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(Rocker)

Bret Easton Ellis: Lunar Park (englisch)

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Was soll man von diesem Buch halten? Es entzieht sich jeder Bewertung, denn es funktioniert nicht auf herkömmliche Weise. Ein Buch wie ein Trip: es ist vollkommen gleich, ob es ein guter ist, ein Trip der Dich auf einen höheren Bewusstseinszustand hebt oder ob es ein mieser ist, einer der Dich auf Horror bringt. Du kannst nicht aussteigen, musst abwarten, bis die Wirkung der Droge verfliegt bzw. Du den Deckel zuklappst. Aber auch danach hat mich das Buch nicht in Ruhe gelassen. Warum nicht? Weil es wirkt!

Deshalb will ich es hier vorstellen, auch wenn ich mich dazu eigentlich nicht in der Lage sehe.

 

Ich versuche mich trotzdem mal an einer Inhaltsbeschreibung:

Lunar Park ist ein autobiographischer Roman - aber nur teilweise. Den ich-erzählenden Prota Bret Easton Ellis gibt es wirklich, ebenso den verstorbenen Vater, insofern ist es eine Vater-Sohn-Geschichte, eine Abrechnung, ein Familiendrama. Es werden auch jede Menge real existierender Figuren genannt, Lektoren, Verleger, Agenten, Filmstars, die im Leben des Autoren tatsächlich wichtig sind. Seine Familie allerdings ist frei erfunden, seine Filmstar-Ehefrau und seine Kinder. Auch dass Figuren aus seinen früheren Büchern auftauchen trägt nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des Erzählers bei. Der Aufbau des Buches ist auch recht ungewöhnlich: erfängt mit einem recht rational wirkenden Vorwort an, in dem er kurz angerissen, sein bisheriges Leben nacherzählt (was davon war, und was erfunden ist kann ich nicht beurteilen), um dann fast übergangslos in die eigentliche Handlung überzugehen.

 

Die Figur Bret Easton Ellis ist ein alkoholkranker Junkie, bisexuell, beziehungsunfähig und grenzenlos egomanisch, seine größte Angst ist das Alleinsein. Also erkennt er nach vielen Jahren seinen Sohn an, zieht bei seiner Frau ein und versucht, ein verantwortungsvoller Familienvater zu sein. Doch bald schon geht alles abwärts, die Handlung zieht den Erzähler ebenso wie den Leser in eine strudelförmige Abwärtsbewegung, die einen nicht mehr loslässt. Ellis greift erneut zu Drogen und hängt wieder an der Flasche. Es gelingt ihm nicht, eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen. Und schon bald verwischen sich die Grenzen zwischen Realität und psychotischen Episoden.

 

Jungs in der Nachbarschaft verschwinden spurlos, ein Mörder geht um in Suburbia, der ganz im Stil von Patrick Bateman aus American Psycho die Morde der Reihe nach noch einmal begeht. Die hässliche Vogelpuppe der Tochter, Terby (umgedreht Y Bret = Warum, Bret?), entwickelt ein verdächtiges Eigenleben, der Mercedes SL450, den Ellis als Jugendlicher gefahren hat, taucht überall auf, der tote Vater meldet sich mit rätselhaften Nachrichten, alles sehr mysteriös.

 

Und so wird aus dem doppelten Vater-Sohn-Drama eine Horrorgeschichte, Ellis wechselt spielend zwischen Realität und Fiktion, führt den Leser an der Nase herum. In einer Sekunde liest man wunderbar einfühlsame Charakterstudien, in der nächsten ist man schon im härtesten Stephen King-Gruselschocker. Und er macht das gekonnt, kann zweifellos in jedem Genre glänzen. Im letzten Drittel teilt der Erzähler sich sogar auf in die Figur Bret Easton Ellis und den Autoren. Der Autor scheint dabei der Figur immer eine Nasenspitze voraus zu sein. Die beiden streiten sogar miteinander.

 

Und irgendwann hörst Du auf, nach dem Sinn zu fragen. Du lässt Dich von Ellis mitnehmen auf eine Reise in die tiefsten übernatürlichen und menschlichen Abgründe. Ellis ist dabei - wie gewohnt - nicht zimperlich, und nimmt auch keine Rücksicht auf den Leser. Ganz großes Kino.

 

Wenn Ihr Euch jetzt fragt, wieso Ihr nach dieser langen "Kritik" immer noch nicht genau wisst, was das für ein Buch ist, dann tröstet Euch: Ich hab's gelesen und weiß es auch nicht. Aber es hat mir gefallen, sehr gut sogar. Für mich einer der besten Romane der letzten Jahre. Ein Buch das gewiss die Geschmäcker teilt. Die einen werden es nach kurzer Zeit wütend in die Ecke feuern, die anderen, die sich drauf einlassen, werden es nicht bereuen.

 

EDIT: Ich habe das Buch im Original gelesen, kann deshalb nichts über die Qualität der deutschen Übersetzung sagen.

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.. ich habe von ihm "american psycho" gelesen und konnte mich dem buch nicht entziehen, da waren szenen drin, die mich heute noch schockieren..

 

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Ja, der Ellis ist nicht gerade zimperlich, wenn es um die Nerven seiner Leser geht. Ich habe American Psycho noch nicht gelesen, aber ich glaube, dass Lunar Park längst nicht so blutrünstig ist. Es gibt genau einen wirklich widerlichen Mord, der dem Erzähler aber auch nur über den ermittelnden Polizeibeamten berichtet wird.

 

Was an diesem Buch so an den Nerven zerrt, ist das ständige Hereinbrechen übernatürlicher Gruselphänomene in die heile Vorortwelt, in der die Handlung stattfindet. Und dazu die Frage, ob man dem Erzähler glauben kann. Denn offenbar nehmen die anderen Figuren es der Figur Ellis nicht ab, was er sieht und erlebt, bzw. sehen sie es mit anderen Augen oder sind gerade nicht als Zeugen verfügbar. Man weiß bis zum Schluss nicht, ob sich nicht alles nur in seinem Kopf abspielt. Dafür sorgt auch die schwer zu durchschauende Triade aus dem real existierenden Autor Ellis, der Romanfigur Ellis und dem fiktiven Autor Ellis.

 

Ich sagte es bereits: Dieses Buch ist ein Trip!

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Nachtrag: Meine wunderschöne und mordsmäßig intelligente Frau hat's jetzt auch gelesen und es war ehrlich ein Vergnügen, sie dabei zu beobachten. Ab und zu entfuhr ihr ein "Wow!" und sie schaffte es genau so wenig wie ich, sich der Lektüre zu entziehen. "Dieses Buch kann man einfach nicht weglegen", meinte sie, nachdem ich sie schon mehrfach aufgefordert hatte, endlich zu mir ins Ehebett zu krabbeln.

Und das von ihr, die eigentlich keine Amis und überhaupt keine Popliteratur mag und sich eher an ihre alten Russen hält. :s13

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okokok, ich such's ja schon. Hab da noch einen Gutschein ...

American Psycho fand ich genial.

Liebe Grüße, Susanne

 

"Books! The best weapons in the world!" (The Doctor)

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"American Psycho" habe ich nie gelesen, weil ich ehrlich gesagt abgeschreckt war und nicht glaube, dass es meine Art von Buch sein könnte. "Lunar Park" hat mich aber fasziniert, weil ich das Spiel mit den verschiedenen Ebenen und das allmähliche Abrutschen ins Irreale so spannend fand. Ich habe übrigens die Übersetzung gelesen und bin nicht gestolpert, sie scheint also nicht schlecht zu sein (und stammt von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Spezialisten für Popliteratur - wir Übersetzer freuen uns, wenn wir auch mal genannt werden).

 

Gruß,

Susanne

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