Zum Inhalt springen
Quidam

Zwei Seelen in einer Figur

Empfohlene Beiträge

Hallo Leute,

 

es werden in Geschichten gerne Figuren verwendet, die mit einer anderen Seele vermischt oder gar komplett ausgestattet werden, um sie auch dem Leser näher zu bingen.

 

Ein tollwütiger Bernhardiner. Ermittelnde Schafe. Fantasywesen. Sprechende Pflanzen. Tote. Babys. Steinzeitmenschen. usw.

 

1. frag ich mich, wie sich diese Methode überhaupt nennt.

2. was ist euch wichtig, wenn ihr von solchen Figuren lest, die im realen Leben niemals so denken und fühlen, aber eben vermenschlicht werden, damit die Geschichte auch funktioniert?

Soll das klar abgegrenzt werden: Umgebung und Figurenaussehen wie z.b. ein Löwe in der Savanne, wird mit dem Denken und Fühlen eines Mannes ausgestattet und die eigentliche Seele des Tieres wird komplett ignoriert?

Der Löwe sieht also eben aus, wie ein Löwe, denkt und fühlt aber wie ein Mann.

Oder gefällt es euch besser, wenn sich die fremde Seele mit der ursprünglichen Seele mischt, je stärker, desto besser?

Sprich: Hauptcharakter, Sicht und Philosophie eines Löwen bleiben zu guten Teilen, und er wird eben mit den Eigenschaften eines Mannes 'angefüllt'.

 

Einerseits stört es mich, wenn z.b. die Seele eines Mannes, der mit all seinen Problemen mein Nachbar sein könnte, in die Figur eines Löwen schlüpft und mit der Löwenseele 1 zu 1 ausgetauscht wird. Denn warum dann überhaupt in die Figur des Löwen schlüpfen? Es ist dann ja nur die Geschichte eines Mannes, der mein Nachbar sein könnte.

Andererseits fühlt es sich auch nicht richtig an, wenn der Löwencharakter ab und an durchbricht. Ich kann dann dem Leser ja nicht sagen: Aber Löwen sind so! Weil der Leser sich dann auf die Vermenschlichung bezieht und entgegnet: Aber da sind sie ja auch nicht wie richtige Löwen!

 

Bin sehr gespannt, wie ihr zu diesem Thema steht.

 

 

Grüße

Quidam

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Seit Menschengedenken - im wahrsten Sinn des Wortes - haben Erzähler zu diesem Mittel gegriffen. Betrachte mal die ägyptischen Götter.

 

Es ist eine Möglichkeit, einen Menschen zu charakterisieren, indem man ihm "tierische Eigenarten" andichtet: hündische Ergebenheit, nach Erfolg geiern, zickig sein ...

Und es bringt Menschen (vor allem jungen) tierische Eigenarten näher, wenn man die Tiere sich in menschlichen Gedanken ausdrücken lässt.

Und man kann allen Lesern einen Spiegel vorhalten, wenn man ihr Verhalten aus der Sicht eines Tieres schildert. :s22

 

Abgesehen davon - wer sagt Dir denn, das Tiere nicht ähnlich wie wir denken? Schließlich stammen wir doch alle aus dem selben Wurstkessel.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo Quidam,

 

ich finde es unrealistisch und doof, wenn der Löwe genau wie Dein (oder mein) Nachbar denkt. Es sollte wenigstens MÖGLICH sein und zu den bekannten Fakten passen, dass ein Löwe so denkt wie der Romanlöwe.

Dito bei Steinzeitmenschen (deren Denken war meines Wissens sowieso unserem recht ähnlich), Babies und Pflanzen.

 

Ermittelnde Schafe, Katzen etc. empfinde ich als Effekthascherei, wenn man den gleichen Krimi 1:1 auch mit Menschen in einem Vorort hätte schreiben können. So etwas lese ich nicht.

 

In Fantasybüchern nehme ich alles hin, solange die Story in sich logisch ist. Wenn also z.B. ein Werwolf nach der Verwandlung nur nach Beute giert, nicht mehr wie ein Mensch denken kann, muß das IMMER so sein, und nicht plötzlich anders, weil sonst die Handlung nicht aufgeht. Oder die Ausnahme muß gut begründet werden.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Dem moechte ich so generell aber ueberhaupt nicht zustimmen, Beate.

 

Die Wahl einer ungewoehnlichen Erzaehlperspektive (e.g. Katze, Gnom, Stubenfliege ...) erlebe ich keineswegs als Effekthascherei, sondern eher als Verschiebung des Aufnahmewinkels, der sehr reizvoll sein kann.

 

Unrealistisch - oder auch surrealistisch - ist solche Darstellung natuerlich. Sie wird aber womoeglich gerade deshalb gewaehlt, weil sie dem Autor die Moeglichkeit bietet, seine Kamera anders auszurichten, eine andere Linse vorzulegen, andere Akzente zu setzen.

 

Um auf Quidams Frage zu kommen: Mir waere diese Zweiteilung wichtig: Also kein Nachbar im Loewenfell, sondern eindeutig eine Halbloewen-Gestalt, die eben durch ihre Loeweneigenschaften der Erzaehlhaltung etwas Neues bringt. Dazu muss natuerlich der Autor das gewaehlte Tier sehr gut kennen. Dann aber sehe ich in einer solchen Verfremdung viele interessante Moeglichkeiten.

 

Herzliche Gruesse von Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Dem moechte ich so generell aber ueberhaupt nicht zustimmen, Beate.

 

Die Wahl einer ungewoehnlichen Erzaehlperspektive (e.g. Katze, Gnom, Stubenfliege ...) erlebe ich keineswegs als Effekthascherei, sondern eher als Verschiebung des Aufnahmewinkels, der sehr reizvoll sein kann.

 

Unrealistisch - oder auch surrealistisch - ist solche Darstellung natuerlich. Sie wird aber womoeglich gerade deshalb gewaehlt, weil sie dem Autor die Moeglichkeit bietet, seine Kamera anders auszurichten, eine andere Linse vorzulegen, andere Akzente zu setzen.

Hm, da habe ich mich wohl zu generell ausgedrückt. Wenn der Autor wirklich eine ungewöhnliche Erzählperspektive einnimmt, also nicht einfach seine Nachbarn in Felle steckt und eine 0815-Handlung ablaufen lässt, weil das hundertmal gelesene "mit Tieren mal was anderes" ist, gefällt es mir wahrscheinlich auch.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Mir waere diese Zweiteilung wichtig: Also kein Nachbar im Loewenfell' date=' sondern eindeutig eine Halbloewen-Gestalt, die eben durch ihre Loeweneigenschaften der Erzaehlhaltung etwas Neues bringt. Dazu muss natuerlich der Autor das gewaehlte Tier sehr gut kennen. Dann aber sehe ich in einer solchen Verfremdung viele interessante Moeglichkeiten. [/quote']

 

Ich bin auch ein Fan solcher Misch-Masch-Seelen. Wobei ich immer wieder auf die Schwierigkeit stoße, dass der Leser gerade dann nicht mehr mitzieht, sobald z.b. eben die Löwenseele dominiert.

Wenn ich ein für die Figur leckeres Essen beschreibe und dem Leser das Wasser um Mund zusammenläuft, gehen sie konform. Beschreibe ich aber das leckere Essen für den Löwen, schüttelt es doch eher den Leser. Oder leckt sich jemand über die Zunge, wenn der Löwe mit Genuß seine Reißer in die Gazelle schlägt und sich an dem rohen Fleisch sattfrißt? :s02

 

Um Beispiele aus meiner aktuellen Geschichte zu nennen: Da wird für den Leser auf brutale Art und Weise eine Meerjungfrau von einer großen Hornisse verunstaltet. Doch innerhalb der Geschichte, in dieser Welt, ist das garnicht so brutal. (In der Tierwelt wird es doch auch als normal angesehen, wenn ne Schwarze Witwe ihren Gatten frisst, aber für unseren Menschenblickwinkel ist das grausam.)

Oder in Sachen Erotik: Es gibt bei mir ein Volk, deren Männlein wie Weiblein Glatzen haben und dafür einen Kinnbart. Und wenn der Glatzköpfler eine sieht, die ihrer Glatze mit Gras einen grünlichen Schimmer verleiht, dann ist das für ihn erotisch anziehend. Den Leser schüttelt es allerdings.

Und da drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wie ich die Gefühle, die die Figur spürt, auch beim Leser erreiche, sobald ich mich solch ungewöhnlicher Erzählweisen bediene. Schließlich wollen wir doch, wenn wir z.b. Erotik schreiben, dass der Leser auch davon angetörnt ist, usw.

 

Grüße

Quidam

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Wenn ich ein für die Figur leckeres Essen beschreibe und dem Leser das Wasser um Mund zusammenläuft' date=' gehen sie konform. Beschreibe ich aber das leckere Essen für den Löwen, schüttelt es doch eher den Leser. Oder leckt sich jemand über die Zunge, wenn der Löwe mit Genuß seine Reißer in die Gazelle schlägt und sich an dem rohen Fleisch sattfrißt? :s02 [/quote']

Kommt darauf an, wie Du das beschreibst. :D Wenn Du schreibst, dass die Gazelle zappelt oder sich die Maden auf dem Fleisch tummeln, eher nicht. Wenn Du glaubwürdig rüberbringst, wie sich das Maul des hungrigen Löwen mit warmen Fleisch füllt, vielleicht schon.

 

Oder in Sachen Erotik: Es gibt bei mir ein Volk, deren Männlein wie Weiblein Glatzen haben und dafür einen Kinnbart. Und wenn der Glatzköpfler eine sieht, die ihrer Glatze mit Gras einen grünlichen Schimmer verleiht, dann ist das für ihn erotisch anziehend. Den Leser schüttelt es allerdings.

Und da drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wie ich die Gefühle, die die Figur spürt, auch beim Leser erreiche, sobald ich mich solch ungewöhnlicher Erzählweisen bediene. Schließlich wollen wir doch, wenn wir z.b. Erotik schreiben, dass der Leser auch davon angetörnt ist, usw.

Das finde ich schwierig. Ich kenne es so, dass eher Merkmale hervorgehoben werden, die dem heutigen Schönheitsideal entsprechen - große Augen, gebräunte Haut, lange Locken etc. Merkmale wie rot gefärbte Füße, Tätowierungen, langgezogene Ohren u.ä. werden eher beiläufig erwähnt. Und unsereins abtörnende Sachen wie tellerförmige Unterlippen, durch Reifen künstlich verlängerte Hälse, verkrüppelte Füße u.ä. habe ich noch nie als Schönheitsmerkmal oder überhaupt bei einem Protagonisten gelesen, obwohl es Völker gibt, bei denen das Schönheitsideale sind. Wenn Du schreibst "sein Herz klopfte schneller, als er ihren grün gefärbten Kopf sah" geht das vielleicht, um seine Gefühle zu zeigen, aber zum Antörnen des Lesers wirst Du wohl noch andere Merkmale brauchen. :s22

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Um Beispiele aus meiner aktuellen Geschichte zu nennen: Da wird für den Leser auf brutale Art und Weise eine Meerjungfrau von einer großen Hornisse verunstaltet. Doch innerhalb der Geschichte' date=' in dieser Welt, ist das garnicht so brutal. (In der Tierwelt wird es doch auch als normal angesehen, wenn ne Schwarze Witwe ihren Gatten frisst, aber für unseren Menschenblickwinkel ist das grausam.)[/quote']

Hm, nach meinem Gefühl stimmt das so nicht. Ein Lebewesen wird nicht lieber oder bereitwilliger leiden oder sterben, wenn das in seiner Welt "normal" ist. Als z.B. den Menschen die meisten Kinder starben, wurde das vielleicht eher hingenommen als heute ("Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen...."), aber der Schmerz war sicherlich der gleiche. Das Spinnenmännchen stirbt nicht lieber als wir, und für die Meerjungfrau ist die Verunstaltung ihres Gesichts eine Katastrophe, auch wenn es für die Hornisse "normal" ist. Wenn Du das als normal vermitteln willst, müßte es eine Figur erzählen, die selbst nicht betroffen ist, oder Du lässt irgendwo irgendwem erzählen, dass das xy auch passiert ist. Aber wenn es die Meerjungfrau erzählt, will ich als Leser ihre Verzweiflung spüren. Oder das Gesicht ist ihr nicht wichtig, dann natürlich nicht.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo Beate!

 

ja aber der Löwe stört sich eben nicht daran, wenn Maden in dem Gazellenfleisch nisten.

Und beim Schönheitsideal ists doch genauso.

 

Übrigens sind das zwei verschiedene Themen: Einerseits die zwei Seelen in der Brust, andererseits die Empathiefähigkeit des Lesers bei Fremdartigkeiten. Im Grunde kann man da nur ausblenden, wenn der Löwe herzhaft in das madenbenistete Fleisch beißt, weil dann die Empathie des Lesers versagen würde und sich die Geschichte, die man dem Leser näherbringen wollte, entfernt. :-/

 

Für mich kristalisieren sich folgende Richtlinien heraus:

 

Wenn ich den Löwen mit der Perspektive des Nachbarn kreuze, so will ich dennoch möglichst oft die ursprüngliche Seele durchschimmern lassen. Quasi die Nachbarsseele 'verlöwen'.

 

Und wenn man sich ungewöhnlicher Erzählperspektiven bedient, sollte man jene Szenen eher nur andeuten, wenn ein zu großes Loch zwischen ursprünglicher Seele (Löwe) und eingepflanzter Seele (Nachbarsseele im Löwen) klafft.

 

 

Grüße

Quidam

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Um Beispiele aus meiner aktuellen Geschichte zu nennen: Da wird für den Leser auf brutale Art und Weise eine Meerjungfrau von einer großen Hornisse verunstaltet. Doch innerhalb der Geschichte' date=' in dieser Welt, ist das garnicht so brutal. (In der Tierwelt wird es doch auch als normal angesehen, wenn ne Schwarze Witwe ihren Gatten frisst, aber für unseren Menschenblickwinkel ist das grausam.)[/quote']

Hm, nach meinem Gefühl stimmt das so nicht. Ein Lebewesen wird nicht lieber oder bereitwilliger leiden oder sterben, wenn das in seiner Welt "normal" ist. Als z.B. den Menschen die meisten Kinder starben, wurde das vielleicht eher hingenommen als heute ("Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen...."), aber der Schmerz war sicherlich der gleiche. Das Spinnenmännchen stirbt nicht lieber als wir, und für die Meerjungfrau ist die Verunstaltung ihres Gesichts eine Katastrophe, auch wenn es für die Hornisse "normal" ist. Wenn Du das als normal vermitteln willst, müßte es eine Figur erzählen, die selbst nicht betroffen ist, oder Du lässt irgendwo irgendwem erzählen, dass das xy auch passiert ist. Aber wenn es die Meerjungfrau erzählt, will ich als Leser ihre Verzweiflung spüren. Oder das Gesicht ist ihr nicht wichtig, dann natürlich nicht.

 

Liebe Grüße

Beate

 

 

öhm. Da hast du mich aber komplett falsch verstanden. Ich hab doch nicht gesagt, dass das Spinnenmännchen lieber stribt. :-? Ich hab lediglich sagen wollen: Wenn die Schwarze Witwe ihren Gatten tot beißt und frißt, und dabei von anderen Tieren beobachtet wird, ist das für die anderen Tiere so normal, wie wenn ich jemanden zuseh, der einen Apfel verdrückt.

 

Grüße

Quidam

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Und wenn man sich ungewöhnlicher Erzählperspektiven bedient' date=' sollte man jene Szenen eher nur andeuten, wenn ein zu großes Loch zwischen ursprünglicher Seele (Löwe) und eingepflanzter Seele (Nachbarsseele im Löwen) klafft. [/quote']Ja, das glaub' ich auch.

 

öhm. Da hast du mich aber komplett falsch verstanden. Ich hab doch nicht gesagt' date=' dass das Spinnenmännchen lieber stribt. :-? Ich hab lediglich sagen wollen: Wenn die Schwarze Witwe ihren Gatten tot beißt und frißt, und dabei von anderen Tieren beobachtet wird, ist das für die anderen Tiere so normal, wie wenn ich jemanden zuseh, der einen Apfel verdrückt. [/quote']Ach so. :s18 Ja, wahrscheinlich. Und ein Apfelbaum würde sich womöglich gruseln, wenn er Dir beim Apfelessen zusieht. :D Falls Du die Kerne mitisst, jedenfalls. Aber was stört Dich daran? Das ist doch dann "nur" eine Frage der Perspektive?

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

1. frag ich mich' date=' wie sich diese Methode überhaupt nennt.[/quote']

Im Falle von Tieren, die sich menschenähnlich verhalten, spräche man am ehesten von anthropomorphen Figuren.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hi Quidam!

 

Beschreibe ich aber das leckere Essen für den Löwen, schüttelt es doch eher den Leser. Oder leckt sich jemand über die Zunge, wenn der Löwe mit Genuß seine Reißer in die Gazelle schlägt und sich an dem rohen Fleisch sattfrißt?

 

Das ist doch das reizvolle daran! Zum Beispiel gibt es in Larry Nivens "Ringwelt" das Volk der kriegerischen Kzin, die Deinem Löwenbeispiel alleine dadurch sehr nahe kommen, da es sich um eine Art "aufrecht gehender Raubkatzen" handelt. In einer Szene sitzen die Hauptfiguren des Romans in einem Restaurant und lassen sich ihr entsprechendes Essen bringen. Der Kzin rümpft die Nase über den "verbrannten Müll" den sich die Menschen reinziehen und schiebt heftigsten Heißhunger als ihm seine Mahlzeit gebracht wird: rohes Fleisch, das in einem beheizten Schälchen auf Körpertemperatur gebracht wird - wie frisch gerissen eben. Komischerweise hat sich genau diese Szene total intensiv bei mir eingebrannt. Weil ich die Andersartigkeit der Kzin spüren konnte!

 

Und ich glaube genau das ist die "Erotik" solcher Figuren, sie gewinnen gerade dann, wenn sich der Leser eben NICHT in sie hineinversetzen kann! Wenn sie exotisch sind, aber doch echt, wenn sie einem vielleicht einen leichten Schauder über den Rücken jagen und einem das Gefühl vermitteln, dass man ihre Handlungen nicht einschätzen kann! Natürlich kann ich nicht mit ihr mitziehen, aber deswegen verfolge ich ihre Geschichte ja so gespannt: was wird sie wohl als nächstes machen?

 

Alles andere empfinde ich als Pop-Science Fiction (oder Fantasy, oder Mystery, oder, oder...), Außerirdische und Fabelwesen verkommen dann häufig zu leicht überzeichneten Schablonen menschlicher (Sub-)kulturen. Star Trek ist da ein hervorragendes Beispiel. Die Klingonen: Mongolen. Oder diese komische feilschende Rasse in "Deep Space Nine": willkommen im schönen Bagdad zu Sindbads Zeiten. Leichtverdaulich und unterhaltend ist das bestimmt, aber intensiv und nachhaltig ist es nicht.

 

Ciao!

Alf.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Je exotischer die Figur, desto schwerer ist aber das Reindenken für den Autor, oder?

Das muss noch nicht mal im Tierreich sein, aber bei sehr fremden, zeitfernen Kulturen wissen wir auch nicht, "wie denkt, bzw. dachte der Steinzeitmensch", wir können nur versuchen es nachzuvollziehen. Und da auch kein Leser das weiß, kann es auch funktionieren, wenn es überzeugend genug geschrieben ist.

 

Trotzdem finde ich aber gerade dieses Ferne, Exotische interessant, jedenfalls, wenn es mir nachvollziehbar und glaubwürdig vermittelt wird.

Der Löwe kann sich beim Anblick seines Opfers also ruhig schon übers Maul schlecken - alle Einzelheiten wie er es tötet und frisst, brauche ich dagegen nicht unbedingt, würde ich auch unwichtig finden. Wir schreiben ja so auch nicht in allen Details, wie der Prota sich ein Ei in die Pfanne haut und isst.

 

Bei meinem Einhornroman habe ich die meiste Zeit die Sicht des Einhorns; es versteht, was die Menschen sagen, aber es kennt nicht alle Wortbedeutungen oder Redewendungen. So konnte ich gut die Menschen sprechen lassen, war aber immer noch in Sicht des Einhorns.

 

 

Alles andere empfinde ich als Pop-Science Fiction (oder Fantasy, oder Mystery, oder, oder...), Außerirdische und Fabelwesen verkommen dann häufig zu leicht überzeichneten Schablonen menschlicher (Sub-)kulturen. Star Trek ist da ein hervorragendes Beispiel. Die Klingonen: Mongolen. Oder diese komische feilschende Rasse in "Deep Space Nine": willkommen im schönen Bagdad zu Sindbads Zeiten. Leichtverdaulich und unterhaltend ist das bestimmt, aber intensiv und nachhaltig ist es nicht.

 

Würde ich so nicht sagen; in der Welt, in der sie agierten, fielen sie schon auf, auch wenn es bekannte Parallelen gibt.

Klar wären Wasserwesen oder herumschwebende grüne intelligente Wolken exotischer, aber dazu ist dann so viel Erklärung zu der jeweiligen Rasse und Kultur nötig, dass das in den Buchbereich gehört; in einer Serie würden solche Figuren dann untergehen.

 

Liebe Grüße

Maren

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hoi Maren!

 

Das muss noch nicht mal im Tierreich sein, aber bei sehr fremden, zeitfernen Kulturen wissen wir auch nicht, "wie denkt, bzw. dachte der Steinzeitmensch", wir können nur versuchen es nachzuvollziehen. Und da auch kein Leser das weiß, kann es auch funktionieren, wenn es überzeugend genug geschrieben ist.

 

Eben, wir müssen keine Anthropologen sein, um einen glaubwürdigen Höhlenmenschen zu zeichnen. Recherchiertes Wissen über deren Kultur sorgen für Resonanz ("Das könnte ja wirklich so gewesen sein!"), und der Rest ist Fantasie.

 

Klar wären Wasserwesen oder herumschwebende grüne intelligente Wolken exotischer, aber dazu ist dann so viel Erklärung zu der jeweiligen Rasse und Kultur nötig, dass das in den Buchbereich gehört; in einer Serie würden solche Figuren dann untergehen.

 

Sicher, das ist ja auch nix Schlimmes, sondern nur eine Frage des Geschmacks. Und meinen Geschmack treffen allzu menschelnde Außerirdische einfach überhaupt nicht.

 

John Clute hat in "Sternentanz" nicht nur seine Völker exotisch gezeichnet, sondern auch sein komplettes Universum, und serviert hat er das ganze in einem Stil, der eher wie ein hallluzinogener Trip daherkommt, als wie eine Geschichte. Damit hat er etwas intensives und originelles geschaffen, das mir dann wieder zu abgefahren ist - ein paar Tacken mindestens. Als Beispiel mal der erste Auftritt einer seltsamen Weltraumrasse:

 

Der Kommandant der Insort-Geront-Arche, die sich auf einem Überwachungsflug in der Umlaufbahn befand, wagte es schließlich mit Opsophagos von der Harpe höchstselbst Kontakt aufzunehmen. Opsophagos befand sich selbstdritt am Steuer der weit entfernten Alderede, mitten in den Vorbereitungen für die nächste Phase des Kristallkrieges.

Ringler stürzten in Mäuler, während der Kommandant die Stunde seiner Geschwister abwartete.

"Also?", sprach der dreigeteilte Brustkorb in der Decke schließlich mit Donnerstimme.

"Verehrtes Geschwister", knurrte der Kommandant tapfer und stopfte sein Frühstücksmaul, um zu verhindern, dass es das Maul fraß, das sprach. "Sie wollten informiert werden, sobald der Transfer vollzogen ist."

[John Clute, "Sternentanz", S. 22, Heyne 2003]

 

Und das ist noch eine der leichtverdaulichen Szenen in diesem abgefahrenen Trip ;)

 

Ciao!

Alf.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Mindestens zwei Seelen (menschlich-allzu-menschliche) wohnen doch in nahezu jeder Brust. Warum aber Tiere vermenschlichen, die zum Glück nicht unter überentwickelten Gehirnen leiden ;) Ich persönlich kann mit ermittelnden Schafen oder sprechenden Viechern nicht viel anfangen - außer in Märchen. Und da denke ich an Deutungen der Psychoanalyse: Der Frosch wird auch als Mann aus dem Volk gesehen, der für Nachkommen ("Dornröschen") sorgt oder durch den Kuss der Prinzessin ("Froschkönig") quasi geadelt wird. Wen der böse Wolf im "Rotkäppchen" symbolisiert, wisst ihr phantasiebegabten Autoren sicher selbst.

 

LG KarinG

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar abzugeben

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden


×
×
  • Neu erstellen...