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Ruth

scheinen und fühlen

Empfohlene Beiträge

Ihr Lieben,

 

in meinem Roman schreibe ich aus personaler Perspektive meiner Prota. Will heißen, um nicht aus der Perspektive zu flutschen, kann nur immer durch die Augen Annes das Geschehen, die vermuteten Gefühle der anderen etc. beschrieben werden.

 

Vieles "scheint" daher in meinem Text.

 

Aber auch in reinen "Anne-Stellen" weiche ich öfter auf das "scheinen" aus.

 

Ihr schien es, als griffe eine kalte Hand nach ihrem Herzen.

 

(kein echtes Beispiel...)

 

Ich finde die Alternative

 

Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen.

 

irgendwie...wie soll ich sagen? anmaßend. Behauptend. Ich mag dieses direkte, dass sich so hinstellt, als wäre es das, Punkt, aus, nicht so gern. Das ewige "scheinen" dagegen scheint  ;D mir inzwischen überstrapaziert.

 

Ähnlich verhält es sich mit "fühlen" und "spüren". Statt

 

Ein Schwindel stieg in ihr auf.

 

würde es bei mir sicher heißen

 

Sie fühlte einen Schwindel in sich aufsteigen.

 

Da es bei mir ziemlich viele Introspektiven gibt, häufen sich die Fühlens und Spürens mittlerweile auch ganz schön.

 

Kennt Ihr das Problem? Wie wirken die Varianten auf Euch? (Ich erinnere mich, dass AnnaS bekennender Scheinen-Verächter ist, oder?)

 

Wisst Ihr Alternativen?

 

Lieben Gruß

 

Ruth

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Hihi, Ruth,

 

Auch meiner Mirjam schien sehr oft etwas in der ersten Fassung des Romans. Auch fühlte und spürte sie in einem grausigen Übermaß. ;D

 

Ich habe die Stellen aufgelöst, in dem ich dort, wo es ging, die Sache einfach direkt beschrieben habe. Manchmal nicht in den gleichen Worten, damit das nicht so anmaßend wirkt. Oft dachte ich mir auch: Hm, ist das nicht zu direkt?

Aber nachdem ich dann den Text ein wneig liegen gelassen habe und ihn erneut durchgelesen habe, war alles genau richtig. Und der Text ist intensiver, "sauberer" geworden. (Als ob man nach einem Tag im Stadtsmog plötzlich aufs Land fährt und mit voller Brust aufatmet.)

 

Liebe Grüße,

Olga

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"…etwas ließ ihr Herz krampfen, als greife eine Hand danach."

 

"Ihr war, als griffe etwas nach ihrem Herz"

 

Oder so ähnlich.

 

Wenn Du das Gefühl hast, am Schein zu kranken, dann mach doch mal Pause und eine separate Datei auf, in der Du alle denkbaren Alternativ-Formulierungen sammelst. Kannste auch klauen, in dem Du einfach ein paar Bücher aufschlägst und schaust, wie es die anderen gemacht haben.

 

Ich empfehle Bilder, es müssen natürlich die Richtigen sein.

 

Liebe Grüße

 

Eva

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Kennt Ihr das Problem? Wie wirken die Varianten auf Euch? (Ich erinnere mich' date=' dass AnnaS bekennender Scheinen-Verächter ist, oder?)[/quote']

Liebe Ruth,

 

ich muss ebenfalls bekennen, dass mir in jedem Buch, das ich lese, zuviel "scheinen" oder fühlen" auffällt und mich, was das Scheinen betrifft, manchmal sogar aufregt.

 

Es schien, als griffe eine kalte Hand nach ihrem Herzen

 

als auch

 

Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen

 

als auch

 

Sie fühlte oder hatte das Gefühl, das eine kalte Hand nach ihrem Herzen griff

 

gefällt mir alles nicht so gut. Auch "spüren" wird überstrapaziert.

 

Wir sollten überlegen, ob die Bilder passen. Ist es wirklich eine kalte Hand? Nach meinem Herzen hat noch nie eine kalte Hand gegriffen! ;)Es hat geklopft, einen Schlag ausgesetzt.

 

In vielen Fällen ist es einfach, das einfach wegzulassen und statt

 

"Sie spürte, dass ihr übel wurde" "Ihr wurde übel" schreiben.

 

Mich hat mal jemand auf das "Fühlen" aufmerksam gemacht, seither achte ich beim Schreiben darauf.

 

Liebe Grüße

Christa

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statt "Ein Schwindel stieg in ihr auf" kann man ja auch schreiben "ihr wurde schwindelig".

 

Schien ist jedenfalls nervend, das sollte man schon etwas dezimieren.

 

gruß

a.

http://annette-amrhein.de/

Ein Beitrag in "Zeit zum Genießen",  Insel Verlag 2021 

ebook für Kinder: 24 Geschichten für Weihnachten und Advent, amazon

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Hallo Ruth,

 

wie du es auch wendest und drehst, bleiben es beides Fälle, in denen du behauptest, statt zeigst.

 

Wenn du "scheint" verwendest, dann gibt der Erzähler automatisch den zusätzlichen Hinweis ab, dass es eben nur so scheint, dass dem also nicht wirklich so ist. Es kann im Grunde nur eine auktoriale Beschreibung sein.

 

Wenn du "sie fühlte" oder "sie spürte" einfügst, statt zu behauptet, dann verstärkst du zwar den personalen Eindruck, aber dennoch bleibt es eine Behauptung. Man erlebt es nicht. Wenn du wirklich etwas zeigen möchtest (und dabei auf "fühlen" und "spüren" verzichten möchtest, dann müsste es eher heißen:

 

"Ihr wurde schwindelig" oder besser noch "Die Welt um sie geriet mit einem Mal aus dem Gleichgewicht, sie taumelte, musste sich am Türrahmen festhalten, um nicht zu stürzen".

 

Die "kalte Hand" die "nach dem Herzen greift", ist für die Verwendung in einem anspruchsvollen Roman kaum geeignet. Ich würde hier dringend ein weniger klischeehaftes Bild suchen - oder die tatsächliche dahinterliegende Empfindung beschreiben. Letzteres ist auch hier der Weg der Wahl - es sollte ja vermutlich auch nur ein Beispiel sein ;-)

 

Gruß,

 

Andreas

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Hallo ihr Lieben,

 

hms, eine Figur, der die Dinge scheinen, erzeugt in mir als Leserin den Eindruck der "Entfernung vom Erlebten". Das kann ja genau die Stimmung sein, die man erzeugen will, eine Weltwahrnehmung, die immer die Möglichkeiten abwägt, die hinter einer Handlung stehen. Als Seiteneffekt tritt dann aber auch auf, dass die ständige Wiederholung der Strukur den Rhythmus das Textes zu übernehmen droht.

 

Wenn es nur darum geht, die Wahrnehmung aus dem Personalen Erzähler zu zeigen, sind meinen, fühlen etc. eigentlich gar nicht wichtig. Sind erst einmal die Leser im Kopf der Figur eingepflanzt, beobachten sie deren Denkprozess von innen heraus; und man kann die Annahmen oder unsichere Bewertung durch viele verschiedene Stilmittel erzeugen, die es ermöglichen, Tempo und Rhythmus fielfältiger zu gestalten.

 

In einen dichten PE brauchst du das scheinen z.B. nicht unbedingt in deinem Beispiel. Wenn die Figur etwas entschlossener erscheinen soll, reicht bisweilen der gute alte Konjunktiv, oder z.B. eine Ellipse, die durch den Kontext bestimmt ist, wenn du noch näher an die zerfasernde Wahrnehmung herangehen willst: "Sie zitterte nicht mehr, jeder Muskel erstarrt(,/. a/A)ls griffe eine kalte Hand nach ihrem Herzen."

 

Gleichzeitig charakterisierst du die Figur als romantisierend und betonst damit auch ein Stückchen Weltfremdheit, wenn sie in einem solchen Moment an die "nach dem Herzen greifende kalte Hand" denkt, was ich persönlich immer dann mag, wenn es wirklich die Figur ist, der diese Gedanken zu passenden und unpassenden Gelegenheit kommen und zwar nicht erst an der Stelle, wo es emotional oder spannungstechnisch nötig ist, sondern schon vorher sanft eingeführt.

 

Wichtig ist IMHO, dass es dir an den Stellen, wo du die gefühlsbestimmenden Verben (oder jede andere Form der Unbestimmtheit) einsetzt, die Betonung auf der Bewertung der Vorgänge durch die Figur geht. Das darf man IMHO nicht mit der Bewertung durch den Autoren gleichsetzen. Im Gegenteil, die Bewertung der Figur kann im Leser dazu führen, dass er die Situation völlig anders beurteilen soll, was er nur dann bereitwillig tut, wenn er nicht das Gefühl hat, der Autor mische sich ein.

 

In handlungsorientierten Szenen, aber auch an Stellen, wo die Figur die Wirklichkeit nur in eine Richtung interpretieren soll, dagegen sollte sie faktisch bleiben. "Sie hatte Angst." "Sie zitterte nicht mehr."

 

Je sorgfältiger man mit diesen feinen Stellschrauben arbeitet, desto besser gelingt die Leserführung IMHO.

 

Liebe Grüße

JJ

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Oh weh,

 

ja bitte reibt Euch nicht so an der fürchterlichen kalten Hand auf! Das war in der Tat nur ein Beispiel, ein grottiges obendrein, ich dachte, es sei grottig genug, um als solches sofort entlarvt zu werden... Scheinbar doch nicht...

 

Also, Andreas, wenn man mit diesen Bildern arbeitet, denke ich, ist es immer behauptet. Daran ändert das Benutzen oder Weglassen von "fühlen" und "scheinen" auch nichts. Vieles von dem, was ich erzählen möchte, sind tatsächlich Gemütsregungen, die sich ohne äußere Begleiterscheinungen vollziehen. Ich behaupte jetzt mal, die kann man nicht zeigen. ;)

 

Zu den anderen: Es macht doch einen Unterschied, ob etwas scheint, ober ob es ist. Und ich kann das Bedürfnis, dem im Text gerecht zu werden, nur schwer unterdrücken. Vielleicht sollte ich wirklich todesmutig mal hier und da das Scheinen sein lassen und testen, wie sich das anfühlt.

 

Die Variante mit "Ihr war, als ob..." ist rein sprachlich natürlich eine Alternative - von der wimmelt es auch schon bei mir... ;D

 

Also, ich werde es probieren.

 

Bis hierhin schon mal herzlichen Dank...

 

 

Ruth

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Hallo, Ruth,

 

Ich behaupte jetzt einfach mal frech, es scheint dir nur so, als ob man das nicht auflösen kann ;)

 

Klar ist es ein Unterschied, ob etwas nur scheint oder wirklich ist. "Scheinen" ist in meinen Augen ein Stilmittel, um eine bestimmte Wirkung zu erzeugen. Eben diesen leichten "irrealen" Touch. Aber wie es mit jedem Stilmittel so ist: Wenn man übertreibt, ist es pfui. Wenn im Roman andauernd etwas scheint oder gefühlt wird, macht das den Text träge.

 

Vielleicht hilft dir die Methode, die man bei den Adjektiven anwendet: Einen Text ganz ohne zu schreiben, liegen lassen, und dann welche einsetzten, wo sie wirklicht (wirklich wirklich) benötigt werden.

 

Liebe Grüße,

Olga

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Ich bekenne mich zum gleichen Problem.

Und die bloeden "spueren" und "fuehlen" in meinem gerade zu ueberarbeitenden Text bringen mich auch um den Verstand.

 

Ich hab mal versucht, aus einem Riesentextstueck die "Scheinens" zu entscheinen, aehh zu entfernen, und hatte dann Tausende von "Vermutlichs" und "Offenbars".

 

Auch "wirken", "sein als ob", "vorkommen als ob" "den Eindruck machen" usw. usf. - alles nur SCHEINloesungen.

 

Und eine echte hab ich nicht.

Nur das Uebliche:

Bei jedem "scheinen" (usw.)-Satz sich klar machen: das ist hier kein sprachliches Problem, das sich durch ersetzen des Verbs loesen laesst. Und sich fragen: Brauch ich das Gescheine? Brauch ich den Satz?

Kann ich das ohne Verscheinung, aehh Verwaesserung bringen?

Einem scheint ja nur selten etwas.

"Mir schien es dunkel zu sein" ist ziemlicher Quatsch, es sei denn, man erzaehlt eine vergangene Situation, bei der es eben nicht dunkel war.

Wenn man auf der Schulter des Protagonisten seine Kamera montiert hat, ist im Grunde genommen also auch "Fredi schien es dunkel zu sein" Quatsch. Oder zumindest ein auktorialer Perspektivbruch.

 

Trotzdem hat Ruth m.E. Recht. Zu behaupten, "es war dunkel", wenn nur Fredi das Gedunkle sieht (sorry fuer das bloede Beispiel, ich frag mich gerade, was fuer eine Linsentruebung dieser Fredi hat), und dann spaeter huschihusch aus dem Hut zu ziehen, dass es gar nicht dunkel war, erscheint (sic ...) wie Leserbetrug.

 

Gratwanderung.

 

Bloed.

 

Scheinbar gruesst Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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(Ich erinnere mich, dass AnnaS bekennender Scheinen-Verächter ist, oder?)

 

Mir scheint, da hast Du recht, liebe Ruth ;)

 

Alles Relativierende versuche ich zu vermeiden, solange nicht etwas wirklich relativierend sein muss. Ihn schien es dunkel zu sein, wie Charlie sagt, hat allerdings dann seine Berechtigung, wenn nur für ihn, nämlich weil er ein Kreislaufproblem hat und es ihm vor den Augen dunkel wurde, sie Sicht schwindet, er aber genau weiß, dass das Licht an ist.

 

Ich habe vor einger Zeit meinen Erstling überarbeitet und bei der Gelegenheit mit gekräuselten Zehennägeln alles Scheinen, alle Vielleichts und Vermutlichs rausgeworfen. Dass ich sie damals überhaupt reingebaut habe, lag an meiner höchst persönlichen Unsicherheit, mich nicht hundertprozentig zu meiner Heldin zu bekannen. Ich traute mich nicht, sie zittern zu lassen, sondern ihr kam es vor, als müsse sie gleich zittern. Schrecklich!

 

Es hat weniger mit dem Behaupten oder Zeigen zu tun, glaube ich, sondern mit dem Selbstbewusstsein des Autors gegenüber seinen Figuren.

 

Mut, Ruth, bekenne Dich zu den Fakten, auch wenn Dir dabei vielleicht eine kalte Hand ans Herz zu greifen scheint ;D

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Gut,

 

ich bin in allerbester Gesellschaft, das beruhigt mich schon mal ungemein. Ich bring jetzt mal ein echtes Beispiel, wo ich mich von "scheinen" nicht trennen mag, weil es mir sachlich falsch...äh, vorkommt. ;D

 

Hier oben mit Jason und Yoshi diese Hütte zusammenzuzimmern, schien ihr das Sinnvollste, das sie je in ihrem Leben gemacht hatte.

 

Würde ich schreiben, "war das Sinnvollste" lege ich eine Sicherheit in dieses Gefühl, die es zur Tatsache macht. Vielleicht hat sie aber schon Sinnvolleres gemacht, kommt aber gerade nicht drauf? Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass es dann eh egal ist, aber den teile ich nicht.

 

Da "scheinen" zu schreiben, wo etwas nur scheint, ist eine Art von Präzision, auch wenn man im Allgemeinen immer annimmt, präzise Beschreibungen seien knapper als unpräzise.

 

In anderen Fällen werd ich gar aus meiner personalen Perspektive geschmissen, wenn ich das "scheinen" weglasse:

 

Es schien ihr eine Art Wunder, dass sie all das überstanden hatte. Nur, um hier anzukommen.

 

Vorher denkt sie an alle möglichen Sachen, die sie in Japan erlebt hat - alles nichts Weltbewegendes, Bedrohliches oder gar Lebensgefährliches. Es IST also überhaupt kein Wunder, dass sie das alles überstanden hat. Im Gegenteil, das hätte jeder. Aber es scheint ihr eben als Wunder und das ist der entscheidende Unterschied. Würde ich schreiben, "Es war ein Wunder, ...", hätte ich nicht nur einen blöden Text geschrieben, den man nicht nachvollziehen kann, sondern ich wäre außerdem noch auktorial und nicht mehr personal.

 

Es ist nicht so ganz einfach...

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[ Ihn schien es dunkel zu sein, wie Charlie sagt, hat allerdings dann seine Berechtigung, wenn nur für ihn, nämlich weil er ein Kreislaufproblem hat und es ihm vor den Augen dunkel wurde, sie Sicht schwindet, er aber genau weiß, dass das Licht an ist.

 

 

Off-topic:

Danke, Anna!

Nun ist mir offenbar wenigstens Erleuchtung erschienen, sodass ich weiss, was mit meinem Fredi vermutlich nicht zu stimmen scheint ...

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Warum "betrachtet" sie es nicht als ein Wunder?

Warum "hält" sie es nicht für das Sinnvollste?

 

Das "es schien" ist so passiv. Vermutlich ist es das, was ein bisschen störend wirkt.

 

Nur so ein Vorschlag.

 

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Warum "betrachtet" sie es nicht als ein Wunder?

Warum "hält" sie es nicht für das Sinnvollste?

 

Gute Frage.

 

Ich denke, das Verlockende am Scheinen ist, dass es ein bisschen fragil ist. Man kann es gut benutzen, wenn etwas gerade erst ins Bewusstsein schleicht, eine neue Idee aufkommt, wenn noch Unsicherheit da ist, wie sich alles entwickeln wird.

 

Etwas "betrachten" oder "für etwas halten" ist im Gegensatz dazu viel gefestigter, wahrscheinlich nicht mehr ganz frisch, es ist eher das Ergebnis eines Meinungsbildungsprozesses als der Anflug einer Idee oder eines Gedankens.

 

Das "scheinen" wächst mir langsam ans Herz...

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Bei allen stilistischen Nachteilen von "scheinen" hat dieses Wort in der personalen Perspektive doch seine Berechtigung.

Dem personalen Erzähler kann man, anders als dem auktorialen Erzähler, nicht uneingeschränkt vertrauen. Er hat Wissenslücken, die er mit Vermutungen, Ahnungen und Annahmen füllen muss. Deshalb ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Protagonistin hin und wieder etwas "erscheint", wenn sie es nicht sicher wissen kann. Das betrifft vorallem die Gefühlsregungen der Figuren, die keine Perspektivträger sind, etwa:

 

"Anna sah Carsten an. Er schien wütend zu sein."

 

Sie kann nicht in ihn hineinsehen. Sie kann es nur annehmen, ausgehend von seiner Mimik, seinem Verhalten und den Dingen, die er sagt.

 

Bei ihren eigenen Gefühlen kann sie sich jedoch sicher sein, weshalb es in Ordnung ist, auf "scheinen" zu verzichten und die Dinge beim Namen zu nennen.

 

Christoph

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Hallo,

 

das scheint ja eine schwierige Frage zu sein. Scheinbar trennen sich hier die Geister.

Bei mir scheint und fühlt es in den Texten, wenn es sich um einen phantastischen handelt und der Prota etwas sieht, erlebt oder erleidet, das sich dem normalen, gesunden Menschenverstand nicht erschließt.

 

Dann hat es halt mal den Anschein, als reiße ein Riese die Welt in zwei Hälften, als bestünde sie aus Papier - oder so (Achtung, dies war nur ein Beispiel).

 

Bei Texten, die sich mehr an die uns umgebende Realität orientieren, versuche ich die scheinbar gefühlten Belanglosigkeiten zu eliminieren.

 

Liebe Grüße

Es ist unsinnig die Geschwindigkeit zu erhöhen, wenn man in die falsche Richtung läuft

 

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Damit hast Du eine ziemlich klare Abgrenzung getroffen, wann etwas wirklich nur so scheint, sich aber noch nicht manifestiert hat. Es sind "anscheinend" noch andere Entwicklungen möglich.

 

Dann hat es seine Berechtigung.

 

Doch in Deinem Eingangsposting hast Du auch auf die personale Sicht Deiner Protagonistin auf andere Teilnehmer des Geschehens Bezug genommen. Und da, denke ich, ist es eine unnötige Relativierung.

Wenn ich jemanden mit tiefen Augenringen sehe, dann "scheint" es mir nicht nur so, als ob er müde ist, sondern dann nehme ich das dreister Weise an.

 

Was meinst Du?

 

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Wenn ich jemanden mit tiefen Augenringen sehe, dann "scheint" es mir nicht nur so, als ob er müde ist, sondern dann nehme ich das dreister Weise an.

 

Was meinst Du?

 

Ja, in der Tat.

 

Ich bin vorhin meinen Text durchgegangen und habe nach "schien" gesucht. Und überraschenderweise fand ich es tatsächlich da am ehesten verzichtbar, wo es sich auf Annes Beobachtungen anderer bezog.

 

Wenn die Perspektive einmal etabliert ist, ist es offenbar okay, jemand anders einfach "mürrisch" sein zu lassen, man liest dann automatisch aus der passenden Perspektive, wer jetzt wen für mürrisch hält. Das hat selbsverständlich seine Grenzen, wenn die Gefühle weniger "offensichtlich" sind.

 

Insofern, Christoph, ist dein etwas reduziertes Beispiel tatsächlich ein berechtigtes. Es ließe sich aber auch leicht abwandeln und käme ohne "scheinen" aus:

 

"Anna sah Carsten in die zusammengekniffenen Augen. Die Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen war noch tiefer als bei ihrem letzten Ehekrach. So wütend hatte sie ihn noch nie gesehen."

 

Spannend...

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Hallo Ruth,

hier mal eine praktische Anregung zum Umdenken:

 

Zitat Ruth: "Hier oben mit Jason und Yoshi diese Hütte zusammenzuzimmern, schien ihr das Sinnvollste, das sie je in ihrem Leben gemacht hatte."

 

Sie reichte Yoshi den Holzdübel, sah hinüber zu Jason, der zufrieden über den frisch gehobelten Balken strich, und lächelte. Hatte sie je etwas sinnvolleres getan, als mit ihren Freunden diese Hütte zusammenzubauen?

 

Ich glaube, es ist immer eine Frage der Entscheidung, wer da erzählt. Wenn wirklich Anna spricht, du also für Anna erzählst, gibt es keinen "Schein", sondern nur das, was sie wirklich empfindet.

 

LG

Yvonne

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Schlaue Yvonne ;)

 

Wenn Du, Ruth, ganz nah an der Heldin erzählst, solltest Du im extremsten Fall sogar in der Ich-Perspektive berichten können.

Das könnte ein möglicher Prüfstein für notwendiges Scheinen oder direktes Werten und Empfinden sein.

 

Ein ergiebiges Thema!

 

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hatte sie je etwas sinnvolleres getan' date=' als mit ihren Freunden diese Hütte zusammenzubauen? [/quote']

 

Schlau in der Tat, aber nicht so ganz mein Fall. Ich bin neulich schon einmal um den Begriff hierfür herumgeschliddert, nun herrscht Klarheit: Es handelt sich um erlebte Rede. Und die ist bei mir Tabu.

 

Ich mag sie genau aus diesem Grund nicht, dass die personale Perspektive verwässert wird. Erlebte Rede ist so etwas wie Ich-Form nur mit dritter Person Singular. Klingt trivial, als wäre jede personale Perspektive so, ist es aber nicht.

 

Fragen, die sich nur die Prota stellen kann, mag ich nicht für sie stellen. Das mag kleinlich sein und ist ganz sicher eine Geschmacksfrage, scheidet im konkreten Fall aber als Alternative aus.

 

(Und zu meiner Ehrenrettung möcht ich noch anführen, dass der obige Satz natürlich auch bei mir in einem Kontext steht. Lasst Euch also nicht von Yvonnes Effekthascherei blenden!  ;D)

 

Und Anna, der Test ist sicher ein guter. Ich werd mal sehen, wie weit ich damit komme und ob mir alle meine "scheinens" im Ich-Fall um die Ohren fliegen. Ich fürcht bloß, die meisten sind wasserdicht.

 

Lieben Gruß

 

Ruth

 

EDIT: Okay, sorry, hier lag der Hase im Pfeffer. Hab ihn ausgegraben. Sind wir jetzt wieder Freunde?

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Ich gehöre auch zu denen, die Schwammwörter vermeiden, nicht nur der ständigen Wiederholung wegen. Auch wenn etwas nur offenbar, scheinbar, so ist, weiß das doch der Leser schon selber. Man muss ihm doch diese Metapher nicht erst erklären, er ist doch nicht doof. ;) Wenn man sich aber direkt ausdrückt, ohne die Welt des ewigen Scheins, dann wirkt das auf den Leser viel intensiver! Und darauf kommt es mir an, auf die Wirkung des Textes. Wenn ich alles mit Schwammwörtern abmildere, fühlt der Leser nicht mit.

Und dabei weiß er schon selbst, dass der Mann, der drei Meter groß SCHIEN unmöglich tatsächlich so groß gewesen sein kann. ;)

Traut dem Leser doch bitte mehr zu und drückt euch DIREKT aus. Danke. Als Leserin bin ich dafür unendlich dankbar.

 

Und was das Fühlen und Spüren angeht: Das ergibt einfach immer wieder den selben langweiligen sich wiederholenden Satzbau, weshalb ich das auch nicht mag. Warum nicht gleich das, was sie fühlt oder spürt, direkt hinschreiben?

 

LG

Joy

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Hallo Ruth,

 

ich würde mich Judith und Andreas anschließen: Das Ganze hat weniger mit der Wortwahl zu tun als mit der Erzählhaltung.

 

Es schien ihr eine Art Wunder, dass sie all das überstanden hatte. Nur, um hier anzukommen.

In dem Satz analysiert der Erzähler die Person und reicht seine Erkenntnisse an uns Leser weiter. Zugleich suggeriert er durch seine Wortwahl (für mich jedenfalls) eine recht diffus "fühlende", eben nicht zupackend "betrachtende" Person.

 

Ein ganz simples Mittel, von diesem "scheinen" wegzukommen, wäre also, dichter an die Person heranzurücken, ihre Stimme mitklingen zu lassen, z. B. durch erlebte Rede: War es etwa kein Wunder, dass sie das alles überstanden hatte? Und dann hier angekommen war?

 

Wenn du das überall machst, ändert sich natürlich der Tonfall gewaltig. Aber vielleicht kannst du es fein dosieren? Ich finde es als Leser meistens wohltuend, wenn der Erzählton so ein bisschen changiert - mal ist man nah dran, mal weiter weg. Wenn es dann noch zum Inhalt passt ...

 

Das wär's, was mir noch dazu einfällt.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

 

Edit: Ich sehe jetzt erst, dass du erlebte Rede nicht haben willst. Dann vergiss den Beitrag einfach.

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Wenn ich alles mit Schwammwörtern abmildere, fühlt der Leser nicht mit.

Und dabei weiß er schon selbst, dass der Mann, der drei Meter groß SCHIEN unmöglich tatsächlich so groß gewesen sein kann. ;)

 

Liebe Joy, wofür plädierst du denn jetzt?

 

Dass der Mann, der drei Meter groß schien, in Wahrheit nicht so groß ist, ist ja die Quintessenz des Scheinens.

 

Und Weglassen, ich beharre darauf, verändert die Aussage.

 

Als Fred seinen massigen Leib im Gegenlicht durch den Türrahmen schob, war er drei Meter groß.

 

Mich gruselt's da. Und ich möcht, wenn ich möcht, auch drei Meter Große einbauen können. Die nicht bloß scheinen.

 

Also, ich find's immer noch schwieriger als es bei dir klingt...

 

Nicht weniger lieben Gruß :s04

 

Ruth

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