Zum Inhalt springen
Sebastian Niedlich

Killers Of The Flower Moon - Wie man eine großartige Story langweilig macht

Empfohlene Beiträge

Sebastian Niedlich

Inspiriert von @Jan vdBs Thread zu "Napoléon", wollte ich auch gerne über "Killers Of The Flower Moon", den neuesten Film von Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio, Robert de Niro und Lily Gladstone sprechen. Das Drehbuch stammt von Eric Roth, der immerhin mal für "Forrest Gump" einen Oscar gewonnen hat. Er hat auch an einigen anderen nicht unbekannten Filmen mitgewirkt.

Ich muss vorausschicken, dass ich Martin Scorseses Filme normalerweise sehr schätze, selbst seine eher unzugänglicheren Werke wie z.B. "Silence", den ich trotz seines religösen Sujets (ich bin Atheist) interessant fand. Sein Film "Killers Of The Flower Moon" handelt nun von den Morden an mehreren Ureinwohnern des Osage-Stamms, die in den 1920er Jahren umkamen.

Ich habe überlegt, wie ich es hier hinbekomme, möglichst wenig zu spoilern. Andererseits sind die Morde halt z.T. über 100 Jahre her und so viel gibt die Geschichte jetzt auch nicht her, als das man nicht über die Crux sprechen müsste. Insofern: SPOILERALARM.

Im Grunde geht es darum, dass auf dem Land der Osage Öl gefunden wird, die Ureinwohner dadurch schweinereich werden und sich ein paar Weiße denken "Na, dit kan ja nich richtig sein. Dit Geld sollten eigentlich Weiße kriegen und nicht diese Wilden." Der Plan ist deswegen, dass ein paar weiße Typen Osage-Frauen heiraten und sie dann nach einer Weile umbringen, um das Land zu erben. Also richtige Rassisten-Scheiße, über die man sich als ordentlicher Nicht-Rassist aus den 2020er Jahren richtig aufregen kann. Und das ist eine spannende Basis, um daraus einen Film zu machen, denn die Geschichte ist wichtig, sollte nicht vergessen werden und man kann sich mit Recht aufregen, was für einen Scheiß Weiße so verzapfen und bis heute noch tun.

Das Problem ist meines Erachtens, dass der Film gleich mehrere dramaturgische Fehlgriffe macht, die das Ding scheitern lassen. (Obwohl einige Film-Fans und Kritiker das wohl anders sehen.)

Scorsese erzählte recht freimütig in Interviews, dass der Film ursprünglich aus der Sicht der (weißen) Polizisten erzählt werden sollte, welche versuchen, die Morde aufzuklären. DiCaprio sollte den Hauptermittler spielen. Nach einer Weile, die man vor allem mit den Leuten vom Stamm der Osage verbrachte, hatte Scorsese aber das Gefühl, dass das deren Geschichte ist und sie deshalb aus deren Sicht erzählt werden sollte.
Während der finale Film vermutlich deutlich mehr von den Osage zeigt, als es die andere Version je getan hätte, habe ich jedoch nicht den Eindruck, dass der Film tatsächlich aus Sicht der Ureinwohner spielt. Die Person, der wir folgen, ist einer der Weißen, gespielt von DiCaprio, der eine Osage-Frau heiratet. Und nicht nur ist von Anfang an bekannt, dass er im Grunde Schlechtes im Sinn hat, er ist auch noch strunzdumm.
Nun bin ich nicht jemand der denkt, dass alle Protagonisten sympathisch oder intelligent sein müssen. Patrick Bateman in "American Psycho" ist ein psychopathischer Serienkiller und somit bestimmt kein Sympathieträger, aber die Art und Weise, wie er vorgeht, was er tut und wie er reagiert ist INTERESSANT. Forrest Gump ist so doof wie eine Rigipswand, aber er hat das Herz am rechten Fleck und erlebt interessante Sachen, was ihn wiederum interessant werden lässt.
DiCaprios Ernest Burkhart ist einfach nur ... doof und macht schlimme Dinge. Seine indigene Frau Molly, großartig gespielt von Lily Gladstone, ist da schon etwas interessanter, aber im Grunde wird sie dann für weite Teile des Films einfach krank ans Bett gefesselt. Es ist zwar interessant zu sehen, wie sie dann feststellen muss, dass ihre ganze Ehe im Grunde nur ein sehr schlimmes Spiel gewesen ist, aber da ist man nach fast 3 1/2 Stunden Film auch echt ausgelaugt und fragt sich, ob man ihre Krankheit in Echtzeit erleben musste.

Vielleicht hätte der Film ja funktioniert, wenn er nicht 3 1/2 Stunden lang gewesen wäre. Meiner Meinung nach hätte man problemlos 1 1/2 Stunden herausschneiden können und sich etwas mehr auf die wichtigen Punkte und Einschnitte in das Leben der Osage konzentrieren sollen.

Vor allem aber denke ich, dass man bei der ursprünglichen Idee hätte bleiben sollen. Man hätte der Polizei folgen sollen, wie die das Verbrechen aufklären. Wie man nach und nach sieht, wie perfide die Ehemänner mit ihren Frauen umgegangen sind. Das alles nur Fassade ist. Scorsese und Roth hatten das Gefühl, dass sie damit mal wieder eine sogenannte "White Saviour"-Geschichte zeigen würden, welche die indigenen Bewohner in den Hintergrund rückt. Das stimmt bis zu einem gewissen Grad natürlich, aber zumindest meiner Meinung nach hätte es die Geschichte interessanter gemacht.

Der Film ist durchaus ansehnlich. DiCaprio, De Niro und Gladstone spielen großartig. Die Bilder des Films sind toll. Man lernt ein wenig über die Osage-Bevölkerung und deren Weltsicht. Aber all das kann halt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentlich interessante Geschichte auf die denkbar langweiligste Art und Weise erzählt wurde. Und das fand ich wirklich enttäuschend.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ich habe den Film schon vor längerem gesehen und fand ihn gut. Vielleicht hätte man an der einen oder anderen Stelle das Erzähltempo etwas anziehen können, aber ich habe mich trotz der Überlänge nicht gelangweilt. Auch weil ich den von di Caprio gespielte Ernest Burghart als Figur keineswegs so langweilig fand wie du, Sebastian. Es stimmt, man merkt schnell, dass er nicht die hellste Kerze auf der Torte ist. Aber andererseits hat er für seine Frau Molly sehr wohl Gefühle. Er kann sich nur eben dem diabolischen Einfluss seines Onkels (Robert de Niro) nicht entziehen. Der Film widmet sich eingehend den Figuren, ihren Beziehungen zueinander und dem Milieu, und daraus entsteht die Spannung. Ich zumindest fand das spannend.

Hätte Scorsese aus der Geschichte einen Krimi gemacht, hätte der Film meines Erachtens an Tiefe verloren, denn der Fokus wäre ja ein ganz anderer gewesen: weg von den Figuren und ihrem Milieu, hin zu einer an den Genrekonventionen ausgerichteten Handlung. Eine letztlich wenig interessante Ermittlerfigur wäre plötzlich in den Mittelpunkt gerückt worden. Die Ermittler traten in der Realität ja erst sehr spät auf den Plan, d. h. alles davor wäre zu ermittelnde Vorgeschichte. Ich glaube nicht, dass das dem wahren Geschehen gerecht geworden wäre, und finde, dass Scorsese sich richtig entschieden hat, die Geschichte so zu erzählen, wie er es getan hat. 

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Sebastian Niedlich

Schön, dass du dem Film mehr abgewinnen konntest, @AndreasG! Und das meine ich völlig ernst. Ich wollte den Film auch mögen und vielleicht hat mich da meine eigene Erwartungshaltung betrogen. Ich kann deine Punkte auch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, dennoch fand ich, dass es zu lange in der Geschichte einfach nicht voran ging bzw. alles wie schon mal durchgekaut wirkte. Ich fand den Film ja auch nicht mies, ich glaube, ich habe ihm auf Letterboxd 3 von 5 Sternen gegeben, weil ich Teile durchaus mochte, aber ich hatte 4,5 Sterne erhofft, sage ich mal. Effektives und interessantes Erzählen war es - für mich zumindest - nicht. (Und bitte nicht falsch verstehen: Effektiv bedeutet nicht zwangsläufig gut. Aber hier hätte es deutlich effektiver sein dürfen...)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ich kann mir auch gut vorstellen, dass dir die eigene Erwartungshaltung ein bisschen im Weg stand, @Sebastian Niedlich (Wobei ich damit ausdrücklich nicht sagen will, man muss den Film gut finden, und wenn nicht, liegt es eben an einem selbst und man hat es halt nicht kapiert.) Grundsätzlich bin ich auch immer skeptisch, wenn Filme oder auch Bücher mit so einer gewaltigen Überlänge daherkommen, weil es ja tatsächlich oft so ist, dass man kürzen könnte. Hätte man bei "Killers of the Flower Moon" an der einen oder anderen Stelle sicher auch gekonnt, aber wohl nicht im großen Stil. Als der Serienboom damals aufkam, war ja viel vom sogenannten "horizontalen Erzählen" die Rede, also dass man die Story nicht geradlinig durcherzählt, sondern mäandern lässt. In diese Kategorie des horizontalen Erzählers gehört für mich auch "Killers of the Flower Moon". Ich erinnere mich noch, als mir bei "The Wire" diese Erzählweise zum ersten Mal begegnete und wie überrascht ich damals war, wie die Story sich entwickelte - und wie nicht.

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Sebastian Niedlich

Na ja, horizontales Erzählen ist ja schön und gut ... "The Wire" war ja großartig und ist nicht auf der Stelle getreten. Den Eindruck hatte ich aber bei "KOTFM" eben ganz erheblich. Meines Erachtens hat halt die Story bei weitem nicht den Stoff für 3 1/2 Stunden Film gehabt. Im Grunde wusste man ja in den ersten 20 Minuten was Sache ist und dann wartete man ab, bis halt die Leute im Film herausfinden, was die da für ein Scheißspiel treiben. Zwischendurch blitzen mal Momente auf, die ziemlich markerschütternd waren (wie z.B. die Szene mit dem Typen, der den Arzt(?)/Anwalt(?) fragt, was denn passieren würde, wenn er seine Familie umbringt), aber ansonsten fühlte es sich an, als würde DiCaprio seiner Frau über eine Stunde lang die vergiftete Medizin einflößen. Elegant war das nicht. "The Wire" hingegen schon. ;)

Vielleicht störte mich auch einfach die Erzählweise, weil es so einfach keine Überraschungen gab. Wie gesagt: Man weiß ja von Anfang an, wer mit drinsteckt, was die tun und was deren Ziel ist. Und der Film zeigt dann zu 90% eben auch nur das. Wiederholt.
Insofern bin ich immer noch der Meinung, dass ein "Whodunit", bei dem nach und nach herauskommt, was tatsächlich passiert ist vielleicht die bessere Lösung gewesen wäre. Aber, ja, das hätte natürlich die Perspektive der Osage stark vermindert.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar abzugeben

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden


×
×
  • Neu erstellen...