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(Peter D. Lancester)

... wenn es der Geschichte dient?

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(Peter_Dobrovka)

Eine vielzitierte "Schreibregel" ist: Alles ist erlaubt, wenn es der Geschichte dient.

Oder auch: wenn es eine Funktion im Roman erfüllt.

Und das ergänzende Gegenstück: Was nicht dient / Funktion hat, soll man streichen.

 

Diese Regel umzusetzen ist bisweilen schwer, aber vorwiegend ist es ein emotionelles Problem des Autors, der sich entweder vor bestimmten Szenen scheut oder andere nicht streichen will, weil sie ihm so am Herzen liegen.

 

Bezüglich der Regel als solcher scheint ein gewisser Konsens im Forum - und wohl auch draußen in der Welt der Literatur-Ratgeber - zu herrschen. Aber ich würde sagen, daß wir uns mal darüber unterhalten sollten, was das eigentlich bedeutet, der Geschichte zu dienen bzw. eine Funktion zu haben. Es gibt durchaus in den meisten Köpfen eine diffuse Vorstellung darüber. Wobei wir unterscheiden sollten zwischen der inhaltlichen Ebene und der prosaischen Ausgestaltung.

 

Inhaltliche Ebene:

Zunächst mal ist da die Geschichte im Sinne einer in wenigen Sätzen zusammenfaßbaren Fabel. Und dann sind da noch die Figuren. Zur Geschichte gehört alles, was das Endergebnis der Geschichte verändert (die Handlung vorantreibt).

Und die Puristen (deren es nicht wenige gibt), mögen nicht, was das Endergebnis nicht verändert. Solche Sachen sollen im Roman gefälligst nicht passieren, weil sie keinen Zweck erfüllen.

Halb-Puristen lassen auch Ereignisse zu, die dem Leser zeigen, wie die Figuren beschaffen sind (um ihre Handlungsweisen nachvollziehen zu können).

Ich sag absichtlich Puristen und nicht Leser; dazu komm ich gleich noch.

Beispiele aus der Praxis:

- Prota verletzt sich, geht zum Arzt. Der Arzt schöpft Verdacht, daß was mit dem Prota noch in anderer Hinsicht nicht stimmt, aber der Prota schafft es, daß der Doc den Mund hält. => Die ganze Arztbesuch-Szene hätte man sich sparen können.

- Prota rettet seinen Freund aus der Todeszelle. Auf der Flucht müssen sie eine Autobahn überqueren. Der Gerettete wird dabei überfahren und stirbt. => Die Rettungsaktion hätte man sich sparen können, der Todeskandidat ist so oder so tot.

An diesen Beispielen dürften sich gleich ein paar Kontroversen entwickeln, aber genau deswegen bringe ich sie. Sie sind aus der Praxis. Das wurde so gedruckt und das wurde von den Puristen auch so kritisiert.

 

Ausgestaltungsebene:

In diesem Fall ist bereits entschieden, daß eine Sache notwendig ist, die Frage ist nur noch, in welcher Ausführlichkeit man sie darstellt. Also z.B. szenisch oder nur narrativ oder gar nur indirekt, in dem durch Dialoge davon erzählt wird.

Meiner Ansicht nach ist das über diese Regel nicht entscheidbar, aber oft wird, wenn es um die Forderung nach Streichen einer Textpassage oder der Bitte um ausführlichere Schilderung geht, mit eben dieser Regel argumentiert, daß es dem Roman diene oder eben nicht diene.

In Wirklichkeit stehen dahinter andere Gedankengänge, nämlich schlichtweg die, daß derjenige, der diese Wünsche äußert, das zu streichend als langatmig (langweilig) empfindet, oder über etwas, das kurz abgehandelt wurde, gerne mehr lesen möchte.

Und das ist ja auch legitim.

Viel legitimer als die Forderungen auf inhaltlicher Ebene, meiner bescheidenen Meinung nach.

 

Ich komme hier wieder mit meiner konservativen Einstellung und sage, daß man keinen Gegenständen dienen kann, nur Menschen. In diesem Fall: Man kann mit seinem Roman nicht der Geschichte dienen, man kann nur seinen Lesern dienen. Und die wiederum haben unterschiedliche Geschmäcker, die teilweise einander ausschließende Anforderungen stellen. Daher kann man immer nur für eine Zielgruppe schreiben, nie für die Gesamtheit aller potentiellen Buchkäufer.

 

Bezüglich der Überflüssigkeit oder Notwendigkeit von Szenen, Details und Erklärungen in einem Roman bedeutet dies, daß wieder mal nur eine Regel ohne Wenn und Aber gilt: Du sollst nicht langweilen. Mit anderen Worten: Ich möchte eine Lanze brechen für Textabschnitte, die der Geschichte vielleicht keine Wendung oder Fortschritt bringen, aber schlichtweg spannend sind, unterhaltsam, witzig, kurzum: nicht langweilig sondern interessant.

 

Wie seht ihr das?

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Eine vielzitierte "Schreibregel" ist: Alles ist erlaubt' date=' wenn es der Geschichte dient.[/b']

 

aber schlichtweg spannend sind, unterhaltsam, witzig, kurzum: nicht langweilig sondern interessant.

 

Ja, aber DAS DIENT doch der Geschichte. Geschichte besteht doch nicht nur aus aneinandergeknallten Handlungen und Funktionen, sondern auch aus Stimmung, Spannung, Witz, kurzum: Unterhaltung. Die meisten Leser sind glücklich und dankbar für liebevoll eingefügte Schnörkel, skurril gezeichnete Charaktere oder versteckte Anspielungen, auch wenn sie kein bisschen "nützlich" sind. Das macht doch die Geschichte aus, dass man die Leser unterhält.

 

Gruß

 

Astrid

Meine Homepage

 

Rabenzeit 1 gibt's als E-book und gedruckt bei Amazon. :)

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Mit anderen Worten: Ich möchte eine Lanze brechen für Textabschnitte, die der Geschichte vielleicht keine Wendung oder Fortschritt bringen, aber schlichtweg spannend sind, unterhaltsam, witzig, kurzum: nicht langweilig sondern interessant.

Können wir das ab sofort das "Brüste im Horrorfilm"-Motiv nennen? ;)

 

Ich weiß nicht so recht. Das Beispiel, was du bringst, mit dem Motorradfahrer, dessen Rettung fehlschlägt. Natürlich muss da die Rettung behandelt werden, nicht nur weil das einfach erwartet wird (sonst würden sich alle fragen: Und rettet den keiner?), sondern auch damit der Autor ein Stück weit (und damit der Text) unberechenbar bleibt.

Aber in aller Regel sollten Szenen doch eine "Funktion" erfüllen und diese "Funktion" sollte in irgendeinem Verhältnis zur Textmenge stehen, also richtig gewichtet sein. Drei Seiten, in denen unterhalten wird, ohne dass die Geschichte richtig vorangeht, sind sicher okay. Bei dreißig Seiten muss die Unterhaltung schon sehr gut sein.

Aber ehrlich gesagt sind das auch sehr "technokratische" Begriffe, denn ich weiß ja während des Lesens gar nicht, was wirklich "die Geschichte voranbringt" und was nicht, denn ich kenn ja das Ende nicht, der Kern der Geschichte bleibt ja -zumindest bei einigen Romanen- im Dunkeln. Ich weiß nicht, ob die Blabla-Szene im Treppenhaus, in der in einem Nebensatz erwähnt wird, dass die Nachbarin eine Katzenhaarallergie hat, ganz am Ende dafür sorgt, dass der Komissar sie als Mörderin der verrückten Katzenfrau überführt (Okay, das war sogar für mein Verhältnisse ein saudummes Beispiel). Aber sagen wir mal so: Wenn ich ein Epos schreibe in Richtung Stephen King "Es", dann werden mir die Leser unterhaltsame Schlenker sicher eher verzeihen, als wenn ich einen geraden, aufs Ende zusteuernden 180-Seiten Thriller-Sprinter schreibe. Auch weil die Gesamt-Seitenzahl viel mit der "Gewichtung" zu tun hat, glaube ich.

 

Gruß

Peter

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Die beiden Gesetze:

 

Alles ist erlaubt, wenn es der Geschichte dient (eine Funktion hat)

und

Du sollst nicht langweilen

 

stellen m.E. den perfekten geschlossenen Regelkreis des Romanschreibens in kurzen Worten dar.

 

Gratulation, Peter.

 

Wann immer man sich fragt, ob diese oder jene Szene passt, ob sie zu kurz, zu lang, zu beschreibend, zu aktionsreich ist, sollte man sich diese beiden Fragen beantworten: Hilft sie für das Verständnis weiter? Unterhält sie?

(nicht unbedingt: treibt sie die Handlung voran?)

 

Auf diese Weise könnten sich gerade diejenigen Autoren etwas disziplinieren, die so gerne alles, aber auch alles, was sie sorgfältig recherchiert haben, in die Handlung quetschen wollen.

Und auch jene, die sich in gerne selbstverliebten Formulierungen verlieren.

 

Ich bemühe mich, seit ich schreibe (und ich habe ohne je ein "Regelwerk" in der Hand gehabt zu haben damit angefangen), nach diesen Prinzipien zu arbeiten.

 

Gruß

Anna

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hi Peter!

 

Ist nicht alles ok, was mich nicht zu der Frage treibt: Warum erzählt er mir das jetzt? Bzw: Warum schreibe ich das jetzt?

Dein Beispiel mit dem Todeskandidaten finde ich grenzwertig, denn dieser Wendung muss eine Entscheidung des Autors vorangegangen sein, den Verurteilten nicht am Galgen (oder so) enden lassen zu wollen. Für diese Entscheidung muss es irgendeine im Plot auffindbare Begründung geben, sonst wäre es doch effektvoller gewesen, die Rettungsaktion scheitern zu lassen!? Ihn erst zu retten und dann als Roadkill enden zu lassen, völlig grundlos (ohne dass er z.B. noch Hinweise auf den Verbleib irgendeiner wichtigen Sache gibt), das könnte den Leser ärgern. Könnte, wohlgemerkt. Dann, wenn die Geschichte dadurch ihren Faden und ihr Tempo verliert, wenn die Rettungsaktion also samt und sonders ein sinnloser Ausritt war.

 

Sogar in der Oper gibt es die Regel: Wer im ersten Akt hustet, hat im dritten Akt zu sterben. Eine Szene, mit der man - nach den allgemein gültigen Codices des Erzählens - etwas einleitet, was dann nicht eingelöst wird, frustriert.

 

Ich möchte eine Lanze brechen für Textabschnitte, die der Geschichte vielleicht keine Wendung oder Fortschritt bringen, aber schlichtweg spannend sind, unterhaltsam, witzig, kurzum: nicht langweilig sondern interessant.

 

Da bin ich bei dir. Noch besser finde ich solche Textabschnitte, wenn sie nur scheinbar aus reinem Unterhaltungszweck da stehen, in Wahrheit aber das Tarnmäntelchen für irgendeine Kleinigkeit darstellen, die am Rande passiert.

 

Ursula

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Hallo Peter,

 

mein Widerspruch fängt bereits weit oben in deinen Ausführungen an. Denn natürlich lassen sich alle Geschichten auf einen Satz reduzieren, aber nur, wenn man das Konkrete so lange abstrahiert, bis die Abstraktion so vieldeutig ist, dass man nicht mehr von der Abstraktion auf die konkrete Ausfertigung schließen kann.

 

Das "Du sollst nicht langweilen" bezieht sich keineswegs nur auf den Plot. Sondern ebenfalls auf viele Elemente, die du wegblendest, wenn du alle Geschichten auf einen Satz abstrahierst und reduzierst- obwohl jedes der weiteren Elemente genauso wichtig sein können, manchmal wichtiger, mal weniger wichtig.

Das beginnt mit dem Hintergrund und Setting, das nicht nur nebensächliches Beiwerk ist, oder sein kann, sondern tief die Handlung beeinflusst und eine eigene Ebene im Roman bilden kann. Das kann langweilig sein, aber auch unglaublich interessant.

Auch ist der Plot nicht der einzige Maßstab für den Inhalt, auch eine Charakterisierung über den Plot hinaus gehört in die meisten Romane hinein. Und genau diese Charakterisierung kann gestaltend auf den Plot wirken, indem der Plot durch die Figur regiert wird, und nicht an sich einen eigenen Wert entwickelt, indem die Figur nur in ihm handelt.

Dann gibt es Romane, die gerade erst über die Allegorie oder Übertragung ihren besonderen Wert gewinnen, ob nun "Moby Dick" oder "Der alte Mann und das Meer", und deren Plot für sich selber nie die Stärke hat, die durch die Übertragung dann entsteht. Somit kann auch diese Übertragung eigenständige Szenen verlangen, die keineswegs langweilig sind, auch wenn plottechnisch nicht viel passiert.

Und es gibt die Sprache oder Erzählstimme, die einen Wert an sich haben, und hinter denen der "Plot" auch zurückstehen kann, ohne das der Roman deshalb langweiliger oder schlechter ist.

 

Oder anders formuliert: "Du sollst nicht langweilen" gilt auch für diese Formen, aber dieser Satz bezieht sich nicht alleine auf den Plot, sondern auch auf Charakterisierung, Sprache oder Erzählstimme und Übertragung, die ebenfalls nicht erst in der Ausgestaltung wichtig sind, sondern bei der Grundkonstruktion des Romans.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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Mit anderen Worten: Ich möchte eine Lanze brechen für Textabschnitte' date=' die der Geschichte vielleicht keine Wendung oder Fortschritt bringen, aber schlichtweg spannend sind, unterhaltsam, witzig, kurzum: nicht langweilig sondern interessant.[/quote']

 

Ich möchte mich da Astrid anschließen: Alles, was der handlung UND/ODER der Atmosphäre dient, dient dem Roman, also dem Leser.

 

Bei diesem Thema fallen mir immer die "Roten Heringe" des Krimigenres ein.

 

Dienen sie der Handlung?

Nein.

 

Dienen sie der Atmosphäre?

Nein. (Jedenfalls nicht zwangsläufig)

 

Aber wem oder was dienen sie dann?

 

Richtig, dem Leser! Der Leser rätselt in Krimis gerne mit. Und damit das auch nur annähernd spannend bleibt, webt der Autor all die kleinen falschen Fährten ein (Im Fachjargon halt "Roter Hering" genannt), damit der Leser weiterhin miträtseln kann.

 

Und solange ein Roter Hering nichts anderem als dem Leser dient, sehe ich darin den kleinsten gemeinsamen Nenner von ALLEM, was in einem Roman steht: Es muss dem Leser dienen, ihm einen Nutzen, einen Mehrwert bringen, einen Grund, anstatt zur Fernbedienung oder der zeitung zum Buch zu greifen.

 

DANN hat dass, was darin steht auch seine Daseinsberechtigung... :)

 

Gruß,

Marco!

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(Peter_Dobrovka)

mein Widerspruch fängt bereits weit oben in deinen Ausführungen an. Denn natürlich lassen sich alle Geschichten auf einen Satz reduzieren, aber nur, wenn man das Konkrete so lange abstrahiert, bis die Abstraktion so vieldeutig ist, dass man nicht mehr von der Abstraktion auf die konkrete Ausfertigung schließen kann.

Und welcher Aussage widersprichst du jetzt damit?

 

Das "Du sollst nicht langweilen" bezieht sich keineswegs nur auf den Plot.

Und das habe ich WO behauptet?

 

Auch ist der Plot nicht der einzige Maßstab für den Inhalt, auch eine Charakterisierung über den Plot hinaus gehört in die meisten Romane hinein. Und genau diese Charakterisierung kann gestaltend auf den Plot wirken, indem der Plot durch die Figur regiert wird, und nicht an sich einen eigenen Wert entwickelt, indem die Figur nur in ihm handelt.

Dann gibt es Romane, die gerade erst über die Allegorie oder Übertragung ihren besonderen Wert gewinnen, ob nun "Moby Dick" oder "Der alte Mann und das Meer", und deren Plot für sich selber nie die Stärke hat, die durch die Übertragung dann entsteht. Somit kann auch diese Übertragung eigenständige Szenen verlangen, die keineswegs langweilig sind, auch wenn plottechnisch nicht viel passiert.

Und es gibt die Sprache oder Erzählstimme, die einen Wert an sich haben, und hinter denen der "Plot" auch zurückstehen kann, ohne das der Roman deshalb langweiliger oder schlechter ist.

 

Oder anders formuliert: "Du sollst nicht langweilen" gilt auch für diese Formen, aber dieser Satz bezieht sich nicht alleine auf den Plot, sondern auch auf Charakterisierung, Sprache oder Erzählstimme und Übertragung, die ebenfalls nicht erst in der Ausgestaltung wichtig sind, sondern bei der Grundkonstruktion des Romans.

Das ist ja alles schön und gut, aber ich sehe keinen Widerspruch. Ich bin völlig deiner Meinung.

 

Peter

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Hallo Peter,

 

ich habe einen Satz überlesen,

Und dann sind da noch die Figuren.
... Der erste Satz hat mich halt ein wenig abgelenkt. Deshalb ganz zerknirscht. Nein, es ist kein Widerspruch.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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