkte.

 

Zitat von Angelika Jo am 18.03.2009 um 19:05:

mir kommt bei solchen Sätzen sofort der Gedanke hoch: Aha, so wirft also einer die Angel aus nach mir, dem Leser. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.

Ich denke, da gibt es den Unterschied: Ob jemand seine Geschichte möglichst spannend erzählen will - oder ob er einfach so erzählen will, dass es möglichst spannend ist.

 

Den gleichen Unterschied gibt es bei: Eine Geschichte "wirkt konstruiert" oder eine "Geschichte ist konstruiert". Während letzteres ja für viele GEschichten gilt und nichts schlechtes ist, ist das Erste tödlich.

 

Wenn ein Leser am Anfang merkt: Aha jetzt wirft der Autor seine Angel aus und was da steht, ist nur ein Köder und hat mit der Geschichte wenig zu tun, geht es schief.

 

Bestes Beispiel sind die möglichst kreativ und ungewöhnlich zerfleischten Leichen am Anfang mancher Thriller. Das steht dort, weil man glaubt, damit Leser zu fangen. Und die Leser merken es. Zumindest etliche.

 

Wenn der Fisch den Köder sieht und Appetit bekommt, ist es gut. Wenn er sieht, da will mich jemand angeln, dürfte der Effekt eher negativ sein ;-).

 

Ich gehe davon aus, dass wenn ein Autor sich dafür entscheidet, seinen Roman mit einer Rückblende, einer Erklärung oder einer Aufzählung aus dem Leben einer der Figuren oder des Erzählers zu beginnen - zum Beispiel um den Erzähler damit zu charakterisieren -, dann hat er sich - wie bei allem anderen in seinem Roman - sehr gut überlegt, ob es passen oder nicht passen könnte.

Vielleicht hat er es sich überlegt - aber in vielen Fällen merkt man, dass ihm Erfahrung und Gefühl für seinen Text fehlen. Und in solchen Fällen wird dann genommen, was "gängig" ist. Leider. Den meisten Autoren ist leider oft nicht bewußt, was sie da am Anfang machen - und sie sind erstaunt, wenn man ihnen vorschlägt: Das ginge auch anders, probiers doch mal ohne Rückblende.

 

Nein, hier teile ich deine Meinung nicht. Aufzählungen und Infodumps, die nur im Text stehen, weil der Autor dem Leser was beibringen will, funktionieren nicht. Ich kenn kein Beispiel dafür. Manchmal akzeptieren Leser das trotzdem, wenn anderes zum Lesen reizt. Aber sowas würde ich in jedem Fall verbessern und man kann sowas verbessern.  

 

"Ungefähr zweieinhalb Monate nachdem die gutausgebildeten, von den Sowjets und den chinesischen Kommunisten mit Waffen ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vorgedrungen waren und mit dem Einmarsch in Südkorea das große Leid des Koreakrieges begonnen hatten, kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark, benannt nach dem Mann, der die Stadt im siebzehnten Jahrhundert gegründet hatte."

Und warum wirkt ein solches Beispiel?

 

Mir fallen da gleich zwei Gründe ein. Einmal ist der Text dynamisch. Die Divisionen "dringen vor". Du könntest auch anfangen:

"Nordkorea hatte Ende der Vierziger eine große Armee, die China und die Sowjetunion ausgerüstet hatte. Am 25.6.1950 griffen es damit Südkorea an."

 

Was viel wichtiger ist: Der GEgensatz zwischen koreanischen Divisionen und dem ruhigen College, der nicht benannt wird, sich aber aus dem Text entwickelt. In Korea ist Krieg, in Newark ein kleines College, das 1700 gegründet wurde. Da hast du mit ganz wenigen Worten im Leser ein Bild von dem College, der Zeit und dem Ich-Erzähler.

 

So beginnt der Roman, und ich wage zu behaupten, dass der "Infodump" hier Sinn macht und den Ich-Erzähler charakterisiert.

Eben deshalb ist es kein Infodump. Weil es zur Erzählung gehört und weil es auch nur blitzlichtartig eine Eigenschaft benennt. Infodumps streben nach Vollständigkeit. Schließlich liesse sich jede Menge über den Korea Krieg sagen und vermutlich auch über das Newark College.

 

Natürlich weiß ich nicht, wie der Text weitergeht. Erste Sätze sind etwas anderes, als die ersten zwei Seiten.

 

Ich denke, es ist wichtig, als Autor die unterschiedlichsten Stilmittel und ihre Wirkung zu kennen und sie zu trainieren - aber sie dann auch so einzusetzen, dass sie der jeweiligen Geschichte am Besten dienen. Und das können meiner Meinung nach die unterschiedlichsten (und verrücktesten) Kombinationen sein. Und manchmal eben auch: Rückblenden/Aufzählungen/Erklärungen direkt am Anfang eines Romans. Kann sein. Muss nicht sein. Aber kann - und dass wird mir in Pauschalaussagen zu wenig berücksichtigt.

Da hast du Recht - und auch wieder nicht.

 

Bestimmte Dinge wiederholen sich und dann kann man sie auch zu Regeln zusammenfassen. Dass nach den ersten ein, zwei Absätzen in eine Rückblende gesprungen wird, kommt einfach sehr häufig vor und scheitert sehr häufig. Natürlich sind solche Regeln keine Gesetzmäßigkeiten und es gibt immer Beispiele, bei denen es dann doch funktioniert.

 

Hans Peter

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Nachtrag:

 

Es gibt übrigens einen guten Test auf überflüssige INfos und Infodumps. Streicht die Stellen, die Informationen enthalten. Wie wirkt der neue Text? Sind die Leser immer noch informiert? Falls ja, kann man die fraglichen Stellen streichen.

 

Manchmal ist der Vergleich auch lehrreich, weil der neue Text mit Streichungen nur an einigen Stellen besser ist.

 

man kann auch beide Texte (die mit und die ohne Infos) Testlesern vorlegen. Auch eine sehr lehrreiche Übung.

 

"Die gutausgebildeten und ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas drangen am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vor und mit ihrem Einmarsch in Südkorea begann das große Leid des Koreakrieges. Kurz darauf kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark."

 

Besser als:

"Ungefähr zweieinhalb Monate nachdem die gutausgebildeten, von den Sowjets und den chinesischen Kommunisten mit Waffen ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vorgedrungen waren und mit dem Einmarsch in Südkorea das große Leid des Koreakrieges begonnen hatten, kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark, benannt nach dem Mann, der die Stadt im siebzehnten Jahrhundert gegründet hatte."?

 

Ganz sicher ist es eine völlig andere Erzählstimme. Und weckt weniger BIlder. Von überflüssig kann hier also keine Rede sein.

 

Hans Peter

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"Die gutausgebildeten und ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas drangen am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vor und mit ihrem Einmarsch in Südkorea begann das große Leid des Koreakrieges. Kurz darauf kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark."

 

Besser als:

"Ungefähr zweieinhalb Monate nachdem die gutausgebildeten, von den Sowjets und den chinesischen Kommunisten mit Waffen ausgerüsteten Divisionen Nordkoreas am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad vorgedrungen waren und mit dem Einmarsch in Südkorea das große Leid des Koreakrieges begonnen hatten, kam ich aufs Robert Treat, ein kleines College in Newark, benannt nach dem Mann, der die Stadt im siebzehnten Jahrhundert gegründet hatte."?

Es tut mir leid. Ich finde beide Anfänge schrecklich, wobei der kürzere nicht ganz so schlimm ist. Was hat der Beginn einer College-Karriere mit der Frage zu tun, ob die Divisionen Nordkoreas gut ausgebildet sind oder von den Chinesen ausgerüstet wurden? Hier werden massig Details in wenigen Sätzen verquickt, die miteinander nichts zu tun haben. Ein Übermaß an irrelevanten Fakten.

 

Entweder ist der Eintritt ins College der wichtige Punkt ... dann redet man davon und erwähnt, dass das zufällig kurz nach Beginn des Koreakriegs war.

 

Oder man will über den Koreakrieg schreiben. Und dann ist es umgekehrt .... "Ich hatte mich gerade am College eingeschrieben, als wir im Radio hörten, dass die Divisionen .... etc"

 

Schlichtheit und Fokus aufs Wesentliche ist auch eine Tugend.  :)

 

LG

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ich gebe zu bedenken:

 

Ob ein Anfang gut ist, kann man erst beurteilen, wenn man das ganze Buch kennt.

 

Solange man erst den Anfang liest, kann man allenfalls sagen, ob man weiterlesen möchte.

 

Da kann ein Anfang wie das angeführte Beispiel, das zwei auf den ersten Blick nicht zusammengehörende Informationen zusammenbringt und dadurch die Frage aufwirft, was zum Henker das eine mit dem anderen zu tun hat, durchaus das richtige Mittel der Wahl sein.

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T.C. Boyles hat vier Regeln zu Anfängen bei Geschichten aufgestellt:

 

"Gemeinsam ist den Storys nur, dass Boyle, Professor für englische Literatur des 19. Jahrhunderts an der University of Iowa, vorzeigt, wie ökonomisch er die Aufmerksamkeit seines Publikums bedienen kann.

 

Erste Regel: Du hast nicht länger als drei Sätze Zeit, um dem Leser plausibel zu machen, warum er deine Geschichte lesen soll.

 

Zweite Regel: Keine Ablenkungen, wenn der Leser an der Angel ist.

 

Dritte Regel: Jede Story mit einem Plot ausrüsten, die auch für einen Roman gut genug wäre – offene Enden unterminieren die Kreditwürdigkeit des Autors.

 

Vierte Regel: Jede Ausnahme muss besser funktionieren als die Regeln eins bis drei."

(Link ungültig)

 

Vor allem Regel vier ist wichtig.

 

In diesem Artikel untersucht Christian Seiler, wie Boyle mit seinen eigenen Regeln umgeht. Lesenswert!

 

Hans Peter

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Lieber hpr,

mir ist das alles ein wenig zu "eng" gesteckt - aber das liegt sehr wahrscheinlich an mir und meinem Leser/Autorengeschmack.

 

Mir wird eine Sache in diesem ganzen Thread zu wenig berücksichtigt, die Charlie bereits angesprochen hat: Die Erzählhaltung, mit der ein Autor seinen jeweiligen Roman erzählt. Die bezieht sich für mich auf den gesamten Roman, auf die Gesamtkomposition.

 

Die Streuung von Informationen - egal ob am Romananfang, in der Mitte oder am Ende - das Wann und das Wie (da vor allem auch die sprachlichen und formalen Möglichkeiten), ist für mich eines der wichtigsten Dramaturgiehandwerkzeuge. Denn Informationen setzen den Leser ja nicht nur "ins Bild". Sie charakterisieren die Figuren, sie erlauben dem Leser, Bezüge herzustellen, sie erzeugen Emotionen beim Leser, sie wecken seine Neugier, sie dramatisieren und erzeugen Spannung, usw. Wie und wann ich als Autor meine Informationen einsetze, hängt für mich deshalb immer von der jeweiligen Geschichte ab und wie ich sie erzähle.

 

Ein aktuelles Buch, das mich ungemein begeistert hat - in allem: Geschichte, Sprache, formale Ausführung - ist "Das Gedächtnis des Wassers" von Francois Gantheret. In diesem erzählt der Autor sehr präzise und verdichtet die Geschichte eines ungeklärten Mordfalls, der 30 Jahre zurückliegt, der aber im Leben der Hauptfigur sehr präsent ist. Zu der verdichteten Form, mit der die Geschichte erzählt wird, passt es meiner Meinung nach nicht nur hervorragend, dass bereits nach den ersten 6 Sätzen in eine Rückblende gewechselt wird, nein, es macht meiner Meinung nach auch sofort den "Ton" klar, mit dem diese Geschichte erzählt wird - und die "Wunde" der Hauptfigur wird sofort sichtbar:

 

Langsam beruhigt sich sein Atem, er öffnet die Augen. Sieht das Schutzdach der hohen Tannen, von Sonnenstrahlen durchbrochen, in denen, angezogen vom flirrenden, fast weißen Licht, zahllose Mücken tanzen, wimmelndes, winziges, hartnäckiges Leben. Sein Körper entspannt sich in dem trockenen Wind, der die Gletscher umschmeichelt, bevor er sich ins Tal ergießt. Die Stille wird hier geboren und füllt sich mit dem monotonen Summen der Insekten, dem grünen Duft der Lärchen, dem süßlichen der Pilze. Mit allem, was sich hinter ihm in der bläulichen Tiefe des Unterholzes verbirgt.

Er ist sehr schnell bergan gestiegen ...

Dorthin, wo damals auf den letzten Metern das Lachen dessen erschallte, der als erster ihren Unterschlupf erreichte, wo sie sich atemlos zu Boden warfen und ihre Körper sich umschlangen, die Lippen voller Ungeduld. An seine gepresst, rang Claires zarte Brust nach Luft.

 

Flach ausgestreckt lag er auf dem Rücken, um mit dem ganzen Körper den Erdboden unter sich zu spüren. In ihrem braunen, wirren Haar steckten Tannenadeln; er zupfte sie eine nach der anderen heraus. (...)

 

Von dieser Rückblende gleiten wir in ganz viele Rückblenden (Claires Tod, ihre Beerdigung, wie Paul verhört wird (er ist die Hauptfigur, der Mann, der unter den Tannen liegt), der Tod seiner Mutter, kurze Szenen zwischen seinem Vater und ihm, wie er Claire das erste Mal gesehen hat) und erst Kapitel 3 springt wieder in die Gegenwart zurück: Unwillkürlich streicht sein Hand über die Tannennadeln auf dem Erdboden. Er blickt auf die Uhr: Schon kurz nach fünf, er wird gleich hinabsteigen.

 

Aber auch da springen wir sofort wieder in eine Rückblende:

 

Kapitel 3

 

Unwillkürlich streicht sein Hand über die Tannennadeln auf dem Erdboden. Er blickt auf die Uhr: Schon kurz nach fünf, er wird gleich hinabsteigen. Denselben Weg nehmen, zu dem Gebirgsbach, von Stein zu Stein springen, dem Plaudern der kleinen Gefälle zuhören, vielleicht den Eisvogel sehen, der vorbeigeflogen ist wie ein blauer Blitz ...

- Hast du ihn diesmal gesehen?

Sie schüttelte den Kopf.

- Was, sagte er, das machst du absichtlich!

 

Er wird bei der Brücke stehenbleiben, zum Bauernhof hinüberschauen. Weiter weg eine leichtfüßige, zarte Gestalt hinuntergehen lassen. Der entschwundene Geschmack eines Kusses. Schwerfällig steht er auf, das Gewicht der Jahre, drückt die Äste der Tanne beiseite und tritt hinaus in die Abendsonne. (...)

 

Durch diese Komposition macht der Autor für mich das "Dilemma" der Hauptfigur erlebbar, die sich nicht von der Vergangenheit lösen kann.

 

Liebe Grüße

Lisa

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Mir wird eine Sache in diesem ganzen Thread zu wenig berücksichtigt, die Charlie bereits angesprochen hat: Die Erzählhaltung, mit der ein Autor seinen jeweiligen Roman erzählt. Die bezieht sich für mich auf den gesamten Roman, auf die Gesamtkomposition.

 

Die Streuung von Informationen - egal ob am Romananfang, in der Mitte oder am Ende - das Wann und das Wie (da vor allem auch die sprachlichen und formalen Möglichkeiten), ist für mich eines der wichtigsten Dramaturgiehandwerkzeuge. Denn Informationen setzen den Leser ja nicht nur "ins Bild". Sie charakterisieren die Figuren, sie erlauben dem Leser, Bezüge herzustellen, sie erzeugen Emotionen beim Leser, sie wecken seine Neugier, sie dramatisieren und erzeugen Spannung, usw. Wie und wann ich als Autor meine Informationen einsetze, hängt für mich deshalb immer von der jeweiligen Geschichte ab und wie ich sie erzähle.

Das stimmt - wenn es dem Autor gelingt. Natürlich kannst du die verschiedensten Stilmittel verwenden, nicht überall die gleichen.

 

Mir fällt da "Rebecca" ein: Last night I dreamed from Manderly again (aus dem Gedächtnis zitiert) und der Rest ist eine riesige Rückblende.

 

Aber das sind dann Fälle, da stimmt der Anfang. Da habe ich als Leser das Gefühl: Okay, ich kann mich auf das Buch einlassen.

 

Natürlich sind das dann Bücher, die kann ich überhaupt nicht nach dem Anfang beurteilen, weil der eben stimmig ist, weil der den Leser auch in eine Geschichte zieht.

 

Mir ging es um die umgekehrten Fälle: Wo du merkst, das stimmt nicht. Du kannst nicht willkürlich am Anfang Informationen verstreuen mit der Begründung: DIe brauche ich später aber!

 

Vor allem sollte man seine Leser nie für dämlicher halten, als man selbst ist. Leser können sehr viel kombinieren - wenn man sie denn lässt und wirklich was zwischen den Zeilen steht. Meist fehlt es genau daran, und es steht nichts dazwischen, dafür aber alles explizit im Text ;-).

 

Philip Roth ist sicher nicht für jedermann, ich habe ihn nie zu Ende lesen können. Das Zitat mit Korea Krieg - kleines College wird nicht nur dich, Ulf, nicht begeistern.

 

Aber es gibt Leute, die spricht er an. Weil er trotz allem sich auf ein paar Pinselstriche beschränkt, den Gegensatz zwischen blutigem Koreakrieg - beschaulichem Newark College, in dem die Zeit stehen geblieben ist, nur anreisst.

 

Du kannst Rückblenden am Anfang machen. Aber die meisten Anfänger, und da wiederhole ich mich, tun das nicht, weil das zu ihrer Geschichte passt, sondern weil sie es nicht anders zu können glauben. Dann hakt und klappert das ganze bereits am Anfang ganz mächtig und ich lege das Buch beiseite, weil mich die dunkle Ahnung beschleicht, dass es im Laufe des Textes endgültig auseinanderfallen wird. Was es in aller Regel auch tut.

 

Übrigens fängt "Der Nobelpreis" von Andreas Eschbach mit einer seitenlangen Erzählung über den Nobelpreis an. Allerdings wird dort nicht alles aufgezählt, sondern geschildert, wie das Kommitee sich zusammensetzt, die Verleihung, der Leser ist dabei, wenn das Königspaar den großen Saal betritt, vorher, wenn die Studenten ihre Plätze eingenommen haben.

 

Gibt ein paar Gründe, warum das Buch sofort den Leser einfängt:

 

1. Jeder kennt den Nobelpreis, ein Thema, das höchst interessant ist. Aber wer war schon mal bei der Verleihung, bei der Auswahl der Kandidaten, bei der Auswahl des Nobelkomittees dabei? Der Text lässt den Leser genau das miterleben.

 

2. Der Klappentext verspricht, dass das Nobelpreiskomittee gekauft werden soll. Man darf die Interaktion zwischen Klappentext und Anfang eines Romans nicht unterschätzen. In diesem Roman baut sich zwischen reißerischem Klappentext und ruhigem Text, in dem alles mögliche passiert, aber kein Verbrechen oder Bestechung, eine Spannung auf.

 

Wie gesagt, mir geht es darum, dass es ungeheuer wichtig ist, was dem Leser am Anfang erzählt wird - und was nicht. Und nach meiner Erfahrung erzählen die meisten schlechten Texte zuviel. Wie immer gibt es natürlich Ausnahmen, es gibt auch das umgekehrte. Nur ist das seltener.

 

Ich kann mich nur wiederholen: Eine Rückblende am Anfang, die einzig aus dem Grund dasteht, weil sie den Leser irgendwelche Infos explizit erzählen soll, geht meist schief. Und Texte, die dem Leser keine Stimmung, keine Handlung vermitteln wollen, die den Leser nicht in irgendeiner Form am Text beteiligen, in dem er aus den Bruchstücken ein eigenes Bild zusammensetzt, die ihm dafür aber das ganze BIld fertig ausgemalt unter die Nase halten, die alles explizit benennen, die kein Geheimnis, keine offenen Fragen haben, auch.

 

Hans Peter

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