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Ruth

Marlen Haushofer Die Wand

Empfohlene Beiträge

Ihr Lieben,

 

ich trau mich kaum, zu diesem Werk hier einen Thread zu eröffnen, weil es mich so sehr beeindruckt hat, aber ich würde wahnsinnig gerne mit Euch darüber sprechen. Sicher gibt es viele, die den Roman kennen. Ich wollte ihn auch eigentlich nicht vorstellen, sondern diskutieren. Deshalb hier eine eindringliche Spoiler-Warnung an alle, die den Text noch lesen möchten!!!

 

Ich versuche mich mal an einer Mini-Inhaltszusammenfassung: Eine Frau, deren Name nicht fällt, fährt für ein Wochenende in ein einsam gelegenes Jagdhaus im Wald. Am nächsten Tag bemerkt sie auf einem Ausflug, dass eine unsichtbare Wand über Nacht den Wald eingeschlossen hat, hinter der jegliches Leben - ausgenommen die Pflanzen - zu Stein erstarrt ist. Der Roman ist ihr Bericht darüber, was sie innherhalb von zweieinhalb Jahren innerhalb der Mauern dieses Gefängnisses tut und erlebt.

 

Die Idee, in eine neue Welt einzutauchen, in der absolute soziale Isolation herrscht, finde ich per se schon sehr spannend. Hinzu kommt, dass sich diese neue Welt in der Natur befindet. Überlebensstrategien, Ackerbau, Haushalten mit Vorräten etc. sind also notwendig.

 

Eine ganz wichtige Ebene des Romans ist die Interaktion der Erzählerin mit den Tieren, mit denen sie besser auszukommen scheint als sie es je mit den Menschen vermocht hat. Die Sorge um die Tiere scheint manchmal der einzige Motor zu sein, der sie antreibt, ihr eigenes Leben zu erhalten.

 

Seltsamerweise ist ihr Interesse an der unsichtbaren Wand recht gering. Sie erforscht sie nur marginal, versucht nicht, sie zu untergraben oder ihre Höhe herauszufinden. Meine These ist, dass die Mauer ein Bild für ihren Überdruss an allem Menschlichen ist, dass sie eigentlich diese unsichtbare Mauer längst in ihrem normalen Leben um sich gezogen hatte und sie nun physisch greifbar wird. Eigentlich kennt sie dieses Ding also schon.

 

Sie vermisst auch niemanden übermäßig. Süßigkeiten scheinen ihr weit mehr zu fehlen als etwa ihr Mann oder ihre Kinder.

 

Als sie sich auf den Weg macht, um den Wald nach eventuellen weiteren Überlebenden abzusuchen, bewaffnet sie sich. Ihr Misstrauen gegen die Menschen ist selbst (oder gerade?) in dieser Situation ungeheuer groß. Menschen bedeuten Gefahr.

 

Und diese Einstellung bestätigt sich auf das Fürchterlichste, als tatsächlich ein Mensch auftaucht, der ihren Stier und ihren geliebten Hund erschlägt. Ohne eine Sekunde zu zögern erschießt sie diesen Menschen und wirft seinen Leichnahm einen Abhang hinunter. Alle ihre Tiere haben immer ein Begräbnis bekommen. Sie fragt auch nicht, woher dieser Mann kam, wer er war, was er wollte. Der einzige Gedanke, den sie an ihn verschwendet, ist, warum er ihre Tiere getötet hat. Danach ist er nur noch eine dunkle Anekdote, ein Schicksalsschlag, ohne Eigenleben, ohne Hintergrund. Das hat mich sehr berührt, dass dieser Mensch für sie völlig bedeutungslos war - in seiner grausigen Funktion als Mörder ihrer Schützlinge hatte er natürlich Bedeutung, aber eben nicht darüber hinaus.

 

Die Spannung, mit der Marlen Haushofer in der Beschreibung der notwendigen Verrichtungen immer wieder vorauseilend diesen Punkt berührt, dadurch, dass sie erwähnt, dass der Hund nicht mehr lebt oder dass sie jetzt nie mehr so arglos durch den Wald streift wie damals etc. finde ich unglaublich packend. Die Sprache ist dabei klar und treffsicher. Bei amazon.de finden sich zahlreiche Rezensionen, die das Buch als langweilig klassifizieren - da komm ich, ehrlich gesagt, nicht mit. Für mich war es eines der spannendsten und beeindruckendsten Bücher, die ich je gelesen habe.

 

Ich bin unheimlich neugierig auf Eure Erfahrungen mit dem Text!

 

 

Ruth

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Hallo Ruth,

um noch einen Aspekt einzuwerfen... zu meiner Zeit (Ende Siebziger, Anfang Achtziger) war "Die Wand" eines DER Kultbücher der Frauenbewegung, überhaupt wurde es da erst wiederentdeckt. Man stelle sich vor, Haushofer hat diesen Roman 1962 geschrieben, acht Jahre vor ihrem Tod. Er blieb lange vergessen.

 

Insofern liest sich die Geschichte auf mehreren Ebenen. In jener Zeit wurde eine Reflektion der Rolle der Frau besonders stark wahrgenommen, über die Möglichkeiten nachgedacht, ob Frauen zu sich selbst kommen können, wenn sie in der Welt bleiben oder sich selbst isolieren oder gar von der Umwelt isoliert werden. Auch die unterschiedlichen Arten von Liebe werden reflektiert... Tierliebe als bedingungslose Liebe, ohne a priori... der Mann, der eingreift, zerstört. Die Frau, die sich in ihrer Glasglocke endlich die Bedingungen geschaffen hat, nicht mehr konform agieren zu müssen, die ausbricht und damit Verhaltensweisen und Werte in Frage stellt.

 

Noch tiefer als die feministische Interpretation geht die Sichtweise, dass es hier um das Entstehen einer (scheinbaren?) Idylle innerhalb einer Katastrophe geht, um Fragen des Überlebens in Entwurzelungen und Zerstörungen. Um Leben im Lebensfeindlichen. Das Buch erlebte 1986 mit Tschernobyl ein wieder neu gedeutetes Comeback. Und das kommt Haushofers Ursprüngen eigentlich recht nahe - sie schreibt in den 50ern, 60ern in einem Umfeld von Literatur, wo man sich Gedanken macht, wie Leben und Literatur nach der Katastrophe (Drittes Reich) noch möglich sein kann.

 

Wenn es dich interessiert, es gibt eine ganz neue Dissertation zum Thema "Reduziertes Leben" (Link ungültig) (Link ungültig) in Marlen Haushofers Werk.

 

Damit habe ich auch verraten, was ich an diesem schmalen Büchlein so faszinierend finde, und warum es für mich ein "starkes Stück Literatur" ist: "Die Wand" ist zeitlos und ungeheuer vielschichtig zu lesen. Jedes Mal, wenn ich das Buch zur Hand nehme, finde ich neue Geschichten darin, neue Ebenen. Und immer gelingt es der Autorin, meine Erlebenswelt in so unterschiedlichen Jahrzehnten widerzuspiegeln, eine Zeit, die sie selbst ja nicht einmal ansatzweise erlebt hat. Und das alles in einer derart klaren, eindringlichen Sprache und mit einer Geschichte, die spannend ist...

 

Schöne Grüße,

Petra

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Hallo,

 

habe das Buch vor ein paar Jahren nach dem von Elke Heidenreich verursachten Hype gelesen und fand es spannend und verstörend. Für mich hat es bildhaft eine ziemlich autistische Seelenlage widergespiegelt, aber außer diesem Gefühl der Protagonistin konnte mir der Inhalt keine tiefergehenden Aussagen vermitteln. Die Spannung speist sich in erster Linie aus der beim Leser erzeugten Erwartung, die klassische "Wie-kommt-sie-da-raus?"-Frage, von daher am Ende auch eine vage Enttäuschung und Leere. Die Idee für das Buch fand ich ausgesprochen superb, die Dramaturgie ist ebenfalls stimmig, aber die Umsetzung auf der Handlungsebene war aus meiner Sicht zu stark auf dieses ganze Alm-Öhi-Drumrum beschränkt. Die Sprache ist nach meinem Empfinden stilsicher. Insgesamt halte ich das Buch für empfehlenswert, aber nicht unbedingt für eines, das ich ein zweites Mal lesen möchte.

 

LG,

eva v.

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Im Nachhinein eure Deutungen zu lesen ist interessant und schlüssig. Aber beim Lesen ging es mir eher wie Eva, ich fand es auch verstörend. Mich nervte nach einer Weile das Alm-Öhi Zeugs, aber der unterschwellige Grusel hielt mich bei der Stange (was, wenn einem sowas wirklich passiert?). Bei mir wirkte das Buch noch lange nach. Wie gesagt weniger wegen irgendwelcher Botschaften, als wegen des Irrsinns der Situation. Eine Horrorvorstellung für mein Gemüt. Deshalb spannend und anziehend, denn diese Art Grusel, subtil und düster, geht mir viel näher als Kettensägenmörder oder zerfledderte Zombies im Nebel.

Auf jeden Fall aber, ein irres Buch! Und hochinteressant als Autor zu sehen, welch verschiedene Botschaften verschiedene Leser darin erkennen.

 

LG

Joy

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Mich nervte nach einer Weile das Alm-Öhi Zeugs

Das Buch stammt aus den frühesten Sechzigern Österreichs, nicht aus Berlin Mitte ;)

 

Schöne Grüße,

Petra

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Petra, yep, det is mir dann ooch uffjefallen, wah? ;)

 

Nee, im ernst. Die Beschreibungen der alltäglichen Handgriffe wurden mir einfach zu viel. Aber das tat dem Buch ja keinen Abbruch.

 

Schöne jrüsse

Joy

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Ich habe das Buch vor ca. einem Monat gelesen. Ich fand es ungemein spannend, aber sehr schwer zu verdauen. Vor allem die subtilen Hinweise auf den Tod der Tiere, die für die Frau ja viel wichtiger waren als jeder Mensch. Mich haben die kleinen Alltagsbeschreibungen nicht gestört, ich fand das sehr gut gemacht. Aber ich konnte das Buch dann nicht zuende lesen. Ich habe ungefähr 10 Seiten vor Schluß aufgehört, als dieser Mann plötzlich auftauchte. Aber das Buch wirkt ja, auch wenn man es gar nicht zuende liest - ein seltsames, merkwürdiges Buch, das ich irgendwann sicher noch einmal lesen werde. Mal sehen, wie weit.

Viele Grüße

Gid.

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Bei amazon.de finden sich zahlreiche Rezensionen' date=' die das Buch als langweilig klassifizieren - da komm ich, ehrlich gesagt, nicht mit. Für mich war es eines der spannendsten und beeindruckendsten Bücher, die ich je gelesen habe.[/quote']

 

Für mich auch. Ich hatte seinerzeit - vor ein paar Jahren - einige biografische Informationen über Marlen Haushofer und habe das Buch folgendermaßen erlebt:

Eine Frau erlebt die Welt wie unter einer Glasglocke, sie ist völlig abgeschnitten

und auf die elementaren Tätigkeiten reduziert (deshalb auch diese "Alm-Öhi"-Effekte, die erlebt der Leser als genauso ermüdend wie die Protagonistin selbst. Aber mir wurde sehr schnell klar, dass es die einzige Überlebensstrategie war.)

 

Dass der erste und einzige Kontakt mit einem Menschen, einem Mann, tödlich endet, für den Stier und den Mann, hat mich erschüttert. Ich habe es auch nicht als Notwehr erlebt, sondern die Impulse als sehr aggressiv empfunden. Gut, der Mann hat ihr Tier getötet, das sie zum Überleben brauchte. Aber musste er nicht auch überleben?

 

Ich habe das Buch gerade noch einmal zur Hand genommen. In dem Nachwort von

Klaus Antes ist einiges zur Autorin gesagt, dass sie schrieb, um sich selbst ihre Existenz immer wieder zu beweisen, dass die Wand ein Symbol für die Unmöglichkeit wahrer Nähe zwischen Menschen war. "Nicht in ihrer Haut, sondern in der Natur, die ihr zur schützenden Heimat wurde, konnte sie frei sein."

 

Das Buch endet so:

"Die Krähen haben sich erhoben und kreisen schreiend über dem Wald. Wenn sie nicht mehr zu sehen sind, werde ich auf die Lichtung gehen und die weiße Krähe füttern. Sie wartet schon auf mich."

 

Das ist für mich eindeutig ein Todessymbol. Und macht das Ganze irgendwie hoffnungslos.

Ich persönlich bin in diesem Roman am meisten aufgelebt, als sie endlich losging, um den Radius der Bewegungsfreiheit auf die Berge auszudehnen. Da trifft sie auf eine Hütte und ich habe mich gefragt: warum geht sie denn nicht weiter? Dort war die Wand doch gar nicht mehr zu spüren! Sie hat irgendetwas gefunden in der Hütte, menschliche Spuren, was schon wieder bedrohlich wirkte. Ich als Protagonistin - oder Autorin- wäre so lange weitergelaufen, bis ich einen Menschen gefunden hätte, dem ich vertrauen kann.

 

Dieses Buch habe ich schon mehrfach weiterempfohlen

 

Herzliche Grüße

Christa

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Liebe Christa,

 

auch ich fand die mangelnde, eigentlich die fehlende Sehnsucht nach anderen Menschen sehr erschütternd. Der Fakt, dass der Mensch, der plötzlich in ihrer Welt auftaucht, sich durch die Tötung ihrer Tiere so sehr disqualifiziert, dass er für ein Überleben und eventuelles Befragen zu seinen Motiven ausscheidet, das hat eine derartige Kraft und muss einen wirklich verstören.

 

Jetzt mal von Autorenseite gesprochen: Es ist ja sehr interessant, diese Idee, den Menschen auftauchen zu lassen, ihn den Stier töten zu lassen und die Motivation für dieses Töten nicht zu erklären - einfach weil es die Protagonistin niemals herausfinden wird.

 

Man muss ja davon ausgehen, dass der Mann ebenfalls innerhalb der Wand eingeschlossen war über all die Zeit und nun eine Erkundungsreise ihn zu der Protagonistin und ihrer kleinen Tiergemeinschaft geführt hat. Den Stier hat er vielleicht einfach aus Hunger getötet oder ist von ihm angegriffen worden - wie gesagt, wir werden es nie erfahren.

 

Dass er den Hund umbringt ist sogar verständlich, immerhin springt dieser ihm sofort an die Kehle. Die Protagonistin, die den Hund zurückruft hat deswegen ein schlechtes Gewissen, weil dieses Zurückrufen den Hund das Leben kostet! Und spätestens da hat der Mann sein Leben verwirkt. Es kommt nicht in Frage, dass sie von diesem Mann mehr haben könnte als von ihrem Hund. Es kommt nicht in Frage, dass jemand am Leben bleiben darf, der ihre Tiere getötet hat. Es kommt nicht in Frage, dass von diesem anderen Menschen etwas Gutes ausgehen könnte.

 

All dies bestätigt mich in meiner Interpretation, dass die Wand eigentlich ein überfälliges Manifest ihrer Einstellung zu den Menschen ist, dass die soziale Isolation selbst gewählt ist und gar nicht durchbrochen werden soll - vielleicht auch nicht kann.

 

Und deshalb macht sie auch nur solch kleinen Erkundungsgänge: Sie kann ihre Tiere nicht so lange allein lassen, aber sie läuft eben auch Gefahr, je weiter sie sich von ihrem Standort entfernt, tatsächlich auf einen anderen Menschen zu treffen.

 

Übrigens fällt mir die feministische Leseweise des Textes eher schwer. Einerseits finde ich, dass der Text mit einem männlichen Protagonisten ebenso gut funktioniert hätte. Und zweitens weiß ich nicht einmal, in welche Richtung ich diese Isolations-Situation feministisch sinnvoll zu deuten hätte. Zwei Varianten kämen da in Frage, vielleicht kannst du, Petra, da ein bisschen Licht in mein Dunkel bringen?

 

Variante 1 (zu der ich neigen würde): Die Isolation ist eine Art Befreiungsschlag von der Welt der festgeschriebenen Rollen, der unbefriedigenden sozialen Kontakte. Die Frau kann ihr Leben selbst bestimmen, die Zwänge, denen sie unterliegt, sind natürliche und keine gesellschaftlichen.

 

Variante 2: Die Verbannung in die Grenzen der Mauer sind ein Sinnbild für die gesellschaftliche Verbannung der Frau in ihre vom Mann gesteckten Grenzen. Die Frau hat Sorge zu tragen für ihre Schützlinge (dann müsste man die Tiere als Symbol für Kinder deuten, was ja nicht schwer fällt), muss das Leben am Laufen halten, sich um alles kümmern, während ihre Gefühle verkümmern (denn immer wieder sagt ja die Protagonistin, dass sie sich von sich selbst entfremdet fühlt, keinen Zugang mehr zu dem Menschen hat, der sich vor einem Jahr/vor fünf Jahren war).

 

Das scheint mir nicht ins Bild zu passen, dass zwei völlig konträre Sichtweisen möglich sind. Aber es mag auch gut sein, dass ich da interpretatorisch einfach auf dem Holzweg bin. Petra?

 

Und Gid, dich möchte ich ermuntern, die letzten zehn Seiten auch noch zu lesen. Wenn du den "Auftritt" des Menschen hinter dir hast, hast du es eigentlich geschafft.

 

Ich freue mich sehr, dass so viele sich hier äußern! Danke Euch!

 

Liebe Grüße

 

Ruth

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All dies bestätigt mich in meiner Interpretation, dass die Wand eigentlich ein überfälliges Manifest ihrer Einstellung zu den Menschen ist, dass die soziale Isolation selbst gewählt ist und gar nicht durchbrochen werden soll - vielleicht auch nicht kann.

 

Inzwischen denke ich: nicht durchbrochen werden soll. "Feministisch" habe ich diesen Roman übrigens an keiner Stelle gelesen oder interpretiert. Ich sehe jemanden, dessen Selbst in dieser Isolation immer mehr schrumpft und der sich nur durch das Aufschreiben dessen, was ihm passiert, am Leben hält.

 

Danke auch für das Anregen dieser Diskussion

Christa

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Ich bekenne mich schuldig: ich empfand den Roman als dröge und langweilig.

 

Das Problem, das ich damit habe: "Die Wand" wirft sooo ein verdammt starkes, interessantes Rätsel auf. Diese unsichtbare Wand, die einfach so da ist, die Vorstellung, dass dahinter alles Leben wie eingefroren stehengeblieben ist... Genial!!! Alles was ich lesen wollte war, wie sie diese Wand erforscht, und wenn es nur gedanklich ist. Ihr Überleben in der Isolation ist ok, aber es hat mich einfach nicht interessiert. Das stellte für mich keine Motivation dar, den Roman zu lesen. Ich wollte mehr über diese verdammte Wand erfahren. Wer hat sie gemacht, warum ist sie da, was ist dahinter, was passiert, wenn sie gräbt oder eine hohe Leiter baut um darüber zu kommen - wäre das überhaupt möglich und wenn nicht, warum verzweifelt sie daran nicht... Und auf all das geht der Roman eigentlich überhaupt nicht ein. Für mich war der Roman eine glatte Themaverfehlung. Daher Note 6. Ich war enttäuscht. Total.

 

Ja, er ist gut geschrieben, ja in Bezug auf Entstehungsdaten, Biographie der Autorin, Frauenbewegung usw. blablabla ist das sicherlich alles toll und schön und gut... Aber deswegen lese ich keine Bücher. Ich möchte unterhalten werden. Ich möchte keine politischen, gesellschaftlichen oder sozialen Probleme literarisch verpackt haben. Dazu brauche ich mir bloß die Nachrichten anschauen.

 

Ist ja auch egal. Ich habe zwar keine Kritik auf Amazon geschrieben, aber ich kann es nachvollziehen, dass der Roman oft negativ bewertet wird. Denn er weckt in mir falsche Erwartungen, die nicht mal Ansatzweise erfüllt werden. Das ist frustrierend beim lesen.

 

Vielleicht bin ich aber nur zu geprägt von phantastischen Stoffen, und habe daher mehr Science Fiction erwartet. Der Roman wurde mir übrigens als Science Fiction Klassiker empfohlen. Von daher war ich doppelt so wütend, als ich den Roman durch hatte.

 

Nichts für ungut.

"Kein Buch oder Gedicht ist je fertig. Es wurde lediglich aufgegeben." (Sprichwort, unbek. Verf.)

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Lieber Tobias,

 

wenn man einen Science Fiction Klassiker erwartet ist natürlich das - wie war es noch gleich? - "Alm-Öhi-Zeugs" in der Tat enttäuschend!

 

Auch mich hat es überrascht, wie gering der Forschungsdrang der Protagonistin ist. Als zum Beispiel nach wenigen Tagen der erste Schnee fällt, dachte ich sofort: Ha! Geniale Idee! Sie lässt Schnee fallen (die Autorin, mein ich) und jetzt wissen wir, wie hoch die Wand ist - aber denkste. Die Wand wird am Schneetag nicht mal erwähnt.

 

Aaaber: Ich finde nun, wenn solch nahe liegende Gedanken nicht literarisch ausgeführt werden, zeigt das einfach, dass der Fokus darauf nicht liegen soll. Und deshalb muss man dann einfach umdenken und sich fragen, was es denn mit der Wand - quasi innerlich - auf sich hat, wenn ihr Äußeres so eine geringe Rolle spielt.

 

Aber natürlich ist es völlig legitim, dann zu dem Schluss zu kommen, dass einen das nicht interessiert.

 

schöne Grüße

 

Ruth

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Moin Tobias,

 

 

Alles was ich lesen wollte war, wie sie diese Wand erforscht, und wenn es nur gedanklich ist.

 

 

Glaubst du, wenn die Autorin das so gemacht hätte, würde heute noch jemand über das Buch reden?

 

Gruß

 

HW

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Wenn sie es gut und originell gemacht hätte, sicherlich. Auf jeden Fall, ja!

 

Science Fiction oder generell Phantastik wird leider viel zu gern, viel zu Vorschnell und viel zu häufig als "Schund" abgetan, als "trivial", "pulp" oder "billig" bezeichnet. Doch Leute die das tun, haben sich damit noch nie ernsthaft auseinandergesetzt. Ich möchte darüber hier nun keine Debatte vom Zaun brechen, doch gibt es ja genügend Gegenbeispiele, in denen Phantastik so funktioniert, dass man auch nach hundert Jahren noch darüber spricht: Franz Kafka "Die Verwandlung" (um nur eines seiner allesamt der Phantastik zuzuordnenden Texte zu nennen), Edgar Allan Poe, und sogar ein Goethe hat bereits phantastische Stoffe verwendet. Nur fällt auf, dass diese Leute nicht damit identifiziert werden. Aber wie gesagt ist das ein anderes Thema.

 

Marlen Haushofer hätte ihren Roman dergestalt schreiben können, dass sowohl das "Alm-Öhi-Zeugs", als auch die Wand selbst, ausreichend und befriedigend behandelt worden wäre. Warum hat sie es nicht getan? Vermutlich lag ihre Motivation, den Roman zu schreiben, tatsächlich nicht auf der Idee dieser Wand - die Wand gilt nur als Metapher. Vielleicht hatte sie aber tatsächlich auch einfach keine Idee, wie sie es hätte erklären oder auflösen können (ohne ihr das unterstellen zu wollen), vielleicht war das Manuskript auch noch gar nicht fertig... Wer weiß das schon? Mir persönlich ist das auch egal. Ich kenne nur das Endprodukt, an das ich mit einer gewissen Erwartungshaltung herantrat, und diese Erwartung wurde nicht erfüllt. Vielleicht hätte ein anderer Titel bereits ausgelangt, um andere Erwartungen im Leser zu schüren?

"Kein Buch oder Gedicht ist je fertig. Es wurde lediglich aufgegeben." (Sprichwort, unbek. Verf.)

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Hallo Heinz-Werner, hallo Tobias,

 

ich denke auch, dass Spekulationen über den Erfolg des Buches mit erforschter Wand sehr müßig sind. Es wäre eben ein ganz anderes Buch geworden - das sicher auch seinen Reiz gehabt hätte!

 

Es sind ja viele Szenarien denkbar, die die Wand als Ausgangspunkt haben: Die Protagonistin hätte sich beispielsweise wirklich durch die Wand graben können und hätte eine Welt ohne menschliches und tierisches Leben erkunden können. Es gibt ja solche Post-Supergau-Szenarien und ich habe auch irgendwo gelesen, dass der Roman zu Tschernobyl-Zeiten noch mal ein Comeback gefeiert hat.

 

Das zeigt eigentlich auch, wie universell und zeitlos dieser Text ist, das finde ich absolut beeindruckend. Ich bin übrigens voll reingefallen: Ich habe die Ausgabe vom List-Verlag, der den Roman 2004 in der Erstauflage hatte und bin überhaupt nicht darüber gestolpert. Erst bei genauerem Hinsehen habe ich dann gefunden, wie alt der Text schon ist!

 

Liebe Grüße

 

Ruth

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und ich habe auch irgendwo gelesen' date=' dass der Roman zu Tschernobyl-Zeiten noch mal ein Comeback gefeiert hat.[/quote']

Das hast du in der ersten Antwort auf dein Posting gelesen, der meinen. Die Halbwertszeit dieses Forums ist erstaunlich. :s22

 

Zwei Varianten kämen da in Frage, vielleicht kannst du, Petra, da ein bisschen Licht in mein Dunkel bringen?

Bin ich hier der Schullehrer, der zu erklären hat, wie man ein Buch verstehen und interpretieren soll?

Ich denke, Literatur ist dazu da, dass man durchaus selbst nachdenken darf, dass sie keine Schnellantworten liefern muss, dass sie nicht alle Fragen restlos und bequem beantwortet.

 

Schöne Grüße,

Petra

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und ich habe auch irgendwo gelesen' date=' dass der Roman zu Tschernobyl-Zeiten noch mal ein Comeback gefeiert hat.[/quote']

Das hast du in der ersten Antwort auf dein Posting gelesen, der meinen. Die Halbwertszeit dieses Forums ist erstaunlich.  :s22

 

Peinlich, peinlich. Aber in der Tat hab ich inzwischen noch einige andere Quellen zu dem Buch angezapft, insofern streu ich mir jetzt nicht allzuviel Asche auf mein Haupt.

 

Und nein, natürlich bist du kein Schullehrer, der Interpretationen vorzugeben hat. Mich würde nur wirklich interessieren, was die "offizielle" Lesart der Frauenbewegung war. Weil ich es eben nicht "feministisch" gelesen hatte.

 

Und was die Bequemlichkeit angeht: Wir tauschen uns doch hier aus über die möglichen Interpretationen, dachte ich. Und wie ich das Buch verstanden habe, hab ich ja bereits kundgetan. Insofern irritiert mich deine Antwort etwas.

 

Herzliche Grüße

 

Ruth

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Dann muss ich dich leider irritiert zurücklassen, Ruth, die Frauenbewegung hatte keine offiziellen Lesarten von Büchern. Das war eine genauso nichthomogene Gruppe wie wir hier - und jeder hat aus dem Buch etwas anderes herausgelesen - mit der Gemeinsamkeit, dass man über die Rolle der Frau nachdachte, über gesellschaftliche Fesseln oder Bindungen.

Genau deshalb war das Buch ja in aller Munde - weil man es hin- und herwenden konnte, immer etwas Neues drin erblicken - HW hat das oben angedeutet als Stärke.

 

Und so muss ich dich in der Tat im Regen stehen lassen, denn auch ich habe keine feste Interpretation des Romans, ich lese ihn, wie oben erzählt, in jedem Lebensabschnitt anders und bin vor allem fasziniert von den changierenden Bedeutungen, die sich nicht in feste Interpretationsmuster pressen lassen, sondern manchmal nur erahnt werden können...

 

Um dir zu erzählen, wie meine Interpretation im Mai 2007 aussieht, müsste ich das Buch wieder lesen... alte Sichtweisen habe ich oben beschrieben.

 

Schöne Grüße,

Petra

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Hallo Ruth,

danke, dass du diesen Thread eröffnet hast. Seltsam, aber vor ein paar Wochen habe ich auch mit Freunden erneut über dieses Buch diskutiert.

Mein Exemplar wurde im Februar 1986 von Ullstein in der Reihe "Die Frau in der Literatur" neu aufgelegt. D. h. zu diesem Zeitpunkt waren die ersten 45.000 Ex. mehr oder weniger ausverkauft. Die neue Auflage betrug 20 000 Ex. Ich habe es am 17.4. 86 meiner Freundin zum Geburtstag geschenkt. Es liegt vor mir, weil ich es mir zum Lesen ausgeborgt hatte.

 

Das alles war vor dem Reaktorunglück, deshalb kann ich nicht bestätigen, dass das Buch deswegen eine Renaissance erfahren hätte. Möglich, dass die Katastrophe zum Erfolg der neuen Auflage beigetragen hat, gedruckt wurde es jedoch aus anderen Gründen.

Meine Motivtion, es zu verschenken, hing eher mit meiner Einstellung zur Emanzipation der Frauen zusammen. Auch damals wurde es - vielleicht aufgrund der Reihe, in der es erschienen war - überwiegend von Frauen gelesen. Tobias' Blick auf das Buch ist ganz typisch für rational denkende, hauptsächlich männliche Leser: Es wird nicht alles er- und geklärt. Beinahe wie in den Märchen.

Für mich war die Wand von je her eine Metapher, da stimme ich Heinz-Werner(?) zu. Ich habe voller Spannung gelesen, wie die Prota sich mit ihrer Situation arrangiert. Da ich aus einer ländlichen Gegend stamme, und meine Kindheit in der Nachkriegszeit liegt, konnte ich ihre Überlebensaktivitäten sehr gut nachvollziehen, nie wäre mir die Assoziation zum "Alm-Öhi" gekommen. Diese Bemerkung hat mich sehr verblüfft.

 

Ich erinnere mich gut an die damaligen Diskussionen darüber, weshalb die Prota den Mann umbringt. Hier gingen die Meinungen schon damals sehr weit auseinander, von "nur keine neuen Menschen zeugen" bis "die Autorin hat ihre Sicht auf Männer damit verdeutlicht". Ich selbst verstehe die Autorin in diesem Fall auch heute noch nicht. Es wurde in diesem Thread schon von jemandem angesprochen, dass sich dieser Mann in derselben Situation wie die Frau befand. Warum muss er so unsympathisch wirken, gleich gewalttätig werden? Vielleicht fiel er nur dem beabsichtigten Schluss zum Opfer, wonach mit dem Tod der Frau alles menschliche Leben auf diesem Rest Erde ausgelöscht werden musste.

 

Nochmals Danke an Ruth und Danke an alle für die interessante Diskussion über dieses Buch. Sie kam für mich, als hätte ich sie bestellt. Mancher Gedanke ist für mich neu, andere wurden aufgrund einzelner Beiträge wieder an die Oberfläche geschwemmt. Besonders spannend finde ich die Sichtweise der Jüngeren, die das Buch heute, 21 Jahre nach Tschernobyl und ca. 30 Jahre nach dem Höhepunkt der Frauenbewegung, zum ersten Mal lesen.

 

Gertraude

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Ich habe das Buch vor etwa fünfzehn Jahren gelesen. Und es ist mir immer noch erstaunlich gegenwärtig, hat mich also tief berührt. Warum? Das kann ich gar nicht sicher sagen.

 

Sicher war damals die Verbindung zur Science Fiction wichtig. Das ist ja ein ganz altes SF Thema, eine Katastrophe löscht die Menschheit und die Zivilisation aus und ein einzelner (oder wenige) überleben und müssen nun mit dieser Situation fertig werden.

 

Was der Protagonistin erstaunlich gut gelingt. Eigentlich gehts ihr besser als vorher - haben ja auch schon andere erwähnt -, kein Wunder, das sie sich nicht dafür interessiert, wie es zur Katastrophe kam. Aber damit unterscheidet sich das Buch auch schon von anderen SF dieses Themas. Dort wird entweder über den Grund der Katastrophe geforscht, oder man muss kämpfen, um zu überleben oder versucht wieder eine Zivilisation aufzubauen.

 

"Die Wand" macht aus diesem Thema etwas ganz anderes, sicher einer der Gründe, das sie so eindrücklich ist. Weil sie so verstörend, so ungewöhnlich ist. Übrigens hat das gar nichts mit Männlich/weiblich zu tun. Auch der mann in Kafkas "Verwandlung" interessiert sich wenig dafür, wie er sich in ein Ungeziefer verwandelte, wenn ich das recht in Erinnerung hatte.

 

Ja, man kann die Wand auf die unterschiedlichste Art lesen, nur so ist es auch erklärlich, dass es 45 Jahre überdauert hat.

 

Hans Peter

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