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(Minka)

Anforderungen an den Anfang

Empfohlene Beiträge

Hallo!

 

Nachdem Peter meinen Romananfang bemängelt hatte, machte ich mir so einige Gedanken über seine Aussage, es müsse nicht unbedingt ein Knalleffekt am Anfang stehen.

 

Ich bin nach wie vor anderer Meinung und wollte nun gerne eine Diskussion entfachen.

Bei mir ist es so, dass ich ein Buch weglege bzw. gar nicht erst kaufe, wenn der erste Satz nichtsaussagend ist. Wie z.B.: Weit in der Ferne, hinter blühenden Wiesen und rauschenden Bächen, lag das Anwesen von Lord Mustermann.

 

Ich muss beim ersten Satz, beim ersten Absatz, bei der ersten Seite mich sagen hören: Oh Gott, was ist denn hier los? Was wird passieren? Ich muss es erfahren.

 

Oder ist ein Knalleffekt am Anfang genreabhängig?

 

(Nichts für ungut, Peter. Dass ich deine Kritik ernst nehme, siehst du ja daran, dass sie mich beschäftigt. Und deinem Argument, wenn ein Knalleffekt, dann kein Auf-Teufel-komm-raus-Knalleffekt, pflichte ich bei.)

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(Peter_Dobrovka)

Der Thread ist nicht ganz dasselbe, auch wenn die Thematik eng verwandt ist.

Sicher muß einen der Anfang sofort packen und reinziehen. Aber das muß man ja nicht unbedingt mit etwas besonders Dramatischem erreichen.

 

Hier ein paar undramatische Anfänge aus von mir verlegten Büchern. Macht Lust aufs Weiterlesen, ganz ohne Knalleffekt.

 

Alleine hockte Jenna in dem kleinen Garten vor der Hütte, wuchernde Schädlingspflanzen aus der Erde rupfend. Die Zahl der wenigen Kräuter und des Gemüses würde sich schmälern, wenn andere Gewächse sie verdrängten. Doch niemand in dem Dorf würde von noch weniger leben können.

Zuviel Essen hatte niemals auf dem Tisch von Jennas Familie gestanden, und für nichts als dieses Essen standen sie jeden Tag auf und schufteten bis zur Dämmerung; ob nun auf des Nachbars Feld oder im eigenen dürftigen Anbau.

Jenna musste keine schwere Arbeit verrichten. Nur eintönig war es, jene Pflanzen ihres sie ernährenden Bodens zu berauben, die sonst das gleiche mit denen der Dorfbewohner taten. Eifrig griffen die Hände des Mädchens zu, entfernten das schädliche Wurzelwerk aus dem Erdreich und warfen es mitsamt seiner grünenden Auswüchse in den Korb.

 

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Zwei gigantische Schneckenpumpen füllten das Becken mit Abwasser aus der ganzen Region. Beat versuchte gerade die Vorstellung zu verdrängen, dass zwischen Urin und Exkrementen gelegentlich auch Tampons schwammen.

Das Bad machte tatsächlich keinen sehr angenehmen Eindruck. Aber was konnte man schon anderes erwarten?

 

„Und? Immer noch so entschlossen?“, fragte Schmidt.

„Ich bereite mich mental vor.“, war die Antwort.

Schmidt arbeitete seit über zehn Jahren in der Anlage. Ihn beeindruckten weder die Unmengen Klopapier noch der Anblick eines verbrauchten Tampons, der aussah, als hätte ihn sich jemand in den Hintern gesteckt. Für Schmidt war das Becken Alltag. Die rege braune Masse war ein Gemälde, dessen Museumswärter er war.

 

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Die Kerze flackerte. Sie warf mehr Schatten als Licht in den Raum, der sich an seinen Ecken in schwarze Unendlichkeiten zurückzog. Mir fröstelte und ich fragte mich, warum mich mein Freund derart spät in der Nacht zu sich gerufen und darauf bestanden hatte, dass ich sofort zu ihm kommen sollte, obwohl es eine stürmische und regnerische Nacht war.

 

Das alte Gemäuer, das er bewohnte, war nicht der Ort, an welchem ich mich gerne aufhielt, und wenn doch, so nur zu dem Zweck, ihn in meine Wohnung einzuladen. Wozu dieses Haus früher einmal genutzt worden war, vermag ich nicht zu sagen. Auch sein Alter war nicht einzuordnen. Mir kam es stets so vor, als läge dieses Gemäuer jenseits aller Architektur. Durch vielerlei Um- und Anbauten, die aus unverständlichen Gründen durchgeführt worden waren, besaß das Gebäude etwas Unförmiges; als wären die Zimmer aus dem Haus gequollen oder als hätten die Räume das Haus infiziert, wären von außen in es eingedrungen, kurz: das gesamte Gebäude wirkte in sich verschoben. Den Wänden haftete etwas Wucherndes, Unfertiges an, was durch die unterschiedlichen Bausubstanzen noch verstärkt wurde. Warum das Gebäude noch nicht eingestürzt war, blieb mir immer ein Rätsel und mein Freund antwortete, als ich dies einmal zu ihm sagte, dass das Gemäuer noch stehen würde, weil alle Steine gleichzeitig fallen wollten. Und in der Tat, der Gesamteindruck war der eines Fallens, das in der Zeit festgehalten worden ist.

 

---------

 

Im Schnittpunkt zwischen Leben und Tod liegt jener erleuchtende Moment des Verstehens, den wir Sterben nennen.

Kaum etwas anderes hat sich mir unauslöschlicher ins Gedächtnis gebrannt wie jenes Schwarzweiß-Foto aus dem zweiten Weltkrieg, das einen namenlosen, erfrorenen, russischen Soldaten zeigte. Irgendwo in Finnland war der Mann von den eisigen Klauen der Schneestürme erfasst und nicht mehr losgelassen worden.

Das wahrhaftig Faszinierende an dem Bild war jedoch, dass der Mann nicht tot wirkte. Eher sah es so aus, als hielte er ein kurzes Nickerchen und wäre von einem unvermittelt einsetzenden Schneesturm überrascht worden, ohne aufzuwachen.

Manchmal träume ich von diesem Soldaten und strecke meine Hand aus, um ihn zu berühren und zu neuem Leben zu erwecken. Wie in jenen grotesken amerikanischen Filmkomödien, wo urzeitliche Ungetüme oder Steinzeitmenschen in ewigem Eis eingeschlossen sind und durch Hitzeeinwirkung wieder erwachen.

 

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Heinrich kam spät zur Arbeit. Melanie und Yvonne waren schon da und drückten ihre massigen Körper hinter der Theke aneinander vorbei.

Melanie hatte Backen wie ein Schwein. Wenn man ihr ins Gesicht sah, mußte man es erst suchen. Sie roch nach Schweiß, Niveacreme und dem, was sich zwischen ihren Fettwülsten sammelte. Ging sie von einem Ende der Theke zum anderen, prasselten ihre Lungen wie Mühlräder.

Yvonne unterschied sich von ihr nur darin, daß sie das Sprichwort, man solle kein Buch nach seinem Umschlag bewerten, widerlegte. Sie sah nicht nur dumm aus, sie war es, so daß sich bei ihr der Dualismus zwischen Körper und Geist aufgelöst hatte. Sie hatte ihren Mund immer halb geöffnet und selbst wenn sie versuchte, ihn zu schließen, sah die obere Zahnreihe heraus. Sie war so unglaublich häßlich, daß man den Blick nicht von ihr abwenden konnte, und so abgrundtief dumm, daß sie meinte, man täte das, weil man sie hübsch fand. Ihre Dummheit machte aggressiv. Ihre Augen waren die eines toten Fisches und alles, was sie sagte, klang nach einer Frage.

Sie war nicht ganz so fett wie Melanie, dennoch ein halsloses Ungetüm, dessen menschliche Konturen im Fett versanken. Ihr Geruch war sehr eigen und schwer zu beschreiben, aber wer schon einmal Wellfleisch zubereitet hat, hat eine Vorstellung davon.

 

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Der Mann am Telefon gähnte.

Er hatte bereits zweiundachtzig Anrufe entgegengenommen, eine Kanne Tee seinem Blutkreislauf überantwortet und zwölf Marlboro geraucht, aber war noch immer müde.

Es summte wieder leise, unterstützt vom hektischen Blinken eines Lämpchens im Gehäuse des Telefons, das sich nicht abschalten ließ.

»Institut der ultimativen Wahrheit, Meier.« Das »Meier« fiel aufgrund eines kleinen, tückischen Gähnens etwas gedehnt aus.

»Ich will wissen, ob meine Frau mich betrügt«, sagte eine dumpfe Stimme. Die Sprachqualität litt etwas unter den zweihundert Metern Stahlbeton über ihm.

»Ja«, sagte der Mann – der nicht Meier hieß, was aber ohnehin niemanden interessierte – träge.

Der Anrufer knallte den Hörer auf.

Weitere neunundvierzig Euro neunundneunzig rasselten in ein digitales Countersystem.

Meier war ein Prägkognitiver der alten Schule, nicht besonders weise, nicht besonders diplomatisch.

In den acht Jahren, die er nun in der Telefonfirma im Bunker unter der Hauptstadt arbeitete, hatte er immer die gleichen Leute mit immer den gleichen Problemen verarztet.

 

---------

 

Der Regen prasselte gegen Steves Visier, während er spürte, dass der vom Hinterrad hoch geschleuderte Dreckwassercocktail die Schlacht gegen seine Wachsjacke gewann und ihn allmählich hinterrücks durchweichte.

»Scheiße«, blaffte er ins dumpfe Vakuum seines Helms.

Die Tasche mit den Briefen hatte er sich vor die Brust gezogen, und der Umstand, dass sein Chef eine erstklassige Entzündung einer ebenso erstklassigen Kurierniere in Kauf nahm, solange nur die Post trocken blieb, war für ein weiteres »Scheiße« gut.

Auf den Werbeprospekten des privaten Briefdienstes, bei dem Steve angeheuert hatte, waren Models zu sehen, die mit gebleichtem Lächeln in Barbies Vorgarten standen, eine milde Werbeagenturssonne über allem, und leuchtend weiße Kuverts schwenkten; genau diese Werbenutten hockten jetzt vermutlich gerade auf Barbados und tranken einheimische Wischiwaschi-Drinks, während Steve von der Realität die Sicht genommen wurde.

Es wurde Zeit für ein drittes, herzhaftes »Scheiße, verdammt!«.

Sein nächster Anlaufpunkt war das Haus nahe des Dortmunder Stadtkerns; Prospekte, vollmundige Ankündigungen über Millionengewinne aus dem Abort der privaten Lotterieanbieter, und als immer wiederkehrende Krönung des Ganzen Versandhauskataloge, jeder so wuchtig wie eine Gehsteigplatte.

 

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Schwinn trank seinen Milchkaffee im Bistro völlig entrückt und ohne die bauchige Tasse eines Blickes zu würdigen.

Grund dafür war das Buch, in das er vertieft war. Ein dünnes Buch, doch sonderbar schwer, der Einband erinnerte an Rochenhaut mit seiner pockigen, dunklen Struktur; man strich mit den Fingern darüber, und dachte an Leder, aber auch an Haut, Brokat, Fleisch.

Einem aufmerksamen Betrachter wäre aufgefallen, dass sich die Seiten in den Brillengläsern des Lesenden spiegelten. Alte Zeichnungen, pergamentene, verwaschene Skizzen, deren Sinn sich nur dem Lesenden selbst erschließen mochten – oder auch nicht.

 

---------

 

Der Kerl bewegte sich, als praktiziere er Zen in der Kunst, Süßkram einzusortieren. Bedächtig und konzentriert, als nähme er an einer Partie Mikado um den Fortbestand des Planeten teil, schichtete er Schokoriegel in schreiendem Papier aufeinander.

Er erhob sich und fixierte einen Moment lang das Regal, nickte dann fast unmerklich und gestattete sich ein sparsames Lächeln.

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Nein, Peter - ich mache ja grundsätzlich keine Textkritik im Internet. Aber bitte sag mir jetzt, dass der erste Text kein ernst gemeinter Anfang ist, sondern ein satirischer Beitrag zum Thema und Ausdruck deines speziellen, zynischen Humors ???

Sinn ist keine Eigenschaft der Welt, sondern ein menschliches Bedürfnis (Richard David Precht)

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Hallo, Peter.... äähmmm, ich gestehe, ich hab mich auch gefragt: Und so was hat der Peter verlegt, der sonst gnadenlos die Schwachpunkte aufzeigt?

 

Gruß

Jan :s01

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Also wenn ich ganz ehrlich bin. Bis auf den Text mit "Die Kerze flackerte..." schaffte es keiner deiner Texte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnnen, geschweige denn aufrecht zu erhalten.

 

Ich denke mittlerweile, das Genre und das Leseverhalten der jeweiligen Zielgruppe ist extrem entscheidend, was den Anfang betrifft.

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Ich denke mittlerweile' date=' das Genre und das Leseverhalten der jeweiligen Zielgruppe ist extrem entscheidend, was den Anfang betrifft.[/quote']

Ganz extrem sogar. Wenn sich jemand einen Michael Crichton aufschlägt, erwartet er einen ganz anderen Anfang, als wenn jemand einen Umberto Eco aufklappt. Verschiedene Leser greifen nunmal zu unterschiedlichem Futter, das äußert sich zum Teil in einem Genre generell, aber noch ist es wohl typisch für bestimmte Autoren. Nicht umsonst haben Autoren eine sogenannte Stammleserschaft.

 

Andreas

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(Peter_Dobrovka)
Also wenn ich ganz ehrlich bin. Bis auf den Text mit "Die Kerze flackerte..."  schaffte es keiner deiner Texte, meine Aufmerksamkeit zu gewinnnen, geschweige denn aufrecht zu erhalten.

 

Ich denke mittlerweile, das Genre und das Leseverhalten der jeweiligen Zielgruppe ist extrem entscheidend, was den Anfang betrifft.

 

Nicht ganz, aber nahe dran.

 

Um den Leser bei der Stange zu halten, muß er etwas lesen, das sein Interesse erweckt. Was ich damit demonstrieren will, ist hauptsächlich, daß dieses "etwas" kein Knalleffekt sein muß. Noch nicht einmal dann, wenn das Genre ein "Knalleffekt-Genre" ist.

Wäre jetzt überhaupt kein Beispiel dabeigewesen, das deine Aufmerksamkeit erregt hätte, täte ich mich schwer, aber immerhin eines war dabei: Das mit der Kerze. Das ist genauso unspektakulär wie die anderen Anfänge, es wird einen Abschnitt lang über Architektur gefaselt. Wobei ich schon beim Posten dachte, daß das dein Interesse erweckt, denn du willst ja auch über ein unheimliches Haus schreiben. ;D

Warum gerade dieser Text deine Aufmerksamkeit erregte und die anderen nicht, nun, am GENRE liegt es wohl gewiß nicht.

 

Peter

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Bei dem Text mit der Kerze habe ich nur den ersten Absatz gelesen. Kann also nicht sagen, ob mich der Text auch später noch bei der Stange gehalten hätte. Den zweiten Absatz schenkte ich mir deshalb, weil ich zum nächsten Beispiel vorrücken wollte.

 

Aber du irrst, wenn du sagst, in dem ersten Absatz mit der flackernden Kerze war kein Knalleffekt. War er eben schon: Ich war besorgt und meine Neugierde war erweckt. Ich stellte mir die Frage, was könnte wohl passiert sein, wenn dem Freund das Kommen so wichtig war? Der Knalleffekt dabei - es muss etwas schlimmes passiert sein.

Allein schon das flackern der Kerze deutet darauf hin, dass es nicht still ist in diesem Moment, dass gerade etwas passiert.

 

Diesen Effekt hatte ich bei allen anderen Texten nicht gespürt - im Gegenteil, sie langweilten mich.

 

Vielleicht sollten wir mal auf die Definition von Knalleffekt näher eingehen.

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Da sieht man's mal wieder - es gibt kein Patentrezept. Ich zum Beispiel fand den Anfang mit der Kerze nicht übermäßig fesselnd sondern wüsste lieber, ob Beat tatsächlich gleich zwischen die Tampons hüpft :s05

 

Ich tu mir schwer, ehrlich gesagt, den optimalen Anfang eines Buchs für mich zu definieren.

Action von der ersten Zeile an? Kann auch billige Effekthascherei sein. Ausschweifende Landschafts-, Wetter- oder Befindlichkeitsbeschreibungen riechen nach Langeweile und Verlegenheitslösung - außer sie sind genial. Aber das gilt für jede Art von Anfang - wenn er genial ist, darf er alles.

 

Wow, was für eine Erkenntnis :s02

 

Liebe Grüße

Ursula

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Ein Knallerffekt im Sinne eines "Mord-und-Totschlag"-Satzes muss es für mich nicht sein. Der erste Satz (oder zumindest der erste Absatz) sollte aber eine Frage aufwerfen, wie Minka schon gesagt hat.

 

"Klein-Mika war zwei Meter groß."

"Bernd hasste offene Türen."

oder ganz profan: "Ich hasse dich!"

 

Sind natürlich nur aus der Schnelle entstandene Beispiele, es geht auch subtiler, dafür fehlt mir aber gerade die Zeit :-)

 

Viele Grüße,

Heiko

(Coco? Heiko? Hä? Seht mal in der Textkritik unter meinem letzten Beitrag nach, dann werdet ihr aufgeklärt. Jan sei Dank! :-))

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Falcon Peak - Wächter der Lüfte. Ein spannendes Fantasy-Abenteuer für Jungen und Mädchen ab 10 Jahren und jung gebliebene Erwachsene. ArsEdition, 01.03.2021

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Guten Morgen in die Runde,

 

einen Knalleffekt brauche ich auch nicht, aber originell oder Spannung erzeugend bzw. Fragen aufwerfend muss ein Anfang sein. So viel Mühe sollte ein Autor sich schon machen :-)

 

Nach etlichen in der Hinsicht richtig schlechten Büchern hab ich gerade eins gefunden, dessen Anfang mich richtig begeistert. Lest selbst:

 

Dinnie, ein übergewichtiger Menschenfeind, war der schlechteste Geiger von New York. Trotzdem übte er gerade tapfer, als zwei hübsche kleine Feen durch sein Fenster im vierten Stock flatterten und auf seinen Teppich kotzten.

 

So viel Spaß wie mit diesem Buch ("Die Elfen von New York, Martin Millar) hatte ich lange nicht mehr.

 

Viele Grüße

Ellen

*die seit Tagen an der Anfangsszene ihres neuen Romanmanuskripts feilt, um ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden :s21 *

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(Peter_Dobrovka)

Aber du irrst, wenn du sagst, in dem ersten Absatz mit der flackernden Kerze war kein Knalleffekt. War er eben schon: Ich war besorgt und meine Neugierde war erweckt. Ich stellte mir die Frage, was könnte wohl passiert sein, wenn dem Freund das Kommen so wichtig war? Der Knalleffekt dabei - es muss etwas schlimmes passiert sein.

Allein schon das flackern der Kerze deutet darauf hin, dass es nicht still ist in diesem Moment, dass gerade etwas passiert.

 

Diesen Effekt hatte ich bei allen anderen Texten nicht gespürt - im Gegenteil, sie langweilten mich.

Du versuchst, das Unerklärliche zu erklären und mußt daran scheitern. :s22

Sorry, aber lassen wir die Kirche im Dorf: In der flackernden Kerze ist nicht mehr und nicht weniger Action als in den anderen Textstellen.

Daß man hier vermuten kann, daß irgendetwas Schlimmes geschehen sein muß, kann ich gelten lassen, doch angesichts dessen, daß man noch nicht weiß, was genau das ist, ist es kein Knalleffekt, denn als erfahrener Leser weiß man: Da kann jetzt gottweißwas Banales kommen.

Nein nein, der Knalleffekt wäre, wenn statt der Kerze eine grausam verstümmelte Leiche oder ein von einem Meteor zerdeppertes Haus zu sehen wäre oder wenn der Freund im Sterben liegen würde.

 

Vielleicht sollten wir mal auf die Definition von Knalleffekt näher eingehen.

Ein Ereignis, das bedrohlich oder absurd ist. Spektakulär. Leitartikeltauglich. Etwas, wo man sagt: "Auweia!"

 

Ursa fand eher den Anfang mit den Tampons interessant. Und das ist dann wieder wichtig: Man soll über etwas schreiben, das Interesse weckt. Man muß eben NICHT versuchen, es allen recht zu machen.

Meine Güte, wenn jeder Roman mit einem Knalleffekt beginnen würde, wäre das doch auch langweilig.

 

Coco hat hier wieder was Wichtiges und Richtiges gesagt, auch wenn das die Diskussion dann wieder zu sehr auf die ersten Sätze lenkt. Ich will aber hier nicht über den ersten Satz reden, sondern generell den Anfang von etwas, und da bleibt mein Standpunkt klipp und klar: Es muß nicht schon auf den ersten zwei Seiten die erste Leiche auftreten. Man kann den Leser auch auf andere Arten einspinnen. Hauptsache, man versteigt sich nicht ins Banale sondern bietet was ... INTERESSANTES halt.

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(Peter_Dobrovka)

Dinnie, ein übergewichtiger Menschenfeind, war der schlechteste Geiger von New York. Trotzdem übte er gerade tapfer, als zwei hübsche kleine Feen durch sein Fenster im vierten Stock flatterten und auf seinen Teppich kotzten.

Das ist ein Anfang von der Sorte, wo ich weiß, daß ich es bereuen werde, wenn ich weiterlese, aber ich kann nicht widerstehen.

 

Peter

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(Peter_Dobrovka)

Hier mal ein paar Anfänge MIT Knalleffekt (zur Verdeutlichung, was ich mir drunter vorstelle):

 

„Sie war eine nette Frau“, sagte Marek.

„Eine sehr nette Frau“, stellte er abermals fest und riss mit seinen Zähnen grunzend ein Stück Fleisch aus ihrem Bein.

 

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Ein Pochen durchzuckt in regelmässigen, kurzen Zeitabständen meine Nerven, treibt Schweiss aus meiner Stirn.

Wann wird es vorbei sein?

Vorsichtig versuche ich Mittel- und Zeigefinger der linken Hand zu bewegen. Es geht. Dabei jagt ein unerträglicher Schmerz durch meinen Unterarm.

Dann ist es wieder der malträtierte Rücken, der die Qual am intensivsten meldet. Begleitet vom regelmässigen Pochen des Kopfes, wie wenn ein ungeheurer Überdruck von innen auf die Schläfen herrschen würde.

Vor kurzem war ich ohnmächtig. Da war es für kurze Zeit still. Jetzt, wo ich wieder wach bin, stelle ich fest, was alles gebrochen ist.

 

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Möchtest du schreien?Aber das sollst du nicht. Ich habe deine Stimmbänder gekappt. Du brauchst sie nicht mehr. Nie mehr. Aus dir wird bald etwas Wundervolles, etwas Einzigartiges. Aber erst muss alles weg, was deiner Vollendung im Wege steht.

Möchtest du mich schlagen?

Aber das kannst du nicht. Ich habe die Sehnen in seinen Armen durchtrennt, du fühlst noch mit deinen Händen, aber sie bewegen sich nicht.

Warum ich dir das erzähle? Weil ich möchte, dass du es erfährst solange du noch hören kannst.

Solche Schmerzen! Sie tun dir gut. Sie bereiten dich auf das vor, was kommen wird.

Möchtest du sterben?

Aber das darfst du nicht.

 

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Was sich in den Augenhöhlen bewegte, erinnerte an lebendig gewordene Reiskörner.

„Gefällt es Ihnen?” fragte Werck, der Martins starren Blick bemerkte.

„Na ja, es ist sehr … interessant?” Martin spürte, wie sich sein Magen zusammenzog, und er fragte sich, wieso ihm der Anblick einer madenwimmelnden Leiche so nahe ging. Er hatte derlei schon häufiger gesehen – und Schlimmeres. Aber, so mußte er sich eingestehen, seine regelmäßigen Einsätze im Außendienst lagen schon fast ein Jahrzehnt zurück, und es war beinahe ebenso lange her, daß er als Oberkommissar ein Mordopfer zu Gesicht bekommen hatte.

 

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Ich muss ihnen Einhalt gebieten.

 

Gestern waren wieder einige da.

Ich sah sie durch den Spalt meiner Bürotür – mindestens zwanzig, schätze ich.

Sie geben sich keine Mühe mehr, zu verbergen, was sie wollen.

 

Meinen ersten Löwenmenschen sah ich vor zwei Wochen, als ich gegen Mittag einen Kaffee im Bistro nebenan trank.

Es war ein Weibchen; sie sprach mich direkt an, wobei sie mir einen dieser Blicke zuwarf, die mich seitdem nicht mehr haben schlafen lassen.

 

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Der Kaugummiautomat hat meine 50 Cent gern genommen, soviel steht fest.

Seit meiner Kindheit haben sich diese Dinger nicht verändert: Du wirfst eine Münze ein und drehst den kleinen Hebel; dieser öffnet einen unsichtbaren Schacht, während er ein Geräusch produziert, das typisch für die Reibung von Metall auf Metall ist.

Manchmal klang es auch wie Metall auf Sand – dann hatte sich ein Kind mit schmutzigen Griffeln oder bösen Absichten an dem Automaten zu schaffen gemacht, aber wenn man kräftig war, bekam man trotzdem was für sein Geld.

Man musste nur etwas mehr dafür arbeiten.

Du bekommst auch nicht nur einen Kaugummi.

Eine Plastikkapsel begleitet die süße Kugel; sie rollt mir durchs Dunkel entgegen, stößt dann gegen die stählerne Zunge.

Klick – Klick.

Und dann kommt der Zauber ans Licht; mal ein Ring – billiges Blech, aber eine Überraschung, keine Frage –, mal ein lauernder Plastikindianer oder ein kleiner bunter Kreisel.

Aber nicht für mich.

Als ich meinen Fünfziger einwarf, nahm der Automat ihn gern; reibungslos, beinahe gierig drehte sich der kleine Hebel; es kostete keine Anstrengung, ihn zu betätigen.

Dann hörte ich ein leises Pochen an der Innenseite der stählernen Zunge.

Was mir in die Handfläche fällt, ist ein nasses, trübes Auge.

 

Das letzte Beispiel zählt für mich übrigens auch zu einem Knalleffekt-Anfang, auch wenn er erst im letzten Drittel der Seite knallt - aber es ist immerhin noch die erste Seite.

 

Peter

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Also ganz ehrlich: so wichtig ein guter Anfang ist, habe ich doch noch kein Buch beiseite gelegt, nur weil der erste Satz lahm war oder der erste Absatz. Und anders herum kann ich mich an kein Buch erinnern, dessen erster Satz mir im Gedächtnis geblieben ist, oder das ich gekauft hätte, nur weil der Absatz so toll gewesen wäre.

Den ersten Satz oder den ersten Absatz zu feilen bis der Arzt kommt, ist kein Rezept, um einen guten Roman zu schreiben. Eine dieser Kleinigkeiten, in die sich Einsteiger gerne endlos vertiefen, weil es nach Bauanleitung klingt. Aus meiner Sicht ist das ein Sahnehäubchen (das von den meisten Lesern wahrscheinlich nicht einmal wertgeschätzt wird), aber vor der Kür steht die Pflicht.

Auch ein Agent oder ein Lektor möchte nicht allein den ersten Satz oder den ersten Absatz prüfen, sondern den Anfang - und das sind 20 Seiten, vielleicht 50. Dann spätestens sollte einen das Buch gepackt haben, das ist allerdings wahr.

 

Andreas

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Hallo,

 

ich habe früher einmal Theaterstücke von unbekannten Autoren daraufhin begutachten müssen, ob sie spielbar sind.

 

Man stellt tatsächlich nach spätestens zehn Seiten fest, ob das Stück gut ist.

 

Interessant fand ich allerdings unsere anschließenden Besprechungen im Gremium. Bei einigen Stücken herrschte unter allen Leuten absoluter Konsens, sowohl was die sehr guten, als auch, was die sehr schwachen Stücke betraf, dann gab es aber auch Schauspiele, wo die Meinungen auseinander gegangen sind. Meiner Ansicht nach war der Geschmack, vor allem in Bezug auf den Stil, bei diesen Stücken sehr vom Alter des Lesenden abhängig.

 

Ich habe zumindest festgestellt, daß es sicher nicht die ersten zehn Sätze sein müssen, aber die ersten Seiten (beim Schauspiel sind es vermutlich weniger, als beim Roman) vermitteln einen ziemlich guten Eindruck.

 

Anna

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Hallo nochmal,

 

ich find's sehr interessant zu lesen, wie die Meinungen zu diesem Thema auseinander gehen.

 

Als bekennender Vielleser, immer auf der Suche nach wirklich guten Büchern, habe ich mir tatsächlich vor einiger Zeit abgewöhnt, einem Buch, das mich nicht bereits auf der ersten Seite oder den ersten zwei, drei Seiten fesselt, eine Chance zu geben.

 

Wieso soll ich denn 10 oder 20 Seiten lang warten? Ich bleibe dabei, dass ein Autor sich bitteschön von Anfang an Mühe geben soll :-)

Ich als Leser weiß das sehr zu schätzen - aber vielleicht gehöre ich ja da zu einer Minderheit? Bin gespannt, was die anderen sagen.

 

Viele Grüße

Ellen

 

P.S.: Wenn der Anfang super ist und der Rest schlecht, ist das natürlich auch nicht toll :s21 Ist mir so noch nicht begegnet, aber dann hätte ich immerhin ein paar Seiten lang das Gefühl, ein gutes Buch erwischt zu haben. Dieses Gefühl habe ich wirklich zu selten. :

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(Peter_Dobrovka)

Daß das Buch einen in den ersten Seiten reinsaugen soll, darin sind wir uns wahrscheinlich alle einig.

Nur muß es eben kein Knalleffekt sein ;D

 

Ich habe übrigens eine Reihe Bücher gelesen, wo ich schon zu Beginn eine Ahnung hatte, worauf alles hinauslaufen wird, deswegen habe ich mich auch durch so manchen zähen Anfang gewühlt und am Ende doch das Gefühl gehabt, ein gutes Buch gelesen zu haben.

 

Im Moment lese ich gerade "Imagon" von Michael Marrak. Es dauert ca. 120 Seiten, bis endlich die Dinge ins Rollen kommen. DAS ist nun eindeutig zuviel. Bei 50 Seiten hätte ich noch ein Auge zugedrückt, weil es durchaus auch interessant ist, wenn nichts passiert.

 

Peter

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Tja, Peter, da werden wir wohl unterschiedlicher Meinung bleiben.

Aber das ist ja nichts schlimmes, denn wie man in diesem Thread sieht, hat jeder eine andere Ansicht.

 

Deiner Definition zufolge erwarte auch ich keinen Knalleffekt in einem Romananfang und werde meinem Anfang auch keinen verleihen bzw. bin nicht darauf aus, einen Knalleffekt hineinzubringen.

Ich dachte eigentlich, du meinst mit Knalleffekt die Thematik "Frage aufwerfen", den die möchte ich bei meinem Romananfang unbedingt unterbringen, obwohl mir in Textkritik gesagt wurde, soetwas muss nicht unbedingt sein. :s21

 

Ich bin im Leseverhalten wie Ellen. Ich lege ein Buch wieder ins Regal, wenn mich der erste Absatz nicht fesselt und eine Frage aufwirft. Auch wenn der Klappentext verheißungsvoll klingt. Habe nämlich auch öfter die Erfahrung gemacht, dass wenn ein Buch am Anfang nichts rüberbringt, bringt es auch die nächsten 100 Seiten nicht rüber.

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Ich lege ein Buch wieder ins Regal' date=' wenn mich der erste Absatz nicht fesselt und eine Frage aufwirft. Auch wenn der Klappentext verheißungsvoll klingt. Habe nämlich auch öfter die Erfahrung gemacht, dass wenn ein Buch am Anfang nichts rüberbringt, bringt es auch die nächsten 100 Seiten nicht rüber.[/quote']

 

Uff, das ist aber eine harte Ansage. Dann lass mich mal vermuten, dass Du auch Ecos "Name der Rose" nicht gelesen hast. Er hat die ersten 100 Seiten (angeblich bewusst :s12) als "Hürde" für faule Leser konzipiert. Ein bisschen so wie den Grießbreiberg im Schlaraffenland: Friß dich durch, dann winkt die Belohnung! Nicht, dass ich das für nachahmenswert halte - aber den ersten Absatz (!) entscheiden zu lassen und den Klappentext zu ignorieren - da könnten Dir einige lesenswerte Dinge entgehen.

 

(So wie mir durch Boykott von Büchern mit scheußlichen Covers - von Peter zu weniger Snobismus bekehrt, lese ich jetzt das "Lied von Eis und Feuer" und klebe dran wie die Fliege am Fliegenpapier. Bin aber gleichzeitig überzeugt, dass die Covers an der schweren Bindehautentzündung schuld sind, die ich gerade erst wieder los geworden bin 8)) Aber das ist off topic und darum hör ich jetzt auf, bevor ich von Andreas eins auf die Finger kriege.

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Hallo Ursa!

 

Nein, "Name der Rose" habe ich nicht gelesen, aber auch noch nicht angelesen. ;)

 

Es ist nicht so, dass ich den Klappentext ignoriere, er stellt nach dem Cover sogar die erste Hürde dar. Aber wenn ich im ersten Absatz, von mir aus auch auf der ersten Seite über blühende Wiesen geführt werde, hege ich so meine Gedanken, dass der tolle Klappentext einfach mehr verspricht, als der Inhalt. Ich weiß, klingt wie ein Vorurteil. Aber ich bin bei Büchern ziemlich wählerisch. Ähnlich wie Verlage mit unverlangten Manuskripten. Es muss alles stimmen, damits mit uns zwei was wird.

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Also, dass ein Krimi möglichst schon im ersten Satz eine spannende Frage haben solle, sehe ich ein.

Aber ein Buch nur nach dem ersten Absatz beurteilen...?

 

:s13"Kapitän Marko Ramius der sowjetischen Marine war passend für die arktischen Bedingungen gekleidet, die typisch für die U-Boot Basis der Nordmeer-Flotte in Polyarnyy waren. Fünf Schichten Wolle und Ölhaut hüllten ihn ein. Ein schmutziger Hafenschlepper schob den Bug seines U-Boots nach Norden, in Richtung stromabwärts."  :s14

 

Das geht noch ewig so weiter, trotzdem verbirgt sich dahinter mit 'Jagd auf Roter Oktober' eines der spannensten Bücher, die man auftreiben kann.

 

Ich denke, man kann mit Leichtigkeit ein Dutzend guter, spannender und erfolgreicher Bücher mit langatmigem Anfang finden.

 

Ich würde hier ein Zitat von George Bernard Shaw anbringen:

"Liebe auf den ersten Blick ist ungefähr so zuverlässig wie Diagnose auf den ersten Händedruck"

Oder kennt noch jemand den Satz, man soll ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilen?

 

Gruß, Marco!  :s17

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