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Andreas

James Joyce: Ulysses

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Als ich mich neulich großmütig und alt genug fühlte, freiwillig ein Buch zu lesen, an das man sich in der Schule nur mit spitzen Fingern oder gar nicht herantraut, habe ich mir Ulysses geholt. Angeblich ein Jahrhundertroman, Weltliteratur, Jedem bekannt, von den Wenigsten gelesen, und von so gut wie Niemandem verstanden.

 

"Die vielleicht nicht, aber ich", war mein Ansatz, und ich habe mich tapfer durch die Hälfte des Buches gequält, wohlweislich parallel ein Lehrbuch über Ulysses lesend, in dem die Kapitel entschlüssel, erklärt und interpretiert wurden.

Letzters habe ich zuende gelesen. James Joyce nicht.

 

Nicht nur empfand ich Ulysses als aufwändigste Zeitverschwendung, die weder kurzweilig, unterhaltend nochlehrreich war, sondern auch die Hintergrund-Erläuterungen (die immerhin einigermaßen amüsant geschrieben waren), vermochten mir nicht mehr als ein verständnisloses und uninteressiertes Schulterzucken zu entreißen.

 

Ich weiß nicht, wer es war, der das Buch eine egozentrische, pubertäre Selbstbefriedigung nannte (sinngemäß jedenfalls), aber diesem Urteil kann ich mich nur anschließen.

 

Ich habe gerade Kurt geschrieben, dass ich nach jemandem suche, der mir vehement, fundiert und leidenschaftlich darlegt, warum das Buch mehr sein soll als das: eine vor Selbstherrlichkeit aufgeblähte, bleierne Belanglosigkeit, deren Bedeutung über ein schnappschussartiges Sittengemälde von Zeit und Ort (was immerhin einen kulturhistorschen Wert hat) nicht hinausgeht.

 

Kurt, dein Einsatz. Und ich bin mal gespannt, wer sonst noch alles anbeißt :)

 

Andreas

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Lieber Andreas,

zweiter Versuch - hatte Dir eine lange mail eingetippt, bin auf Vorschau, und weg war sie!

Ich kam auch komischerweise nicht an mein Profil ran - jetzt geht es aber.

Erst mal vielen Dank für Deine Benachrichtigung: Klasse, dieses Forum! Schön gemacht, und hoffentlich wird's hier genauso schön lebendig.

Bloß eine Bitte (auch wenn's die falsche Rubrik ist, wenn ich weiß, welche richtig ist, poste ich es dort evt. noch mal): Viele sind hier dabei, die ich aus einem anderen Forum kenne, und schon wieder gibt es diese Unsitte, kryptische Buchstabenkombinationen als User-Name zu anzugeben. Bitte, Leute, laßt uns doch hier wenigstens die jeweiligen Vornamen verwenden! Was spräche dagegen?

 

Und nun zum Ulysses - mal sehen, ob ich aus dem Gedächtnis noch mein verschwundes Posting zusammenkriege.

Ich hab das Buch vor über 10 Jahren gelesen - ebenfalls mit viel Skepsis, weil man immer hörte: schwerste Kost, unverständlich .... und ich war begeistert. Ehrlich wahr. Ich fand es einfach atemberaubend ( oh je, ich sehe schon, wie Du zusammenzuckst).

Grade hab ich mich gefragt, wie ich es wohl heute lesen würde. Vielleicht kennst Du das auch, Andreas, es gibt einfach Bücher, die man zu einer bestimmten Zeit lesen muß, und wenn die vorbei ist (oder noch nicht da), merkt man zwar, daß es ein großes, wichtiges Buch ist, aber es läßt einen völlig kalt.

Genauso ist es ja manchmal, wenn man ein ehemaliges Lieblingsbuch wiederliest - und gar nicht mehr verstehen kann, was man mal daran fand.

 

Jedenfalls hätte ich den Ulysses ohne begleitendes Sachbuch gelesen - ich glaube, die sollte man immer erst hinterher lesen. Sonst kann man sich nämlich einfach nicht mehr in den Text fallen, reinziehen lassen, dann ist es kein Lesen mehr, sondern Kopfarbeit.

Ich will hier nicht dozieren, aber als Anglist hab ich damals einfach die Sprache bewundert und wie meisterhaft Joyce damit spielt. Ständig probiert er neue Erzählweisen aus, und seine Technik des Bewußtseinsstroms hat einen riesigen Einfluß gehabt auf die gesamte Literatur - und auch den Film, zB.

Dir hat's nicht gefallen, und das ist doch okay, Du kannst damit nix anfangen, ist doch auch okay. Aber "belanglos, bleiern, selbstherrlich" (wieso das?) kann man den Ulysses wirklich nicht nennen.

Klar kann man ihn nicht lesen wie einen Unterhaltungsroman (oder?), obwohl ich mich bestens unterhalten hab, was jedoch nichts besagt.

Ich kann z.B. nix anfangen mit dem "nouveau roman" - lies mal vielleicht spaßeshalber was von Claude Simon.... Mir wäre da die Zeit zu schade - aber womöglich krieg ich ja demnächst noch die nötige "sittliche Reife"  ;D

Gruß

Jan

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>Viele sind hier dabei, die ich aus einem anderen Forum kenne, und schon wieder gibt es diese Unsitte, kryptische Buchstabenkombinationen als User-Name zu anzugeben. Bitte, Leute, laßt uns doch hier wenigstens die jeweiligen Vornamen verwenden!

 

Hallo, Jan,

ich benutze den Namen Sysai in vielen Leseforen, genau wie mein Mann den Nick Gheron. Diese beiden Namen haben für uns privat Bedeutung - und jeder weiß, wer damit gemeint ist. Bei den Büchereulen gibt es mindestens zwei Teilnehmerinnen, die Iris heißen (eine davon ist Iris Kammerer, die Autorin des 'Tribun'). Die normalen Vornamen sind also nicht die optimale Lösung

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Hi Andreas,

wenn du jetzt "Finnegans Wake" runtergemacht hättest, hätte ich dich Mores gelehrt :p

Wobei ich sagen muss, dass ich beide Werke nie ganz gelesen habe - weil mein Englisch noch nicht gut genug ist und ich finde, man muss das Original genießen.

Sagen wir mal so: Du hast eindeutig einen Fehler beim Trinken gemacht. Immer beim gleichen Bier bleiben, nämlich einem schönen schwarzen Guiness. Der Whiskey zwischendurch darf wechseln, gibt ja genug Sorten. Und zwischen Whiskey und Guiness wechsle ruhig auch mal das Pub. Zum Ulysses empfehle ich übrigens den "Black" von Bushmills.

 

Du, ich meine das ernst, bitter ernst. Auf die Art kommst du nämlich in den Fluß, den Jan anspricht... Joyce arbeitet mit Unterbewusstsein und Assoziationen, fast drogenhaft. Und wenn du den analytisch-deutschen Geist nicht frei bekommst, lies ihn in Dublin!

 

Schöne Grüße,

Petra

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Hallo, Petra!

Mensch, das ist ein guter Gedanke! (Nicht das mit dem Whiskey - oder vielleicht auch).

Aber Du könntest wirklich recht haben, daß es eine typisch deutsche Eigenart ist, alles verstehen, analysieren, sezieren zu wollen, statt sich einfach einmal mit-treiben zu lassen im Fluß eines Textes - selbst wenn man zwischendurch mal ins Trudeln kommt.

Gruß

Jan

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Ich möchte ja kein Spaßverderber sein... eure Postings sind extrem amüsant, und vielleicht habt ihr Recht damit, dass eine gewisse Dosis Alkohol hier unabdingbar ist... ;)

Aber mal im Ernst: was ist ein Roman wert, den man nur in volltrunkenem Zustand genießen kann? Sagt das etwas über den Wert oder die Qualität aus? Ist er dadurch vergleichbar mit all den anderen Sachen, die man auch nur im volltrunkenen Zustand genießen kann? Das Musikantenstadl zum Beispiel? ;D

 

Es geht auch weniger um das Nicht-Verstehen, oder das Sich-Vor-Lauter-Analyse-Nicht-Treiben-Lassen-Können. Weder denke ich, dass dies eine "typische-deutsche" Eigenschaft wäre, noch denke ich, dass es mir nicht gelungen wäre.

 

Was mich stutzig gemacht hat, ist die unglaubliche Belanglosigkeit der Geschichte. ???

 

Sicher, es ist ein Bild von Zeit und Ort, sicher es enthält eine schier unglaubliche Masse an Anspielungen, sozialer, politischer und kultureller Art. Es sich auch stellenweise schöne Ausdrücke und Bilder drinnen und einige amüsante Beobachtungen. Aber das allein macht diesen schwerfälligen Roman für mich nicht lesenswert. Auch der "stream of consciousness" mag erzähltechnisch eine Revolution gewesen sein, für die heutige Lesegewohnheit ist er es aber nicht mehr. Und ein Effekt als Selbstzweck? Nein, tut mir leid. Spätestens nach 300 Seiten ist der Punkt gemacht, dann fragt man sich: hat der Autor denn auch eine interessante Geschichte zu erzählen? Was gibt mir die Geschichte, dass ich noch weitere 700 Seiten lesen sollte?

 

Was ich daran als Selbstherrlichkeit und Selbstbefriedigung erachte: einen Roman zu schreiben, der nicht für den Leser sondern für die Glorifizierung des eigenen Intellekts, des eigenen Egos gedacht ist.

 

Andreas

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Aber Du könntest wirklich recht haben, daß es eine typisch deutsche Eigenart ist, alles verstehen, analysieren, sezieren zu wollen, statt sich einfach einmal mit-treiben zu lassen im Fluß eines Textes - selbst wenn man zwischendurch mal ins Trudeln kommt.

Gruß

Jan

 

Ja.

 

Das ist wie... ins Theater gehen und im Licht der Taschenlampe die Kritiken und Analysen lesen anstatt... es - was auch immer - zuzulassen.

 

Kunst funktioniert wie Droge. Im besten Sinn.

 

Tin

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Hmmm... Andreas,

ich fürchte, ich finde die Diskussion an sich überflüssig. Mit Büchern ist es wie mit Kunst an der Wand: den einen spricht es an, den anderen nicht. Dem einen gefällt's und sagt's was, der andere kommt nicht ran, weil er sich nicht auf den "Code" einlässt, dem man zuerst mit Fühlen beikommt. Ist wie mit einem japanischen Zen-Stück auf einer Shakuhachi-Flöte und einer Mozartsymphonie. Wenn man "draußen" steht, kommt man dem Fremden erst mal durch Fühlen bei... dann durch den Code. Aber wehe, du studierst vorher das Werk eines Bayern über japanische Musik!

 

Ich hab Joyce z.B. erst in Irland kennengelernt, in einer irrsinnigen Verknüpfung von Urzeitdenken in Jetztzeit-Iren, einr Mischung aus dem, was Irland in den 20ern und 30ern umtrieb und in der IRA fortgeisterte... Und da war Joyce zuerst einmal ein Lebensgefühl - und zwar ein identitätsstiftendes.

Und was du als Selbstherrlichkeit und Selbstbefriedigung ansiehst, das gilt in Irland z.B. als Humor, als Überzeichnung - Angelsachsen lachen an diesen Stellen.

 

Deshalb: Ist gut, wenn du das Buch nicht magst. Aber es dir analytisch schmackhaft machen zu wollen, würde das Verständnis noch mehr blockieren. Loslassen... treiben...

 

@Jan: Ich mag zwar Klischees nie wie DIE Deutschen, aber nach einigen Auslandsaufenthalten kann ich doch bestätigen, dass der Hang zur Problematisierung und zum Auseinanderpflücken doch einiges erschwert... Kürzlich sagte ein amerikanischer Journalist, der lange in D. lebt, das erste Wort der Deutschen auf eine Frage hieße Nein. Erst das Nein befähige sie, sich dann analytisch mit einer Sache auseinanderzusetzen.

 

Manchen hilft dann eben der Whiskey ;-)

Schöne Grüße,

Petra

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Ulysses als Lebensgefühl, als Buch, das einen anspricht oder nicht - das kann ich stehen lassen.

 

Aber: warum ist es ein Jahrhundertroman?

 

Überflüssig ist die Diskussion deswegen nicht - denn "entweder man mag es oder nicht" lässt sich auf alle Bücher der Welt anwenden und würde jedwede Kritik verbieten. Mir ging es darum, hinter des Vorhang zu gucken und die Mystifizierung dieses Buches nachvollziehen zu können. Und mich darüber auszutauschen, warum das, was ich als aufgebläht und irrelevant erachte Andere so sehr fasziniert.

Wenn sich das nicht auf sachlicher sondern nur auf emotionaler Ebene klären lässt, dann ist das immerhin ein interessantes Ergebnis - wenngleich ich diese Argumentation in Bezug auf Ulysses noch nicht gehört habe.

 

Andreas

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@Jan:

 

Lieber Andreas,

zweiter Versuch - hatte Dir eine lange mail eingetippt, bin auf Vorschau, und weg war sie!

Ich kam auch komischerweise nicht an mein Profil ran - jetzt geht es aber.

Sowas passiert, wenn du zwischendurch deine Internet-Verbindung kurzzeitig verlierst.

Wenn du dich also neu einwählst, oder du vom WLAN Router oder vom Provider eine neue IP-Nummer zugewiesen bekommst. Dann wird dein Cookie ungültig :( Ich bemühe mich, eine Lösung zu finden.

 

Lies mal diesen Thread: Einlogg-Problem

 

Lösung, falls das noch mal passiert: den Back-Button ausprobieren. Meistens ist der Text dann noch da. Dann dort rauskopieren, neu einloggen, und hineinkopieren.

 

Andreas

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Hallo, Andreas!

 

Danke für Deinen Admin-Tip - ein viel größeres Problem ist allerdings, daß ich mindestens 4 Versuche brauche, um mich einzuloggen (Paßwort falsch, heißt es stets), und beim 5. Mal klappt es dann mysteriöserweise...

Macht aber nix, ich komm schon rein.

 

Ich würde Dir ja gern noch was zum Ulysses sagen, aber erstens weißt Du das alles vermutlich sowieso, und zweitens gibt es schlicht und einfach Romane (selbst sogenannte "große") mit denen man persönlich nix anfangen kann.

Ist mir auch bei etlichen so ergangen.

 

Wir können aber gern noch weiter darüber quasseln, falls Du Lust hast - ich will bloß nicht, daß Du Dich genervt fühlst von einer vielleicht endlosen Pro-und Kontra-Posterei.

Auf alle Fälle hast Du mich jetzt so angestachelt, daß ich demnächst den guten U. (nach ca 15 Jahren) wieder lesen werde.

Und glaub mir, ich bin selbst gespannt darauf, was ich heute davon halte. Kann sein, es ödet mich an. Wenn's recht ist, gebe ich Dir (Euch) in diesem Forum Rückmeldung.

 

>Aber: warum ist es ein Jahrhundertroman?> fragst Du.

Weil er eben so radikal anders war. Du hast in einem früheren Posting gesagt, Du hättest Dich gefragt, wo denn die Geschichte bleibt (ist jetzt nur sinngemäß, nicht wörtlich zitiert) und was der Autor erzählen will.

Eben keinen Roman im herkömmlichen Sinn, darum ging es Joyce gar nicht. Sein Mittel war die Sprache, und damit hat er gespielt, ausprobiert, gezaubert... wie ein Maler mit seinen Farben.

Der U. ist für mich in erster Linie ein Sprachkunstwerk (und er galt deswegen auch anfangs als unübersetzbar; es gab zwar eine deutsche Übersetzung, doch erst Wollschläger hat es geschafft, eine wirklich bewunderswert gute Fassung hinzukriegen).

Nu kannste mit bunten Farben röhrende Hirsche malen oder 300 Kleckse auf eine Leinwand schießen. Manche werden das eine Bild verdammen und das andere bewundern, andere genau umgekehrt reagieren... Und? Ist doch in Ordnung. Ich möchte weder einen röhrenden Hirsch über meinem Bett hängen haben noch wirre Farbkleckse, aber zum Glück gibt es ja auch noch vieles dazwischen.

 

Wie gesagt, Du hast mich jetzt so angespitzt, daß ich Ulysses noch mal lese - vielleicht hast Du dann noch Lust, weiter drüber zu reden, denn Du hast völlig recht mit Deinem Satz:

>"entweder man mag es oder nicht" lässt sich auf alle Bücher der Welt anwenden>

Und daß es sich nur auf emotionaler Ebene  und nicht sachlich klären lässt, wie Du vermutest, glaube ich nicht.

Also dann,

bis nach der Lektüre!

Gruß

Jan

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Moin Jan,

 

ich bin natürlich nicht genervt ;)

Es war ja Sinn und Zweck des Postings ein bisschen Für und Wider aufzuwirbeln. Macht uns doch Alle schlauer!

 

Viel Spaß beim erneuten Lesen!

 

Andreas

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"It is an epic of two races (Israelite - Irish) and at the same time the cycle of the human body as well as a little story (storiella) of a day (life). ...It is also a sort of encyclopedia. My intention is to transpose the myth sub specie temporis nostri. Each adventure (that is, every hour, every organ, every art being interconnected and interrelated in the structural scheme of the whole) should not only condition but even create its own technique. Each adventure is so to say one person although it is composed of persons-- as Aquinas relates of the angelic hosts." 20 September 1920 James Joyce über Ulysses

 

Hi Andreas,

Fingergelenke geschmiert... ein Versuch...

Was ist ein Jahrhundertroman?

Ein Roman, der innerhalb eines Jahrhunderts viele Generationen anspricht? Dann muss er etwas Zeitloses haben, etwas Allgemeingültiges.

Ich sage gleich: Ich kenne den Ulysses nur in Happen und antworte nur in Brocken...

 

In Sachen Jahrhundertroman lachte Joyce selbst, die Universitätsgelehrten würden wohl das ganze Jhdt. zu tun haben, um darüber zu fachsimpeln. Groß wurde der Roman, weil er mit T.S. Elliots "The Wasteland" die Blüte des Modernismus darstellte. Und berühmt wurde der Roman, weil ihn die Amis wegen der "Obszönität" erst teilweise und dann ganz zensierten. Ulysses war in den USA bis 1933 verboten! Belanglos kann er also schon mal nicht gewesen sein...

 

Was damals schlimmer als Avantgarde war, heute vielleicht "normal": Die Struktur eines Klassikers, die Figur eines Heroen / Hochliteratur (Odyssee) auf die Dubliner Arbeiterklasse / scheinbar belanglose Geschichte / Obszönitäten anzuwenden - in Realismus pur. Joyce hat regelrecht Exzesse geübt: Kap 6 in Sachen Realismus, Kap 13 in Sachen Sentimentalität. Genauso gibt er zu, radikale stilistische Experimente eingewoben zu haben - diese herrliche Sprache.

 

Warum der Roman so schwer zu greifen ist und warum er wohl so "groß" wurde - er ist ungeheuer vielschichtig, aber nicht logisch geordnet, sondern eher wie eine Vernetzung verschiedener chaotischer Zustände. Damit auch heute wieder hypermodern.

 

Da ist die Ebene des eigenen Lebens... Stephen Dedalus / Telmachos / Joyce. Immer wieder beschäftigt er sich mit den eigenen Themen: Metaphysik und Religion, Literatur versus Katholizismus (damals ein irre Aufreger), seine Probleme mit Exil, Armut, Suff. Sicher auch deshalb mit rein analytischem Geist nicht zu verstehen, weil Joyce keinen Unterschied sah zwischen der Schizophrenie seiner Tochter und dem Wesen eines Schriftstellers! Das Schöpfen aus dem Unbewussten... das Verstehen durch's Unterbewusste... (hat er später mal mit CG Jung drüber gesprochen).

 

Manchmal hat er auch einfach gespielt... Kap. 11 soll er zur Erfindung musikalischer Idiome genutzt und den Text getanzt haben!

 

Es gibt dann noch eine Seite, die dir vielleicht bei Recherchen schon begnet ist. Wissenschaftler streiten, ob Joyce wie viele andere Iren Mitglied in der Geheimgesellschaft Golden Dawn war. Es sieht so aus, als war er es nicht, als würde nur der Orden seinen Namen beanspruchen. Aber auf alle Fälle hat er das Gedankengut bestens gekannt und auch genutzt! Und wenn du schaust, wie dieses Gedankengut nicht nur Literatur und Theater in Irland beeinflusste, sondern bis heute "umgeht"... bleibt das aktuell.

 

Es gibt eine Art Plotline zum Ulysses, zu der viele Schlaue sagen, sie würde zeigen, wie Joyce fast zwanghaft und überdiszipliniert gearbeitet hat. Ist ganz seltsam. Jedes Kapitel ist einer Figur und einem Ort zugeordnet (ist ja noch normal), aber auch einer der Künste, einem Symbol, einer speziellen Schreibtechnik... einem Organ und einer Farbe! Solche Zuordnungstabellen kennt man aus den magischen Ritualen des Golden Dawn... auch das war "Zeitgefühl"... man versuchte, zu allem und jedem Entsprechungen, Vernetzungen, Assoziationen zu finden. Vorgängrideen zur modernen Chaostheorie...

 

Wenn du jetzt schaust, was politisch und wissenschaftlich in der Zeit geschah, wie Musik komponiert wurde.... Joyce macht meisterhaft die Literatur dazu.

 

So, dass waren jetzt ganz durcheinander ein paar Brocken und Assoziationen von meiner Seite.

 

Trotzdem bin ich der Meinung: auch ein Jahrhundertroman muss nicht jedem gefallen oder etwas sagen!

 

Schöne Grüße,

Petra

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Meine Güte,

 

da war aber jemand fleißig! :)

 

Ja, was du schreibst, ist durchaus richtig und geläufig. Joyce versuchte die Kapitel den einzelnen Episoden der Sage des Odysseus (daher auch der Name) zuzuordnen, nannte die Kapitel sogar ursprünglich so, hat dieses Vorhaben dann aber zum Ende hin aufgegeben, und die Kapitelüberschriften wurden bei der Veröffentlichung nicht verwendet.

Dass er in seinem fast militanten Drang zur Symbolik nicht nur Musik, sondern auch Farben, Geschmäcker, Gerüche und andere Elemente einbaute, ist ebenfalls korrekt.

 

Ich habe parallel das entsprechende Buch aus der Serie "Meisterwerke kürz und bündig" gelesen, das hervorragend auf den geschichtlichen Kontext, auf die Biographie von James Joyce, auf die Geschichte der Veröffentlichung und natürlich auch die Bedeutungen und Interpretationen der einzelnen Kapitel eingeht.

Da wird einem bewusst, wie hochkomplex das Buch ist, und wie unglaublich viel Arbeit darin steckt.

 

Aber aus meiner Sicht ist das Ganze dannoch nicht mehr, als ein einziges großes Experiment, da hat jemand Symbolik, Sprach und Erzähltechniken zum Selbstzweck erhoben, und zwar auf eine selbstherrliche Weise, die den Leser als tumben Ungebildeten hinstellt und das Buch in friss-oder-stirb-Manier vor die Füße wirft und noch dazu hochmütig verlauen lässt: "niemals wird es jemand gelingen, alles zu verstehen, was ich hineingebaut habe".

Ist das nicht der Gipfel der Arroganz?

 

Um das Buch trotz der sehr guten Hintergrunderläuterungen zu Ende zu lesen, hat es mich einfach zu sehr gelangweilt. Es sind etwa 500 Seiten zu viel.

 

Zum damaligen Zeitpunkt waren seine Ansätze, seine zynischen Porträts und seine Erzähltechniken bestimmt revolutionär, aber gerade deshalb - und wegen des Schnappschusses von Zeit und Ort - ist das Buch nur retrospektiv herausragend. Es hat eine pointierte, historische Bedeutung, aber keine aktuelle oder dauerhafte. Oder ich kann sie nicht erkennen. Aber deswegen jedenfalls kann ich das Etikett "Jahrhundertroman" so wenig verstehen.

 

In der aktuellen Ausgabe von "Bücher" ist ein schöner Artikel in der Rubrik "überschätzte Bücher" über "Die neuen Leiden des jungen Werther"... So ähnlich, habe ich das Gefühl, ist Ulysses überbewertet von den Meisten (abgesehen von den kleinen Gruppen der Bibliophilen, der Historiker oder der Literaturhistoriker).

 

:-/ Andreas

 

PS: Dass das Buch im konservativ-puritanischen Amerika indiziert wurde, ist meines Erachtens kein Merkmal für herausragende Bedeutung

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@Jan, noch ein Anglist, wie schön! :) Wobei ich noch im Studium stecke. Den "Ulysses" muß ich noch lesen und fühlte mich bisher nicht so recht berufen dazu ... aber nachdem die Meinungen hier so kontrovers sind, wurde mein Interesse geweckt! ;) Er steht zumindest schon da (in deutscher Übersetzung ... ich sollte mir wohl noch das Original besorgen).

 

Viele Grüße,

-Manuel

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Hallo, Manuel!

 

Du gehörst wohl auch eher zu der nachaktiven Sorte?  ;D

 

Ich hatte zwar groß angekündigt, den Ulysses jetzt noch mal zu lesen, hab's auch immer noch vor, aber im Moment ist bei mir zu viel Trubel.

 

"bisher noch nicht so recht berufen", schreibst Du - kann ich gut verstehen. Grade weil so ein Tamtam drum gemacht wird, schreckt man zurück.

Lies ihn doch einfach mal an und schau, ob's funkt (um es mal so auszudrücken).

Gruß

Jan

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Er steht zumindest schon da (in deutscher Übersetzung ... ich sollte mir wohl noch das Original besorgen).

 

Viele Grüße,

-Manuel

 

Oh! :o Als Anglist die Übersetzung zu lesen... mach das nur, um zu studieren... Das Original ist Pflicht! Ich habe es genossen :)

 

Gruß,

 

Tin

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Bei aller Bewunderung für den Übersetzer, hat Tin schon recht.

 

Kleine Geschichte dazu: Ich hab erst im letzten Jahr mit großer Skepsis (wegen des irren Rummels) die ersten 4 Harry Potter Bücher gelesen, und war davon begeistert.

Im Sommer bei Freunden entdeckte ich Band 5 im Regal (auf Deutsch), den ich mir natürlich sofort schnappte - und war entgeistert.

Das war ein völlig anderes Buch, selbst die Personen wirkten teilweise ganz anders.

 

Fand ich schon verblüffend.

 

Gruß

Jan

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(Steffi (Ronya))

Ich find das Buch eigentlich schon ganz gut, vor allem die Idee. Aber 1000 Seiten waren mir dann doch zu heftig und zu langweilig. Da gibt es bessere Bücher, die mit innerem Monolog und Bewusstseinsströmen arbeiten.

Gruß Ronya

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