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Andrea S.

Wortschatz

Empfohlene Beiträge

Das mit dem isolierten Gewürz ist ein sehr gutes Bild, Hans-Peter, passend dafür, wie Leser gerade beim Lesen mitunter erst anfangen, ihren Wortschatz kennen und begreifen zu lernen. Ich sag mal zwei Beispiele:

 

Ich denke, ich war sieben Jahre alt damals, hatte alle meine Kinderbücher bereits mehrfach durch und ging an den Bücherschrank meines Vaters. "Die Flusspiraten des Mississippi" und "Die Verschwörung des Fiesko zu Genua" bildeten die ersten Beutestücke. Ich weiß noch gut, dass ich nicht genau wusste, was "Piraten" sind und es einfach so durchs Weiterlesen begriff. Wie auch viele andere Worte, die ich da zum ersten Mal mitbekam - eine Weile schwangen "Trapper", "Floß", "Stromschnelle" begriffslos durchs Hirn, kamen aber immer wieder und verknüpften sich mit anderen Worten, die mir schon bekannt waren, wurden nach und nach vertrauter und so habe ich einen Schritt hinein in die geschriebene Muttersprache getan. Das Drama von Schiller war ein anderer Fall. Was ist eine "Verschwörung"? Was ein "Fiesko"? Und was eine "Genua"? Ich habe das Reclamheftchen tapfer durchgelesen und maximal 10 % verstanden, was nicht genügt, um selbständig, nur durchs Lesen, voranzukommen.

 

Das zweite Beispiel sind meine Studenten, die im Prinzip das gleiche tun: Sie lesen zunehmend schwierige Texte in der Fremdsprache, keiner hat die Zeit, sämtliche Worte nachzuschlagen, ich erkläre auch nicht jedes einzelne, sondern nur die Schlüsselwörter, so sie noch unbekannt sind. Und auch da ereignet sich das Leseverstehen im Prinzip durchs Lesen selber. Es bedarf geradezu der ersten Fragezeichen, wenn sich ein bewusster Umgang mit der Sprache einstellen soll. Der später wieder verschwimmt und sich auflöst in der traumwandlerischen Sicherheit dessen, der viel genug gelesen hat - in seiner Sprache oder in einer neuen.

 

Weshalb sollte man sich also sträuben gegen Worte, nur weil sie noch nicht so sonnenklar sind wie die, die man seit ewigen Zeiten in seinem aktiven Wortschatz hat?

 

Angelika, inzwischen auch aufgeklärt über Verschwörungen bei Genuesen

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Danke, Angelika. So ging es mir auch. Vor allem mit Schillern - inzwischen verstehe ich ihn - fast.

 

Heute Morgen ein Fundstück zum Frühstück - die Wissenschaftsbeilage der FAZ. Man beschäftigt sich mit Sprache, hier mit Wortschatz (derartige Zufälle nennt man Synchronizitäten ;D):

Von Schriftstellern erfunde Wörter, heute Allgemeingut, sind beispielsweise

- Ballade (Goethe)

- Behäbig (Goethe)

- Beileid (J.H. Campe)

- Festland (J.h. Campe)

- Firmament (Luther)

- Frack (Goethe)

- Geistreich (Luther)

- Hörsaal (Godsched)

- Weltschmerz (Jean Paul)

 

Das sind nur einige wenige aus der langen Liste. Und ein Glossar haben weder unser Dichterfürscht noch unser Reformator an ihre Werke gehängt.

 

sonntäglich sonnigen Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Heute Morgen ein Fundstück zum Frühstück - die Wissenschaftsbeilage der FAZ. Man beschäftigt sich mit Sprache, hier mit Wortschatz (derartige Zufälle nennt man Synchronizitäten  ;D)

 

Oder FAZ-Mitarbeiter lesen bei Montségur mit ...  ;D

 

Das sind nur einige wenige aus der langen Liste. Und ein Glossar haben weder unser Dichterfürscht noch unser Reformator an ihre Werke gehängt.

 

Ja. Sprache ist nicht etwas Statisches, im ständigen Wandel. Manche Wortneuschöpfungen überleben dabei nur kurz, andere werden zum Gemeingut oder gar zum geflügelten Wort. Sprichwörter sind z. T. Zitate aus den Werken der Dichterfürschten.

So mag es auch für uns Wortschatzsucher noch gelten:

Früh übt sich, was ein Meister werden will. (*)  

 

Liebe Grüße

Imre

 

(*) Schiller

Gib, gib auch nach, aber gib nicht auf.&&www.imre-toeroek.de

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Dass die Sprache lebt und einem ständigen Wandel unterworfen ist, ist ja keine neue Erkenntnis. Bekannter Neologismus der neuesten Generation ist z.B. das Wort googeln.

 

Und dass der Wortschatz nicht angeboren ist, sondern erlernt werden muss, weiß auch jedes Kind. Dass u.a. das Lesen den Wortschatz erweitert (bzw. erweitern kann, je nach Art der Lektüre), ist unbestritten.

 

Ich glaube nicht, dass hier jemand für alles und jedes Glossare fordert (sonst müsste jedes Kleinkinderbuch eins haben). Nur dass sie generell unnütz/überflüssig sind, bezweifle ich. "Der" Leser hat eben unterschiedliche Bedürfnisse. Ich hätte gern ein Glossar, wo andere vielleicht lieber keins hätten.

Als Autor kann kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen: Goethe hat keines, wozu brauche ich dann eines.

Wenn ich in einem Roman das wievielte Wort entdecke, das ich nachschlagen muss (ohne vielleicht fündig zu werden), ist mir das zu zeitintensiv und ich lege das Buch weg. Andere finden es gut, ständig nachzuschlagen - das ist doch eine individuelle Angelegenheit.

Es spricht nichts dagegen, Wörter zu erfinden oder, z.B. in historischen Romanen, Begriffe aus der erzählten Zeit zu verwenden, auch wenn es für diese Begriffe Entsprechungen gibt, die im heutigen Wortschatz noch vorhanden sind.

 

Hui Buh verwendet großenteils Wörter, die es im heutigen Wortschatz zwar noch gibt, die aber immer weniger gebraucht werden. Den Wortschatz auf DIESE Art zu bereichern, finde ich sinnvoll. Anderes finde ich nicht sinnvoll. Dass etwas generell sinvoll oder nicht ist, kann man nicht sagen, finde ich.

Und ich habe in keinem der Beiträge bis jetzt gelesen, dass jemand generell ältere Wörter oder Neuschöpfungen ablehnt. Die Toleranzgrenzen sind individuell unterschiedlich, das ist alles.

 

Ein Beispiel für äußerst gelungene Anmerkungen ist für mich die Bartimäus-Trilogie. Man kann die Bücher lesen, ohne einen Blick auf diesen Reichtum an Anmerkungen zu verschwenden (dann entgeht einem aber wirklich etwas) und versteht die Bücher trotzdem.

Auch das wurde in anderen Beiträgen mehrfach gesagt: Es kommt immer auf das WIE an.

 

Dass Goethe das Wort Ballade "erfunden" hat, glaube ich nicht. Der Begriff hat seinen Ursprung im Italienischen, Französischen und Englischen ...

Das Wort "Firmament" ist eine schlichte Übersetzung aus dem Lateinischen, also auch nicht gerade eine "Erfindung" Luthers.

Die FAZ-Liste muss man, glaube ich, im Zusammenhang mit dem FAZ-Artikel "Überdacht und ausgebaut" lesen (in dem es darum geht, wie sich die Sprache bildet und sich Wörter aneignen; Artikel ist online nicht frei verfügbar), nicht als Liste von Wort-Erfindungen (im Sinne von "Foketten").

 

LG - Barbara

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Wie schön, dass noch jemand den Artikel gelesen und viel besser verstanden hat als ich dumme kleine Autorin.

 

Leider steht in der FAZ nicht drin, wer den Begriff "Besserwisser" je in die Welt gesetzt hat.

 

Mit sehr freundlichen Grüßen

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo Barbara, guter Beitrag!

 

Noch ein Wort zu Glossaren. Normalerweise habe ich auch keine Lust, Wörter dauernd hinten nachzuschlagen, aber eine sehr lobenswerte Ausnahme fällt mir ein. In Colleen McCulloughs mehrbändige Romanserie über die Bürgerkriege im alten Rom, verwendet sie ein über 100 seitiges Glossar, fast ein nach Stichwort geordnetes Traktat über das Leben in Rom. Z.B.: Wir alle wissen, was eine Toga ist, eine "toga candida" vielleicht aber nicht. Im Glossar finde man dann, wie eine Toga geschnitten war, wie sie getragen wurde, zu welchen Anlässen, die unterschiedlichen Arten und Farben und eben die toga candida, die weiße Toga dessen, der sich um ein Amt bewirbt. Wie sie gebleicht und mit Kreide geweißt wurde, wann man sie tragen durfte. Und so weiter, über viele Bereiche des römischen Lebens.

 

Ich fand das enorm bereichernd, allgemein und auch für das Verständnis des Romans im Sinne des Lebendigwerdens der römischen Welt. Ich meine damit nicht, man soll dauernd Glossare verwenden, aber in diesem Fall hat es mir sehr gefallen.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Und dass der Wortschatz nicht angeboren ist, sondern erlernt werden muss, weiß auch jedes Kind. Dass u.a. das Lesen den Wortschatz erweitert (bzw. erweitern kann, je nach Art der Lektüre), ist unbestritten.

 

Na ja, das war ja auch nicht der Streitpunkt, Barbara, sondern ob man angesichts der "Neologismen" gleich immer "Verschreckt uns bloß die Leser/Kunden nicht!", schreien soll.

 

Ich jedenfalls habe den Beitrag des werten Ulf (in München als netten Zeitgenossen mitgekriegt, daher also um Gottes Willen nur sachlich zu verstehen) so aufgefasst, dass einerseits eine Dame namens Poesie durchaus ihr ulkiges Recht genießen darf, mit Wortschöpfungen "nur um des Reimes willen" um sich zu schlagen, während die reelle Schreiberei (so nenn ichs mal vorsichtig) sich darauf beschränken soll, wohlbekannte Inhalte in ebenso wohlbekannte Vokabeln zu tüten, damit der Leser ohn' große Unrast sich der Lektüre erfreuen kann. Sobald er sich am Kopf kratzt, sei dann wohl Alarm angesagt.

 

Und dagegen wollte ich - ganz ohne am Blaustrumpf zu zupfen, aber auch ohne dem Marketing beim Bücherverkaufen das Wort reden zu wollen - nichts anderes gesagt haben als:

Wer liest, lernt immer dazu. Schmachtfetzen, Bibelworte, Sachwissen, poetologische Strukturen, das philosophische Ableiten vom Sein zum Nichts oder umgekehrt - egal. Was einmal (beim Lesen übers Auge) ins Gehirn kam, bleibt auch eine Weile wenigstens drin und macht dort ein paar Turnübungen mit.  W i e  dies geschieht und welche Purzelbäume geschossen werden, das weiß durchaus noch nicht jedes Kind - zumindest sind die Lernforscher übers Kindesalter schon hinaus und trotzdem immer noch am Diskutieren.

 

Ansonsten fand ich Annas Hinweis auf den FAZ Artikel für diese Diskussion ausgesprochen hilfreich: Was zweihundert, fünfzig oder drei Jahre danach als selbstverständlich gilt, war es halt nicht immer.  W e m  genau die Palme gebührt - Goethen oder dem Herrn Volks Mund - ist doch völlig wurscht.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Danke Angelika,

 

ja so hatte ich es gemeint. Es gilt auch nur für mich. Jeder mag es so halten, wie er möchte. Und natürlich verwende ich selbst auch fremdartige Begriffe. Gelegentlich Latein und mittelalterliches Okzitan. Aber so, dass man sie kaum missverstehen kann.

 

Was Sprachschöpfungen angeht, so bin ich durchaus dafür. Die deutsche Sprache gibt sich ja förmlich dafür her, indem man alles Mögliche zu neuen Kombinationen fügen kann. Manche haben ein großes Talent dafür, aber da die Komponenten bekannt sind, sind solche Schöpfungen für den Leser meist verständlich.

 

Liebe Grüße

 

Ulf

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Hallo,

 

natürlich ist es gut, wenn sich Fremdwörter oder Wortneuschöpfungen aus dem Kontext erschließen. Sollte das nicht geschehen, dann freue ich mich, wenn ich am Ende des Buches ein Glossar finde, denn wenn ich im Urlaub ein Buch lese, sitze ich nicht neben einer Bithacke, um im Internet zu suchen und bin unbefriedigt, wenn ich eine Textstelle nicht vollständig erfassen kann.

 

Mfg Steffen

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Einen Roman, bei dem ich mich staendig durch Glossar oder kleingedruckte Fussnoten kaempfen muesste, wuerde ich weglegen. Entweder man kann das Ganze fluessig lesen oder der Leser verliert die Lust.

 

Das gilt natuerlich nicht fuer ein, zwei unbekannte Worte auf weiter Flur. Aber wenn sich solche Worte im Text haeuften, kaeme bei mir schlechte Laune auf. So aehnlich, wie wenn meine Kinder mir Textmessages schicken. R U OK? WUBU2?   >:(

 

Mir strich meine Lektorin gerade das Wort 'impertinent' aus dem Manuskript, weil Otto-Normalleser (ihre Worte) das nicht verstehen koenne. Hmmm ... Jedenfalls steht nun stattdessen ein schoenes deutsches Wort im Text. Auf die Idee, ein Wort wie 'impertinent' hinten im Glossar zu erklaeren, kaeme ich nicht im Traum.

 

Liebe Gruesse,

 

Bettina

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