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Das deutsche Kitschverbot

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@UlfSch

zu Punkt 2: Ich finde, Uschi hat es gut beschrieben - die Angst vor Gefühlen kann bei manchen das Umschwenken bewirken, u. U. wenn eine geheime Sehnsucht angesprochen wird. Und ich glaube, man muss in der Stimmung für derartige Szenen sein.

 

Andererseits, wenn zuuuu dick aufgetragen wird, so dass es vom Kitschigen ins Trashige geht, dann wird es vermutlich jedem zuviel.

 

Gruß, Melanie

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Bettina Wüst

Daraus stelle ich mir folgende Fragen:

 

1) Was genau bewirkt, dass bei den meisten die Wahrnehmung umschlägt ... vom wahren Gefühl zur Entlarvung einer Gefühlslüge?

 

Kann man nicht verallgemeinern. Meine Meinung: Mit dem Kinderfoto hast Du ein schönes Beispiel gewählt. Foto ohne Hilfsmittel erzeugt ein Gefühl bei mir, das ich als mein eigenes identifiziere. Kommen Rüschchen und Schleifchen hinzu, will mir jemand ein Gefühl aufzwingen. Dieses aufgemotzte Foto ist ein Hausierer.

 

 

2) Wie kommt es, dass eine gewisse Anzahl Menschen etwas kitschig finden, während andere es nicht merken oder sogar darin schwelgen?

 

Nun ja, wie kommt es, dass Menschen etwas schön oder hässlich finden... Das ist eine Frage des Stilempfindens und das ist unterschiedlich.

 

LG

Bettina

" Winterschwestern" (AT)
Figuren- und Storypsychologie

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3) Auf was muss ein Autor achten' date=' der große Gefühle ansprechen will, aber Kitsch vermeiden will? Diese dritte Frage ergibt sich vielleicht aus den Antworten der anderen Fragen.[/quote']

 

Die beiden ersten Fragen sind vielfach eben Geschmackssache oder tatsächlich die des Stilempfindens.

 

Die dritte ist nicht unbedingt aus den beiden Antworten der ersten abzuleiten, sondern steht alleine da. Aber wir dürfen nicht die geschmäcklerischen Grenzwerte betrachten, wenn wir uns ihr nähern, sondern klare, möglicherweise übertriebene Aussagen treffen.

 

Zu jedem großen Gefühl gibt es eine Unzahl von Symbolen, höchst abgelutscht sind rote Herzen, rote Rosen, siebte Himmel und Geigenklänge für große Liebe, genau wie weiße Schleier, gehauchte Ja-Worte und goldene Ringe.

Symbole und Methaphern bieten sich aber durchaus an, wenn man große Gefühle vermitteln und die Helden nicht ständig und abgrundtief stöhnen lassen will: "Ich liebe dich."

Sie müssen nur in den richtig gefühlten Kontext gebracht werden, und dazu muss der Autor sich selbst sicher sein, was für ihn "wahre Liebe" bedeutet und das auch sorgfältig formulieren. Das mag vielen schwerfallen, weil es an Exhibitionismus grenzt. Also greift man zum gängigen Symbol und heftet wieder ein rosa Herzchen ans Satzende. Damit ist man auf der sicheren Seite, der Leser hat das Signal verstanden und von sich selbst hat man nichts preisgegeben.

 

Kurzum, Kitsch vermeidet man durch Selbsterkenntnis und Ehrlichkeit, oder?

 

:s04

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Bettina Wüst
[Das mag vielen schwerfallen' date= weil es an Exhibitionismus grenzt. Also greift man zum gängigen Symbol und heftet wieder ein rosa Herzchen ans Satzende. Damit ist man auf der sicheren Seite, der Leser hat das Signal verstanden und von sich selbst hat man nichts preisgegeben.[/quote]

 

Der Leser hat das Signal verstanden, aber nicht gefühlt.

 

"Preisgegeben" ist ein schönes Stichwort. Etwas preisgeben sollte der Autor, seine Figuren und vielleicht auch sich selbst. Wer sich mit Signalen begnügt, ist entweder zu bequem oder zu mutlos, um sich den grossen Gefühlen zu stellen, sie auszuloten und auf´s Papier zu bringen. Das Resultat ist eine saft- und kraftlose Geschichte, durchaus eine Kitschvariante.

 

Bettina

" Winterschwestern" (AT)
Figuren- und Storypsychologie

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Wegen dem Kitschverbot. Weil das bei jedem deutschen Autor die beherrschende Zensurbehörde sei.

Sehe ich völlig anders. Ich kann nicht erkennen, dass es speziell bei deutschen Autoren eine Kitsch-Schere im Kopf gibt. Nicht angesichts der Unmengen von Heftchenromanen, Frauenromanen, historischen Romanen, die (in meinen Augen) in ungfähr 50% der Fälle getrost als Kitsch bezeichnet werden können.

Und wenn manche Szene nicht geschrieben wird, weil es diese Kitsch-Schere doch gibt: Ein Gewinn für die Literatur.

Andererseits: Kitsch muss nicht zwingend negativ sein und hat durchaus seine Berechtigung, weil er von nicht wenigen Lesern gemocht wird.

 

LG - Barbara

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Ich kann nicht erkennen' date=' dass es speziell bei deutschen Autoren eine Kitsch-Schere im Kopf gibt. Nicht angesichts der Unmengen von Heftchenromanen, Frauenromanen, historischen Romanen, die (in meinen Augen) in ungfähr 50% der Fälle getrost als Kitsch bezeichnet werden können.[/quote']

 

Ha, ha! Auch das ist nur zu wahr, Barbara.

 

Das hier von Anna finde ich interessant, besonders den letzten Satz:

 

Sie müssen nur in den richtig gefühlten Kontext gebracht werden, und dazu muss der Autor sich selbst sicher sein, was für ihn "wahre Liebe" bedeutet und das auch sorgfältig formulieren. Das mag vielen schwerfallen, weil es an Exhibitionismus grenzt.

 

Kurzum, Kitsch vermeidet man durch Selbsterkenntnis und Ehrlichkeit, oder?

 

Das ist in sofern richtig, dass Kitsch ja eine Verzerrung ins Unwirkliche darstellt und um echte Gefühle zu beschreiben, muss man sie selbst erstmal fühlen können. Man muss sie in sich selbst spüren, sonst kann man sie nicht mit Worten nachbilden.

 

Aber dieses in sich selbst spüren, muss nicht unbedingt Selbsterkenntnis bedeuten. Denn als Auto kreiert man ja unterschiedliche Figuren, die vielleicht auch unterschiedlich fühlen. Das ist man nicht selber, aber in jede muss man sich hineinfühlen können.

 

Es gibt Schauspieler, die mit ihrer Rolle eins werden, sich so intensiv damit beschäftigen, dass sie mit der dargestellten Figur verschmelzen. Ein aufreibendes Unterfangen, fast schizophren.

 

Darüber moniert sich aber der große Alec Guniness. Für ihn ist es ein Zeichen des wahrhaft großen Schauspielers, andere Figuren echt nachzumachen, ohne sich selbst aufzugeben oder gar zeitweilig zu verlieren.

 

Ein guter Autor muss, glaube ich, ein wenig von Alec Guiness haben.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ich kann nicht erkennen' date=' dass es speziell bei deutschen Autoren eine Kitsch-Schere im Kopf gibt. Nicht angesichts der Unmengen von Heftchenromanen, Frauenromanen, historischen Romanen, die (in meinen Augen) in ungfähr 50% der Fälle getrost als Kitsch bezeichnet werden können.[/quote']

 

Ha, ha! Auch das ist nur zu wahr, Barbara.

Offenbar lese ich zu wenig historische Romane (oder die falschen). Komisch, dass mir das bisher noch nicht aufgefallen ist.

Zumindest dürften solche Aussagen zu einer Verschärfung des Kitschverbotes führen. :-/

 

Gruß,

Uschi

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Sehe ich völlig anders. Ich kann nicht erkennen, dass es speziell bei deutschen Autoren eine Kitsch-Schere im Kopf gibt. Nicht angesichts der Unmengen von Heftchenromanen, Frauenromanen, historischen Romanen, die (in meinen Augen) in ungfähr 50% der Fälle getrost als Kitsch bezeichnet werden können.

Laut Hansen ist genau das typisch: Es gibt eine kleine Spitze sehr guter Literatur (oder die sich dafür hält), darunter lange nichts und dann Filme und Bücher, die auch in einem drittklassigen Midwestern-Fernsehsender in den USA nicht einen Tag überleben würden.

 

Interessanter finde ich aber folgendes Statement:

Und wenn manche Szene nicht geschrieben wird, weil es diese Kitsch-Schere doch gibt: Ein Gewinn für die Literatur.

Denn das ist genau das was ich meine und warum ich glaube, dass diese Schere für die Literatur verhängnisvoll ist. Meiner Meinung nach musst du den Mut haben, Kitsch und Klischee zu schreiben. Oft ist es die einzige Möglichkeit, gute Szenen zu schreiben. Oft kommst du nicht direkt an das Thema ran. Die erste, oft die zweite oder dritte Version sind Kitsch und Klischee. Aber du musst sie schreiben, weil du irgendwann darunter das findest, was interessant ist.

 

WEnn du die Kitsch/Klischee Schere klappern lässt, vermeidest du genau das.

 

Wie gesagt, ich meine nicht, dass das Endprodukt kitschig oder klischeelastig sein sollte. Aber im Schreibprozess manches sehr wohl schon.

 

Hans Peter

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Oh ... Kitsch. Das böse Wort.

Ich stimme der Beobachtung übrigens völlig zu, dass in der deutschen Kultur (und nicht nur in der Schriftstellerei, auch in allem anderen, was mit Kunst zu tun hat), das Kitsch-Fallbeil hängt, bereit zum sofortigen und unerbittlichen Zuschlagen.

Gutnachbarlich hat es sich neben dem 'Niveau' und dem 'Anspruch' eingerichtet.

 

Ich kenne das Problem aus einer ganz anderen Ecke - ich habe mal Design studiert, an einer Hochschule mit bester Bauhaustraddition. Da wurdest Du an die Wand genagelt, wenn sich auch nur der Hauch eines Verdachts bemerkbar machte, Dein Entwurf könne gen Kitsch driften.

Die Aussage, etwas sei Kitsch, kommt da der Höchststrafe gleich.

 

Irgendwann später habe ich mich gefragt, wer zum Teufel eigentlich die Regeln macht, und warum jemand, der sich Rauscheengel auf den Kaminsims stellt, automatisch als geschmacksfreier Kitschanhänger gebrandmarkt werden soll. Vor allem, weil damit statistisch der größte Teil der Bevölkerung qua definitionem unter Geschmacksverirrung leidet. Wer maßt sich an, das zu bestimmen?

 

Das ist meine persönliche und sehr intensive Erfahrung mit dem Kitschbegriff. Ich hab den Eindruck - soweit ich das beurteilen kann - dass das in der Schriftstellerei nicht anders ist.

Deshalb breche ich hiermit eine Lanze für den Kitsch, diesen Begriff, der schwer zu greifen ist, sich für jeden anders definiert und deshalb so viel Furcht verbreitet bei denen, die ihn bewußt meiden wollen ;).

 

Schöne Grüße,

Andrea

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Hallo Alfred,

 

das Leben ist vielfältig, widersprüchlich, unvorhersehbar, verstörend, aber eines ist der Leben nicht: Kitschig. Denn Kitsch ist Fügung, Schicksal, es gibt einen klar erkennbaren Sinn und ein Ziel, es ist eindeutig und klar. Es mag mal einen kitschigen Moment geben, aber der ist meist inszeniert.

 

Deshalb ist Kitsch ein Stilmittel für fast alle Romane, weil damit bestimmte Bilder, Gegenbilder und Widersprüche erzeugt werden können.

Als Motiv oder Grundthema kann man es für Romane verwenden, wenn man auf die damit verbundene Metaphorik, Symbole, überzeichnete Gefühle zurückgreifen möchte: Das taugt nicht für eine Abbildung der Wirklichkeit, aber es ist eine breite Fläche für Projektionen der Leser und Leserinnen und gebietet der Wirklichkeit eine konservative Ordnung- in einem fiktiven Roman. Und das ist völlig berechtigt, weil es dafür eine breite Lesergruppe gibt.

 

Und wer entscheidet, was Kitsch ist: Der Alpenhirsch an der Wand ist Kitsch, weil er keinen künstlerischen Wert hat (von wenigen Ausnahmehirschen einmal abgesehen), und er als Symbol für eine Lebenshaltung steht. Deshalb ist Pop auch kitschig, weil die Texte zwar einen Inhalt haben, aber dieser ersetzbar ist: Haltung ist nur Symbol, nie wirklich Haltung.

Deshalb gibt es einige klare Kriterien, was Kitsch ausmacht... und die Anwendung im Einzelfall ist Geschmack. Aber Geschmack ist eben ein begründetes Urteil, und keine Willkür- obwohl jedes Geschmacksurteil diskutiert werden kann und darf.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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Vielleicht sind wir einfach von Natur aus ein rührseliges, kitschiges Volk und deshalb reagiert der Künstler/Intellektuelle so phobisch auf jede Kitsch-Regung.

 

Jau, vor allem, wenn man sich mal rund um die Romantik umschaut. Da boomte Kitsch. Mit Rosenbändern band ich sie, säuselte Mann und wenn dabei "die Nachtigall Verliebten liebevoll ein Liedchen singt", darf es Gretchen "sein hoher Gang, sein edle Gestalt, seines Mundes Lächeln, seiner Augen Gewalt" anbetungsvoll von den Lippen träufen.

 

Die großen Dichterfürsten haben weder Kitsch noch Klischee gefürchtet, ihr Publikum hat es schamlos goutiert.

 

Man kann mit Kitsch - oder sagen wir ausgeleierten Bildern, abgegriffenen Gefühlsbeschreibungen - durchaus arbeiten, wenn man sie als Platzhalter verwendet, und sie später mit mehr Einfühlungsvermögen nachzubessern.

Man kann es auch stehen lassen, wenn es in den Kontext passt.

 

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir bei der einen oder anderen solcher Szenen selbst die Tränen gekommen sind.

 

Und? Das Spiel mit den Emotionen macht einen Großteil der schriftstellerischen Kunst aus. Wohl dem, der Klaviatur beherrscht.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo Hans Peter,

 

ich nehme meine Charaktere und damit auch ihre Liebesgeschichte ernst - und kann deshalb gar keinen Kitsch schreiben. Zumindest in meinen Augen nicht, es gibt natürlich immer Leser, die mit Liebe überhaupt nichts anfangen können und sofort Kitsch schreien, wenn ihnen so etwas begegnet. Das ist mir aber herzlich egal.

 

Aber ich glaube, du bist da auf einer richtigen Spur. Meiner Meinung nach haben viele deutsche Autoren ein Problem damit, in ihren Büchern auf positive Gefühle einzugehen. Damit kommen wir auch wieder zu den im anderen Thread genannten depressiven, problembeladenen Kommissaren.

 

 

Viele Grüße,

 

Michelle

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Meiner Meinung nach musst du den Mut haben' date=' Kitsch und Klischee zu schreiben. Oft ist es die einzige Möglichkeit, gute Szenen zu schreiben. Oft kommst du nicht direkt an das Thema ran. Die erste, oft die zweite oder dritte Version sind Kitsch und Klischee. Aber du musst sie schreiben, weil du irgendwann darunter das findest, was interessant ist.[/quote']

Da sind wir einer Meinung. Ich würde das nur nicht auf Kitsch und Klischee beschränken, sondern noch weitergehen und sagen: Im ersten Schreibprozess ALLES aber auch alles hinschreiben, was einem durch den Kopf geht. Ich bin zwei kein Autor von Büchern; aber ich muss beruflich massig Texte verfassen. Und die kommen nur deshalb zustande, weil ich im ersten Schreibprozess grundsätzlich alles aufschreibe. Man erkennt die guten Ideen nicht sofort und kann sie auch oft nicht spontan formulieren, deshalb: erst mal alles konservieren, danach kommt die Auswahl.

(Meine Bemerkungen zur Kitschschere bezogen sich eher auf das Endprodukt).

 

Dieses "alles aufschreiben" lernt man z.B. im Studium (zu meiner Zeit jedenfalls). In der Schule fehlt mir dieser Tipp (sehe ich bei meinen Töchtern). Habe schon öfter mit Deutschlehrern drüber gesprochen, dass sie den Kindern gefälligst beibiegen sollen, wie gute Hausarbeiten entstehen (nämich nicht durch druckreifes Formulieren in der ersten Schreibphase).

Die Schule ist der einzige Ort, wo jeder irgendwie lernen könnte, Texte zu verfassen. Doch leider wird gerade dort immer noch zuviel Betonung aufs Endprodukt gelegt und kriegen die Schüler wenig Hilfsmittel an die Hand, den Schreibprozess/Entstehungsprozess (egal von was) betreffend.

 

Das "Schreiben ins Unreine" wird nicht deutlich genug als wichtige Station auf dem Weg zum fertigen Text markiert. Diese Erfahrung nimmt man dann mit ins Erwachsenenleben und hängt sich dort (ob als Autor oder nicht) bereits im Anfangsstadium eines Textes (und sei es einer zum 80-jährigen Geburtstag der Oma) an Formalia auf, welche die Fantasie deutlich hemmen.

 

Das Herumfeilen, die Entscheidung, was umformuliert, neu geschrieben oder weggelassen wird, sollte nicht schon bei der Rohfassung eines Textes geschehen.

Wenn man die "großen" Autoren befragt (und das tue ich jedesmal, wenn ich zu ner Lesung gehe - letztens waren es Terry Pratchett, Ken Follett, Eoin Colfer, Thea Dorn ...), sagen alle ausnahmslos, dass sie im Rohmanuskript den größten Blödsinn schreiben, Hauptsache, man kriegt erst mal jeden Gedanken beim Wickel.

 

Das ist aber international und hat mit einer typisch deutschen Kitschschere meiner Meinung nach nichts zu tun.

Wenn bereits die erste Rohfassung während des Schreibens korrigiert wird (wie gesagt, das betrifft alles, nicht nur die Entscheidung ob Kitsch oder nicht), werden Sätze, Gedanken, Textfluss u.U. zum Kaugimmi und kommt man schwer um Ziel (Ende des Textes).

Der Schöpfungsprozess ist intuitiv, nicht korrektiv.

 

LG - Barbara

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Der Schöpfungsprozess ist intuitiv' date=' nicht korrektiv.[/quote']

Guter Satz!

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Christine Spindler

Ich bekenne: ich habe keine Kitschschere. Im Gegenteil, ich liebe es, mich ganz, ganz tief in Gefühle hineinzustürzen.

 

Ich habe sogar meine Karatehamster (Zielgruppe: ab 8) ab Band 2 in eine Romanze verwickelt, mit Anschmachten, Rivalitäten und allem Komfort. Wenn schon, dann richtig. :s18 Falls ich es übertreibe, weisen mich meine Lektorinnen darauf hin. Dann kann ich immer noch einen Gang zurückschalten. Aber in einem Fall haben sie mich sogar angefeuert, noch mehr zu geben.

 

Ich sehe dabei auch eine Differenzierung: guter Kitsch (Shakespeare) und schlechter Kitsch (Marienhof). Ich hoffe, mein Kitsch tendiert mehr zur Shakespeare-Seite ;)

 

Sonnige Grüße

Christine

Hört mal rein in meinen Podcast: https://anchor.fm/tinazang

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Ich finde die Wikipedia-Definition interessant:

 

In Gegensatz gebracht zu einer künstlerischen Bemühung um das Wahre oder das Schöne werten Kritiker einen zu einfachen Weg, Gefühle auszudrücken, als sentimental, trivial oder kitschig.

 

Oder gleich von der englischen: "art that is considered an inferior, tasteless copy of an existing style."

 

So gesehen ist es jedem Autor selbst überlassen, wo bei ihm die Alarmglocken und die Auto-Selbstzensur anspringen; ich habe aber auch oft die Erfahrung gemacht, daß die einzige Methode, eine Schreibblockade zu vermeiden, die ist, erst mal was hinzuschreiben, statt es von vornherein abzulehnen. Danach sieht man meist genauer, wo man eigentlich hin will, was man sich davon verspricht, und was einen daran stört.

 

Aber von wegen Auto, mal zum Ursprungspost: Die Dudu-Filme waren ja wohl komplett grausam, oder? Hansen hat ja vielleicht recht, daß wir keine Filme drehen können, aber Berührungsängste...? Fehlanzeige  ;)

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Romeo und Julia und Kitsch

 

Um noch mal auf das Ausgangsbeispiel zurück  zu kommen: Die Gefahr Kitsch zu produzieren, liegt gerade bei einer „Romeo und Julia“ –Adaption lange vor dem Zeitpunkt, wo der Autor in Verlegenheit kommt große Gefühle beschreiben zu müssen.

 

Der Kitsch beginnt für mich bei diesem Plot nämlich dort, wo die innere und äußere Notwendigkeit für die Handlungen der Protagonisten fehlt. Und ein soziales Milieu, in dem die Liebe zweier Teenager, von ihrer Umgebung so stark ablehnt wird, dass sie schließlich nur im Tod vereint sein können, wird man heute länger suchen müssen.

 

Shakespeares Liebespaar hat im Grunde genommen keine Chance. Sie tun, was sie tun müssen: (Romeo muss seinen Freund rächen und Julias Vetter töten, ansonsten wäre es sein sozialer Tod. Julia muss nachdem sie Romeo heimlich geheiratet hat, ihren Scheintod inszenieren, um der Ehe mit Paris zu entgehen. Alle anderen Möglichkeiten – direkte Weigerung, Eingeständnis schon verheiratet zu sein, eingehen einer Scheinehe mit Paris – sind entweder in ihrem Milieu unmöglich oder hätten allerschlimmste Konsequenzen. )  Romeo und Julia tun bei Shakespeare was sie müssen, und das führt zu ihrem Tod. Deshalb ist ihr Schicksal tragisch.

 

Hätte Romeo Tybalt nur aus Rachsucht, Übermut oder Jähzorn getötet oder Julia nur ihren Eltern den größtmöglichen Schrecken einjagen wollen, ihre Geschichte wäre nicht tragisch.  Im Gegenteil ihr Handeln, wäre dann so albern und egoistisch, dass man sich fragen müsste, was denn dann von ihren großen Gefühlen für einander zu halten wäre.

 

Die wichtigste Frage, bei einer neuen „Romeo und Julia“ Version – und zwar sowohl bei einer 1:1 Umsetzung, als auch bei einer auf das Grundmotiv eingedampften  Version – ist daher für mich erst einmal ein soziales und psychologisches Milieu zu finden, in dem sie funktioniert ohne in die Unglaubwürdigkeit, Albernheit und Kitsch abzurutschen.

 

Baz Luhmann hat sich in seiner Verfilmung von 1996 für das italo-amerikanische Mafia-Milieu entschieden. Das funktioniert soweit es die Geschichte von Romeo, Mercutio und Tybalt betrifft ausgezeichnet. Zur Polizei zu gehen, wenn dein bester Freund ermordet wird, ist in diesem Milieu keine Option. Man tötet den Mörder und flüchtet vor dessen Freunden. Bei Julias Scheintod funktioniert es nicht ganz so 100%. Sie hätte im heutigen Amerika durchaus die Option vor ihrer Heirat mit Paris und vor ihrem Vater einfach wegzulaufen.

 

(Trotzdem ist ein glaubwürdiges Milieu natürlich nur die halbe Miete: Zoe Jenny ließ ihre Version 2002 in Berlin spielen. Julia ist bei ihr eine Türkin aus reichem Haus, Romeo ein Neonazi aus dem Wendeverlierer-Milieu. Die Sache funktioniert nicht, weil Jenny bei der Charakterisierung ihrer Figuren im Klischee stecken bleibt und so eben Kitsch produziert).

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Es gibt zum Stichwort "Kitsch" ein recht gutes Buch von Hans Dieter Gelfert: "Was ist Kitsch"? (Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 2000), das allerdings zurzeit vergriffen ist. Er schreibt darin: Kriterien für ein minderwertiges Kunstwerk seien künstlerische Unvollkommenheit (Dilettantismus) und ein Mangel an Originalität. Beim Kitsch komme dazu, dass Originalität vorgetäuscht werden soll. Kitsch befriedige Bedürfnisse nach Vereinfachung und oberflächlicher Harmonie.

 

Gefühle verkommen zur Sentimentalität und Klischees werden als authentische Aussagen verkauft.

 

Kitsch hat also immer etwas Verlogenes, Unechtes, dass aber als etwas Echtes präsentiert wird.

 

Er trifft noch die Unterscheidung zwischen "Formkitsch" ("Schwulst") und "Stoffkitsch" ("Schmalz")

Formkitsch: der sprachliche Ausdruck ist überladen

Stoffkitsch: zu große Themen werden unangemessen umgesetzt.

 

Dieses Buch habe ich gern gelesen, es hat mir zum Kitschverständnis weitergeholfen.

 

viele Grüße von Susanne CK

www.susanne-konrad.de 

 

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Lieber UlfSch,

jetzt bekommst du noch eine persönlichere Nachricht von mir. Die drei Fragen, die du in deinem Beitrag gestellt hast, bewegen mich auch sehr, und ich bin zu einer abschließenden Antwort auch noch nicht gelangt. Mir sind nur folgende kleine Ideen gekommen, wie man Kitsch vermeiden kann:

- Echtheit. Schreiben, was man wirklich fühlt, nicht was man angeblich zu fühlen hätte.

- Ursprünglichkeit: neue, individuelle Ausdrücke (auch für altbekannte Gefühle) finden

- Gefühle mehr andeuten als auswalzen

- Gefühle ambivalent darstellen (jedes Gefühl hat auch seine Kehrseite)

Daran versuche ich  mich beim Schreiben zu halten, obwohl ich es zwischendurch auch mal schön finde, etwas dicker aufzutragen. Aber ich versuche es dann bei der nächsten Szene wieder zu durchbrechen, so dass mal eine kleine Passage auch ein bisschen sentimental sein darf, aber kein ganzes Kapitel.

viele Grüße

Susanne

www.susanne-konrad.de 

 

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Christine Spindler
Beim Kitsch komme dazu' date=' dass Originalität vorgetäuscht werden soll. Kitsch befriedige Bedürfnisse nach Vereinfachung und oberflächlicher Harmonie. [/quote']

 

Also, den Schuh möchte ich mir dann doch nicht anziehen. Mein Herangehen an Emotionen ist oft sehr tief, also eben gerade nicht vereinfacht und oberflächlich. Das wäre dann doch kein Kitsch ... sondern was? Ich habe hier wohl ein kleines Begrifflichkeitsproblem.

 

So wie Hans-Peter die Eingangsfrage gestellt hatte, habe ich verstanden, dass die Kitschschere einen daran hindert, sich literarisch intensiv mit Gefühlen zu befassen, aus Angst, es könnte ins Kitschige entgleiten.

 

Sonnige Grüße

Christine

Hört mal rein in meinen Podcast: https://anchor.fm/tinazang

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Um die Liebe in einem Roman zu schildern, muss man nicht unbedingt kitschig schreiben, wie z. B. "Ihr kleines Herzchen pochte heftig in ihrer Brust, als der Blick des geliebten Mannes auf ihr ruhte" ;D So etwas könnte ich nicht schreiben und lesen schon gar nicht.

 

Aber man kann Liebe auch mit wenigen nüchteren Worten beschreiben, ohne kitschig zu werden oder Klischees zu verwenden. Es ist nun mal so, dass oft dort, wo sich ein Mann und eine Frau treffen, tiefe Gefühle ins Spiel kommen - das hat die Natur so eingerichtet :)

 

Viele Grüße von Carrie

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Scheint eine Sucht zu sein, die besonders Frauen befällt.

 

Jetzt werden mich die Damen sicher mit dem nassen Lappen erschlagen, aber Kitsch-Sucht scheint mir schon eine vorwiegend weibliche Krankheit zu sein.

 

Und Sätze wie diese kommen zustande, wenn man vor dem Posten nicht denkt.

 

Ulf, unterlasse bitte in Zukunft frauenfeindliche Bemerkungen wie diese und beteilige dich sachlich an den Diskussionen.

 

Christoph

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Danke, Christoph.

So etwas ist keinen nassen Lappen wert.

 

Alles Liebe von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Hört sich interessant an, Susanne.

 

Und von Schwulst und Schmalz (besonders von letzterem) gibt es ja haufenweise. Besonders in diesen Tonnen von Liebesromanen. Ich frage mich, wie man sich diese total vorhersehbaren, unechten Geschichten immer wieder reinziehen kann. Scheint eine Sucht zu sein, die besonders Frauen befällt.

 

Jetzt werden mich die Damen sicher mit dem nassen Lappen erschlagen, aber Kitsch-Sucht scheint mir schon eine vorwiegend weibliche Krankheit zu sein.

:s22

 

Eigentlich verdient das keine Antwort, aber nur mal so zum Nachdenken:

 

Es gibt genauso viele schlechte historische Romane wie schlechte Liebesromane. Und genauso viele gute.

 

Und noch eine Frage: Wie viele Liebesromane hast du schon gelesen? Anscheinend hast du dann immer zielsicher die schlechten erwischt. Aber das ist ja dein Verlust.

 

 

Viele Grüße,

 

Michelle

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