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BarbaraS

Zweimal Ich?

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Liebe Leute,

 

nachdem ich drei Monate mit Überarbeiten beschäftigt war, kann ich mich jetzt endlich wieder meinem aktuellen Projekt zuwenden - und gleich fange ich an, alles mögliche in Frage zu stellen.

 

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt - das ist eigentlich auch zwingend. Im Moment ist die Konzeption nun so, dass zwei davon Ich-Erzähler sind (die sich im Text auch begegnen, der Zusammenhang zwischen den Perspektiven wird schon klar, denke ich). Dazwischen wird referiert, was Dritte erzählt haben; und Briefe etc. kommen auch vor (also noch einmal "Ichs").

 

Und nun frage ich mich halt, ob das nicht nervt? Wenn immer wieder so ein Typ kommt und sich mit "Ich, ich, ich" in den Vordergrund drängt, statt dass man sich ganz auf die Geschichte konzentrieren kann? Andererseits würde ich eigentlich ungern auf das Subjektive und Unzuverlässige einer Ich-Erzählung verzichten.

 

Was meint Ihr? Habt Ihr so etwas schon mal gemacht? Oder kennt Ihr vielleicht gute Beispiele aus der zeitgenössischen Literatur? (Von Briefromanen man abgesehen, das ist was anderes, finde ich.) Mir ist bisher nur "Opernball" von Haslinger eingefallen, und da sind die Texte ja eher wie Verhörprotokolle geschrieben und haben darum einen einheitlichen Tonfall, wenn ich mich richtig erinnere.

 

Ich bin gespannt auf Eure Meinungen!

(Und ich möchte gleich um Vergebung bitten, weil ich mich vermutlich erst morgen früh wieder melden kann - unsere Textarbeits-Gruppe trifft sich heute am Ende der Welt, deshalb muss ich gleich zu einer Bootsfahrt über den stürmischen Wannsee aufbrechen. :s10)

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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(Peter_Dobrovka)

Mir fällt da Dracula von Bram Stoker ein, der hat auch mehrere Icherzähler, und es tat seiner Popularität keinen Abbruch.

 

Zur Ichperspektive allgemein gibt es schon diverse Diskussionen hier. Daß jemand sich deswegen nicht auf die Geschichte konzentrieren kann, habe ich allerdings noch nie gehört.

 

Peter

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Mir fällt da Dracula von Bram Stoker ein' date=' der hat auch mehrere Icherzähler, und es tat seiner Popularität keinen Abbruch.[/quote']

 

Fiel mir auch als erstes ein, aber Dracula würde ich als Briefroman bezeichnen. Auch wenn 'Bandaufnahmen' drin vorkommen.

 

Ich würde es mit den ICH-Perspektiven nicht übertreiben, weil sonst in meinen Augen die Möglichkeit zur Identifikation fehlt.

 

Ein zeitgenössisches Buch mit mehreren Ich-Erzählern habe ich hier in den Buckritiken vorgestellt: "A Long Way Down" von Nick Hornby hat vier verschiedene Ich Erzähler, und daür musste Hornby ganz schön tricksen. Er macht das aber klasse! :)

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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Tricksen?

 

Okay, wieder unsaubere Wortwahl meinerseits! ;)

Lies meine Kritik. Ich meine solche Sachen, wie einen Ich-Erzähler ausschließlich indirekte Rede zu geben, und bei einer anderen Figur jedes 'Fuck' durch F**k zu ersetzen und solche Sachen.

Also, nicht direkt tricksen, aber doch sehr deutliche Mechansimen, um die Erzähler voneinander zu trennen.

 

Lieben Gruß,

Marco!

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Hallo,

 

Gabaldon benutzt, zwar nicht durchgehend, mehrere Ich - Erzähler. Durch die unterschiedlichen Denk- und Erzählweisen der Figuren, weiß man sofort, wer gerade spricht. Und auch ihrer Popularität hat es nicht geschadet.

 

Viele Grüße,

Kristin

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Hallo Barbara,

 

Beispiele aus der zeitgenössischen Literatur kann ich dir da nicht bieten, dafür aber zwei aus der klassischen Literatur: "Die Kameliendame" von Dumas und "Sturmhöhe" von Bronte. In beiden wechselt der Erzähler, d. h. in der "Kameliendame" berichtet der erste Ich-Erzähler von der Versteigerung und davon, wie er auf Armand Duval trifft, der wiederum von Marguerite Gautier (Kameliendame) erzählt. Abgeschlossen wird der Roman dann aus der Sicht des ersten Ich-Erzählers, so dass es eine Art Rahmen um die Erzählung des zweiten Ich-Erzählers gibt. Bei "Sturmhöhe" ist es ähnlich.

 

Mehrere Ich-Erzähler müssen keineswegs nervig wirken, es kommt dabei eben auf die Umsetzung an.

 

Viele Grüße,

Laila

Pseudonyme: Anna Jonas, Nora Elias

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Ganz kurz (und eigentlich schon in Regenjacke und Südwester):

 

Vielen Dank schon mal für all die Beispiele, Ihr Guten! Hach, ich seh schon, ich muss wieder einen Vormittag im Buchladen vertrödeln ...

 

Marco, Deine Hornby-Kritik klingt auf jeden Fall hochinteressant. Danke für den Hinweis!

 

Zur Ichperspektive allgemein gibt es schon diverse Diskussionen hier. Daß jemand sich deswegen nicht auf die Geschichte konzentrieren kann' date=' habe ich allerdings noch nie gehört.[/quote']

Nicht die Ich-Perspektive an sich, Peter. Sondern der Wechsel. Die Tatsache, dass sich immer wieder ein neues Ego in den Vordergrund drängt.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hallo Barbara,

 

meiner Meinung nach ist deine Frage eine theoretische, die mit der Lesepraxis nichts zu tun hat. Beim Schreiben siehst du vielleicht viele "ich"s auf dem Papier, beim Lesen aber folge ich immer wieder einer Person und ihrer Geschichte. Da habe ich nicht das Gefühl, dass sich ein Ego in der Vordergrund drängt. Wenn es gut geschrieben ist, bin ich im Gegenteil neugierig, wie es endlich mit ihm / ihr weitergeht. Der Wechsel kann spannende Stellen (je nach Genre auch Cliffhanger) produzieren. Er kann auch sehr interessant sein, wenn du die selbe Begebenheit erst aus der einen und dann sofort aus der anderen Ich-Perspektive zeigst, und wie sehr sich diese Meinungen und Eindrücke unterscheiden (so kannst du elegant sehr viel über die verschiedenen Charaktere erzählen).

 

Noch ein Beispiel mit wechselnden Ich-Perspektiven aus der jüngeren Zeit: Nicole Krauss, Die Geschichte der Liebe.

 

Liebe Grüße

Judith

"Felix", FVA 2015,  jetzt als Kindle eBook // Ab 12.7.2021: "Liebe braucht nur zwei Herzen", Penguin Verlag // Sommer 2022: "Wenn dein Herz woanders wohnt", Penguin Verlag

www.judithwilms.com

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Warum es bei Hornby funktioniert und nicht zur nervigen Raterei für den Leser wird, ist ganz einfach, weil Hornby die Ich-Erzähler sauber voneinander trennt. Sie wechseln sich kapitelweise ab und die Kapitelüberschriften sind immer die Namen des jeweiligen Erzählers. Da weiß man gleich was Sache ist. Das heißt nicht, dass das Buch nur vier Kapitel hat, nein, die Abschnitte sind eher kurz und jeder kommt öfters mal zu Wort. Manchmal scheint es, gehen sie sogar auf etwas ein, das der Vorgänger gerade gesagt/geschrieben hat. Dadurch wird der Effekt, es mit 4 verschiedenen Personen zu tun zu haben, sogar noch stärker und die Erzählung erscheint lebendiger.

Obwohl A Long Way Down nicht gerade eines von Hornbys besseren Büchern ist, hat er diesen Mehrpersoneneffekt gut gelöst.

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Hallo,

 

zwei Ich-Erzähler gibt es auch in "Die Frau des Zeitreisenden", für mich einer der schönsten Liebesromane der letzten Jahre.

 

LG,

eva v.

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Hallo Ihr,

 

noch einmal ausführlicher ganz herzlichen Dank an alle, die mir Beispiele genannt haben. Ich werde sie mir genau daraufhin anschauen, wie die Perspektiven wechseln, wer welchen Teil der Geschichte erzählt etc.

 

Besonders interessant finde ich natürlich, dass Ihr alle darin eigentlich kein Problem seht! Das ist sehr ermutigend. Allerdings frage ich mich jetzt, woher mein vages ungutes Gefühl bei der Konstruktion sonst kommen könnte, wenn es nichts mit den Ichs zu tun hat ... Ich hoffe, ich komme noch dahinter.

 

meiner Meinung nach ist deine Frage eine theoretische' date=' die mit der Lesepraxis nichts zu tun hat. Beim Schreiben siehst du vielleicht viele "ich"s auf dem Papier, beim Lesen aber folge ich immer wieder einer Person und ihrer Geschichte. Da habe ich nicht das Gefühl, dass sich ein Ego in der Vordergrund drängt.[/quote']

Ich würde Dir zustimmen, Judith, aber nur zum Teil. Sicher folgt man fast immer einer Figur durch die Geschichte, auch wenn sie in der dritten Person geschrieben ist. Aber bei einer Ich-Erzählung taucht man doch meist tiefer in Sprache und Gedankenwelt des Erzählers ein, man ist in ihm oder ihr gefangen. (Wobei da natürlich auch in der 3. Person sehr viel möglich ist.) Beim Lesen von Romanen in der 3. Person habe ich meist einen durchgängigen Tonfall im Ohr, der erhalten bleibt, auch wenn die Perspektive wechselt.

 

Außerdem brauche ich persönlich beim Schreiben in der Ich-Form immer eine klare Vorstellung, wann das Ich diese Geschichte erzählt, wem er oder sie das alles erzählt und aus welchem Grund usw. Auch wenn nichts davon im Text steht, komme ich einfach nicht richtig in die Geschichte hinein, wenn mir nicht die Erzählsituation und das Gegenüber irgendwie vor Augen stehen. Dadurch fühlt sich für mich eine Ich-Erzählung mit wechselnder Perspektive einfach völlig anders an als das gleiche in der dritten Person.

 

Hat denn eine oder einer von Euch schon einmal so etwas geschrieben und ähnliche - oder ganz andere - Erfahrungen gemacht?

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hallo Barbara,

 

warum muss es unbedingt in der Ich-Perspektive sein?

Auch wenn es dir gelingt, die unterschiedlichen Ichs klar zu trennen, bleibt die Frage, ob es in der dirtten Person nicht besser dargestellt wäre.

 

Denn:

Andererseits würde ich eigentlich ungern auf das Subjektive und Unzuverlässige einer Ich-Erzählung verzichten.

 

Ich bin der Meinung, dass du trotzdem auf fast nichts verzichten müsstest!

Oder nenne mir eine Sache, die du nur in der Ich-Perspektive schreiben kannst.

 

Grüße

Quidam

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Hallo Quidam,

 

das habe ich mich auch schon gefragt. Aber es würde doch eine völlig andere Geschichte - auch wenn die Handlung identisch wäre.

 

Oder nenne mir eine Sache' date=' die du nur in der Ich-Perspektive schreiben kannst.[/quote']

Erst wollte ich dazu einen kurzer Auszug aus "Ich #1" hier posten, aber das war mir doch zu öffentlich, darum statt dessen etwas aus einer älteren Erzählung:

 

"Und der Turm? höre ich Johan jetzt fragen. Die Felsen, die Heide? Wieso erzählst du nie so, daß ich die Dinge vor mir sehe? Da redest du von deinen Verdächtigungen, aber die Augenfarbe der Wirtin erwähnst du nicht.

 

Grün, Johan. Ihre Haare sind schwarz. Sie hat breite Hüften und ein breites Gesicht, und bei Lampenlicht sind ihre Pupillen groß wie ihr Mund. Und der Turm steht nicht mitten in der Brandung, wie auch du es dir ausgemalt hättest. Du gehst eine Viertelstunde durch lichten Wald, und plötzlich ist er vor dir, mit der Glaslaterne im Sonnenlicht und dem Fundament zwischen wilden Rosensträuchern. Dahinter hörst du das Meer, aber um es zu sehen, mußt du dich durch Gestrüpp kämpfen und über Felsen stolpern, bis endlich der Wind an deiner Jacke zerrt und dir salzigen Nebel ins Gesicht weht. Du trittst auf eine Rasenfläche von unmöglichem Grün, der Boden zittert, Gischt spritzt hoch über Felsen. Dann wendest du dich um, bis du den Wind im Rücken hast, und da, auf der anderen Seite des Turms, schaukeln Enten mit ihren Jungen auf friedlichen Wellen.

 

Die Tür zum Turm war mit Metallstangen versperrt und mit einem Vorhängeschloß gesichert. Eine Brombeerranke war die drei Steinstufen hinaufgekrochen und klopfte mit der Spitze gegen die Schwelle. In den Steinfugen saß Gras. Ich ging einmal um den Turm herum - riß mir den Jackensaum am Rosengestrüpp auf - und versuchte, ins Innere zu schauen, doch das einzige erreichbare Fenster war mit einem Laden verschlossen. Nichts wies darauf hin, daß Inger in diesem Jahr schon hier war. Enttäuscht ging ich weiter.

 

Nein, nicht enttäuscht; jedenfalls nicht nur. Ganz so ahnungslos war ich nicht. [...]"

 

Die Handlung, die hier vorkommt, hätte man natürlich auch in der 3. Person erzählen können. Aber das Hin- und Herspringen in den Zeiten, das Kommentieren, der Wechsel von Zusammenfassen zu ausführlichem Erzählen - das klappt doch alles so nicht mit der 3. Person, das müsste man doch ganz anders machen.

 

Es kann aber gut sein, dass ich letzten Endes doch zu Deiner Lösung zurückkehre, wie gesagt, ich bin noch nicht richtig glücklich und weiß nur nicht genau warum.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

(Johan ist übrigens tot, was der Leser an dem Punkt schon weiß.)

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Hallo Barbara,

 

bei dem von die vorgestellten Text (übrigens sehr schön zu lesen!) wäre es ja überhaupt keine Schwierigkeit.

 

Vielleicht kommt es dir nur so schwierig vor, weil du keine Anführungszeichen verwendest?

 

Grüße

Quidam

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Hallo Quidam!

 

bei dem von die vorgestellten Text (übrigens sehr schön zu lesen!) wäre es ja überhaupt keine Schwierigkeit.

Das war nun wirklich eine gute Antwort! ;) Ich denke, ich kann Dich einfach so ohne Begründung mit einem Beispiel widerlegen, und Du sagst: Bitte, geht doch! Ich habe natürlich augenblicklich überlegt, ob ich einfach betriebsblind bin (denn diese Geschichte ist seit langem fertig und auch veröffentlicht und darum für mich gewissermaßen unveränderlich geworden ...)

 

Aber ich glaub's nicht ... ;) Mir fallen drei Punkte ein, an denen sich dieser Text massiv verändern würde, wenn man ihn in die 3. Person setzen würde:

 

- Die ersten beiden Absätze würden dann zu einem Dialog, wenn auch einem imaginären. Den zweiten Absatz würde aber niemand so sprechen, das ist Schriftsprache. Wenn ich mir das als wörtliche Rede vorzustellen versuche, klingt es für mich affektiert. Dem müsste man also einen anderen Tonfall verpassen.

 

- Zwischen dem zweiten und dem dritten Absatz würde die Erzählstimme wechseln. Im zweiten spricht die Hauptperson in imaginierter wörtlicher Rede, im dritten spricht der (neutrale) Erzähler. Das ergäbe aber einen Bruch an einer Stelle, wo ich einen fließenden Übergang haben wollte. Der Wechsel des Standorts und der Zeit würde viel stärker betont: eben redet die Person noch mit ihrem toten Liebsten, und nun schleicht sie plötzlich um einen Turm herum. (Die Geschichte wechselt immer wieder von der Zeit der Handlung zu der Zeit, in der die Ich-Erzählerin das alles aufschreibt.)

 

- die letzten Sätze: "Enttäuscht ging ich weiter. - Nein, nicht enttäuscht; jedenfalls nicht nur. Ganz so ahnungslos war ich nicht." Das wäre jetzt ein Kommentar des Erzählers, der also plötzlich gar nicht mehr neutral ist, sondern dem Leser erklärt, was er von der Hauptperson hält. Das müsste man auf jeden Fall streichen und völlig anders machen.

 

Verstehst Du, worauf ich hinauswill? Natürlich könnte man genau diese Handlung auch in der dritten Person erzählen. Aber es würden sich ständig Nuancen ändern, und das Ergebnis wäre (meiner Meinung nach) eine völlig andere Geschichte.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hallo Barbara,

 

die ersten beiden Absätze sind ja Dialog! Wenn auch ein imaginärer Dialog. Oder täusche ich mich? Und warum könnte der dann so nicht stehen bleiben?

Wenn ich meine Figuren denken lassen, denken sie ja auch in der Ich-Form.

 

Ich verstehe schon, worauf du hinauswillst, aber ich empfinde es als normalen Wandel, der mit dem Wechsel von der Ich-Perspektive zur dritten Person einhergeht.

 

- die letzten Sätze: "Enttäuscht ging ich weiter. - Nein, nicht enttäuscht; jedenfalls nicht nur. Ganz so ahnungslos war ich nicht." Das wäre jetzt ein Kommentar des Erzählers, der also plötzlich gar nicht mehr neutral ist, sondern dem Leser erklärt, was er von der Hauptperson hält. Das müsste man auf jeden Fall streichen und völlig anders machen.

 

Aber die Hauptfigur erklärt sich doch hier dem Leser ebenso! Oder willst du mir sagen, dass sie über sich selber so nachdenkt?

Diesen Teil empfinde ich deulich schwächer, als den übrigen Text, weil ich mich auch frage, für wen diese Aussage ist. Wärst wieder dieser imaginäre Dialog mit Johan - okay. In etwa so: Ich bin nicht enttäuscht, auch wenn du das denken magst. So ahnungslos bin ich nicht.

 

Grüße

Quidam

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Ich verstehe schon' date=' worauf du hinauswillst, aber ich empfinde es als normalen Wandel, der mit dem Wechsel von der Ich-Perspektive zur dritten Person einhergeht.[/quote']

 

Hey Quidam!

 

Der fundamentalste Unterschied zwischen Ich-Erzähler und einem außenstehenden Beobachter liegt darin, dass der Leser sich bei einem Ich-Erzähler anders identifiziert.

 

Sätze wie "Ich hielt mein totes Kind in den Armen", oder "Ich spürte, wie mir die Knie weich wurden, als mein Arzt sagte, ich hätte AIDS" werden von einem Leser einfach ganz anders aufgenommen als "Er hielt sein totes Kind in den Armen", oder "Er spürte, wie ihm die Knie weich wurden, als sein Arzt ihm sagte, er hätte AIDS".

 

Bei letzterem ist und bleibt die Distanz größer. Immer.

 

Das wirkt sich erheblich auf die Lesart eines Textes aus.

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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Hallo Marco,

 

das ist ja IMMER so!

 

1. Ich zog die Decke an und sah auf meinen verstümmelten Fuß, nur ein Zeh noch dran.

 

2. Alfons zog die Decke an und sah auf seinen verstümmelten Fuß, nur ein Zeh noch dran.

 

Bei 1. liegt der Leser mit im Bett, bei 2. steht er davor. Und das kann man nicht umgehen.

 

Grüße

Quidam

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das ist ja IMMER so!

 

Bei 1. liegt der Leser mit im Bett, bei 2. steht er davor. Und das kann man nicht umgehen.

 

Äh, richtig! Ich glaube wir reden aneinander vorbei. Ich hatte das erwähnt, weil du meintest:

 

Ich bin der Meinung, dass du trotzdem auf fast nichts verzichten müsstest!

Oder nenne mir eine Sache, die du nur in der Ich-Perspektive schreiben kannst.

 

Diese Nähe kannst du nur (naja, zumindest am besten) in der Ich-Perspektive zeigen...

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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Hallo Marco,

 

eine ähnliche Diskussion wäre es, ob man etwas in die Gegenwart, oder in die Vergangenheit setzen soll.

Es ist ja auch keine Schwerigkeit etwas in die Vergangenheit zu setzen, aber dieses rastlose der Gegenwart geht dabei unwiderbringlich verloren.

 

Grüße

Quidam

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Hallo Marco,

 

eine ähnliche Diskussion wäre es, ob man etwas in die Gegenwart, oder in die Vergangenheit setzen soll.

Es ist ja auch keine Schwerigkeit etwas in die Vergangenheit zu setzen, aber dieses rastlose der Gegenwart geht dabei unwiderbringlich verloren.

 

Das stimmt.

Verwirrt bin ich deshalb, weil du meintest, einem Text geht nichts verloren, wenn du ihn von einer Perspektive in die andere setzt...

Und jetzt erklärst du, bei solchen Änderungen würde etwas verloren gehen...

???

 

Naja, wir sind uns ja einig. ;D

 

Gruß,

Marco! :s17

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Hallo Quidam,

 

jetzt wird mir klarer, was Du meinst. Aus dem Textauszug geht halt der Zusammenhang nicht hervor (so etwas sehe ich einfach nicht mehr, sondern merke es erst, wenn jemand nachfragt). Die Geschichte geht so: Auf der Insel, auf der sich die Ich-Erzählerin befindet, hat sich eine Art Katastrophe ereignet - und nun wartet sie mit den anderen Bewohnern eine Nacht lang darauf, ob sich alles noch einmal zum Guten wendet oder nicht. In dieser Nacht schreibt sie auf, was sich in der Woche vor der Katastrophe ereignet hat.

 

die ersten beiden Absätze sind ja Dialog! Wenn auch ein imaginärer Dialog. Oder täusche ich mich? Und warum könnte der dann so nicht stehen bleiben?

Es ist eben kein gesprochener Dialog. Sondern die Ich-Erzählerin wendet sich beim Schreiben in Gedanken vorübergehend an Johan. So als würde sie einen Brief an ihn richten. Wenn sie das einfach in Gedanken sprechen würde, würde sie meiner Meinung nach die Sätze anders bauen.

 

Ich verstehe schon, worauf du hinauswillst, aber ich empfinde es als normalen Wandel, der mit dem Wechsel von der Ich-Perspektive zur dritten Person einhergeht.

Darauf könnten wir uns augenblicklich einigen! Mehr will ich gar nicht sagen. Nur dass dieser Wechsel eben spürbar ist und darum den Text entscheidend verändert.

 

- die letzten Sätze: "Enttäuscht ging ich weiter. - Nein, nicht enttäuscht; jedenfalls nicht nur. Ganz so ahnungslos war ich nicht." Das wäre jetzt ein Kommentar des Erzählers, der also plötzlich gar nicht mehr neutral ist, sondern dem Leser erklärt, was er von der Hauptperson hält. Das müsste man auf jeden Fall streichen und völlig anders machen.

 

Aber die Hauptfigur erklärt sich doch hier dem Leser ebenso! Oder willst du mir sagen, dass sie über sich selber so nachdenkt?

Diesen Teil empfinde ich deulich schwächer, als den übrigen Text, weil ich mich auch frage, für wen diese Aussage ist. Wärst wieder dieser imaginäre Dialog mit Johan - okay. In etwa so: Ich bin nicht enttäuscht, auch wenn du das denken magst. So ahnungslos bin ich nicht.

 

Die Hauptperson erklärt sich dem Adressaten ihres Textes. Wer das ist, bleibt in der Geschichte unklar - ob sie eine Freundin im Kopf hat, ob sie nur für sich schreibt wie bei einem Tagebucheintrag ... Sie berichtet über das Geschehen und kommentiert es immer mal wieder - nicht in dem Augenblick, in dem es geschieht, sondern rückblickend, während sie es aufschreibt. Das meinte ich mit Zeitwechseln: Man ist zwischendurch immer wieder in ihrem "Jetzt", in der Zeit, in der sie das aufschreibt. (Sie erzählt dann z. B. auch, wie ihre Wirtin reinkommt und ihr was zu Trinken bringt etc.)

 

Worauf ich hinauswollte, ist folgendes: Wenn ich diese Sätze in der 3. Person geschrieben hätte, dann wäre hier plötzlich noch jemand mit ins Spiel gekommen, nämlich der Erzähler. Und es wäre kein neutraler Erzähler - den nimmt man als Leser ja kaum wahr - sondern ein kommentierender, jemand mit einer eigenen Meinung. Damit bekäme der ganze Text ein völlig anderes Gesicht.

 

Wie es jetzt ist, werden die Ereignisse auch kommentiert, aber von der Ich-Erzählerin selbst, d.h. man schlägt all diese Kommentare ihrem Charakter zu.

 

So. Bitte entschuldige, dass ich das so ausführlich darlege - ich hatte das Bedürfnis, mir das auch selbst noch mal klarzumachen.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Hallo Barbara und Marco,

 

durch diese Diskussion wird mir ja auch einiges klarer, wo vorher nur eine Ahnung war.

 

Man kann das quasi als Merksatz festhalten:

Schreibtechnisch die Geschichte von der Ich-Form zur dritten Person umzuwandeln ist im Grunde so einfach, wie einen Gegenwartstext in die Vergangenheitsform zu setzen, doch geht beide Male etwas ganz besonderes verloren.

 

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wann ein Text in der Ich-Form besser wäre und wann sich die Geschichte in der dritten Person geschrieben gehört. Vielleicht kommt es auf die Handlung an? Bei handlungsärmeren Geschichten böte sich die Ich-Form geradezu an, um sie intensiver darzustellen ... was meint ihr?

 

Grüße

Quidam

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Bei handlungsärmeren Geschichten böte sich die Ich-Form geradezu an, um sie intensiver darzustellen ... was meint ihr?

 

Grüße

Quidam

Jo, genau das meine ich auch. Ist auch die Frage, ob mir ein Perspektivträger reicht oder ob ich mehrere haben will.

 

Was mir noch wichtig ist, sind diese "fiktiv realistischen" Erzählrahmen, die mit vielen "literarischen" Ich-Erzählern einhergehen in Form von Schein-Memoiren oder ähnlichem(Thomas Mann, Felix Krull usw.) und wo die Sprache wahnsinnig viel über den Charakter und die Wandlung des Charakters mitteilt. In diesen Schein-Memoiren dann noch glaubhaft szenisch zu schreiben, ist verdammt schwierig. Denn wenn jemand in der Ich-Form "fiktiv-realistisch" schreibt "tellt" er eher als er "showt".

Ist trotzdem für mich eine wahnsinnig reizvolle Form, ist nur die Frage, ob es für die Leser auch so reizvoll ist, das muß man auch einfach mögen.

 

Bei Ich-Erzählungen liegt das Augenmerk meiner Ansicht nach von vorneherein auf der Sprache des Erzählers und das ist wahrscheinlich auch der Grund warum jeder Schreibratgeber Anfänger von ihr abrät.

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