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Der Anfang und was muss der Leser wissen

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Leser wissen am Beginn eines Buches nichts. Das liegt in der Natur der Sache. Aber sie beurteilen Bücher nach den ersten Seiten, beim Blättern in der Buchhandlung, beim Stöbern in Leseproben im Internet.

 

Was also soll man ihnen erzählen? Gleich in die Szene stoßen, die viele Fragen aufwirft? Dann sagen die Testleser: Aber wie ist das mit der Helding, was hat die für eine Vorgeschichte. Also das narrativ klarstellen, damit die folgende Szene richtig zur Wirkung kommt?

 

Aber dann denken sie: Wieder so ein Buch, in dem der Autor alles erklärt und legen es wieder zurück, bevor sie zur interessanten Szene kommen.

 

Ich meine: Der Autor braucht Mut. Er muss den Mut haben, einige Fragen offen zu lassen, auch wenn die Testleser sie stellen, zu recht stellen. Auf den ersten Seiten interessiert nämlich vor allem eins: Liest der Leser weiter?

 

Wenn er weiterliest, gut, selbst dann wenn er brummelt, verdammt, was hat es denn damit auf sich? Ein fragender LEser ist nämlich besser als weglegender Leser.

 

Mal an einem Beispiel.

 

Die Heldin sitzt im Flughafen in einem Cafe. Gute Schilderung, ein Mann fragt, ob er sich dazu setzen darf, wartet die Antwort nicht ab, geht der Heldin auf den Geist.

 

Die ist noch ganz in den Ereignissen des Tages gefangen. Sie ist Schauspielerin auf der Suche nach ihrem ersten Job. Aber hatte beim Vorsprechen nie Erfolg. Dabei braucht sie dringendst einen Job. Ihre Mutter hat es nicht dicke und kann sie nicht länger unterstützen. Außerdem wird uns erzählt, das sie ncihts anderes gelernt hat, was ihre Mutter verdient etc. pp.

 

Aber dann eine gute Rückblende: Ein Vorstellungsgespräch bei einer Computerfirma für Games. Das wird szenisch erklärt, die anderen Vorsprecher scheitern, die Heldin Simone springt auf, erklärt, warum die scheitern müssen: Nämlich weil der Dialog Scheiße ist und nicht spannend gesprochen werden kann.

 

Eisiges Schweigen. Sie erkennt, dass der Dialog vom Chef stammt.

 

Diese Szene ist - anders als das narrative Vorgeplänkel - spannend, zeigt uns die Heldin, die spontan reagiert und sich manchmal um Kopf und Kragen redet.

 

Natürlich ist da die Vorrede wichtig. Weil sie uns erst zeigt, wie sehr die Heldin sich um Kopf und Kragen geredet hat. Wie sehr sie diese Stelle braucht.

 

Also braucht man diese Vorrede?

 

Ich denke, am Beginn einer Szene nicht. Aber zum Verständnis der existenziellen Bedeutung der Szene wohl.

 

Szenen haben einen Spannungsbogen. Das beginnt langsam, steigert sich zu einem Höhepunkt, in dem es um die Wurst geht.

 

Und deshalb würde ich in solchen Fällen vorschlagen: Das Vorleben *nicht* an den Anfang. Sondern erst die Vorstellungsszene, die sich langsam steigert. Dann, wenn klar wird, sie hat gerade die Dialogszene des Chefs in der Luft zerrissen, dann kommt das Vorleben. Denn jetzt wird die Heldin denken: Schon wieder nix. Jetzt kommt ihr Frust hoch. Ich brauche doch unbedingt eine Stelle. Wenn das jetzt eingefügt wird, erkennt der Leser, das das Ganze noch schlimmer ist als gedacht.

 

Und dann kriegt sie die Stelle. Weil der Typ erkennt, was ihm und den Game Programmierern fehlt: Das Wissen, wie man Szenen aufbaut und ihnen Spannung verleiht.

 

So, das wäre meine Meinung zu diesem existenziellen Thema. Wie gesagt, ich glaube, man soll wahrnehmen, welche Fragen Testleser wo haben. Aber ihnen nicht gleich nachgeben.

 

Ich kenne eine Menge Bestseller, da erfahren wir am Anfang nur ein Teil. Oft erklären erfolgreiche Bücher dem Leser erstaunlich wenig.

 

Es reicht, wenn die Szene nachvollziehbar ist, Es ist sogar gut, wenn sie einige Fragen aufwirft. Aber die muss man nicht vorab beantworten.

 

Und jetzt bin ich gespannt, was ihr meint. Denn ich weiß, da sind die Meinungen geteilt.

 

Hans Peter

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Hallo Hans Peter,

 

ich kenne die Szene nicht, auf die du anspielst, aber ich habe schon allein deswegen eine geteilte Meinung, weil ich absolut und überhaupt nichts gegen narrative Rückblenden haben, in denen aus dem Leben der (Haupt-)figur erzählt wird. Egal ob am Anfang oder mitten drin. Natürlich können auch bei mir solche Rückblenden unterschiedliche Gefühle auslösen, evtl. auch Langeweile. Aber wenn da in der narrativen Rückblende angedeutet wird, dass es sich um eine interessante Figur handelt - und das scheint mir in deinem Beispiel zu sein - dann habe ich damit keine Probleme. Im Gegenteil. Es muss (für mich) nicht alles szenisch sein, auch am Anfang nicht.

 

LG Luise

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Lieber hpr,

ein nachdenklicher Einwurf von mir, der in keinster Weise als Provokation gedacht ist und auch niemanden angreifen möchte: Meines Wissens nach (!) - ich bin kein Literaturwissenschaftler, kein Germanist - gehört das narrative oder auch summarische Erzählen, um das es hier meiner Meinung nach (!) in erster Linie geht und das du, hpr, als störend bzw. "Leser vergraulend" empfunden hast, genauso zur Literatur wie das szenische Erzählen bzw. war früher das narrative Erzählen viel häufiger vertreten als das szenische. In „Bonjour Tristesse“ setzt Sagan dieses Stilmittel zum Beispiel von Anfang an viel stärker ein, als das szenische Erzählen. Ich spar mir jetzt die Aufzählung der vielen, vielen anderen Klassiker und möchte lieber „Alle, alle lieben dich“ von Stewart O’Nan anführen, der in diesem aktuellen Buch nur sehr wenig szenisch erzählt. In diesem Roman erzeugt das narrative Erzählen meiner Meinung nach (!) eine nüchterne, lähmende Atmosphäre, die für mich sehr gut zu der Situation passt, in der sich die Familie befindet.

 

Wie gesagt, das narrative/summarische Erzählen gehört für mich genauso zum Schreiben wie das szenische Erzählen. Und gerade, wenn es sich wie bei Carla Rot um lediglich 2 Seiten handeln, die sich meiner Meinung nach (!) gut und flüssig lesen und die nachfolgende szenische Rückblende mit Spannung und Dramatik aufladen, empfinde ich das narrative Erzählen als genauso legitimes Stilmittel wie das szenische Erzählen. Es ginge sicher auch dein Vorschlag, hpr, aber über besser und schlechter, richtig und falsch lässt sich da meiner Meinung nach (!) nicht diskutieren, da es zu sehr vom Geschmack des jeweiligen Lesers/Autors bzw. von den Lesegewohnheiten/Schreibgewohnheiten abhängt. In den meisten Büchern - ich geb's zu, die gehen eher in die literarische Ecke - die ich lese, begegnet mir das narrative Erzählen sehr häufig.

 

Außerdem gehöre ich zu den Lesern/Autoren, die narrative "Einsprengsel" innerhalb einer Szene oft - nicht immer - als Leserinfo empfinden und damit aus dem Fluss der Szene geworfen werden - denn meiner Meinung nach (!) würde Simone in diesem Moment des Schweigens ein "Wieder nichts" denken, aber keine langen Details ihres Scheiterns/ihrer Erfolglosigkeit/ihrer Existenzsorgen, die sie in und auswendig kennt. Streut der Autor diese aber zu dem Szenenzeitpunkt ein, den du vorschlägst, leidet für mich (!) neben dem Aspekt der Leserinfo vor allem die Figurenauthentizität. Denn warum sollte Simone diese Details in diesem angespannten Moment, diesem "Alles oder Nichts"-Moment so ausführlich denken? Sie sind ihr hinlänglich bekannt. Meiner Meinung nach (!) würde sie sich eher auf etwas konzentrieren, mit dem sie die Situation noch retten könnte. Für mich (!) gehört die narrative Passage vor die szenische Rückblende, um diese mit Dramatik und Spannung aufzuladen und dann nicht deren Fluss zu stören. Aber bitte: Ich sage nicht, dass meine Meinung die richtige oder bessere ist. Es ist nur (m)eine Meinung.

 

Narratives/summarisches Erzählen ist für mich nicht per se Leserinfo oder Erklärung, sondern nur an Stellen, an denen ich das Gefühl habe, es wird etwas Wichtiges "nachgereicht", damit die Szene ihre volle Dramatik entfalten kann.

 

Wenn Leser nach 2 Seiten narrativem Erzählen bereits ein Buch genervt zur Seite legen, können sich meiner Meinung nach (!) eine ganze Reihe bekannter und erfolgreicher Autoren die Kugel geben. Damit möchte ich in keinster Weise die Leser, noch dich, hpr, angreifen, jeder hat das Recht etwas nicht zu mögen. Ich frage mich nur, ob diese Entwicklung etwas mit der generellen „Verschnellerung“ bzw. „Verszenisierung“ der Medien zu tun hat, dass so ein altgedientes Stilmittel wie das narrative/summarische Erzählen nicht mehr beliebt ist.

 

Nachdenkliche Grüße

Lisa

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ich habe schon allein deswegen eine geteilte Meinung' date=' weil ich absolut und überhaupt nichts gegen narrative Rückblenden haben, in denen aus dem Leben der (Haupt-)figur erzählt wird. Egal ob am Anfang oder mitten drin. [/quote']

 

Hier meldet sich die andere Leserfraktion. :D

 

Mir ist der Held am Anfang fremd, klar. Fakten aus seinem früheren Leben interessieren mich so wenig wie die eines Fremden, der an mir vorübergeht. Zwar weiß ich, dass sich das im Laufe des Buches ändern wird, wahrscheinlich sogar recht schnell, aber ich möchte keine Vorarbeit leisten, indem ich mir erst Daten aneignen muss, die zum späteren Lesevergnügen wichtig sind.

 

Ja, der Held soll sich gefälligst um mein Interesse bemühen. Er soll es tun, ohne dass es mir auffällt. Er soll sich ein Gesicht aneignen, ohne dass ich dafür Wissen in mich reinschaufeln muss. Wenn er das hat, wenn er eine Identität gewonnen hat, will ich auch automatisch wissen, was früher mit ihm los war (aber bitte nicht en bloc und bitte nicht noch die Story von Opa und Großtante obendrauf, es sei denn, die haut einen aus den Schuhen).

 

Wie erreicht man diesen Punkt, ohne auf Erklärungen zurückgreifen zu müssen? Mit Handlung? Gleich der gefährliche Kampf zu Anfang? Auch nicht so einfach, warum sollte ich um diesen Fremden bangen? Ich glaube auch, ein guter Weg ist ein wohldosiertes Einstreuen von Dingen, die rätselhaft sind. Und vor allem eine schnelle Charakterzeichnung aus Reden und Verhaltensweisen. Sozusagen die Form des Gefäßes, ohne dass es sofort gefüllt werden müsste.

 

Sabine

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Ich frage mich nur' date=' ob diese Entwicklung etwas mit der generellen „Verschnellerung“ bzw. „Verszenisierung“ der Medien zu tun hat, dass so ein altgedientes Stilmittel wie das narrative/summarische Erzählen nicht mehr beliebt ist.[/quote']

Hallo Lisa,

 

du hast recht, wenn du vermutest, dass es viel von der Erwartungshaltung des Lesers abhängt. In welcher Stimmung bin ich, was erwarte ich von dem Buch, von diesem Autor.

 

Als Jugendlicher habe ich gar nichts erwartet, außer, dass es eine tolle Geschichte werden würde. Ich hatte viel Zeit und habe mich einfach fallen lassen.

Diese Geduld - und diese Zeit - habe ich heute nicht mehr. Ich lege Bücher 20 Seiten vor dem Schluss weg, wenn ich gerade keine Zeit haben, und wenn sie mich nicht gefesselt sondern bloß beschäftigt haben, fasse ich sie nie wieder an und werde nie erfahren, wie sie enden. Inzwischen lege ich Bücher auch nach 20 gelesenen Seiten weg, wenn mir der Schreibstil nicht gefällt oder ich noch immer keinen Schimmer habe, um was es eigentlich gehen soll.

 

Ja, ich zumindest bin verwöhnt: Ich habe wenig Zeit, meine Lesezeit ist hochkostbar, und wenn mich die ersten Seiten nicht überzeugen, dann werde ich das Buch nicht weiterlesen. Es gibt endlos viele andere Bücher, die ich stattdessen (an)lesen werde.

Es sei denn natürlich, ich vertraue dem Autor auf besondere Weise, oder demjenigen, der mir das Buch empfohlen hat.

 

Nun sind meine knappe Zeit und mein äußerst ungnädiger Lesefilter sehr subjektiv und lassen sich nicht spezifisch, vermutlich nicht einmal generell auf andere Leser übertragen.

 

Ich kann mir aber vorstellen, dass diese prinzipielle Erwartung, auf kurzem Raum feststellen zu wollen, ob einen auch die restlichen 350 Seiten interessieren werden, durchaus auch andere Leser haben. Selbst, wenn sie mehr Zeit hätten, sich auf ein Buch einzulassen, und "das Wagnis" (Risiko Zeitverschwendung) einzugehen, dann sind sie es dennoch durch heutige Filme, Serien, Bücher nicht anders gewöhnt (sogar in der Popmusik gibt es das als Anforderung), das heißt, man erwartet es. In bestimmten Genres sicher mehr als in anderen, in der höheren Literatur vermutlich am wenigstens.

 

Heute werden sich Jugendliche sicherlich nicht mehr so leicht auf ein Buch einlassen, das sich ewig Zeit lässt, bis es mal irgendwie interessant wird, bis klar wird, um was es geht und bis der erste Vampir auftaucht. Einfach, weil Geschichten heute schneller klar machen, was zu erwarten ist. Der Film mit seiner notorischen Zeitknappheit hat dieses Prinzip in der Dramaturgie ja perfektioniert. Inzwischen ist dies auch bei Büchern angekommen. Der Jugendliche denkt sich: Wenn mir üblicherweise die ersten 20 Seiten verraten, um was es geht, was sollte ich also von einem Buch halten, dessen erste 20 Seiten mir nicht gefallen? Hoffen, dass es besser wird? Ich kann meinen Sohn auch nur begrenzte Male mit dem Hinweis "Lies weiter, das wird noch richtig gut" davon überzeugen, ein von mir damals geliebtes Jugendbuch nicht einfach gelangweilt beiseite zu legen, wenn es sich immer wieder verliert.

 

Dieses "altgediente Stilmittel" mag also im heutigen Mainstream hauptsächlich das sein: alt und gedient. Eher ein Effektmittel vielleicht, nachdem die Standarderzählweise sich verändert hat.

 

Als Autor muss man wissen, wie man "seine" Leser am besten erreichen kann oder am ehesten verschrecken würde. Was erwarten die Leser, die ich erreichen möchte? Wieviel lassen sie mir durchgehen?

 

Und wenn es einfach nicht passen will, dann muss man entweder sein Schreiben anpassen oder sich eine andere Leserschaft suchen (alternativ gibt's natürlich auch Augen zu und durch, hoffen, dass sich das Ungewohnte dennoch durchsetzen kann, bevor einem der Verlag aus Selbstschutz womöglich den Hahn abdreht).

 

Gruß,

 

Andreas

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Hallo Andreas,

ich kann nachvollziehen, was du schreibst. Ich möchte nur kurz festhalten: Für mich ist narratives/summarisches Erzählen nicht per se langweilig. Es ist ein Stilmittel, das überdosiert werden kann, genauso wie das szenische Erzählen bei einer Überdosis für mich als Leser nicht mehr funktioniert.

 

Liebe Grüße

Lisa

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Szenisch oder narrativ ist meines Erachtens nach gar nicht so der Punkt. Beides kann spannend sein! Das kommt ja ganz auf den Stil des Autors an, den Ton der Erzählung, ob es was Kurioses ist, oder einfach nur Alltags-blabla.

Was auch wieder bei beidem passieren kann!

 

Ich glaube, die besten Bücher sind die minimalistischen. Wirkung durch das, was NICHT gesagt wird. Das geht viel tiefer, berührt viel mehr, als wenn der Autor akribisch alles erzählt, was es nur zu erzählen gibt über eine Figur.

Wichtige Infos können während der Handlung eingeworfen werden, oder sich dem Leser von allein erschließen, sie sollten nicht an den Anfang gestellt werden.

 

Meine persönliche Meinung, weil ich bei solchen "Einleitungen" immer einschlafe. Die LEBEN nicht, die lassen mich völlig kalt. Da wird mir das Leben oder Leiden von jemandem erzählt, den ich noch gar nicht kenne!

Uninteressant. Wer kann da mitleiden? Bei Leid kommt dann sogar noch dazu, dass man diese Einleitung als "Gejammere" empfindet. Der Held tut sich selbst leid. Er ist auf der Suche nach etwas, ach was sucht er schon so lange! Er ist schon ganz verzweifelt .... Wer kann solche BEHAUPTUNGEN gleich am Anfang eines Romans nachempfinden?

Außerdem möchte ich dieses Leiden doch lieber zwischen den Zeilen spüren, als es vorgejammert zu bekommen.

So ein Buch lege ich nach Seite 3 schon zur Seite. Das Problem ist dann, dass ich es nie wieder aufnehmen werde, weil da nichts ist, was mir zuruft: Da liegt ein Buch auf deinem Nachttisch! Du willst wissen, wie es weitergeht, lass den Fernseher aus und lies!

 

Um wissen zu wollen wie es weitergeht, muss ich einer Figur erstmal nähergekommen sein. Und das erreicht man selten durch narrative Rückblicke. Das erreicht man durch "mitleben" mit der Figur.

(Wie gesagt, Ausnahmen bestätigen die Regel: Wenn der Rückblick interessant formuliert ist, die Sprache des Autors mich mitnimmt, sozusagen egal, was er mir erzählt, ich höre ihm gern zu)

 

LG

Martina

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Hallo Lisa,

 

ja, das ist unbedingt richtig (ausschließlich szenisches Erzählen gibt's ja häufig im Thriller und kann reichlich nervtötend werden)!

 

Nur gehört gerade vor einem Aktions-gewohnten Publikum (ich schreibe bewusst nicht "action"), einiges an handwerklicher Finesse dazu, eine rein erzählerische Passage ebenso fesselnd zu halten. Zumal am Anfang. Wahrscheinlicher ist, dass man an einem "Ja, ja, blabla, wann geht's endlich los" abprallt.

 

Irgendeine Form von Träger-Emotion muss ja her. Empathie ist zu einem so frühen Zeitpunkt im Roman vermutlich nicht so leicht erreichbar. Es gelänge vielleicht mittels einer Spannung, dass also etwas angedeutet wird, ("retrospektives Foreshadowing", sozusagen), oder durch eine besondere Sprache mit dem Unterton des Grauens, wie im Tonfall von Shelley, Poe oder Lovecraft. Vermutlich gibt's noch mehr Möglichkeiten.

 

Was auch immer man tut, es muss den Leser packen, insbesondere dann, wenn wir von einem Leser ausgehen, der zu diesem Zeitpunkt lieber eine Handlung erleben möchte, also keinen Leser, der sich fallenlässt und sich in alles einfühlt, was auch immer da kommt.

 

Andreas

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Hallo allerseits,

 

da der Aufhänger für die Diskussion mein Krimi ist, finde ich es etwas schwierig mitzudiskutieren, weil es sofort so klingen würde, als hätte der Krimi eine Entschuldigung nötig. Hat er meiner Meinung nach aber nicht. Auch nicht in dem einen Punkt, den hpr in seiner Rezension angesprochen hat. Ich stehe zu dieser Passage. Was darin narrativ erzählt wird, ist nicht irgendwie das gesamte Vorleben der Hauptperson, sondern der eine Punkt in ihrem Vorleben, der die erste Szene (eigentlich die zweite, die in die erste reingeblendet wird) motiviert. Diesen Punkt szenisch zu verpacken, wäre meiner Ansicht nach nicht nur unnötig umständlich geworden, sondern hätte auch (sorry) affig gewirkt.

 

Ich meine: Der Autor braucht Mut. Er muss den Mut haben, einige Fragen offen zu lassen, auch wenn die Testleser sie stellen, zu recht stellen.

 

Klar doch. Manchmal braucht der Autor aber auch den Mut, sich dafür zu entscheiden, "Show don't tell" mal ausnahmsweise nicht als göttliches Gebot zu betrachten, sondern die dramaturgisch und erzählerisch bessere Lösung zu wählen. Auch wenn einige Leser dann sagen: "Bäh, schon wieder narrativ". Andere sagen ja vielleicht später "Bäh, schon wieder erlebte Rede". Oder "Bäh, schon wieder Perspektivwechsel".

 

So, entschuldigt bitte den etwas emotionalen Tonfall. Ich musste meinem "Kind" einfach noch mal beistehen, eh es am Ende noch als langweilig und mutlos dasteht. Das Thema an sich finde ich aber auch spannend.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hallo Barbara,

 

nur um das klarzustellen: Ich jedenfalls möchte mich gar nicht konkret über deinen Roman äußern, den ich ja auch nicht kenne. Dafür war meines Erachtens auch der andere Thread gedacht. Hier hingegen ging es - aus meiner Sicht - nur um die ganz prinzipielle Überlegung, ob Leser eine Erwartungshaltung haben, die narrativen Passagen am Anfang eines Romanes entgegenlaufen. Woher das kommen mag, und ob und wie man als Autor sich darauf einstellen sollte oder könnte.

 

Du musst also gar nichts verteidigen ;)

 

Lieben Gruß,

 

Andreas

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Da bin ich aber froh, dass wir hier nicht über ein bestimmtes Buch sprechen, ich bin schon erschrocken!

Denn meine Meinung dazu ist natürlich auch ganz allgemein gemeint.

 

LG

Martina

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Irgendeine Form von Träger-Emotion muss ja her. Empathie ist zu einem so frühen Zeitpunkt im Roman vermutlich nicht so leicht erreichbar. Es gelänge vielleicht mittels einer Spannung, dass also etwas angedeutet wird, ("retrospektives Foreshadowing", sozusagen), oder durch eine besondere Sprache mit dem Unterton des Grauens, wie im Tonfall von Shelley, Poe oder Lovecraft. Vermutlich gibt's noch mehr Möglichkeiten.

 

Eine weitere Möglichkeit wird meiner Meinung nach oft vernachlässigt, gehört aber für mich untrennbar zum Medium Buch... Es gibt eine Vielzahl von erfolgreichen Romanen, die ihre Leser auf den ersten Seiten rein narrativ "einfangen": Durch die Schönheit ihrer Sprache.

 

Und damit will ich um Gottes Willen keine E versus U Diskussion vom Zaun brechen. Ich sage nicht, dass eine schöne Sprache ausreicht, um ein schönes Buch zu schreiben.

 

Liebe Grüße

Lisa

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Der Anfang: Muss vor allem anderen (und zwar weit vor allem anderen) packen. Egal, wie er das anstellt.

 

Was muss der Leser wissen? Das, was er wissen muss, um die erste Szene zu verstehen. Inklusive, was sie bedeutet.

 

Angenommen, die erste Szene schildert, wie ein Mann vor einem Café eine Frau anspricht, fragt, ob er sie auf einen Cappuccino einladen darf, und sie sagt nein.

 

Gähn... :s14

 

Aber wenn man vorher erfährt, dass der Mann (man muss nicht mal wissen, warum) beschlossen hat, das Schicksal auf die Probe zu stellen, dahingehend, dass er jetzt noch eine Frau ansprechen wird, und wenn die ihm einen Korb gibt, dann wirft er sich vor den Zug.

 

Dann die Szene. Dieselbe.

 

Und schon ist's spannend.

 

Gegen narrative Einstiege habe ich absolut nichts (wie Leser meiner Bücher wissen), im Gegentum: Einige der genialsten Romananfänge, die ich kenne, sind erzählend. Grishams "Firma" beispielsweise - da wird erzählt, bewertet, angedeutet, geheimnisgetan... aber man legt das Ding nicht mehr weg.

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Lieber Andreas,

 

nur um das klarzustellen: Ich jedenfalls möchte mich gar nicht konkret über deinen Roman äußern' date=' den ich ja auch nicht kenne.[/quote']

Das weiß ich doch ... :)

Oje, jetzt habe ich hoffentlich nicht die Diskussion abgewürgt. Es ist nur so, dass hpr's Anfangsbeispiel aus meinem Krimi stammt und es mir einfach verdammt schwer fällt, jetzt nicht genau zu erklären, warum sein Änderungsvorschlag meiner Ansicht nach überhaupt nicht funktioniert hätte ...

 

Noch mal (hoffentlich) etwas sachlicher: Die Frage, wie viele Infos der Autor dem Leser anfangs liefern muss und darf, ist immer besonders schwer zu entscheiden. Und eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich mich bewusst so entschieden habe, wie ich es für optimal hielt. Und nach wie vor halte.

 

Ansonsten werde ich hier im Thread den Krimi nicht mehr erwähnen, versprochen. ;)

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hallo,

ich glaube, dass neben persönlichen Vorlieben die Leseerfahrung des Lesers eine Rolle spielt. Das "Diktat" der szenischen Darstellung ist ja letztendlich einem Publikum geschuldet, das "nicht mehr lesen" kann, sondern nur noch "Filmsequenzen" verarbeiten mag. Ergo versuchen Autoren dem filmgewohnten Publikum einen Film auf Papier vorzuspielen.

Gute Erzähler können den Leser auch in narrativen Passagen versinken lassen. Der Autor soll ja nicht nüchtern berichten, sondern in den notwendigen narrativem Passagen dem Leser ein Bild malen, in das er sich hineinbegeben kann.

 

Eine generelle Ausssage kann man da sicher nicht machen. Ich mag Bücher, die mir ein Bild malen(narrativ), in das ich mich hineinbegeben kann. Ich mag Bücher nicht, die mir auf Teufel komm raus auf Papier einen Film vorspielen wollen, weil's modern ist.

Gegen narrative Anfänge habe ich wenig, gegen szenische auch wenig, wenn das Ganze stimmig ist. Allerdings mag ich keine Szenen, die das Verhalten eines Protagonisten widersinnig erscheinen lassen und die den Leser hinhalten in der Hoffnung, dass der das Buch nicht in die Ecke wirft, weil er unbedingt irgendwann irgendwo erfahren will, warum Protagonist x sich so bekloppt verhält.

 

Gruß

Werner

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Hallo,

 

da hab ich ja was losgetreten. Nein, mir ging es nicht um narrativ ./. szenisch, das narrativ seinen Platz hat, spannend sein kann, habe ich schon damals im Thread von PeterD gesagt, als es genau um Narrativ/szenisch ging. Da kenn ich genug Beispiele, wo Bücher mich damit gefesselt haben, für mich ist der Bastard von Istanbul immer noch ein Musterbeispiel dafür.

 

Zwar wird oft Show don't tell mit Erzähl szenisch, nicht narrativ übersetzt, aber das halte ich für einen Irrtum.

 

Mir ging es um was anderes. Darum, was du am Anfang erklärst, welche Szenen oder Erzählungen du einbaust.

 

Und im Beispiel (das eine starke Vereinfachung ist, es geht hier nicht um ein konkretes Buch, das haben wir in dem anderen Thread diskutiert). Hier ging es um folgende Folge am Anfang:

 

1 Heldin sitzt im Cafe

2 sie erinnert sich, warum sie so dringend einen Job brauchte

3 sie erinnert sich an Szene, bei der sie ausgerechnet den Dialog des CHefs verrissen hat, erst eisiges Schweigen, dann hat sie aber doch die Stelle bekommen.

 

Da steht der Punkt 2 drin, weil er benötigt wurde, um die Szene 3 in aller existenteller Bedeutung klar zu machen. 2 und 3 sind unterschiedliche Rückblenden, 2 ist narrativ, 3 ist szenisch.

 

Aber:

Punkt 2 ist eigentlich nur drin, weil es für Punkt 3 nötig ist. Wer erinnert sich im Cafe, das er einen Job nötig hat, welchen Beruf die Mama hat, etc.? Eher an die Szene 3, weil dort es erst schief zu gehen drohte, dann aber doch klappte.

 

1+3 wäre für mich die also die normale Konsequenz.

 

Doch, du erinnerst dich, wenn du gerade merkst, dass du mal wieder zu vorlaut warst und jetzt ist dieser Job auch weg, daran, dass du dringend einen Job brauchst. Du erinnerst dich natürlich nicht jeder Einzelheit, aber die Einzelheiten von Punkt 2 wären meiner Meinung nach sowieso nicht nötig. Man könnte Punkt 2 mit zwei Sätzen in Szene 3 einbauen (und das narrativ erzählen, hier wäre in der Szene noch mal eine szenische Unterszene zu machen, keine gute Idee).

 

Natürlich könnte man auch ganz anders erzählen. Es gibt immer zwei Möglichkeiten wusste schon Jakubowski in "Jakubowski und der Oberst" und es gibt ganz sicher nicht nur eine Möglichkeit, etwas zu erzählen

 

Man könnte auch die Rückblenden ganz weglassen. Mit Punkt 2 beginnen, aber keine Rückblende, sondern einfach eine narrative Erzählung, "Ich brauchte dringendst einen Job ..:", vielleicht mit kurzen Einsprengseln, was der eine oder andere sagte, der sie abgelehnt hatte (Nein, wir wollen jemand älteren. Nein, eigentlich passt ihre Stimme nicht).

 

Und dann Punkt 3 und das sie im Cafe sitzt, käme später.

 

Ein bißchen was will ich aber doch noch sagen. Ja, manche Autoren kommen auch damit durch, weil die Leser weiterlesen, auch wenn die ersten Seiten nicht so besonders sind. Autoren, die einen Namen haben in aller Regel.

 

Ansonsten können wir es blöd finden, dass Leser nach der ersten oder der ersten zwei Seiten entscheiden, ob sie das Buch interessiert. Aber so ist das nun mal. Niemand hat die Zeit, in allen Bücher lange zu lesen, die schon auf den ersten beiden Seiten nicht interessieren. Meist (aber nicht immer) sind solche Werke auch auf den folgenden Seiten nicht spannender. Aber es gibt natürlich Ausnahmen.

 

Daran können wir leider gar nichts ändern und wer mir nicht glaubt, kann ja mal Leute in der Buchhandlung beobachten und fragen.

 

Das ist für mich der Grund, warum es auf den ersten Seiten wichtiger ist, den Leser zu fesseln, als ihm alles zu erklären. Wobei fesseln nicht Action bedeutet, fesseln kann man durch vielerlei. Unter anderem auch durch Sprache (aber das klappt allein auch nur für ein paar Seiten).

 

Und alles, das nach einer Aufzählung der Lebensgeschichte aussieht, ohne selbst spannend zu sein, ist ein gutes Mittel, Leser dazu zu bringen, das Buch wieder hinzulegen. Aufzählungen, Erklärungen können am Anfang meiner Meinung nach tödlich sein - narratives Erzählen aber kann funktionieren.

 

Hans Peter

 

PS: Natürlich ist da viel persönlicher Geschmack. WIr werden hier nicht alle einer Meinung sein, das brauch auch keiner extra zu betonen. Mich interessiert das Thema,

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Noch ein Nachtrag.

 

Ich kriege ja viele ersten vier Seiten zum Bearbeiten. Und zwei Dinge wiederholen sich bei vielen.

 

Erstens ganz schnell in Rückblenden springen.

 

Zweitens die Vorgeschichte aufzählen (narrativ, aber das ist nicht das Problem).

 

Meist will der Autor dadurch erreichen, dass der Leser orientiert ist. Was er erreicht, ist aber was anderes: Dass ich froh bin, dass ich nur die ersten vier Seiten lesen muss.

 

In Texten ist nicht nur wichtig, was drin steht, sondern auch das, was *nicht* drin steht. Wer alles erzählt, hat meist sehr schnell die LEser verloren.

 

Und am Anfang weiß der Leser vieles nicht. Er muss es auch nicht. Ihn muss der Anfang interessieren, aber er muss nicht wissen, wann der Held entwöhnt wurde, dass seine Schultüte bei der Einschulung nur halb gefüllt war und ...

 

Ich kenne viele Bücher, gerade erfolgreiche Bücher, die dem Leser gerade erleben lassen, was der Held gerade erlebt. Oder denkt. Ob narrativ oder szenisch, ist egal.

 

OT on: Narrativ ist allerdings viel gefährlicher. Weil viele Autoren zwar gut szenisch erzählen können, aber nicht narrativ. Weil viele beim narrativen Erzählen schnell ins Aufzählen verfallen. Für narrative Erzählweise tödlich.

OT off.

 

Meist zeigt sich, dass beides (RÜckblende in Tateinheit mit Aufzählung) unnötig ist. Das Problem lässt sich oft lösen, in dem einfach in das Leben des Helden gesprungen wird. An einer Stelle, an der es den Leser packt.

 

Rückblenden in Tateinheit mit Aufzählung der Vorgeschichte ist eine MOde, kein Zweifel. Leider ist es keine schöne Mode.

 

Hans Peter

 

PS: Alles erklären muss man in der Steuererklärung. Und die ist nicht spannend. Außer in den Fällen, wo Dinge nicht drinstehen, versteht sich ;-).

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Einige der genialsten Romananfänge' date=' die ich kenne, sind erzählend. Grishams "Firma" beispielsweise - da wird erzählt, bewertet, angedeutet, geheimnisgetan... aber man legt das Ding nicht mehr weg.[/quote']

 

Die genialste Eingangsszene, die ich je gelesen hab, fängt so an: "Am Samstagmorgen erwachte ich blind und halbseitig gelähmt. Ich bin schon oft blind gewesen und auch schon oft halbseitig gelähmt, aber in letzter Zeit bin ich öfter beides gleichzeitig, und das fängt allmählich an, mir Sorgen zu machen."

 

;D

 

Sabine

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Ich mag bloß ein Beispiel in diese Diskussion werfen, eine Leseempfehlung zum Thema.

 

Arnon Grünberg macht in "Tirza" beides: Er wirft den Leser in eine Situation (in der er auch bleibt), greift aber schrittweise in seine Erinnerungskiste. Auf absolut gekonnte Weise.

Ein sehr spannendes Buch, wie ich finde, eines, von dem man vielleicht etwas lernen kann und eines, das man daher lesen sollte, wenn man sich zu diesem Thema Gedanken macht.

 

Sonst nichts.

 

Gruß Eva

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Mich interessiert das Thema' date='  [/quote']

 

Mich auch und momentan sehr sogar. Danke, Hans-Peter und weiter denken, bitte!

 

Danke auch dir, Eva, für den Literaturtipp, ich habe gerade meinen Buchhändler angerufen.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Ich kriege ja viele ersten vier Seiten zum Bearbeiten. Und zwei Dinge wiederholen sich bei vielen.

 

Erstens ganz schnell in Rückblenden springen.

 

Zweitens die Vorgeschichte aufzählen (narrativ, aber das ist nicht das Problem).

Also, das erklärt mir jedenfalls, wieso du an einer Stelle aufstöhnst, die bisher noch keinen Leser gestört hat.

 

Nix für ungut, ab jetzt lass ich euch über fiktive Texte diskutieren.

 

Barbara

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Es reicht' date=' wenn die Szene nachvollziehbar ist, Es ist sogar gut, wenn sie einige Fragen aufwirft. Aber die muss man nicht vorab beantworten.[/quote']

 

Genau das habe ich kürzlich erlebt: Ich habe meiner Schreibgruppe zwei Romananfänge vorgelegt, mit derselben Person am Anfang. Der erste war mehr beschreibend, hat Bilder und die Stimmung der betreffenden Zeit vermittelt, enthielt auch eine kleine Rückblende, welche die Einstellung der Person beleuchtete.

Der zweite sprang mitten ins Geschehen, war viel dichter, viel näher an der Person dran. Sie meinten einstimmig, der zweite Anfang gefiele ihnen besser, weil er mehr "reinziehe". Der erste beantworte schon Fragen, die auch später beantwortet werden könnten, der zweite werfe Fragen auf, die neugierig machten.

 

Ja, wir sind sehr verschiedene Leser (und Schreiber), auch von Anfängen. Wenn ich gleich zu Anfang eine riesige Rückblende bekomme, das Leben des Protas

betreffend, lege ich das Buch entweder weg oder überlese sie, um an einer späteren Stelle wieder einzusteigen. Selbst bei den spannendsten, narrativ oder szenisch erzählten Büchern, können mich diese Lebens-erklärenden Rückblenden rauswerfen, auch immer wieder während des Textes. Am angenehmsten finde ich es, wenn sich das Leben der Figuren aus dem Roman selbst erklärt.

 

Herzlichst

Christa

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Hallo zusammen,

 

einen guten Anfang würde ich auch nicht an narrativ oder szenisch festmachen. Ich würde es auch nicht an den Informationen festmachen, also ob nun über viele Informationen kommen oder wenig. Es gibt nur einige generelle Fehler bzw. Fehleinschätzungen, die immer wieder auftauchen:

a.) Aktionszenen nehmen zwar Leser mit, haben nur den Nachteil, dass hier Erklärungen das Tempo aufheben und somit die Aktionszenen selbsterklärend sein müssen und die Figur einführen.

b.) Der Leser muss erst eine Beziehung zu den Figuren aufbauen. Somit hat der Tod einer Figur hier verdammt wenig Bedeutung, es sei denn, der Autor verdeutlicht, welche Bedeutung dieser Tod hat.

c.) Mit einer Rückblende zu starten ist schwierig, weil das deutlich Tempo rausnimmt- deshalb ist es besser erst die Figur kennen zu lernen, damit man aus dem Interesse in die Vergangenheit mitgeht. Wenn man aber so starten möchte, dann keine großen Erklärungen (die noch mehr Tempo rausnehmen), sondern eine Szene, wo die Figur durch Außen- und/ oder Innensicht sich selber vorstellt, dann erst nach und nach Erklärungen

d.) narrative Anfänge ohne Bezug auf die Figuren sind schwierig, die legendären Erklärungen bie Fantasy über Welt und Situation, weil der Leser meist die Figuren und die Situation selber kennen lernen möchte. Zudem sollte die Welt erst nach und nach aufgedeckt werden.

e.) Das erste Kapitel soll Fragen aufwerfen. Wer sofort alle Fragen beantwortet, beantwortet damit die Frage nicht, warum man weiterlesen sollte. Zudem sollte man Fragen eben nicht alle narrativ beantworten, sondern variieren, mal narrativ, mal szenisch

f.) Gerade an Anfängen wird oft viel erklärt, gerne dann mit erklärenden Relativsätzen, weil der Leser ja angeblich alle Infos braucht. Nur so wird das häufig sehr anstrengend.

g.) Eher weniger Figuren einführen, als zu viele Gleichzeitig. Wer gut genug ist, kann mehrere Figuren einführen, es kann nur dann sehr unübersichtlich werden.

h.) Ein langsamer Anfang ist dann in Ordnung, wenn Fragen entstehen und Dinge unbeantwortet blieben: Wenn also z.B. ein zentraler Konflikt der Figur angedeutet und nicht angesprochen wird oder eine Kulisse/ Hintergrund eingeführt wird, die letztlich bedrohlich werden wird. Gut ist, wenn dabei das eine passiert, aber noch ein weiteres Thema im Raum steht. Bsp.: Ein Arzt behandelt erfolgreich einen Jungen, während er gleichzeitig immer wieder an eine Erkrankung denken muss, die er nicht heilen kann. Überblende. Ein erster Junge zeigt Symptome dieser Krankheit...

i.) Traumsequenzen am Anfang sind schwierig, weil eben die Figuren und Situation noch nicht klar sind. Wenn dann noch am Ende steht: War nur ein Traum, bei sehr bedrohlichen Traumszenen, dann ist das bescheiden...

 

Ansonsten gilt die Regel: Wenn ich es schaffe, dass der Leser einen zentralen Konflikt meiner Figur/ Figuren am Anfang entdeckt und von den Figuren und dem Konflikt mitgerissen wird, kann ich eigentlich alles andere falsch machen.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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Zwar wird oft Show don't tell mit Erzähl szenisch, nicht narrativ übersetzt, aber das halte ich für einen Irrtum.

 

Ja, das halte ich auch für einen Irrtum - denn meiner Meinung nach kann man in narrativen Passagen genauso zeigen, wie man in szenischen Passagen behaupten kann. Und umgekehrt.

 

Ein aktuelles Beispiel für einen narrativen Einstieg, der den Lesern erstmal "erklärt" bzw. zeigt, wie es damals in Irland war, ist der (erfolgreiche) Krimi "Grabesgrün" von Tana French. In ihrem rein narrativen Prolog (3,5 Seiten) besticht sie vor allem durch ihre schöne Sprache, die Bilder die sie (narrativ) malt und die bedrohliche Atmosphäre, die unterschwellig mitschwingt. Hier die Leseprobe:

(Link ungültig)

 

Ansonsten können wir es blöd finden' date=' dass Leser nach der ersten oder der ersten zwei Seiten entscheiden, ob sie das Buch interessiert. Aber so ist das nun mal. Niemand hat die Zeit, in allen Bücher lange zu lesen, die schon auf den ersten beiden Seiten nicht interessieren. Meist (aber nicht immer) sind solche Werke auch auf den folgenden Seiten nicht spannender. Aber es gibt natürlich Ausnahmen.[/quote']

 

Nein, ich finde es nicht blöd. Ich kann mit diesem "Totschlagargument" nur nicht so viel anfangen - denn Leserinteresse kann man doch so oder so oder so wecken. Das ist doch das Schöne, dass die Leser unterschiedlich reagieren. Es gibt neben dem Aktionspotenzial eines Anfangs, das einen Leser durch Spannung packt, auch noch andere Potenziale, die einen Leser packen können. Nicht jeder Leser springt auf Spannung an. Es gibt genug Leser, die auf eine besondere Sprache anspringen. Auf eine Frage die aufgeworfen wird. Auf eine originelle Figur. Auf einen humorvollen Satz. Usw. Oder?

 

"Es war Krieg, und ich wurde verwundet. Als ich zurückkehrte, war ich wie abgeschnitten von allem, sprach tagelang nicht und kritzelte auf Wände, denn ich hatte getötet, bevor ich ein Mädchen geküsst hatte."

"I did it my way" von Yoram Kaniuk

 

Diese zwei Sätze, mit denen der Roman beginnt, hätte man auch in Aktionsszenen packen können - aber ich denke, dass hier gerade die narrative Nüchternheit mit der der Ich-Erzähler sein Leben zusammenfasst und sich "erklärt", den Leser so trifft und zum Weiterlesen animiert. Zumindest mich hat es getroffen :-)

 

Mit "Erklärungen, Aufzählungen am Anfang eines Romans oder besser nicht" geht es mir wie mit allem anderen auch: Es kann im Kontext des jeweiligen Textes/der jeweiligen Geschichte perfekt passen. Oder nicht. Mit vorgefertigten Schablonen lässt sich das meiner Meinung nach aber nicht ausmessen  ;) - dafür ist der jeweilige Roman ja immer eine in sich geschlossene Komposition.

 

Spannendes Thema - ich muss mich trotzdem aus Zeitgründen leider ausklinken.

 

Liebe Grüße

Lisa

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