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Dagmar

Werden gründliche Recherchen anerkannt?

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Jetzt besser verstaendlich?

Das war schon klar. Ich war nur irritiert, weil Du dazu mein Beispiel verwendet hast, und zwar gerade den Teil, den ich als (für mich) stimmig bezeichnet hatte. Vielleicht war mein Beispiel nicht deutlich genug.

 

Ich meinte, ich fände es akzeptabel, dass ein (mutigeres) 17.-Jahrhundert-Mädchen den Hugo will und den Alfons nicht und zumindest versucht, den (netten) Papa dazu zu kriegen, dass ihr der Alfons erspart bleibt. Nicht so stimmig hingegen fände ich es, wenn sie das mit "Aber ich liebe den Hugo doch so" begründet, weil man mit dem Argument damals nicht punkten konnte.

Ich gehe davon aus, dass die Leute auch damals verliebt waren. Aber auch davon, dass dieses Gefühl nicht den guten Ruf wie heute hatte.

 

Liebe Grüße

Uschi

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Deshalb fesselt sie (meiner Ansicht nach) die Leser: Weil sie uns zugleich zeigt' date=' was sie mit uns gemeinsam hat UND was voellig anders ist.[/quote']Ich kenne jetzt Annas Almut nicht - aber das ist ein Satz, den ich vollkommen unterstreichen möchte ;)

 Das ist so ziemlich das Gefühl, dass ich bei den Romanen in fremden Kulturen & Zeiten hatte, die mir am besten gefielen. Und dasselbe Gefühl hatte ich auch oft im Studium beim Lesen antiker Quellen, also verbinde ich damit durchaus auch eine gewisse Authentizität.

 Aber, wie gesagt: Überbewerten will ich das auch nicht. Die Verwurzelung der Figuren im gesellschaftlichen Hintergrund ihrer Zeit ist eben nur ein "Rechercheaspekt", der mir persönlich wichtig ist. Andere Leser mögen mit dem "zeitreisenden Helden" glücklicher sein, der sie gleichsam als Stellvertreter in die Vergangenheit mitnimmt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es neben der Sprache und den äußeren Fakten auch noch diesen Punkt gibt, der recherchierbar ist und einen Roman authentischer wirken lassen kann.

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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Ich gehe davon aus' date=' dass die Leute auch damals verliebt waren. Aber auch davon, dass dieses Gefühl nicht den guten Ruf wie heute hatte.[/quote']

Verliebt haben sich Menschen zu allen Zeiten und die Liebe hatte auch keinen schlechten Ruf, im Gegenteil, sonst hätte die Beschäftigung mit dem Thema nicht zu solchen Blüten geführt wie in der Zeit der Toubadoure. Nur musste man die Liebe nicht unbedingt in der Ehe erfahren.

 

Familien haben miteinander konkurriert. Mit den einen lagen sie in Fehde, mit anderen waren sie verbündet. Eine Familie brauchte starke Söhne und hübsche Töchter. Die ersten, um für den Klan zu kämpfen, die Letzteren als Pfand und Schachfiguren auf dem Brett der Politik. Geliebt und gelitten wurde deshalb trotzdem, vielleicht noch mehr als heute, aufgrund der Enge der Burgen, auf denen so viele Menschen zusammengepfercht lebten.

 

Das ist wie bei Charlie und ihren Festen auf Hampton Court, nicht wahr? ;D

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Eigentlich ist die Liebe ein gutes Beispiel dafür, wie man Authentizität herstellen kann - gerade weil sie so ein allgemein bekanntes und von beinahe jedem durchlittenes Gefühl ist.

 

(Das Geheimnis, den Leser zu packen, liegt natürlich darin, ihn mit etwas Bekanntem in die Geschichte zu locken und ihn dann durch das Fremdartige fasziniert bei der Stange zu halten.)

 

Und sie hat immer einen hohen Stellenwert gehabt, sonst hätte der gepeinigte Ovid nicht seine Ars amatoria geschieben, wäre die Hohe Minne nicht zu einer solchen Blüte gekommen, kennten wir die schönsten und schaurigsten Ausblühungen der Romantik nicht und wäre uns die Prüderie des Biedermeiers fremd.

 

Beachtet man den Zeitgeist jedoch nicht, in dem geliebt und gelitten wurde, bekommt man die berüchtigten "Historicals", in denen heutige Figuren vor einer geschichtlich mehr oder minder farbenprächtigen Kulisse nach gegenwärtiger Manier handeln.

 

Nicht dass es dafür nicht auch einen Markt gäbe und man den auch befüllen darf.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Sehr schön gesagt, Anna.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Beachtet man den Zeitgeist jedoch nicht' date=' in dem geliebt und gelitten wurde, bekommt man die berüchtigten "Historicals", in denen heutige Figuren vor einer geschichtlich mehr oder minder farbenprächtigen Kulisse nach gegenwärtiger Manier handeln.[/quote']

Es ist wie in jedem Handwerk. Ein Möbelrestaurator behandelt jeden Stuhl so, als sei er sein Gesellenstück. Ein anderer versucht es mit geringerem Aufwand. Ein Kunde weiß die feine Arbeit zu schätzen, einem anderen reicht es, dass er auf dem Stuhl wieder sitzen kann.

Vor einigen Tagen habe ich von einem Fachmann die Einschätzung gehört, dass die Verlage gründliche Recherchearbeit immer weniger zu schätzen wissen. Das ist eine bedauerliche Entwicklung. Die m.E. aber nicht dazu führen wird, dass aus guten Handwerkern plötzlich schlechte werden. Aber möglicherweise dazu, dass die guten die Lust am Handwerk verlieren.

 

Liebe Grüße

Uschi

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Vor einigen Tagen habe ich von einem Fachmann die Einschätzung gehört, dass die Verlage gründliche Recherchearbeit immer weniger zu schätzen wissen. Das ist eine bedauerliche Entwicklung. Die m.E. aber nicht dazu führen wird, dass aus guten Handwerkern plötzlich schlechte werden.

Uschi, das meinte ich als ich in einem vorigen Post geschrieben habe, dass es reicht, wenn Lektoren und Leser glauben, dass es gut recherchiert sei. Wenn man das auch mit wenig Recherche hinkriegt reicht das aus.

Die Leserinnen von HRs wollen das Gefühl haben etwas über die Zeit und die Menschen zu lernen. Das ist ein vermittelter Mehrwert.

Im Zweifel werden sich deshalb Verlage dann doch wohl für die spannende den Erwartungen der Leser entsprechende Variante der Geschichte entscheiden und nicht für die gründlich recherchierte, die den Lesererwartungen vielleicht nicht entspricht.

Rabe

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Allerdings betrifft die Recherche nicht ausschließlich die historischen Romane. Mir fällt das ein, weil ich unlängst einen Roman las, in dem es um Fähigkeiten eines Computers ging, gespickt mit fachspezifischen Begriffen. Ein Freund aus eben dieser Branche, dem ich das Buch lieh, las es kopfschüttelnd. MIR konnten die Fehler nicht auffallen, aber seines Erachtens wimmelte dieser Handlungsstrang von Halbwissen.

 

LG

Dagmar

Das Beste beim Diktieren ist, dass man Worte verwenden kann, von denen man keine Ahnung hat, wie sie geschrieben werden.

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In der Medizin ist es noch viel schlimmer. Mein Lieblingsbeispiel, das ich dann immer zitiere: Dan Browns Sakrileg, in dem allen Ernstes behauptet wird, wer einen Magendurchschuss hat, stirbt nicht am Volumenmangelschock, sondern, weil der Herzbeutel von der Magensäure zerfressen wird ... Da fehlten mir echt die Worte. Aber das Buch wurde trotzdem ein Erfolg.

 

Gruß, Melanie

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Im Zweifel werden sich deshalb Verlage dann doch wohl für die spannende den Erwartungen der Leser entsprechende Variante der Geschichte entscheiden und nicht für die gründlich recherchierte' date=' die den Lesererwartungen vielleicht nicht entspricht.[/quote']

Tja, wenn ich Verlag wäre, täte ich das auch. Ist doch klar, dass man sich für die spannendere Geschichte entscheidet. Auch als Leser. Wenn ich etwas lesen will, das lediglich gut recherchiert ist, kaufe ich ein Sachbuch.

Aber hier geht es doch wohl um die Alternative gleich spannend erzählter Geschichten, von denen die eine sehr gut, die andere so lala recherchiert ist. Und da glaube ich nach wie vor, dass erstere mehr Leser erreichen kann.

 

LG

Uschi

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Genau so schlimm ist es, wenn Autoren in ihren Romanen Bildende Künstler oder Musiker/Instrumentalisten beschreiben, ohne auch nur die geringste Ahnung von diesen Berufen und ihren Anforderungen zu haben (was die Musik betrifft, meine ich hier klassisch ausgebildete Instrumentalisten und E-Musiker).

Da wird leider meistens derart schlampig, gruselig bzw. überhaupt nicht recherchiert, dass mir die Haare zu Berge stehen. Die Beschreibungen, die ich bisher gelesen habe, sind durchgängig dermaßen klischeehaft und dumm, als hätte Rosamunde Pilcher "den Stift geführt".

 

Wenn dann dazu auch noch völlig falsch mit dem Handhaben von Musikinstrumenten, Konzert-Repertoire in der E-Musik und/oder Kunststudium, Malutensilien, Bildern etc. umgegangen wird, bleibt mir der Mund offen stehen.

Solche Bücher lege ich dann zutiefst verärgert weg und kaufe von diesen Autoren auch nichts mehr.

 

Genaue Recherche betrifft also nicht nur die historischen Romane, sondern Romane ALLER Genres.

Leider erkennen wohl nur wenige Lektoren gründlich gute Recherchen, da nach wie vor (und wohl zunehmend) derartig grauslig recherchierte Romane veröffentlicht werden.

Ich frage mich dann jedes Mal verblüfft, weshalb eigentlich die Agenten davon nichts merken ...

 

Schöne Grüße - Elisabeth

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Genaue Recherche betrifft also nicht nur die historischen Romane, sondern Romane ALLER Genres.

Leider erkennen wohl nur wenige Lektoren gründlich gute Recherchen, da nach wie vor (und wohl zunehmend) derartig grauslig recherchierte Romane veröffentlicht werden.

Ich frage mich dann jedes Mal verblüfft, weshalb eigentlich die Agenten davon nichts merken ...

 

Weil eben auch Agenten und Lektoren nicht über das gewünschte "Ganz-Wissen" verfügen.

Seid gnädig. Spezialwissen in bestimmten Bereichen schützt nicht vor Halb-Wissen in anderen. Und ehrlich - mich gruseln auch Romane, in denen sich der Autor allzu akribisch bemüht, dem Leser genaueste Detailkenntnisse zu seinem Spezialgebiet zu vermitteln.

Lektoren können nur auf Stimmigkeit im Ganzen, nicht im Detail prüfen.

 

Übrigens - erbärmlich schlecht aus heutiger Sicht sind historische Romane früherer Autoren recherchiert. Und dennoch habe ich Selinkos "Desiree" geliebt, auch wenn die Heldin Schokolade gegessen hat, die es damals noch gar nicht gab  ;)

 

Lieben Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Ich finde, die Leser haben Anspruch auf ordentliche Recherche. Romane, denen das fehlt, lege ich nach wenigen Seiten zur Seite ... interessieren mich nicht.

 

Klar, dass jedem von uns dabei auch Fehler unterlaufen können, wir sind alle nur menschlich. Aber es reicht eben NICHT für einen historischen Roman, eine seltsam "antquierte" Sprache zu bemühen: "Geb er mir einen Becher guten Weines..."

Früher haben sie auch "modern" gesprochen, d.h. die Sprache ihrer Zeit - und nicht stets die der Zeit, die gerade davor abgelaufen war. So etwas erzeugt eher unfreiwillioge Komik.

Hildegard von Bingen hat garantiert nicht so geredet wie in ihren Schriften - wobei ja vieles Naturheilkundliches gar nicht von ihr stammen dürfte ... Wer das i1:1 in einen historischen Roman gießt, wirkt einfach nur komisch.

Deshalb gebe ich Charlie vollkommen recht: sich behutsam einer Zeit annähern, aber durchaus "modern" erzählen.

 

Alles Liebe von Brigitte

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Seid gnädig. Spezialwissen in bestimmten Bereichen schützt nicht vor Halb-Wissen in anderen. Und ehrlich - mich gruseln auch Romane, in denen sich der Autor allzu akribisch bemüht, dem Leser genaueste Detailkenntnisse zu seinem Spezialgebiet zu vermitteln.

Lektoren können nur auf Stimmigkeit im Ganzen, nicht im Detail prüfen.

 

Ich meine keineswegs ein bestimmtes Spezialwissen, über das Autoren verfügen müssten, sondern Stimmigkeit und authentisches Beschreiben. Aber leider begegnet mir bei den Protagonisten, die Musiker oder Maler sind, nur allzu oft direkt ein dumpfes Halbwissen der Schriftsteller. Ich finde das wirklich ärgerlich - derartige Autoren haben noch nie über ihren Tellerrand geschaut und dabei wäre es so einfach, sich da ein bisschen umzugucken und zu recherchieren.

 

Mit meiner Kritik meine ich kleine wie auch große Schriftsteller, und da haben mich schon viele geärgert.

Genau wegen dieser Schlampigkeit der Autoren geht die Stimmigkeit in den Romanen im wahrsten Sinne des Wortes "flöten" ...

 

Was u.a. die Musik betrifft:

Einer der wenigen, der in seinen wunderbaren Romanen z.B. ganz hervorragend über Musiker und Musik schreibt (mit einer unerschöpflichen überbordenden Fantasie), ist Maarten't Hart ...

 

Schöne Grüße - Elisabeth

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[Einer der wenigen, der in seinen wunderbaren Romanen z.B. ganz hervorragend über Musiker und Musik schreibt (mit einer unerschöpflichen überbordenden Fantasie), ist Maarten't Hart ...

 

 

Und Vikram Seth!

 

Ich glaube zu wissen, was Du meinst, Elisabeth.

Ich moechte, dass der Autor in seinem Thema gelebt hat.

Dabei geht es nicht um Halb- oder Ganzwissen, sondern wirklich um ein Sich-auf-ein-Thema-einlassen. Wenn ich ueber Tod, Musik, Marathon, Troja, die Schafschur schreibe, muss ich - finde ich - ueber eben dies schreiben und nicht nur so tun, als schriebe ich darueber. Dass er in das Thema hineingekrochen ist, nicht bei Wikipedia nachgeschlagen.

 

Wo ein Autor mir das Gefuehl gibt, dass er das Thema ganz ernst nimmt und ueber dieses Thema etwas zu sagen hat (das hat mit Ganz-Wissen nichts zu tun, denn ueber ein Thema etwas zu wissen, bedeutet bekanntlich immer vor allem, zu sehen, wie viel man nicht weiss), stoeren mich, wie gesagt, Fehler wie "puterrot", "Kartoffelnase" etc. nicht. Dass so etwas passiert, ist bei der Fuelle des moeglichen Wissens unvermeidlich.

Jemand kann vergessen haben, bei Wiki nachzuschlagen, welche Litzen der Dirigent eines bestimmten Orchesters auf den Frackschultern hat. Ueber Musik kann er trotzdem etwas zu sagen haben.

 

Alles Liebe von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Ist doch klar' date=' dass man sich für die spannendere Geschichte entscheidet. ... Aber hier geht es doch wohl um die Alternative gleich spannend erzählter Geschichten, von denen die eine sehr gut, die andere so lala recherchiert ist.[/quote']In dieser unauffälligen Aussage liegt einiger Sprengstoff. Denn die gemeinte Beschränkung auf den Sonderfall "gleich außer in Bezug auf Recherche" spielt in der Praxis eine sehr viel geringere Rolle als die implizit damit anerkannte Hierarchie "erst die Spannung, dann die Recherche". Die bedeutet nämlich auch, dass immer dann, wenn Rechercheergebnisse der Dramaturgie im Weg stehen, eigentlich die Recherche geopfert werden müsste.

 Es passiert durchaus nicht selten, dass zu viel Recherche der Dramaturgie im Weg stehen kann. Nicht nur dann, wenn ein gewünschter Wendepunkt, eine dramatische Konfrontation von den recherchierten Fakten her eigentlich unmöglich ist ... Das ist dann auch wieder nur ein Sonderfall, den man oft noch irgendwie umgehen kann. Oft habe ich es auch erlebt, dass man beim Lesen eines Buches das Gefühl bekommt, dass der Autor die Geschichte aus den Augen verloren hat, weil er unbedingt auch zeigen will, was er alles recherchiert hat; oder er verzettelt sich so in seinen Details, dass die "große Linie", die Gesamtanmutung dadurch nicht mehr unterstützt wird, sondern vielmehr aus den Augen gerät.

 Insofern ist es durchaus nicht nur so, dass ein guter Roman durch bessere Recherche nur noch besser werden kann, sondern dass es auch ein "Zuviel" gibt. Was zu viel ist, hängt dann nicht nur vom Thema ab, sondern auch von den Fähigkeiten des Autors - da hatte ich auch mitunter schon das Gefühl, dass ein Autor sich an seinem Stoff verhoben hat und es ein besseres Buch hätte werden können, wenn der Autor sich auf die Dinge beschränkt hätte, die er auch noch von leichter Hand stemmen kann.

 

Ich glaube, daher rühren auch die Probleme, die viele "Fachleute" mit Büchern aus ihrem Fachgebiet haben - beispielsweise die Historiker, die während meines Studiums ständig und pauschal über so ziemlich alle "historischen Romane" geschimpft haben. Oft ist es so, dass Autoren wirklich Blödsinn schreiben. Oft ist es aber auch so, dass den Fachleuten die Distanz zu ihrem Thema und auch zu ihren Lieblingstheorien fehlt, und dass sie selbst mehr damit beschäftigt sind, in einem Buch nach Fakten zu "scannen", anstatt sich auf die Geschichte einzulassen.

 Es geht oft in die Irre, wenn man die nötige Recherchetiefe für einen Roman von denjenigen beurteilen lässt, die für die jeweils recherchierten Einzelthemen entweder professionelle Fachleute oder Hobbyfachleute mit "fannischer" Hingabe sind. Das geht regelmäßig an den Zielgruppen vorbei, für die ein Buch geschrieben wird, und das kann auch nicht sinnvoll sein. Ich denke, die Aufgabe des Lektors ist es deshalb nicht, fachliche Perfektion aller recherchierbaren Buchinhalte zu suchen, sondern die fachlichen Anteile eines Buchs als einen von vielen Punkten unterschiedlicher Zielgruppenansprache zu werten und zwischen den jeweiligen Extrempositionen, die es zu jedem einzelnen "Qualitätsmerkmal" eines Buches geben kann, zu vermitteln, um eine größtmögliche Zielgruppenansprache für das jeweilige Werk und sein Potenzial zu erreichen.

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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Ich glaube, daher rühren auch die Probleme, die viele "Fachleute" mit Büchern aus ihrem Fachgebiet haben - beispielsweise die Historiker, die während meines Studiums ständig und pauschal über so ziemlich alle "historischen Romane" geschimpft haben.

...

Es geht oft in die Irre, wenn man die nötige Recherchetiefe für einen Roman von denjenigen beurteilen lässt, die für die jeweils recherchierten Einzelthemen entweder professionelle Fachleute oder Hobbyfachleute mit "fannischer" Hingabe sind.

Dem kann ich nur zustimmen. Bei meinem neuesten Historischen äußerte sich ein Fachmann sehr verwundert darüber, warum ich ausgerechnet diese Zeitspanne gewählt hatte (in der die Bevölkerung am meisten auszustehen hatte). Er fand die Zeit zehn Jahre später viel spannender, wo meine Grafschaft zunächst unter den gräflichen Erben aufgeteilt und diese dann zeitweise enteignet wurden. Für einen Rechtshistoriker bestimmt ultraspannend. Nur hätte das für meine Figuren null hergegeben ...

 

LG

Uschi

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Ich denke' date=' die Aufgabe des Lektors ist es deshalb nicht, fachliche Perfektion aller recherchierbaren Buchinhalte zu suchen, sondern die fachlichen Anteile eines Buchs als einen von vielen Punkten unterschiedlicher Zielgruppenansprache zu werten und zwischen den jeweiligen Extrempositionen, die es zu jedem einzelnen "Qualitätsmerkmal" eines Buches geben kann, zu vermitteln, um eine größtmögliche Zielgruppenansprache für das jeweilige Werk und sein Potenzial zu erreichen.[/quote']

Hallo Spinner,

 

da hast du sicher recht. Dennoch geht es mir als Leser oft so, dass ich mich ärgere, wenn das Thema interessant ist, aber die Fakten, die darüber vermittelt werden, ziemlich dürftig ausfallen. Zum Beispiel, ab und zu lese ich gerne Thriller. Eine tolle Story war "Die Jagd auf Roten Oktober", nicht zuletzt, weil man dabei lernte, wie ein Atom-Uboot funktioniert, ebenso wie die Sonargeräte an Bord und wie sich die U-Boote gegenseitig anschleichen und belauschen. Wenn ich einen HR lese, will ich über die Epoche erfahren, die Hintergründe, die Politik. Im Roman "Pompeji" von Harris fand ich es sehr spannend, wie eine römische Wasserleitung funktionierte und diese für diese Zeit unglaubliche Ingenieurleistung.

 

Leider, bei dem von dir erwähntem Lektorat, läuft man Gefahr, das Einiges auf der Strecke bleibt. Mir wird zurzeit empfohlen, einige geschichtliche Zusammenhänge zu streichen, was mir richtig gegen den Strich geht. Vielleicht sind das Dinge, die Frauen weniger interessieren als Männer. Und natürlich möchten weder ich noch mein Verlag diese Leser verlieren. Da ist es nicht immer leicht, die Balance zu finden und ich kämpfe mit mir selber.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Da ist es nicht immer leicht' date=' die Balance zu finden und ich kämpfe mit mir selber.[/quote']Um die richtige Balance muss man vermutlich immer ringen. Vor allem, weil es mehr als eine "richtige Balance" geben kann. Womöglich haben Lektor und Autor für das Buch auch unterschiedliche "Idealleser" vor Augen, und daher auch unterschiedliche und sogar beide richtige Vorstellungen, wie das Buch dann aussehen müsste, um "dem Leser" zu gefallen. Dazwischen den besten Kompromiss zu finden und gleichzeitig zu verhindern, dass das Buch womöglich "gegen den Strich gebürstet" wird, ist keine leichte Aufgabe.

 Ich denke aber, durch die zusätzlichen Perspektiven, die der Lektor einbringt, kann das Buch nur gewinnen - wenn beide Seiten es schaffen, gemeinsam herauszuarbeiten, was für das Buch am besten ist.

 

Ich persönlich versuche die Frage, was zu einer Geschichte dazugehört und was nicht, immer entlang folgender Fragen zurechzuschneide: "Was trägt das zur Handlung bei?", und: "Was trägt das zur Figurenentwicklung bei?" Wenn die Antwort auf beide Fragen bei ehrlicher Betrachtung "nichts" lautet, sollte man als Autor auch darüber nachdenken, ob man es nicht weglassen kann.

 Das klingt vielleicht so, als müsste man dann auf Hintergrund etc. verzichten. Aber das muss nicht sein. Jede Figur interagiert ja mit ihrer Umwelt, wird davon geprägt ... man kann also jede Menge Hintergrundinformationen bringen, man muss nur zusehen, dass diese Informationen auch tatsächlich auf eine Figur zugespitzt sind, mit ihr interagieren, sie beeinflussen und "bewegen".

 Wenn man gerne interessante Infos bringen möchte, aber es nicht schafft, ihnen irgendeine konkrete Bedeutung für den Plot oder für eine Figur zu verleihen, dann ist die Frage wohl schon berechtigt, ob diese Information wirklich in diesem Text erzählt werden möchte.

 Als Lektor wie als Autor habe ich auch festgestellt, dass es mitunter hilfreich ist und es leichter macht, über den eigenen Schatten zu springen, wenn man versucht, Gespräche "Lieblingsthemen" auf diese Weise zu formalisieren; Jeder Inhalt kriegt dann seine Chance, sich im Text zu bewähren, und wenn er es nicht schafft, kann man auch als Autor leichter loslassen ... Aber das ist natürlich auch nur meine "Eselsbrücke" für dieses schwierige Thema - aber immerhin ein recht universaler Algorithmus, den man auf Infodumping ebenso anwenden kann wie auf abschweifende Szenen, Handlungsstränge, die zum Selbstzweck werden etc.

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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Ein guter Ansatz ist auch - 150% recherchieren, 50% davon verwenden.

 

Ich habe mir auch zur Devise gemacht, immer wieder die Frage zu stellen: Dient der recherchierte Sachverhalt der Handlung? Führt er zum Ziel?

Oder ist es meine persönliche Liebhaberei?

Dann weg damit. Spätestens bei der Überarbeitung.

 

Man muss nicht alles schreiben, viel wichtiger ist es, mehr zu wissen, als man weitergeben könnte. Denn das macht den gelebten Hintergrund aus und fließt unbewusst in die Schilderungen, in die Dialoge, in winzigen Nebenbemerkungen, kurzen Randszenen mit ein.

Ich muss nicht beschreiben, wie man ein Kleid zunestelt, es reicht, wenn die Heldin das nebenbei macht. Ich brauche auch nicht zu schildern, wie der Chirurg die Handschuhe anzieht vor der OP anzieht. (Solange die Nesteln und die Handschuhe nicht handlungsrelevant ist.)

 

Dieses Beiläufige ist es dann, was die Geschichte stimmig macht. Weil die vom Autor angehäufte und verarbeitete Wissensmenge die eigenen Erkenntnisprozesse in Gang setzt und neue Bilder kreiert.

 

Gruß

Anna

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Anna und Spinner,

 

ich bin natürlich einverstanden mit dem, was ihr sagt. Meine Story spielt im Heiligen Land wie in Frankreich, es kommen historische Personen vor, die für die Geschichte relevant sind, mal im Rückblick, mal in der Gegenwart.

 

Fakten, die meiner Meinung nach nötig sind, um diese Welt zum Leben zu bringen, habe ich fast immer in Handlung verpackt, keine langweiligen Abhandlungen. Manchmal in Dialoge eingebaut, oft als Teil der Handlung. Christliche Ritter haben fürchterlich gehaust. Das habe ich nicht so gesagt, sondern meinen Prota und seinen Trupp ein Dorf überfallen lassen. Kampftaktik lernt man, weil der Leser sich mitten in einer Schlacht befindet. Eine Stadtbeschreibung ergibt sich durch das Wandern durch die Gassen, usw. Politische Intrigen sind zum Verständnis des Plots nötig und werden peu à peu entwickelt, durch die Augen des Prota entdeckt.

 

Aber dabei lernt man eben auch , warum es einen Kreuzzug gegeben hat, was dabei Wichtiges geschehen ist, man liest über Normannen in Italien, über die Eroberungen der Türken in Anatolien und über Erbfolgestreitgkeiten der Grafen von Toulouse. All dies gehört zum Verständnis des Plots und der Figuren, die durch diese Umwelt geprägt sind. Jemand könnte sagen, das kann man alles noch knapper sagen, aber dann verliert es auch an Verständnisvermittlung, Stimmung und Farbe, die zum Vergnügen des Lesers wichtig sind.

 

Wenn man sich allein auf das Plot konzentriert, kann es einem leicht passieren, dass es eigentlich kein HR mehr ist, sondern nur noch Menschen vor einer zweidimensionalen historischen Kulisse. Das ist nicht, was ich will. Ich will 3D Historie, im Kleinen wie im Großen. Breitleinwand, wenn ihr wollt.

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Ich recherchiere sehr viel und so gründlich wie möglich, schon, um das richtige Gefühl für "meine" Zeit zu bekommen. Aber manchmal lässt es die Quellenlage auch gar nicht zu, dass man das ein oder andere Detail exakt recherchieren kann. Dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich quasi drumherum an das Wissen heranzuschleichen. In solchen Fällen recherchiere ich in der Zeit zurück und in der Zeit vorwärts, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es zu "meiner" Zeit gewesen sein könnte.

Und hin und wieder hadere ich dann mit mir selbst, und frage mich, wieso ich mir nicht ein Jahrhundert ausgesucht habe, in der die Quellen weniger spärlich, oder doch zumindest eindeutiger sind.

Letzten Endes habe ich dann aber doch soviel recherchiert, dass ich mich in "meiner Zeit" bewegen kann, sozusagen selbst darin leben kann, dass ich besagtes kleine Detail, an das ich mich nur annähern konnte, verschmerzen kann. Und ich glaube, der Leser tut das auch, solange alles andere stimmig ist.

 

Herzlich, Cady

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Ich muss gestehen, dass ich gefallen will. :-[

Will Leser in den Bann meiner Geschichten ziehen.

Ich - als Leserin- mag genau die Delikatessen, die AnnaS erwähnt. Es ist ein bisschen so, als belohnt die Autorin die ohnehin aufmerksamen Leser mit kleinen (zusätzlichen!) Infopralines.

Leben, Liebe, Leiden. ---- lesen.

Ich fühle mich manchmal (ein bisschen neckisch) herausgefordert Zeiten nachzurechnen.

Manchmal muss man einfach an Mottenkugeln, Scheiterhaufen oder Prilblumen riechen...

oder zu riechen glauben.

Das Beste beim Diktieren ist, dass man Worte verwenden kann, von denen man keine Ahnung hat, wie sie geschrieben werden.

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Liebe Dagmar,

 

Ich fühle mich manchmal (ein bisschen neckisch) herausgefordert Zeiten nachzurechnen.

 

Wie meinst Du das? Ich scheine gerade auf der Leitung zu stehen. :-/

 

Herzlich, Cady

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Hi Cady,

es gibt viele wunderbare Romane, die ein ganzes Leben umspannen. Wenn ich darf: "Der König der purpurnen Stadt" ist ein solcher Roman. Der Leser altert mit... Mann, Frau, Pferd und Katzen in der nächsten Generation.

Wenn ich alleine bin, lese ich mir ein spannendes Buch - um es auskosten zu können - gerne vor.

Was mich manchmal stört, sind die Angaben über Dauer von Gesprächen. Meist sind sie zu kurz veranschlagt, wenn sie in Handlungen eingebunden sind. Und das ist für mich auch wieder ein bisschen ungute Recherche.

LG

Dagmar

Das Beste beim Diktieren ist, dass man Worte verwenden kann, von denen man keine Ahnung hat, wie sie geschrieben werden.

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