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StephanH

Begegnung mit dem Serienmörder

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Vorwort:

 

"Kaum etwas ist bewältigt, wenig erklärt und noch weniger wirklich verstanden von dem, was unter dem Begriff „Serienmord“ in den vergangenen 60 Jahren eine hässliche Blutspur in der deutschen Kriminalgeschichte hinterlassen hat – und auch künftig hinterlassen wird. Über die Täter weiß man einiges, über die Opfer hingegen so gut wie nichts. In Polizei- und Gerichtsakten ist alles Erdenkliche zu lesen – die Umstände der Verbrechen etwa, die Viten der Täter oder auch mehr als 100 Seiten starke Gutachten über sie. Verbrechen können allerdings nur dann zutreffend interpretiert und vollständig verstanden werden, wenn man beide Seiten kennt. Wenn man sich anschaut, wer es getan hat. Und wenn man sich anschaut, wem es angetan wurde.

 

Beim Opfer wird häufig nur nach der Todesursache gefragt und nach Spuren gesucht, die der Täter an dessen geschundenem Körper hinterlassen haben könnte. Die Rollen des lebenden und des toten Opfers sind identisch: Mittel zum Zweck. Hat das Opfer jedoch überlebt, darf es wenigstens seine Leidensgeschichte erzählen. Nur beginnt die Beschreibung des eigenen Elends meist erst mit den Minuten vor der Tat und endet schon mit dem Sich-Davonmachen des Täters. Der Rest der Geschichte, aus der vieles abgeleitet und gelernt werden könnte, wird erst gar nicht geschildert. Die Sichtbarmachung der Dimensionen von mörderischer Gewalt erfordert aber auch eine präzise und schonungslose Darstellung des individuellen Leids.

 

Amtsakten über Verbrechensopfer sind spärlich, auch die Polizeiliche Kriminalstatistik behandelt Opfer von Tötungsdelikten eher stiefmütterlich – lediglich Geschlecht und Alter werden erfasst. Und wenn die Tat passiert ist, wird in der Regel nur der Täter amtlich und psychologisch betreut, das Opfer bleibt sich noch zu oft allein überlassen. Auch von diesem „Drama im Drama“ werde ich berichten.

 

Das öffentliche Interesse an den Ursachen und Folgen des Opferwerdens sowie des Opferseins ist immer noch zu gering. Schlimmer noch: Wer Opfer eines Gewaltverbrechers geworden ist oder darunter leidet, dass Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Sohn oder Tochter zum Opfer wurde, stößt manchmal selbst bei den eigenen Angehörigen und Freunden auf Unverständnis oder gerät leicht ins soziale Abseits. Vor sich selbst und anderen stehen die Leidtragenden als Verlierer da, verzweifelt um Fassung und Verständnis ringend, denn nicht wenige unter uns mutmaßen: Wer Opfer eines Gewaltverbrechers wird, ist selber schuld. Punkt. Keine Diskussion. Offen ausgesprochene oder auch nur gedachte Schuldzuweisungen entbinden von der Verantwortung für sich selbst und andere: „Hätte sie doch besser aufgepasst!“, „Was lässt die sich auch mit diesem Typen ein!“, „Was macht die denn zu dieser Uhrzeit da, und dann auch noch allein!“ Dem Opfer werden kurzerhand negative Verhaltensweisen und Eigenschaften unterstellt, die man selbst natürlich nicht hat. Die meisten Menschen sind überdies gerne davon überzeugt, dass ihnen so etwas gar nicht passieren könne. Die Illusion der eigenen Unverwundbarkeit verstellt den Blick für die Verbrechenswirklichkeit.

 

Auch die Wissenschaft hat über Generationen hinweg den Täter in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt – Kriminologen, Kriminalisten, Psychiater, Psychologen und Soziologen durchleuchteten Elternhaus, Persönlichkeit oder soziale Strukturen nach Faktoren, die das Begehen eines Verbrechens ermöglicht, gefördert oder gar ausgelöst haben könnten. Das alles war richtig und wichtig. Nur hätte man dabei die Opfer nicht so sehr außer Acht lassen dürfen. Erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs werden ernstzunehmende viktimologische Studien durchgeführt. Auch das Opferentschädigungsgesetz kam spät – 1976.

Die bereits vorliegenden Erkenntnisse zur Viktimologie bei Mord und Totschlag, Vergewaltigung oder Raub können nicht unbesehen auf den Serienmord übertragen werden, weil die Täter sich von Serienmördern unterscheiden und das Täter-Opfer-Verhältnis ein anderes ist. Diese Feststellungen haben mich zu dem Entschluss gebracht, Serientötungen auch aus opferbezogener Sicht näher zu betrachten.

 

Bei der ersten Auswertung meiner Unterlagen von 155 Mordserien (= 674 Einzeltaten) passierte genau das, was ich nicht unbedingt erwartet hatte: Die Ergebnisse waren durchaus interessant, aber zu unspezifisch. Es mangelte an Klarheit und Verbindlichkeit. Also bildete ich sechs Opfertypen, die ich zugrunde legte, und begann von vorn. Um nicht der Gefahr einer Etikettierung oder Stigmatisierung zu unterliegen, wählte ich nur solche Merkmale aus, die keinen personenbezogenen und wertenden Charakter haben. Ausschlaggebend war die Beantwortung folgender Frage: Welches Opfermerkmal hat kausal dazu beigetragen, dass diese Person Opfer dieses Täters wurde? Und plötzlich öffneten sich Türen, die zuvor verschlossen geblieben oder gar nicht zu sehen gewesen waren. Eine Auswahl der Untersuchungsergebnisse findet sich im Anhang.

Obwohl die Opfer im Blickpunkt meiner Arbeit und dieses Buches stehen, ist mir schnell bewusst geworden, dass eine ganzheitliche Betrachtung des Gewaltphänomens „Serienmord“ vonnöten ist; denn nur der Täter kann beispielsweise sagen, nach welchen Kriterien er seine Opfer ausgesucht, warum er wie auf ein bestimmtes Opferverhalten reagiert oder weshalb er die Opfer getötet bzw. nicht getötet hat. Also habe ich mit Opfern und Tätern gesprochen – und dabei eine Menge gelernt. Auch dieses Wissen möchte ich mit diesem Buch weitergeben.

 

Mein besonderes Augenmerk richtete ich auf jene 107 Fälle, in denen die Täter ihr Opfer nicht töteten. Ich wollte herausfinden, ob es eventuell Verhaltensmuster gibt, die Täter davon abhalten können, ihr Vorhaben auszuführen, von dem sie noch kurz zuvor überzeugt gewesen waren, es unbedingt tun zu müssen. Ich beschäftigte mich auch mit der Frage, welche Formen der Kommunikation zwischen Opfer und Täter stattfinden und wie die Opfer diesen für ihre Zwecke nutzen können. Und es ging mir darum herauszufinden, welches Opferverhalten eine Nicht-Tötung zur Folge hatte. Auch hier stieß ich, insbesondere in den Gesprächen mit den Beteiligten, auf interessante und überraschende Erkenntnisse.

Wer einem Serienmörder in die Hände fällt und diese Begegnung überlebt, wird unvermittelt aus seinem Dasein und Sosein gerissen. Das Grauen, vermeintlich so weit weg, dringt ein in die Normalität und bemächtigt sich ihrer, vergewaltigt und unterjocht sie. Es dauert seine Zeit, bis die seelischen Wunden sich zu schließen beginnen, nur verheilen wollen sie nicht. Das Opfer bleibt beschädigt zurück. Auch von diesen leidvollen Erfahrungen haben mir Frauen und Männer erzählt, die Tätern und Tod sehr nahe gewesen sind.

 

Als ich dieses Buchprojekt zu konzipieren begann, nahm ich mir fest vor, den Opfern gerecht zu werden und (nahezu) ausschließlich über sie zu berichten und nur sie zu Wort kommen zu lassen. Mittlerweile denke ich anders darüber. Es gibt nämlich keine Opfer ohne Täter. Und es gibt auch keinen Täter ohne Opfer. Beide Verbrechensteilnehmer sind untrennbar miteinander verbunden, sie reagieren aufeinander und agieren miteinander. Niemand kann im Vorhinein sagen, wie der Tathergang sich entwickeln, welchen Ausgang die Tat nehmen wird – auch nicht bei einem Serienmörder. Und aus diesem Grund möchte ich mit dem vorliegenden Buch dafür werben, nicht nur Täter oder Opfer und deren jeweiliges Verhalten zu betrachten und zu bewerten, sondern insbesondere die verschlungenen Wechselbeziehungen zwischen Tätern und Opfern gelten zu lassen. Nur wer hier genau hinsieht, wird erkennen und verstehen, warum und wie Verbrechen begangen werden, wird imstande sein, zu schlussfolgern, ob und wie sie zu verhindern sein könnten und wenn ja, auf welche Weise man sich gegen diese Täter schützen kann. Und es ist mir auch ein Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass jeder von uns Opfer eines Serienmörders werden kann. Wer sich diesem Gedanken verschließt, oder wer überhaupt davon überzeugt ist, ihn umwehe und schütze der Mantel der Unangreifbarkeit, der ist dem Verbrechen näher als jeder andere."

 

Ab 15.8.2008 im Buchhandel.

Wehe dem, der schreibt ... 

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Herzlichen Glueckwunsch zur hochinteressanten Neuerscheinung, Stephan.

Ich bin sicher, Dein Buch wird von vielen Menschen gelesen werden. Ich moechte es jedenfalls sehr gerne haben.

 

Ich wuensche dem Buch viel Beachtung und Erfolg.

Herzliche Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Dem kann ich nur beipflichten, kommt auf die Prioritätenliste.

Liebe Grüße, Susanne

 

"Books! The best weapons in the world!" (The Doctor)

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Herzlichen Glückwunsch! Das hört sich nach einer Menge Arbeit an.

Das Buch kommt auch auf meine Liste. Ich bin schon ganz gespannt auf die Fälle der Überlebenden und die kommunikativen Elemente, die zum Überleben beitrugen.

 

Gruß, Melanie

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Hallo Stephan,

 

auch von mir herzliche Glückwünsche zum neuen, spannenden und vor allem sicher informativen Buch. Viel Erfolg und viele Leser wünscht

 

Inge

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Herzlichen Glückwunsch!

 

Die Vorstellung macht schon mal neugierig.

 

 

Liebe Grüße

 

Helene

Helene Luise Köppel:  Romanreihe "Töchter des Teufels" (6 Historische Romane über den Albigenserkreuzzug); sowie Romanreihe "Untiefen des Lebens"  (6 SÜDFRANKREICH-thriller), Neu in 2022: "Abkehr".

                                         

                                 

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Hallo Stephan,

 

herzlichen Glückwunsch zum neuesten Buch und viel Erfolg damit. Es steht schon auf meiner Bestellliste. :)

 

 

Viele Grüße,

 

Michelle

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