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Andrea S.

Gefühle wecken

Empfohlene Beiträge

Ihr Lieben,

 

ich will mal wieder ein Problem zur Diskussion stellen, für das man schreibtechnische Ansätze zusammentragen könnte.

 

Empathie nennt man es, Einfühlungsvermögen, im Roman das Mitfühlen, besser noch das Mitfiebern mit dem Protagonisten.

 

Nein, es ist nicht dass es das einzige Kriterium ist, das eine erfolgreiche Geschichte ausmacht, dazu gehört weit mehr. Aber ich beobachte an mir selbst, dass mich ein Buch immer dann mehr in den Bann zieht, wenn ich eine gewisse Affinität zu Held oder Heldin entwickle.

Und dass mich Werke, bei denen mich die Hauptfiguren seltsam unberührt lassen – entweder weil sie zu wenig menscheln oder zu intensiv – nicht so sehr begeistern, selbst wenn das Thema ein faszinierendes ist.

 

Wie also, mit welchen handwerklichen, stilistischen Mitteln, erreicht man, dass Leser sich mit einer Figur verbinden? Welche sprachlichen oder gestalterischen Möglichkeiten haben wir, um aus einem Pappkameraden einen Freund fürs Leben zu machen?

 

Neugierig

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Und dass mich Werke' date=' bei denen mich die Hauptfiguren seltsam unberührt lassen – entweder weil sie zu wenig menscheln oder zu intensiv – [/quote']

 

Nur ein Aspekt, dazugeworfen:

 

Von dem "oder zu intensiv" fuehle ich mich angesprochen:

Ich bemerke an mir, dass ich mich vom Buch zurueckziehe, wenn ich das Gefuehl habe, ein Autor druecke bei mir emotionale Knoepfe. Wenn also mit leicht durchschaubaren Mitteln gearbeitet wird, um bei mir heftige Gefuehle auszuloesen.

 

Ich moechte, dass mir ein Autor seine Figuren unterschiebt, dass ich gar nicht weiss, wieso mag ich nun den Fredi so gern, wieso tut mir der Hans so leid, wieso hab ich so fuerchterliche Angst um die Frieda.

Vor allem: Ich moechte keine eindeutig geloesten Gefuehle, sondern ambivalente, dynamische. Nicht: Der Fred ist der, in den ich mich verlieben soll, der Hans ist der, den ich doof finden soll, und die Frieda ist die, die ich auch gern sein wollen soll.

Lieber: Mal gehen sie mir alle auf den Sender, mal versteh' ich sie nicht, mal fuerchte ich mit ihnen und mal moecht' ich lange Arme haben, um sie zu mir zu ziehen.

 

Wie ein Autor das macht?

 

Das frag ich mich schon mein ganzes Leben.

 

Oft denk' ich (ueberspitzt ausgedrueckt): Vielleicht ist ein Rezept dafuer schon der erste Schritt zum Auf-Knoepfe-druecken.

Mein Agent sagt sinngemaess: Dazu gehoeren Lebenserfahrung, Neugier und die Demut, sich auf Menschen einzulassen.

Ich kann damit sehr viel anfangen.

 

Alles Liebe von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Auf die Antworten bin ich auch gespannt.

Für mich gehört immer dazu: Es darf ihm auch mal etwas gelingen, und er muss leiden, er muss als einziger etwas verstehen (weil er so klug oder erfahren ist), und er muss sich auch mal saublöd anstellen.

Je weiter der Charakter sich von der Mitte weg bewegt, desto schwieriger wird es, sich mit ihm zu identifizieren. Das mag an meiner eigenen Mittelmäßigkeit liegen.

Und trotzdem sollte er einen gewissen Grundtyp verkörpern, denn sonst wird er beliebig. Aber das zeichnet auch uns Menschen im realen Leben aus. Ein paar Grundüberzeugungen, die man sich nicht ausreden und nicht wegrecherchieren lässt.

 

Liebe Grüße

Wolfhard

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Grundvoraussetzung ist ... Menschen beobachten.

Immer wieder beobachten und diese Beobachtungen aufskizzieren.

Plötzlich merkt man, dass Allerweltshandlungen gar nicht so einfach in Worte zu fassen sind. Eine einfache Geste richtig beschreiben, eine Stimmung im Gesichtsausdruck, das setzt exaktes Beobachten voraus.

Das ist hochspannend einen Menschen drei Tische weiter zu beobachten.

Nach einem ersten Drüberwegsehen kommen die Nuancen ...

und haargenau das muss niedergeschrieben werden.

Irgend Jemand hat mir das mal mit dem Satz erklärt:

"Die Sprache angemessen einsetzen".

 

liebe Grüsse

Fabrizius

Fabrizius&&Alle sagten das geht nicht, dann kam einer, der wusste das nicht und hats gemacht
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Hallo,

 

Mein Agent sagt sinngemaess: Dazu gehoeren Lebenserfahrung, Neugier und die Demut, sich auf Menschen einzulassen.

Ich kann damit sehr viel anfangen.

 

 

Ich finde diesen Satz auch sehr wichtig und würde noch einen Schritt weiter gehen: Ich muss mich auf meine Figuren einlassen.

Meiner Ansicht nach ist dieser Punkt einer der schwierigsten Aspekte beim Schreiben.

Mir passiert es manchmal, dass ich Passagen lese, in denen die Figuren Dinge erleiden, zu Boden sinken und in der nächsten Szene unbeschädigt wieder auferstehen. Das ist nun auch überspitzt formuliert, aber ich sag's mal so:

Eine Szene, in der die Figur einem Mörder entkommt, kann oberflächlicher sein als eine Szene, in der die Figur eine Rose in einen Fluss wirft. Wichtig ist, inwieweit ich als Autor die Gefühle der Figur nachempfinden kann, wie tief ich in ihr drin stecke, mich auf sie einlasse. Denn nur dann gelingt es mir doch auch, sie dem Leser verständlich zu machen.

 

Als handwerkliche Tricks verwende ich zudem Folgendes:

Ich gebe der Figur einen Mangel (ein Schmerz/ein Trauma). Diesen Mangel verdrängt sie und versucht, Strategien zu entwickeln, um damit klar zu kommen, ohne sich ihm stellen zu müssen.

Ich als Autor aber führe sie auf die Situation hin, in der ein Ausweichen nicht mehr möglich ist.

Beispiel: Inge Löhnig hat in 'Der Sünde Sold' (ich lese das gerade, deshalb nehme ich dieses Beispiel) eine Frau, die Mann und Kind bei einem Brand verloren hat. Diese Frau versucht diesen 'Mangel' zu kompensieren mit einem neuen Haus, mit exzessivem Sport usw. Ich als Leser aber spüre genau: Das schafft sie so nicht, immer wieder kommen Situationen, in denen sie die Erinnerung nicht mehr verdrängen kann. Sie kann sich selbst nur erlösen, wenn sie sich dem Schmerz stellt, was sie nicht tut, was wiederum menschlich und dem Leser deshalb wohlbekannt ist.

Unter anderem daraus entsteht dann Emphatie. Ich kann das Schreckliche, was diese Frau erlebt hat, nachfühlen, weil ich ihren Schmerz spüre in der Tatsache, dass sie ihm ausweicht.

Würde mir die Figur hingegen erzählen: 'Ich habe Mann und Kind verloren und leide sehr darunter, auch wenn ich versuche, meinen Alltag zu meistern' - würde ich als Leser mit den Schultern zucken.

 

Das sind meine Gedanken dazu.

 

Gruß Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Es muss in die Tiefe, ins Innenleben der Figur gehen. Jedenfalls merke ich als Leserin das dabei; berührt es mich, ist die Figur sehr umfassend gestaltet, ihre Ängste, Träume, Hoffnungen schimmern durch (ohne zu deutlich zu werden, damit raum für meine eigene Interpretation bleibt).

 

Aber so richtig ein Rezept hab ich leider auch nicht. Ich merke zwar beim Schreiben, ob mir eine Figur sehr nahe ist oder mich eher kalt lässt, aber wie sie dann auf Leser wirkt, kann ich selbst ja nicht beurteilen (allenfalls an Testleserstimmen, wobei das ja wenn überhaupt nur wenige sind).

 

Liebe Grüße

Maren

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Grundvoraussetzung ist ... Menschen beobachten.

Immer wieder beobachten und diese Beobachtungen aufskizzieren.

Plötzlich merkt man, dass Allerweltshandlungen gar nicht so einfach in Worte zu fassen sind. Eine einfache Geste richtig beschreiben, eine Stimmung im Gesichtsausdruck, das setzt exaktes Beobachten voraus.

Das ist hochspannend einen Menschen drei Tische weiter zu beobachten.

Nach einem ersten Drüberwegsehen kommen die Nuancen ...

und haargenau das muss niedergeschrieben werden.

Irgend Jemand hat mir das mal mit dem Satz erklärt:

"Die Sprache angemessen einsetzen".

 

liebe Grüsse

Fabrizius

 

Wenn ich das haargenau aufschreibe, lasse ich doch dem Leser keinen Raum für den eigenen Film im Kopf, oder?

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Ich glaube, die Kunst liegt darin, die Figur gut zu kennen. Für mich sage ich immer, die Figur muss genügend Tiefe besitzen, damit man über ihren "Mangel" einen Psychotherapieantrag für die Krankenkasse verfassen kann ;D. Allerdings hüte ich mich davor, dann alles, was ich über die Figur weiß, in sie "reinzupressen", sondern ruhig dem Leser Raum für Spekulationen zu lassen. Die Figur muss folgerichtig aus ihrer Entwicklung heraus handeln, die Entwicklung wird aber erst nach und nach für den Leser erkennbar und muss Spielräume bieten, Rätsel offen lassen, deren Lösung dem Autor zwar bekannt sein sollte, die er aber nur spärlich dem Leser präsentiert und damit auch den Raum lässt, dass der Leser sich identifizieren kann, weil er vielleicht ähnliche Ecken und Kanten hat oder aber Leute kennt, die das haben.

 

Gruß, Melanie

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Nein, haargenau beschreiben kann kein Mittel sein, Empathie zu wecken - auf mich wirkt das eher gegenteilig.

 

Richtig ist sicher, eine Ähnlichkeit zu finden, etwas, das der Leser kennt, in dem er sich wiederfindet, das Vorgehen, mit dem man - wie Charlie es leider etwas negativ formuliert - Knöpfe drückt.

 

Mir geht es um genau diese Knöpfe, und wie man sie so zärtlich bedient, dass der Leser nicht merkt, was der Autor damit damit erreichen will.

 

Und das ist es, was man mit der Sprache gestalten kann.

Gesten, Stimmungen, Andeutungen so einzusetzen, dass eben nicht das Bild der tränenfeuchten Wange beschrieben wird, sondern beim Leser entsteht.

 

Wie bringt Ihr die tränenfeuchte Wange sprachlich an den Leser?

 

fragt sich Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Ich find es furchtbar schwer in Worte zu fassen ohne solche Ausdrücke wie "Knöpfe" zu benutzen.

 

Der Kloß im Hals der Prot, ihr Entsetzen, etwas, was der Leser nachfühlen kann - und nicht platt die Tränenflut.

Es ist dieses angedeutete Quentchen Innenleben (zumindest bei mir), dass die Verbindung schafft und meine Gefühle weckt.

 

Funktionier auch nicht immer, vielleicht nur dann, wenn ich etwas wirklich selbst erlebt (oder ähnliches) und entsprechend nachvollziehen kann.

 

Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum manche Bücher bei manchen Leser funktionieren und bei anderen eben nicht.

 

Ich fand zum Beispiel "PS, I love you" grottig, aber Tausende, Millionen andere hat es zu Tränen gerührt.

 

 

LG

 

Ulli

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Wie bringt Ihr die tränenfeuchte Wange sprachlich an den Leser?

 

Ich nehme nicht an, dass du jetzt Beispielsätze haben willst.

Aus meiner Sicht ist Zorn und Freude einfacher zu beschreiben, als so ein schwacher Moment im Leben einer Figur. Hier die richtige Balance zu finden, ohne schmalzig zu wirken, halte ich für Kunst.

Irgendwer schrieb es schon: Wesentlich ist, wie die Figur insgesamt charakterisiert ist. Außerdem muss ich von dem Grund überzeugt werden, der die Tragik verursacht hat. Derselbe Satz in einer oberflächlichen Schnulze kann bei mir völlig andere Gefühle auslösen, als in einer sprachlich gut komponierten Geschichte mit Tiefgang.

 

Es ist letztlich nicht dieser eine Satz, sondern der Kontext, indem er geschrieben steht, ob er mich anrührt oder abstößt.

(Zugegeben, Tränen, die silbern glänzend eine Wange hinunter perlen, reizen mich eher zum Lachen. :-X)

 

LG Gertraude

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Ich fand zum Beispiel "PS, I love you" grottig, aber Tausende, Millionen andere hat es zu Tränen gerührt.

 

Da bin ich ja froh, dachte schon ich sei die einzige, die mit dem Buch nichts anfangen konnte (und keinerlei Tränen vergoß, im Gegensatz zu einer Freundin, die so von dem Buch schwärmte und es mir so ans Herz legte).

 

Aber wenn es beim Autor selbst wirkt, er also beim Schreiben mitfühlt, dann ist das schon mal eine Grundlage dafür, dass es später auch der Leser könnte.

 

Liebe Grüße

Maren

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Wie bringt Ihr die tränenfeuchte Wange sprachlich an den Leser?

 

fragt sich Anna

 

So:

 

'Sie wischte mit dem Ärmel über ihr Gesicht, einmal, zweimal, und starrte auf den dunklen Fleck, den ihre Tränen im Stoff hinterlassen hatten.'

 

oder:

 

'Esmeralda nahm das Seidentüchlein und tupfte vorsichtig ihre Augenwinkel.

"Dein Make-up ist sowieso zerstört", brummte Hugo. "Du solltest nicht gleich wie ein Schlosshund heulen, beherrsche dich."

Sie beschloss, ihm bei nächster Gelegenheit besagtes Tier auf die Pelle zu hetzen, und tupfte weiter.'

 

;D

 

..mit anderen Worten: indirekt.

 

Gruß Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Unter anderem daraus entsteht dann Emphatie. Ich kann das Schreckliche, was diese Frau erlebt hat, nachfühlen, weil ich ihren Schmerz spüre in der Tatsache, dass sie ihm ausweicht.

Würde mir die Figur hingegen erzählen: 'Ich habe Mann und Kind verloren und leide sehr darunter, auch wenn ich versuche, meinen Alltag zu meistern' - würde ich als Leser mit den Schultern zucken.

 

 

Ich finde dieses Beispiel hervorragend! (Und lese gerade denselben sehr empfehlenswerten Roman.)

Genau das meine ich eben mit: Keine Knoepfe druecken.

Es gibt ja so bestimmte Signale, auf die ein so grosser Teil der Menschen nicht anders kann als reagieren. Deshalb stoert es mich, wenn ein Autor sich dieser Signale bedient. Ich moechte nicht, dass ein Autor mich zum Weinen bringt, in dem er ein kleines blondes Lumpenmaedchen mit Welpen im Arm auf seine Buehne stellt. Ich weine darueber nicht. Ich fuehle mich "auf den Knopf gedrueckt".

 

Das, was Susann schreibt, ist fuer mich das Gegenteil davon, und damit erstrebenswert (und Anna sagt ja im Grunde nichts anderes): Indem der Mangel, der Schmerz der Agnes in "Der Suende Sold" mir nicht vorgeknallt wird, indem ich nachgraben, genau hinsehen, deuten muss, erlebe ich den Schmerz mit.

 

Nur nebenbei: Ich persoenlich finde, es ist bei Glueck noch viel schwerer als bei Schmerz.

 

Alles Liebe von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Nur nebenbei: Ich persoenlich finde, es ist bei Glueck noch viel schwerer als bei Schmerz.

 

Alles Liebe von Charlie

 

Geht mir auch so. Da ist schon so viel ausgelutscht. Außerdem glaube ich, dass Glück ein jeder anders empfindet. Schmerz scheint da eher eine kollektive Erfahrung sein.

 

LG

 

Ulli

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@Charlie: Das kleine Mädchen mit dem Welpen auf dem Arm ist ein Bild, das sehr schnell Gefühle auslöst, Du magst es ablehenen, aber Kindchenschema zieht immer.

Ich denke, man darf sehr wohl derartige Bilder benutzen, um Gefühle zu wecken. Es kommt ja ein bisschen darauf an, wie man das Mädel mit dem kleinen Kläffer sprachlich in Szene setzt.

 

Bekannte Bilder bekannter Gefühle zu verwenden ist legitim - mir geht es in dieser Angelegenheit umd das handwerkliche Ausgestalten, nicht über Sinn oder Unsinn von klischeehaften Darstellungen.

 

Und okay, okay, die tränenfeuchte Wange war Euch zu einfach.

 

Die indirekte Darstellung oder auch die lakonische des Leids berührt sicher eher als die silbrig glänzende Träenspur auf lilienweißen Wangen.

 

Machen wir es schwieriger: die stille Heiterkeit, das erlösende Lachen, die heimliche Belustigung, das "Was solls, ich mach weiter" ...

Wie sieht es damit aus?

 

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Machen wir es schwieriger: die stille Heiterkeit, das erlösende Lachen, die heimliche Belustigung, das "Was solls, ich mach weiter" ...

Wie sieht es damit aus?

 

Anna

 

Hi Anna,

 

wie gesagt, meiner Ansicht nach kommt es auf die Enge der Verbindung zwischen Autor und Figur an, auf das 'In-den-Kopf-der-Figur-gehen'.

Der zweite Trick, den ich verwende, ist das Indirekte, der doppelte Boden. Ich erzähle nicht alles aus, damit der Leser sich das Bild selbst ergänzen kann. Der Leser vermutet dabei sozusagen mehr von der Figur als die Figur selbst von sich weiß.

 

Beispiel:

"Sieh an, die Frau Nachbarin." Er hielt sich mit einer Hand am Fensterbrett und zog mit der anderen die Vorhänge auseinander, einen kleinen Spalt nur, um hinunter auf die Straße zu spähen. "Wie sie wieder mit dem Hintern wackelt, neee ne." Er kicherte. "Gleich bleibt sie mit den Absätzen im Gulli hängen und ... ja? ... Doch nicht." Er beugte sich noch ein klein wenig weiter vor. "Dieser grüne Rock und die Federboa in Pink, ne. Hat sie bestimmt vom Flohmarkt. Wenn das meine Frau wäre, der würde ich erzählen, wie man herumläuft und wie nicht."

"Karl-Heinz! Kommst du jetzt endlich und deck gefälligst den Tisch!"

Er schrak zusammen. "Ja, Schatz."

Muss die immer so schreien, dachte er, als er sich mühsam von der Fensterbank löste und seine alten Knochen in Richtung Esszimmer bewegte.

 

 

Von mir als Autor hier beabsichtigt: Zum einen der Widerspruch zwischen seinen Gedanken und seinem realen Verhalten gegenüber seiner Frau. Zum zweiten seine etwas kritische Beobachtung der jungen Frau, die daher rühren kann, dass er als alter Mann sich nicht eingestehen will, dass sie ihm gefällt.

 

Beides habe ich versucht, anzudeuten auf dem indirekten Weg, so dass der Leser es sich ergänzen kann. Ob das immer so gelingt ist halt eine andere Sache, aber wenn es gelingt, wird der Charakter tief und nachvollziehbar. Wenn der Autor hingegen an der Oberfläche bleibt und schreibt: 'Karl-Heinz, der alte Schwede, schaute mal wieder hübschen Hintern nach und wollte sich nicht eingestehen, dass er zu wenig Mumm hatte, um sich gegen seine Frau zu wehren.' dann ist das eine Behauptung, die ich glauben kann oder nicht. So etwas will ich als Leser in der Handlung erleben (wenn es für die Geschichte relevant ist natürlich nur), dann kann ich auch mitfühlen.

 

Gruß Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Hallo Anna,

 

für mich stimmt absolut, dass eine Figur neben Äußerlichkeiten vor allem Charakter, Tiefe, haben muss, um zu berühren. Einen Mangel (Schmerz) indirekt darzustellen über die gesetzte Handlung ist sicher eine Möglichkeit, Gefühle beim Leser auszulösen, ihn mitleiden zu lassen. Mitfreuen wird genauso funktionieren.

 

Für mich erscheint das Wichtigste einer wirklich guten Geschichte , dass die Protagonisten über sich und die Welt nachdenken. Diese Gedanken sollen gar nicht alle im Roman beschrieben werden, aber dass sie im Hintergrund vorhanden sind, macht  viel - wenn nicht alles - aus. Bevor ich mich also hinsetze, und drauf losschreibe, sollte ich mich sehr intensiv mit meiner wichtigsten Figur auseinander gesetzt haben. Dadurch wird sie erst lebendig.

 

Beschreiben der Äußerlichkeiten ist eine Sache, Darstellung der Seele, eine andere.

 

Dazu bedarf es sicher viel Lebenserfahrung und sehr viel Übung. Schreiben zu können, dass es die Leser innerlich berührt, ist wohl unser aller Ziel.

 

mlG

Christine

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Interessante Diskussion. Ich würde an dieser Stelle gerne noch einen anderen Text als Beispiel nennen, einen Text, den viele von uns auszugsweise kennen gelernt haben: Vom Atmen unter Wasser, Textausschnitt: Die Trauer der Mutter.

 

Die Autorin verzichtet konsequent auf ein Beschreiben der Gefühle, sie löst alles in Handlung auf. Sie zeigt, wie die Mutter sich in die viel zu engen Turnschuhe der toten Tochter zwängt und losläuft. Sie zeigt, wie sie die getragene Wäsche aufgewahrt und über den Geruch die Tochter sucht. Diese Handlungen werden explizit erzählt. Und in ebendieser Handlung erkennen wir die Empfindungen der Mutter, sie werden uns nicht übergestülpt, wir können sie selbst entdecken. Eine dermaßen verdeutlichte und detaillierte Beschreibung der Gefühle (sie fühlte sich zerrissen, ausgehöhlt etc.) würde vermutlich kein Mitgefühl, sondern Unbehagen auslösen.

 

Die Autorin verzichtet auf Werturteile. Sie zeigt schlicht und äußerst ergreifend, wie die Figur agiert. DAS ist es meiner Meinung nach, was unsere Empathie für die Figur weckt, auch wenn wir sie noch gar nicht gut kennen.

 

Liebe Grüße

Bettina

" Winterschwestern" (AT)
Figuren- und Storypsychologie

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Der zweite Trick, den ich verwende, ist das Indirekte, der doppelte Boden. Ich erzähle nicht alles aus, damit der Leser sich das Bild selbst ergänzen kann.

Ich denke, das ist ganz wesentlich: Das was du erzählst und das, was du nicht erzählst, das der Leser sich aber zusammenreimen kann.

 

Er hatte Angst. oder: Ein Grauen kroch seinen Rücken hinauf.

 

Eindeutig, klar, und da steht nichts zwischen den Zeilen. Zusammenreimen musst du dir auch nichts. Dagegen:

 

"Von dem lass ich mich doch nicht einschüchtern", sagte er und warf einen sichernden BLick zurück.

 

Spannend ist vor allem auch das, was jeder kennt - aber normalerweise niemand sagen würde. So das erleichternde Gefühl: Endlich wagt mal jemand (der Autor nämlich), das anzusprechen.

 

Ganz sicher eine Methode: In die Figur hineinzukriechen. Ihr möglichst nahezukommen. Nahaufnahme. Wenn ich Manuskripte kriege, bei denen die Personen mich nicht interessieren, liegt das meist auch daran. Und wenn die Autoren das schaffen, ihren Personen nahezukommen, ändert sich auch der Bezug von mir als Leser zum Text.

 

Stilistisch? Ich weiß nicht, ob es stilistische Mittel dazu gibt. Vielleicht eher eine mehr assoziative Schreibweise, eben was jemand in entscheidenden Situationen durch den Kopf geht, was ja auch oft alles andere als logisch ist.

 

Hans Peter

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Vielleicht ein Beispiel:

 

Der Müller war berechnend - das ist die außenansicht einer Figur. Eine Behauptung des Autors.

 

"Ich bin berechnend", dachte der Müller - immer noch Außenansicht, auch wenn sie so tut, als wäre es Innenansicht.

 

"Ich bin ein guter Planer, keiner von den humanitätsduselnden Gutmenschen. Und letztendlich fahren alle damit besser." - Innenansicht. Dass der Typ berechnend ist, setzt sich der Leser aus der Geschichte zusammen.

 

Hans Peter

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Ja, Bettina, praechtiges Beispiel, genau das meine ich: Ich moecht' nicht, dass mir der Autor sagt, was die Figur fuehlt, und ich moecht' auch nicht, dass mir der Autor vorschreibt, was ich zu fuehlen hab (Beispiel: Blondes Maegdelein - wer da kein Mitleid hat, ist ein Unmenschlein usw.). Das meine ich mit Knoepfedruecken. Ich moechte, dass mir der Autor seine scharf beobachtete Figur zeigt. Und mich entscheiden laesst, was dazu in mir passiert.

So wie es Lisa mit Jo, Anne und Simon macht. Sie traut mir zu, mit ihnen allein zu sein, ohne Gebrauchsanweisung.

 

Alles Liebe von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Sie zeigt, wie sie die getragene Wäsche aufgewahrt und über den Geruch die Tochter sucht. Diese Handlungen werden explizit erzählt. Und in ebendieser Handlung erkennen wir die Empfindungen der Mutter, sie werden uns nicht übergestülpt, wir können sie selbst entdecken.

 

 

Das ist ein sehr gutes Beispiel. Ich erinnere mich auch daran, dass die Mutter mit den Händen über die Kleidung strich, die Faser spürte, fast den Körper, der sich in ihren Wunschgedanken noch darin befand.

 

Das sprach mich sehr an, griff an mein Herz.

 

Ich denke, die Sinne anzusprechen, ist eine gute Methode. Durch Riechen, Tasten usw. wecken wir doch auch in uns Assoziationen. Wir erinnern uns durch einen Geruch plötzlich an Ereignisse in der Kindheit, die uns bewusst gar nicht eingefallen wären.

 

mlG

Christine

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Die Autorin verzichtet konsequent auf ein Beschreiben der Gefühle, sie löst alles in Handlung auf. Sie zeigt, wie die Mutter sich in die viel zu engen Turnschuhe der toten Tochter zwängt und losläuft. Sie zeigt, wie sie die getragene Wäsche aufgewahrt und über den Geruch die Tochter sucht. Diese Handlungen werden explizit erzählt. Und in ebendieser Handlung erkennen wir die Empfindungen der Mutter, sie werden uns nicht übergestülpt, wir können sie selbst entdecken. Eine dermaßen verdeutlichte und detaillierte Beschreibung der Gefühle (sie fühlte sich zerrissen, ausgehöhlt etc.) würde vermutlich kein Mitgefühl, sondern Unbehagen auslösen.

 

Die Autorin verzichtet auf Werturteile. Sie zeigt schlicht und äußerst ergreifend, wie die Figur agiert. DAS ist es meiner Meinung nach, was unsere Empathie für die Figur weckt, auch wenn wir sie noch gar nicht gut kennen.

 

Hier ist der Fettnapf, in den ich jetzt springe - und mir erlaube, eine andere Meinung dazu zu haben - genau diese zu intensive szenische Beschreibung des Menschelns empfinde ich als Bevormundung, wenn ich es lese.

Ob Innensicht oder Aussensicht, allzu detaillierte Darstellungen führen bei mir dazu, dass ich mich von den Figuren distanziere.

Das hat für mich ganz eindeutig etwas von "Knöpfe drücken" an sich, weil man mich zwingt, genau die Gefühle zu der geschilderten Situation zu entwickeln, die der Autor bezwecken will. Nicht mein Mitgefühl mit dem Protagonisten.

 

Ich plädiere für die zuvor genannte Andeutung, die Auslassung, das Zwischen-den-Zeilen-Gesagte.

 

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo Anna,

 

ich sehe keinen Fettnapf und verstehe gut, was du meinst.

Das Geheimnis der richtigen Wahl liegt sicher irgendwo in der Mitte. Das Maß und der Zeitpunkt entscheiden über die richtige Methode. Zuviel Beschreibung, zuwenig Klarheit, zuviel zwischen den Zeilen: Wahre Künstler schaffen es wohl, dieses Maß richtig zu messen. Ich wünsche dir, dass du es schaffst, ich arbeite noch daran.

 

mlG

Christine

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