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(Peter D. Lancester)

Der feige Autor ist langweilig

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(Peter_Dobrovka)

In einem Schreibratgeber oder etwas Ähnlichem (ich glaube, der Frey war's, aber egal jetzt) wurde diese Schreibregel als "Sich nackt ausziehen" bezeichnet und meinen tue ich, daß viele Autoren nicht den Mut zum Extremen, Reißerischen haben.

Ein beim Nachhaken oft genannter Grund ist der, daß "man doch sowas nicht schreiben könne". Noch öfter aber ist die Begründung unmöglich, und der Autor fühlt sein Defizit, ohne etwas dagegen tun zu können. Eine Art Schamgefühl ist das. Scham, bestimmte Dinge so zu schildern wie es nötig bzw. wirkungsvoller wäre. Deswegen die kuriose textile Bezeichnung für deren Überwindung.

 

Ein ganz nettes Beispiel dafür ist das "Hänsel und Gretel Beispiel" gewesen. Bei vielen Autoren ist es so, daß die in den Wald gehen, und nachdem sie sich ordentlich gefürchtet haben, finden sie einen Wegweiser, der sie wieder nach Hause führt und alles ist gut. Der Autor hat sich nicht getraut, in die Vollen zu gehen.

Sehr oft findet sich das Phänomen mehrfach hintereinander. Der Held hat eine schwere Aufgabe zu bewältigen, und es stellen sich ihm auch allerlei Hindernisse in den Weg, aber der Autor scheint an seiner eigenen Spannung zu zerbrechen und löst die Situation binnen weniger Seiten (gerne 3-4) wieder in Wohlgefallen auf.

Was ich auch oft finde, ist fehlender Mut, dem Prota wirklich üble Sachen anzutun. Autoren neigen dazu, ihre Protas wohlbehütet durch ihren Roman zu schleusen, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen.

 

Aber generell, wie gesagt, gibt es bei vielen Autoren ein Schamgefühl bzw. eine unbewußte Hemmung, reißerische Elemente zu verwenden, hemmungslos zu übertreiben usw. Alles ist gemäßigt, bewegt sich im Rahmen - und ist im Endeffekt langweilig.

 

Mir fällt dazu auch Thomas' Posting ein:

Viele Menschen wissen, wie unangenehm es für beide Seiten ist, wenn man die "persönliche Würde" eines Menschen antasten muss. Wenn man einen alten Menschen wäscht, und damit die Schamgrenze beider Seiten verletzt.

Und so ist das auch mit Sprache. Wer über seine sprachlichen Grenzen hinausgeht, wird alle Möglichen Erfahrungen macht. Es beginnt mit Scham, mit Zweifeln, es geht über Ängste, persönliche Betroffenheit weiter bis an bestimmte Grenzen, die, wenn sie überschritten sind, uns so tief im inneren verletzten können, dass wir uns nie wieder davon erholen. Und ja, jede Grenzüberschreitung bei anderen, bei Texten, führt uns immer wieder auf uns und unser Leben zurück, unser Leid, unsere Erfahrungen.

 

Und viele Leser finden solche Texte übrigens abstoßend, verletzend und obzön.

Ja, aber sie werden von diesen Texten auch unwiderstehlich angezogen. Oder irre ich mich da? :s22

 

Wie seht ihr das?

 

Peter

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(Peter_Dobrovka)

Und gleich noch was hinterher. In den Textkritiken ganz aktuell ist Inges Prolog, da geht es um Euthanasie im 3. Reich, und da hat AstridV einen Alternativvorschlag gemacht, wie man das aller packender und reißerischer gestalten könne. dies ist die Antwort:

Hallo Astrid und Peter,

 

der Prolog soll in die Geschichte reinziehen. Hier schon zuviel zu zeigen oder zu erklären, finde ich unpassend.

Wieso du, Astrid, den Sensenmann eintreten siehst, kann ich ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen. Und natürlich will ich im Leser Gefühle wecken.

 

Im Laufe der Handlung wird nach und nach der ganze unmenschliche Aparat und die menschenverachtende Denkweise gezeigt werden.

 

Dein Szenenvorschlag klingt auf den ersten Blick bestechend, aber nun muss ich mein Recherchewissen ausbreiten

[Recherchewissen]

Astrids Vorschlag wäre also ein Hook, aber er ist Fitkion. Mir ist es aber wichtig die Handlung meines Romans vor dem Hintergrund des realen Geschehens zu zeigen.

Okay, einerseits ist das ein Argument, das praktisch unangreifbar ist, ich selbst mag es auch nicht, Fakten zu verfälschen. Andererseits grübele ich dennoch über dies und das.

- Ist es für die Dramaturgie nicht manchmal doch hilfreich, die Dinge überspitzter darzustellen?

- Wenn diese Szene aufgrund von Recherche und Authentizitätswunsch nicht mehr hergibt, könnte man dann nicht eine ganz andere nehmen?

 

Dann habe ich da noch ein paar Gedanken, die in Kreuzreferenz zum Thread mit dem repräsentativen Romananfang stehen, aber die gehören eigentlich wieder in einen ganz eigenen Thread. Coming soon.

 

Peter

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Das ist unter anderm, was einem Roman Tiefe verleiht. Genau da hinzusehen, wo eine Kamera abblendet oder ein Mensch den Kopf wegdreht.

Ich finde es ist des Autors Aufgabe die Kamera genau da drauf zuhalten.

Ich genieße solche Bücher viel mehr.

Und danke Peter, für deine Thread-Wut heute. ;)

Damit hast du mir eine Antwort gegeben, die ich schon lange suche. Nämlich auf die Frage warum mich in letzter Zeit so viele Bücher langweilen. Weil es alles keine Grenzbrecher waren, keine mutig hinschauenden Autoren.

 

LG

Joy

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Hallo Peter,

weil du dich auf Thomas' Beitrag im Thread der Sprachlosigkeit angesichts von Pogromen und Ähnlichem beziehst, möchte ich sagen: Ich finde es weder mutig noch notwendig, die Würde von Menschen zu verletzen. Weder als Schriftsteller noch als Mensch. Und sollte es das jemals werden, will ich langweilig bleiben.

Ist es nicht mutiger, die Würde eines Menschen zu bewahren oder zu erinnern, selbst wenn andere sie ihm nehmen?

Schöne Grüße,

Petra

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Tja, Peter D.,

 

wo nun antworten? Ich habe diesen Text nun in beide Threads getellt (Textdiskussion "Weglassen?)

 

In deinem neuen Thread geht es dir um das Reißerische, du bemängelst den fehlenden Mut mancher Autoren - jetzt provoziere ich mal - Bildzeitungsstil zu schreiben, statt SZ.

 

Ich persönlich mag sowohl das Reißerische als auch das Suggestive. Es ist immer die Frage wann was angebracht ist.

 

Das Thema 'Euthanasie' im Dritten Reich ist mir zu heikel um es marktschreierisch zu beschreiben. Das war ein geheimes, verborgenes, stilles Tun und auch durch Nazirecht nicht geschützt.

 

Was ein Autor bei diesem Thema auf gar keinen Fall tun sollte, ist historische Tatsachen zu verfälschen und zu verdrehen nur weil eine Szene sich dann so schön reißerisch schreiben ließe, dass die Leser gleich Herzrasen bekommen.

 

Außerdem muss man sich den ganzen Stoff anschauen. Ich schreibe keinen Actionkrimi, in dem die  Protagonistin um ihr Leben und gegen Feinde kämpfen muss sondern eine Geschichte die langsam beginnt, mit einem Hinweis, der zu einer Art Schnitzeljagd in die Vergangenheit wird, der die Heldin  immer weiter hineinzieht. Das ist ein Prozess, der unerwartete Entdeckungen birgt usw.

 

Was soll ich da also mit einem reißerischen Prolog, der dem Leser suggeriert, dass es temporeich und reißerisch weitergeht, wenn dann der Rest eher einer sich kontinuierlich steigernden Drehung einer Spirale gleicht?

 

nachdenkliche Grüße

Inge

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Ich möchte hier Petra Recht geben, das sehe ich auch so, wusste nicht, worauf sich das Posting bezog. Was ich meinte hat nichts mit der Verletzung der Menschenwürde zu tun.

 

LG

Joy

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Stefan Mühlfried

Hm.

 

Im Prinzip hat Peter recht: Viele Autoren (ich auch, wenn ich mich nicht am Riemen reiße) trauen sich nicht, ihre liebgewordenen Protas richtig in den Dreck zu schmeißen und spülen dadurch ihr Werk unnötig weich.

 

Eine der wenigen Sachen von Hohlbein, die mir auch nach langer Zeit noch gefallen, ist der Enwor-Zyklus. Und warum? Wahrscheinlich zum Teil, weil es den Helden durch -zig Bände praktisch durchgehend beschissen geht. Hohlbein schleift sie durch Eiswüsten, setzt sie unter Drogen, läßt sie den eigenen Sohn ermorden und in der Wüste fast verdursten. Und das ist nur der kleinste Teil ihrer Misere... Ich traue mich hingegen kaum, meiner Prota mehr als einen Streifschuß zu verpassen. Ich mag sie einfach zu sehr - bin wohl zu gut für diese Welt. ;D

 

Bei Ingrids Beispiel sehe ich das aber anders: Nichts gegen eine gewisse dramaturgische Überspitzung, aber wenn sie die historischen Fakten eines Knallers wegen zu arg vernachlässigen würde - ja, dann wäre wohl klar, wie die Kritik ausfallen würde:

"Die Autorin nimmt sich eines heiklen Themas an, verzerrt jedoch die historischen Tatsachen um der Spannung willen und läßt den Roman dadurch seine Glaubwürdigkeit verspielen."

 

Nee, das dann doch lieber nicht.

 

Liebe Grüße,

Stefan

"Schriftsteller sollten gar keine Adjektive haben. Sie sind keine französischen oder australischen Schriftsteller, sondern einfach Schriftsteller. Am Ende sind sie ohnehin nicht mal ein Substantiv, sondern ein Verb: Sie schreiben." - Richard Flanagan

Blaulichtmilieu   -   Zur Hölle mit der Kohle   -   Der steinerne Zeuge

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(Peter_Dobrovka)

Klar, "die Menschenwürde" will keiner verletzen.

Aber ich beschränke mich dabei auf reale Menschen. Mit der Würde virtueller Menschen habe ich da keine Berührungsängste.

Von "Im Westen nichts Neues" bis "Die Wanderhure" könnte ich auf Anhieb mehrere hundert Bücher nennen, wo die Würde virtueller Menschen verletzt wird. Und wer damit Probleme hat, der sollte sich auf Sachbücher über Hunde und Katzen beschränken.

 

Peter

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Ich will nur auf das Hänsel und Gretel-Beispiel eingehen. Bei Darstellung von 3.Reich und Würde-Geschichten wird die ganze Geschichte extrem diffizil und ich neige dazu, dem zuzustimmen, was Daniel Kehlmann gesagt hat: Wenn man über das 3. Reich schreibt, hat man die Verpflichtung etwas ungeheur Gutes zu schreiben. Es gibt Romane, die so etwas richtig hart darstellen ("Die Mütze") und es gibt Romane, die so etwas relativ weich darstellen ("Jakob, der Lügner"). Beide funktionieren wohl, obwohl ich gestehen muß, "Die Mütze" nicht gelesen zu haben und das nur aus zweiter Hand weitergeben kann.

 

Mir gefällt die Wortwahl nicht. Feige, reißerisch, das passt mir nicht richtig, für mich geht es um eine "Konsequenz" und dieses Relativieren ("Is ja alles doch nicht so schlimm").

Schönes Beispiel -Filmwelt, aber passt-: Die Cosby-Familie. Die eine Tochter hat einen Mann geheiratet, der ein Kind mit in die Ehe bringt. Die Mutter des Kindes hat sich von ihm scheiden gelassen, weil ihr das zuviel wurde. Schreckliche Person, aber dann kommt sie irgendwann zu Besuch, alle unterhalten sich, umarmen sich und haben sich lieb: War ja alles doch nicht so schlimm. (Sehr schön auch "Die kleine Farm" ob tödliche Lungenentzündung oder Heroinabhängigkeit, mit Gottes Hilfe, Ehrlichkeit und Redlichkeit lässt sich alles lösen, denn es war nicht alles so schlimm).

 

High-Fidelity: klasse Buch. Der Protagonist baut 250 Seiten lang nur Scheiße, seine Freundin ist eigentlich weg, dann stirbt deren Vater, er erkennt sich und all seine Probleme mit einem Mal selbst, sein Kamastura-erfahrener Mr. Perfect-Nebenbuhler entpuppt sich als Vollflasche, er bekommt seine Freundin zurück und alles ist wieder gut. War ja alles doch nicht so schlimm.

Diese ganze Popliteratur-Fraktion. Man müsste ja, man könnte ja, eigentlich sollte man. Die Allgegenwärtigkeit des Konjunktivs, man macht dann aber doch nichts, bleibt bei Gedankenspielen, denn eigentlich ist ja alles doch nicht so schlimm.

Das ist dieses pubertäre Motiv des Aufwachens aus einem Alptraum. Die Situation ist im Eimer, man ist so gut wie tot, eigentlich ist alles an die Wand gefahren, aber huch der Wecker klingelt, klein Superman erwacht in seinem Bettchen und: ist ja alles doch nicht so schlimm.

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(Peter_Dobrovka)

Hallo, Namensvetter!

 

Du bist da jetzt in die Niederungen des Phänomens "Happy End" abgedriftet, aber das meinte ich nicht. Hänsel und Gretel hat ja auch ein Happy-End. Gemeint ist das Vermeiden bzw. Abschleifen von Spannungsspitzen.

 

Im Übrigen muß ich noch hinzufügen, daß sich mein Eingangsposting in erster Linie und vor allem auf unveröffentlichte Autoren bezieht und ein wichtiger Grund ist, warum sie das auch bleiben.

 

Zur Wortwahl: Ich wählte die Überschrift mit bedacht selbst reißerisch. :s22

 

Peter

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Hallo,

 

ich habe kein Problem damit, den Leser durch das Buch hindurch mit den Worten "Ihr Schweine, ihr trichinösen Schweine! Ich werde euch schleifen, bis euch der Bauchnabel glänzt!" anzubrüllen oder das Innere einer Sägemühle ausführlichst mit den Gedärmen eines mit einer Kreissäge zersägten Menschens zu beschreiben. Im Gegenteil, ich habe das dazugehörige Buch (Link ungültig) (Link ungültig) intensivst gelesen, es hat mir gefallen und wüsste auch keinen Grund, dass nicht zu schreiben. Das Problem ist bloß, der Kontext für das Reißerische dazu muss stimmen. Reißerisches um seiner selbst willen macht für mich ein Buch nicht spannender oder interessanter, sondern nur länger und demnach teuerer.

 

Viele Grüße Dietmar

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(Peter_Dobrovka)

Das Buch hab ich mir jetzt erst mal bestellt, haha.

 

Das Problem ist bloß, der Kontext für das Reißerische dazu muss stimmen. Reißerisches um seiner selbst willen macht für mich ein Buch nicht spannender oder interessanter, sondern nur länger und demnach teuerer.

Dem Sinn nach geht das jetzt ganz nah ans Eingemachte, und ich würde gerne fragen, ob das von den anderen auch so gesehen wird.

Wobei so wie du das jetzt formuliert hast, natürlich keiner sagen wird, dass Reißerisches um seiner Selbst Willen irgendwas Positives beinhaltet, denn der Ausdruck um seiner selbst Willen ist ja schon ein Negativum.

 

Die Frage wäre dahingehend anzusetzen, ob man den Unterhaltungs- bzw. Hinguckwert nicht erhöht, indem man ... mir fehlt hier der entscheidende Ausdruck ... in dem man "härter zupackt"?

 

Peter

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Stefan Mühlfried

Definitiv. Wäre der Herr der Ringe so ein Kracher geworden, wenn Frodo und Sauron die Sache bei einer Tasse Tee ausdiskutiert hätten? :s22

"Schriftsteller sollten gar keine Adjektive haben. Sie sind keine französischen oder australischen Schriftsteller, sondern einfach Schriftsteller. Am Ende sind sie ohnehin nicht mal ein Substantiv, sondern ein Verb: Sie schreiben." - Richard Flanagan

Blaulichtmilieu   -   Zur Hölle mit der Kohle   -   Der steinerne Zeuge

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Hallo, Namensvetter!

 

Du bist da jetzt in die Niederungen des Phänomens "Happy End" abgedriftet, aber das meinte ich nicht. Hänsel und Gretel hat ja auch ein Happy-End. Gemeint ist das Vermeiden bzw. Abschleifen von Spannungsspitzen.

 

Argh, ja, ertappt. Zu meiner Verteidigung: ich habe mich da auf ein paar "Hauptkonflikte", die sich in Luft auflösten, bezogen und deshalb unbefriedigend in ein Happy End mündeten.

Ginge dir das zu weit vom Thread weg, wenn ich, um mein Posting zu retten, formulierte, daß ein ausgewachsener Konflikt auch einen handfesten Klimax braucht, um befriedigend aufgelöst zu werden?

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(Peter_Dobrovka)

Argh, ja, ertappt. Zu meiner Verteidigung: ich habe mich da auf ein paar "Hauptkonflikte", die sich in Luft auflösten, bezogen und deshalb unbefriedigend in ein Happy End mündeten.

Ja, gemeint waren in gewisser Weise viele kleine verfrühte "Zwischen-Happy-Ends".

 

Ginge dir das zu weit vom Thread weg, wenn ich, um mein Posting zu retten, formulierte, daß ein ausgewachsener Konflikt auch einen handfesten Klimax braucht, um befriedigend aufgelöst zu werden?

Diese These hab ich schon vermutet. ;D

Aber die kleine Farm war ja doch ziemlich erfolgreich ... :-/

 

Peter

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Hallo PeterD.,

 

ein Autor, der sich den Konflikten seiner Figuren nicht stellt, hat durchaus ein Problem. Weil er damit seinen Figuren die "Bodenhaftung" verweigert, und sie ziemlich luftig durch sein Buch schweben läßt, fern aller Realität.

Gleichzeitig sollte man eine Figur auf nicht mit zuvielen Konflikten auf dem Boden festnageln, damit er sich nicht bewegen kann- also um des Konfliktes willen etwas übertreiben. Sozusagen die freudianische Überdeutung, also allen Figuren das Leben so systematisch nach psychoanalytischen Modellen zu versauen, damit jede ihrer Handlungen wieder auf die Psychoanalyse zurückzuführen ist.

 

Und zu dem reißerisch: Die Frage ist immer, ob das dem Roman hilft, oder nicht. Die Stelle, wo Hänsel und Gretl die Brotstücke auf den Boden werfen, kann viel wichtiger für den Roman sein, als die Stelle, wo Hänsel in den Ofen soll. Das kommt auf die Gewichtung an.

Wenn man die Lösung der Geschichte auf die Stelle mit dem Ofen legt, dann muss man sie schildern- und das je nach Art des Romans ausgestalten. Hat man Hänsel Batemann als Hauptfigur, dann sollte die Stelle so ihm passen- pure Gewalt, alles aber eingehüllt in Armani, ein wenig Calvin Klein und mit seinem ziemlich sadistischen Humor und Plastikabdeckungen wegen der Motorsäge. Ist es aber eher Lauralie Pilcher, so steht die Rettung und die Liebe im Vordergrund.

Oder um es anders zu sagen: reißerisch verführt oft dazu, zuviel zu machen, was aus einer starken Szene eine billige macht. Es sei denn, es paßt genau zur Figur.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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(Peter_Dobrovka)

Und zu dem reißerisch: Die Frage ist immer, ob das dem Roman hilft, oder nicht. Die Stelle, wo Hänsel und Gretl die Brotstücke auf den Boden werfen, kann viel wichtiger für den Roman sein, als die Stelle, wo Hänsel in den Ofen soll. Das kommt auf die Gewichtung an.

Ja, das sagen viele, aber ich tu mich im Moment noch schwer, das auch zu glauben.

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Hallo Peter,

 

Ich denke, vieles hängt davon ab, was man schreibt und für wen man es tut. Wenn man Hänsel und Gretel für Kinder verfasst, ist es nicht so vorteilhaft, die beiden in den Dreck zu stoßen und sie mit Füßen noch tiefer zu treten. Kinder werden das ablehnen.

Wenn man allerdings die Story als Horrorroman schreibt, dann sieht die Sache anders aus.

 

Ich finde es schlecht, wenn der Autor historische Ereignisse verdreht, nur um mehr Spannung zu erzeugen. Genauso wenig mag ich, wenn die Spannung zwar erzeugt wird, die Szene aber für das gesamte Buch irrelevant ist.

 

Auch wenn das Buch mich abstößt, werde ich es nicht weiter lesen. Es mag sein, das in einer Gruppe runtergekommener Menschen jedes zweite Wort "Scheiße" ist, aber nach paar Seiten wird das nervig.

 

Man darf die Prots nicht schonen, aber wenn es ihnen 300 Seiten lang nur dreckig geht, dann wird es für mich persönlich langweilig.

 

Liebe Grüße,

Olga

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Hallo Peter!

 

Was ich auch oft finde, ist fehlender Mut, dem Prota wirklich üble Sachen anzutun. Autoren neigen dazu, ihre Protas wohlbehütet durch ihren Roman zu schleusen, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen.

 

Genau wegen der bleibenden Schäden habe ich an einer Stelle in meinem Roman nach einigem Nachdenken auf eine Vergewaltigung verzichtet. Ich finde nicht, dass es irgendwie feige ist. Ich brauchte eine mutig agierende Person und keinen Wrack, der sich mit glasigen, nichtssehenden Augen durch die Gegend schleppt.

 

Würde man deinen Prinzip hartnäckig durchhalten, hätte man einen Superman-Typ, der, nachdem ihm ein Haus auf den Kopf gefallen ist, einfach aufsteht, sieht, ach, ein Arm ist ab, aber nicht so schlimm, der andere ist ja noch da, und sich mit der verbliebenen Hand den Staub vom Anzug klopft. Mein Prota würde in dieser Situation vermutlich ausfallen. Es ist keine Feigheit, ihr solche Traumatas nicht zuzumuten, sondern eine psychologische Notwendigkeit, wenn sie noch den ganzen Roman lang durchhalten muss.

 

Gruß

Maaja

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Hey Peter!

 

Dazu habe ich schon seit langem eine Theorie, mit der ich, wenn das Thema denn schonmal zur Sprache kommt, auch nicht hinterm Berg halten will.

 

Ich glaube nämlich, dass die Sache darunter fällt, mit welcher Einstellung man schreibt: Dienen die Charaktere der Handlung. Oder müssen die Charaktere durchleiden, was immer die Handlung ist?

 

Ich behaupte einmal, dass die meisten Autoren der ersteren Kategorie angehören. Da werden Ereignisse, Dinge festgelegt: Ein Haus stürzt ein, der Held muss das Mädchen retten, und dann herausfinden, wer es zum Einsturz gebrahct hat. Oder ähnliches.

 

Wenn man so schreibt, ist es in meinen Augen beinahe NOTWENDIG, den Charakter zu schonen. Andernfalls ufert das Geschehen nämlich aus. Wird der Charakter bei dem Hauseinsturz zu stark verletzt, muss er zunächst ins Krankenhaus, ist vielleicht einige Tage ausser Gefecht, hat möglicherweise noch die rechte Hand verloren und das Trauma, dass er sich in keine hohen Häuser mehr wagt.

Alles das sind Dinge, die von dem ablenken, was ja eigentlich erzählt werden soll: Der Held findet raus, wer das Haus zum Einsturz gebracht hat.

Anders gesagt: Bei diesem Ansatz ordnet sich der Held, und das Leid, das er erfährt, der Handlung unter.

 

Ein ganz anderer Ansatz wäre der, einfach einen Charakter zu erschaffen, und ihn in die Handlung zu werfen, getreu dem Motto: So, jetzt steht mein Held, der mutig und selbstlos ist, vor diesem einstürzenden Haus, hört ein Kind darin schreien. Was tut er? Er rennt erst einmal rein, findet das Kind. Das Haus stürzt ein. Er verliert seinen Arm. Okay, dumme Sache. Was tut er nun? Geht er damit um? Lebt er sein Leben als einarmiger weiter? Was tut er?

 

Bei diesem Ansatz kann dem Protagonisten alles widerfahren, was dem Autor so einfällt, denn seine Taten, und die Handlung ordnen sich dem unter, was ihm zustößt.

 

Da spielt schon wieder die Frage geplottetes Schreiben vs. Drauflosgeschreibe rein.

 

Natürlich kann man solche Sachen auch plotten. Nur hat ein Autor ja meist ein spezielles Ziel vor Augen, ein Ende, auf das er hinschreibt. Und dieses Ende setzt meist recht enge Grenzen, was und wieviel dem Helden widerfahren darf.

Wenn mein Held am Ende die tolle, eloquente, attraktive Frau kriegen soll, und sie soll ihn lieben, ist es zumindest schonmal verboten, dass er das Opfer großartiger Verstümmelungen oder von Säureangriffen wird, weil das wieder unrealistisch wird. Er darf sich einen Finger brechen, vielleicht auch einen Arm, aber er MUSS hübsch genug bleiben, damit die Frau ihn auch noch will.

Keine Frau nimmt am Ende einen Mann, der aussieht, wie ein plattgesessener Snickers, und wenn er noch so heroisch war...

 

Alles passieren kann dem Helden nur, wenn dem Autor, ob beim schreiben oder beim plotten, egal ist, was am Ende herauskommt...

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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(Peter_Dobrovka)

Wenn mein Held am Ende die tolle, eloquente, attraktive Frau kriegen soll, und sie soll ihn lieben, ist es zumindest schonmal verboten, dass er das Opfer großartiger Verstümmelungen oder von Säureangriffen wird, weil das wieder unrealistisch wird. Er darf sich einen Finger brechen, vielleicht auch einen Arm, aber er MUSS hübsch genug bleiben, damit die Frau ihn auch noch will.

Keine Frau nimmt am Ende einen Mann, der aussieht, wie ein plattgesessener Snickers, und wenn er noch so heroisch war...

 

Alles passieren kann dem Helden nur, wenn dem Autor, ob beim schreiben oder beim plotten, egal ist, was am Ende herauskommt...

1. Du solltest unbedingt Das Hades-Labyrinth von rainer lesen! Das könnte deine Ansicht über verstümmelte Helden, die die Frau kriegen, revidieren.

2. Du solltest unbedingt Das Lied von Eis und Feuer von G.R.R. Martin lesen! Das könnte deine Ansicht über das Sterben der Story, wenn die Helden ausfallen, revidieren.

3. Vergiß 1 und 2; um all das ging es nicht. Es geht einfach nur darum, daß der Autor sich trauen soll, Konflikte und Probleme zu radikalisieren. Das muß nicht mit Blut und Tod sein, auch wenn dies das erste ist, was allen einfällt (auch mir, hehe).

 

Ein oft strapazierter Ausdruck ist: Wenn die Geschichte es erfordert. Nun, oft erfordert sie es, aber der Autor überwindet sich dennoch nicht. Hier ist die Crux.

 

Peter

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1. Du solltest unbedingt Das Hades-Labyrinth von rainer lesen! Das könnte deine Ansicht über verstümmelte Helden, die die Frau kriegen, revidieren.

Ich HABE es gelesen, und du hast recht. Es hat mich damals auch sehr verwundert, schlicht deshalb, weil es etwas anderes war. (Anders ist gut!:)) Aber auch Daniel (??) hatte plastische Operationen...

Und es war ein zentraler Konflikt der Handlung, und nicht so nebenher, weil es sich halt ergab...

 

2. Du solltest unbedingt Das Lied von Eis und Feuer von G.R.R. Martin lesen! Das könnte deine Ansicht über das Sterben der Story, wenn die Helden ausfallen, revidieren.

Das ist einer der Gründe, weshalb ich es gerade lese. Allerdings habe ich auch nicht gesagt, dass eine Story stirbt, wenn ein/der Held stirbt... ;)

(In 'Der Fall Charles Dexter Ward' von Lovecraft stirbt der Held nach einem drittel des Buches, und taucht danach auch nicht mehr auf, nicht mal als Zombie oder so...)

 

Ein oft strapazierter Ausdruck ist: Wenn die Geschichte es erfordert. Nun, oft erfordert sie es, aber der Autor überwindet sich dennoch nicht. Hier ist die Crux.

 

Hast du ein konkretes Beispiel? Finde das Thema superinteressant, befürchte aber, ich verstehe dich nicht ganz... :-/

Vielleicht eine Stelle, in der der Autor deiner Ansicht nach gekniffen hat, und eine Idee, wie es hätte aussehen können, wenn er sich was getraut hätte?!

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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Ich mag Bücher mit überraschenden Wendungen.

Es ist doch langweilig, ein Buch zu lesen und schon von Anfang an zu wissen, das der "Held" am Ende alles prima überstanden hat.

 

Im richtigen Leben läuft ja auch nicht alles glatt. Solche Happy-Ends kommen fast immer aus den USA - Siehe aktuell "MIP III"

(War doch von Anfang an klar, dass seine Frau den Kopfschuß überlebt hat  :s11 - wie langweilig)

 

Schöner ist es, innerhalb der Story immer wieder von Autor "überrascht" zu werden. Das bringt Leben ins Buch und macht es autentischer.

 

Ich finde, ein Autor sollte bereit sein, das Leben seines Romanhelden/seiner Heldin am Ende des Buches (oder auch mittendrin) auch mal für die gute Sache zu geben.

Nicht immer - aber vielleicht gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet.

 

Sabine

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Marco,

 

ich hätte da ein Beispiel für das Kneifen des Autors. Mein Erstlingswerk. Obwohl ich nicht bewusst gekniffen habe, denn ich schrieb die Story so, wie sie mir gefiel, hier eine Auszug aus einer Amazon Rezi für euch:

 

"Wer gerne Zeitreise Romane liest, kennt das, die Protagonisten landen in einer fremden Zeit und werden ohne Unterbrechung mit Problemen konfrontiert, sei es Hexenverfolgung, Entführung, böse Gegenspieler die es auf sie abgesehen haben etc.

Doch genau das werden sie in Schimmer der Vergangenheit nicht finden. Im Gegenteil, bis auf die kleinen "Verständigungprobleme" kommen unsere "Helden" eigentlich sehr problemlos mit ihrer Situation zurecht. Immer wenn man denkt, jetzt muß doch mal etwas schlimmes passieren, passiert es nicht!

 

Im Großen und ganzen fand ich dieses Buch sehr schön, denn die Figuren waren gut ausgearbeitet und sehr sympathisch, die Story sehr schön erzählt. Auch die Puzzelteile erschienen einem am Ende logisch.

Nur leider fehlt ein klein wenig die Tragik, die doch eigenlich in einem solchen Roman nicht fehlen sollte.

Deshalb vergebe ich auch nur 4 Sterne.

 

Es ist ein sehr schönes Buch für einsame Stunden auf der Couch. "

 

Da wird mir also genau das vorgeworfen. Die Story hätte es "erfordert", zumindest für diese Leserin.

Das ist zwar der einzige Kommentar dieser Sorte den ich bekam, aber er hat mir doch zu denken gegeben. Das Buch wäre allerdings dann ein 600 Seiten Schmöker geworden, MIT ALLEN KLISCHEES die solche Stories zu bieten haben, aber... wenn das so gewünscht wird. ;)

 

Nein, im ernst jetzt. Lässt man die Helden zu sehr leiden, wird es vorhersehbar (oft, nicht immer) und klischeehaft.

 

My 2 cents.

 

LG

Joy

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(Peter_Dobrovka)

Das Problem, dir Beispiele zu liefern, Marco, liegt darin, daß solche Bücher es in der Regel eben nicht bis zur Veröffentlichung schaffen oder zumindest nicht bekannt genug sind, als daß dir der Titel was sagen würde. Und wenn sie es geschafft haben, ist es problematisch, sie deswegen noch kritisieren zu wollen.

 

Dir meinen Stapel an abgelehnten Manuskripten zur Durchsicht zu empfehlen, ist wohl auch nicht das Gelbe vom Ei.

 

Kleinlaut muß ich gestehen, daß ich so ein Ei im eigenen Verlagsprogramm habe, noch aus den Anfangstagen, es ist auch der größte Flop des Verlags geworden. Science-Fiction. Eine Kampfpilotin gerät an Außerirdische, die sie ausgiebig untersuchen und ihr Fragen stellen. Das nimmt das Militärgericht dann zum Anlaß, ihr Verrat vorzuwerfen und zu Zwangsarbeit zu verurteilen, wo sie dann von ihren Mitgefangenen schikaniert wird, usw.

Da ist eine Menge Potenzial in der Story, das nicht genutzt wird. Von der zerbrechenden Beziehung über Verrat und kleinen Mißverständnissen, die zu großen Katastrophen führen. Die Storyline als solche müßte gar nicht verändert werden, um großes Kino draus zu machen.

Ich werde deswegen wahrscheinlich einen zweiten Anlauf wagen. Die Erstauflage habe ich bereits weitestgehend eingestampft, eine Zweitauflage, in denen alle Mängel korrigiert sind, gibt es dann ohne großes Aufsehen so ganz nebenbei. Aber nur eine sehr kleine.

 

Ein weiteres Beispiel, das ich hier leider nicht öffentlich posten kann, kriegst du jetzt per PN. Ich bitte darum, es vertraulich zu behandeln.

 

Peter

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