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Sylvie Schenk, "Maman", Roman 2023

Empfohlene Beiträge

Liebe Freunde und Freundinnen des gemeinsamen Lesens!

Vorhang auf für unsere Leserunde zu „Maman“!

Zunächst ein paar Worte zu der Autorin. Sylvie Schenk ist 1944 im französischen Chambéry geboren und lebt seit 1966 in Deutschland, wo sie zunächst als Lehrerin arbeitete. Erst seit 1992 schreibt sie ihre Romane und Kurzgeschichten auf Deutsch, davor veröffentlichte sie drei Lyrikbände auf Französisch. 

Sylvie Schenk ist eine spät Entdeckte. Obwohl ihre regelmäßig erscheinenden Bücher bereits früher durchaus Beachtung fanden  - so etwa ihr etwas unkonventioneller Krimi "Bodin lacht" von 2013, der auch für mich eine  Entdeckung war, wird sie erst 2016 – mit Anfang 70 - mit ihrer Teilnahme beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb richtig bekannt. Sie las damals aus ihrem autobiografisch gefärbten Roman „Schnell, dein Leben“. Damit war auch ein bisschen die Marschrichtung für die folgenden Bücher vorgegeben. Die Verknüpfung von persönlich Erlebtem, insbesondere die eigene schwierige Familiengeschichte mit der Zeitgeschichte bzw. gesellschaftlichen Verhältnissen sind ihr Thema. So auch in „Maman“. 

Sylvie Schenk ist bei Literaturkritikern und Kritikerinnen wohl gesonnen. Ob sie den Deutschen Buchpreis 2023 bekommt, erfahren wir in Kürze. Ein bisschen erinnert ihr Schreiben an „Autofiktion“, nicht zufällig wird Schenk  mit Annie Ernaux verglichen. Was möglicherweise zu kurz gegriffen ist, aber darauf kommen wir vielleicht noch zu sprechen.

Lasst uns einfach starten.

Fragen gibt es genügend, wo wir einsteigen können... *Was ist für euch das Thema des Buches? * Welcher Aspekt des Buches beschäftigt euch am stärksten? * Auch grundsätzlich: Könnt ihr mit diesem Roman etwas anfangen?  * Und falls ja, was?

Liebe Grüße

Jürgen

Bearbeitet von jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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vor 19 Stunden schrieb jueb:

Lasst uns einfach starten.

Fragen gibt es genügend, wo wir einsteigen können... *Was ist für euch das Thema des Buches? * Welcher Aspekt des Buches beschäftigt euch am stärksten? * Auch grundsätzlich: Könnt ihr mit diesem Roman etwas anfangen?  * Und falls ja, was?

Liebe Grüße

Jürgen

Eine kleine Vorbemerkung: Ich lese das Buch jetzt zum zweiten Mal, und es zieht mich genauso in den Bann wie beim ersten Lesen. Heute Abend um 18.55 wird der Gewinner/die Gewinnerin des Buchpreises bekanntgegeben. Bin gespannt! https://www.edition-115.com/news/index.php?rubrik=3&news=858132&typ=1

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vor 11 Minuten schrieb Christa:

Eine kleine Vorbemerkung:

Meine Vorbemerkung: Ich musste nach ein paar Seiten an @KerstinH denken, die bei der Entscheidungsfindung bezüglich des Buches für die Leserunde sinngemäß angemerkt hatte, dass das Thema des Buches möglicherweise schwierig für eine Leserunde sein könnte, weil da sehr persönlich gefärbte Erinnerungen und Erfahrungen die Leser umtreiben. Ich habe das auch genau so sehr deutlich beim Lesen gespürt und bin nun aber umso gespannter, inwieweit das die Diskussion am Ende tatsächlich beeinflusst. 

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vor 23 Stunden schrieb jueb:

Ein bisschen erinnert ihr Schreiben an „Autofiktion“, nicht zufällig wird Schenk  mit Annie Ernaux verglichen. Was möglicherweise zu kurz gegriffen ist, aber darauf kommen wir vielleicht noch zu sprechen.

Das ist ein sehr interessanter Aspekt. Off Topic: Wollten wir nicht mal online über Moritz Baßlers  Buch "Populärer Realismus" diskutieren? Gerade das Kapitel über Autofiktion (und hier eben auch den Vergleich Ernaux) könnte man hier gut heranziehen. Aber vermutlich nicht zum Einsteigen geeignet. Was mich, gerade zu Anfang, am meisten interessiert und auch  beeindruckt hat, ist der Abstand, den die Erzählerin und auch die Autorin zum Erzählten einnimmt. Immer wieder das Zurücktreten, den Blick auf das Erzählte werfen: So könnte es gewesen sein, aber so ist es nicht gewesen, denn ich, die Erzählerin kann es nicht wissen, mir nur vorstellen. Und das schafft ja auch bei mir, der Leserin, diesen Abstand.
Ich habe daraus gelernt, wie sich Schreckliches - das nah an der Figur und der Erzählerin/Autorin ist, wie man weiß - vielleicht tatsächlich erzählen lässt, ohne dass man gleich einen Zustand des Erstarrens/der Betroffenheit bei den Leserinnen auslöst

Bearbeitet von ClaudiaB

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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vor 2 Stunden schrieb ClaudiaB:

Was mich, gerade zu Anfang, am meisten interessiert und auch  beeindruckt hat, ist der Abstand, den die Erzählerin und auch die Autorin zum Erzählten einnimmt. Immer wieder das Zurücktreten, den Blick auf das Erzählte werfen: So könnte es gewesen sein, aber so ist es nicht gewesen, denn ich, die Erzählerin kann es nicht wissen, mir nur vorstellen. Und das schafft ja auch bei mir, der Leserin, diesen Abstand.
Ich habe daraus gelernt, wie sich Schreckliches - das nah an der Figur und der Erzählerin/Autorin ist, wie man weiß - vielleicht tatsächlich erzählen lässt, ohne dass man gleich einen Zustand des Erstarrens/der Betroffenheit bei den Leserinnen auslöst

Ich habe mir jetzt beim zweiten Lesen ein paar Notizen auf Zettelchen gemacht, die teilweise später zum Einsatz kommen. Darüber hinaus habe ich auch über diese Distanz nachgedacht. Die Erzählweise ist so leicht und fern und gleichzeitig so dicht. Zettelzitat: "Totale, bildhafte Charakterisierung der Figuren mit wenigen Pinselstrichen." "Sprachlich und psychologisch spannend", "Erzählt mit wenigen Worten, wofür andere 500 Seiten brauchen". Beispiele für Metaphern, die mich erfreut haben: . "Der Hin-und Herblick des Hahns", "Weiß wie Aspirin", "verschlankt wie ein Regenschirm, den man zugeklappt hat." "Ich selbst bin diese verlorene Masche."

Dann noch zu Kerstins Anmerkung, die Erzählung könnte zu dicht an unsrer eigenen Sozialisation liegen: Mich hat das alles nicht erstarren lassen und es hat mich auch nicht im üblichen Sinn "betroffen" gemacht, auch wenn ein schweres Schicksal dahintersteckt. Ein paar wenige Sachen haben mich erinnert - wie der Elternstreit im Schlafzimmer oder das Buch, mit dem man sich als Kind/Heranwachsende aus dem Staub der Welt gemacht hat. (Bei mir war es das Badezimmer). Aber eine ganz merkwürdige Wirkung hatte das Lesen dann doch auf mich. Die Zeit ist, obwohl ich schneller lese als bei anderen Büchern, langsamer vergangen. Ich habe gestern Nacht auf die Uhr geguckt, und der Zeiger rückte kaum vor.

 

Was ist da mit mir passiert? Ich habe ein paarmal auf die Uhr geschaut und gemerkt, dass der Zeiger kaum vorgerückt ist.

Bearbeitet von Christa
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vor einer Stunde schrieb Christa:

Mich hat das alles nicht erstarren lassen und es hat mich auch nicht im üblichen Sinn "betroffen" gemacht, auch wenn ein schweres Schicksal dahintersteckt.

Das war bei mir auch nicht so - also diese Betroffenheit von wegen schweres Schicksal usw.. Allerdings habe ich festgestellt, dass ich mitunter sehr langsam gelesen habe, weil ich permanent im Hinterkopf damit beschäftigt war, Parallelen oder Unterschiede zu der Art und Weise zu finden, wie genau ich meine Mutter und Großmutter gekannt habe, was ich weiß und was ich nicht weiß und wie mich das jeweils beeinflusst haben könnte.

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vor 18 Stunden schrieb ClaudiaB:

 Was mich, gerade zu Anfang, am meisten interessiert und auch  beeindruckt hat, ist der Abstand, den die Erzählerin und auch die Autorin zum Erzählten einnimmt. Immer wieder das Zurücktreten, den Blick auf das Erzählte werfen: So könnte es gewesen sein, aber so ist es nicht gewesen, denn ich, die Erzählerin kann es nicht wissen, mir nur vorstellen. Und das schafft ja auch bei mir, der Leserin, diesen Abstand.
Ich habe daraus gelernt, wie sich Schreckliches - das nah an der Figur und der Erzählerin/Autorin ist, wie man weiß - vielleicht tatsächlich erzählen lässt, ohne dass man gleich einen Zustand des Erstarrens/der Betroffenheit bei den Leserinnen auslöst

Guten Morgen,

ja, das finde ich auch interessant und beachtenswert, wie das funktioniert. Die Autorin setzt sich mit ihrer Familiengeschichte auseinander, konkret, der Biografie dreier Frauengenerationen, die Großmutter, die Mutter und die Töchter. Dabei tastet sie sich erinnernd vorsichtig vor (will keine voreiligen Schlüsse ziehen), und das, was sie vorfindet, sind Bruchstücke, selbst Erinnertes, von anderen Zugetragenes (sie hat offenbar Verwandte befragt) und eben auch Imaginiertes (so könnte es sein, ich stelle mir das mal so vor). Und sie weiß selbst noch nicht, was das werden soll. "weil ich noch nicht weiß, ob ich einen Roman schreibe..."

Sie zieht quasi eine Metaebene ein, auf der sie thematisiert, wie der Text entsteht, damit wird schon ein Abstand erzeugt. Eigentlich mag ich persönlich Bücher, die mich mit ganz vielen kürzeren Abschnitten konfrontieren nicht so, da ich das Gefühl habe, als Leser kann man nur bedingt in einen Erzählfluss eintauchen, hier macht es aber wohl Sinn: Die Erzählerin setzt immer wieder an, es gibt kein in sich geschlossenes organisches Ganzes, sondern Teile eines nicht vollständigen Puzzles...

 

 

Bearbeitet von jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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vor 18 Stunden schrieb Christa:

Ich habe mir jetzt beim zweiten Lesen ein paar Notizen auf Zettelchen gemacht, die teilweise später zum Einsatz kommen. Darüber hinaus habe ich auch über diese Distanz nachgedacht. Die Erzählweise ist so leicht und fern und gleichzeitig so dicht. Zettelzitat: "Totale, bildhafte Charakterisierung der Figuren mit wenigen Pinselstrichen." "Sprachlich und psychologisch spannend", "Erzählt mit wenigen Worten, wofür andere 500 Seiten brauchen". Beispiele für Metaphern, die mich erfreut haben: . "Der Hin-und Herblick des Hahns", "Weiß wie Aspirin", "verschlankt wie ein Regenschirm, den man zugeklappt hat." "Ich selbst bin diese verlorene Masche."

 

Guten Morgen Christa,

 

das will ich unbedingt unterstreichen: die Metaphern, die mir auch gefallen und sicherlich damit zutun haben, dass die Autorin als Lyrikerin angefangen hat. Das ist etwas ganz Eigenes, was ihr da gelingt. Vielleicht entsteht diese überraschende Bildlichkeit auch dadurch, dass sie in zwei Sprachen zuhause ist. 

Bearbeitet von jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

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Die von dir, Jürgen, so benannte Metaebene ist das, was mich an diesem Buch am meisten beeindruckt hat. Als die Autorin sich zum ersten Mal mit in eine Szene gestellt hat, im Text sichtbar geworden ist, war ich schon sehr beeindruckt, muss ich sagen. Für mich ist es zumindest stellenweise auch kein autofiktionaler Roman, sondern eher ein Buch, ein Bericht, über die Entstehung eines Buchs und die Schwierigkeit, jemanden zu fassen zu kriegen, der nur noch in der Erinnerung existiert.

Mehr über mich, meine Bücher und meine Arbeit als Lektorin unter: katja-kulin.de

Instagram

 

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vor 2 Stunden schrieb jueb:

Eigentlich mag ich persönlich Bücher, die mich mit ganz vielen kürzeren Abschnitten konfrontieren nicht so, da ich das Gefühl habe, als Leser kann man nur bedingt in einen Erzählfluss eintauchen, hier macht es aber wohl Sinn: Die Erzählerin setzt immer wieder an, es gibt kein in sich geschlossenes organisches Ganzes, sondern Teile eines nicht vollständigen Puzzles...

Mir ging es auch an einigen Stellen so, und manchmal wollte ich der Autorin zurufen: Jetzt bleib doch mal ein bisschen länger bei einer Figur! Aber das Ganze macht Sinn, so wie sie es geschrieben hat. Das Puzzle finde ich letztendlich nicht unvollständig, da sich Erzähltes, vielleicht von den Geschwistern Berichtetes und das, was die Autorin sich vorgestellt hat, zu einem Ganzen verdichtet. Was die Metaphern betrifft: Die sind in meine Augen nicht nur treffend, sondern würzen alles mit einer Prise Humor, die gleichzeitig mehr Distanz schafft als auch das Geschehen zusammenhält. Zum Beispiel auch das deftige Kraftwort, das Cecile, die Großmutter, ihren Lyoner Verwandten zukommen lässt.

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vor 2 Stunden schrieb KatjaK:

ein Buch, ein Bericht, über die Entstehung eines Buchs und die Schwierigkeit, jemanden zu fassen zu kriegen, der nur noch in der Erinnerung existiert

Das stimmt. Und hauptsächlich dieser Aspekt macht den Text für mich persönlich am Ende interessant. Wie ich schon sagte, ich habe mitunter sehr langsam gelesen, weil es mich zu Überlegungen bezüglich der eigenen Vorfahren und auch der diesbezüglichen "Quellenlage" verleitet hat. Die tatsächliche Geschichte der Figuren (darf man in diesem Fall überhaupt "Figuren" sagen?) ist für sich genommen zwar auch interessant zu erfahren, aber sie steht als "Handlung" für mich eben nicht im Vordergrund, denn es geht ja eben um diese Art der Annäherung an einen Menschen, und die Geschichte dieses Menschen hätte auch eine komplett andere sein können (meine Mutter, die Zirkusdirektorin, meine Mutter, die Geheimagentin, ...)- das würde an der Art und Weise, wie sich die Autorin dem Thema widmet, nichts ändern und der Raffinesse des gepuzzleten Textes als solchen keinen Abbruch tun. 

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Irgendwie dachte ich, dass das gemeinsame Lesen im November beginnt. Mein Fehler. Jetzt komme ich nicht hinterher und steige erst einmal aus und wieder ein, wenn ich es gelesen habe.

Bearbeitet von KarinKoch
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vor 4 Stunden schrieb KarinKoch:

Irgendwie dachte ich, dass das gemeinsame Lesen im November beginnt. Mein Fehler. Jetzt komme ich nicht hinterher und steige erst einmal aus und wieder ein, wenn ich es gelesen habe.

Das ist überhaupt nicht schlimm, der Thread bleibt ja offen, du kannst dann später auch noch einsteigen.

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Ich habe auch erst ein paar Szenen weit gelesen und bin trotzdem schon total geflasht, wie man so schön sagt. Was mich sehr fasziniert, ist ihr schwebender Stil, zwischen ganz weit weg, gleichsam von oben betrachtend, und sehr konkret. Ja, genau, wie sie sich in einer Szene danebensetzt, das hat mich auch umgehauen. Oder die serielle Nummerierung der immer gleichen und doch anderen Szene - Cécile stirbt (1), Cécile stirbt (2), Cécile stirbt (3) usf.. Für mich überhaupt nicht vorhersehbar und unglaublich spannend, wie die Szene eine immer neue Wendung erhält.

Was ich am meisten liebe, ist genau diese Freiheit, mit der Schenk schreibt, so empfinde ich es zumindest. Es wird etwas ausgedrückt, es wird experimentiert, aber es wikt nie maniriert, nie als Experiment um des Experiments willen. Es liegt etwas Spielerisches in dieser Freiheit.

Schenk schreibt, dass sie als Autorin/Frau/Mensch zwischen den Herkünften steht und immer gestanden hat (S. 13, "Ich stehe auf beiden Seiten." Hier die Studierten, die Intellektuellen, dort die Ungebildeten, die Stummen, die Loser, wie sie sie nennt.)  Ich habe überlegt, ob die Freiheit dorther kommt, aus dieser Lücke, dieser Ungebundenheit, diesem nicht fraglos Eingebundensein in Konventionen.

Ich freue mich aufs Weiterlesen und den Austausch mit euch.

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PS: Und ich habe festgestellt, dass ich im Rahmen dieser Leserunde genauer lese, als ich es sonst getan hätte. Die Lyoner Ärsche (S. 11) sind hängengbelieben und ich hatte das Gefühl dass es passender gewesen wäre, der Begriff - oder ein vergleichbarer - wäre auf Französisch gefallen, der Sprache, in der sie die Lyoner damals hasste. Nur so eine Überlegung. Aber auch sonst fällt mir alles sehr ins Auge.

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Ich habe auch erst vor wenigen Tagen angefangen zu lesen. Aber die Metaphern Christa sind mir auch gleich aufgefallen, weil sie sehr besonders sind. Ich hör euch erst mal zu und lese weiter. 

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vor einer Stunde schrieb StefanievR:

Ich habe auch erst vor wenigen Tagen angefangen zu lesen. Aber die Metaphern Christa sind mir auch gleich aufgefallen, weil sie sehr besonders sind. Ich hör euch erst mal zu und lese weiter. 

Ich möchte denen, die jetzt anfangen zu lesen, nicht vorgreifen. Deshalb jetzt nur noch eine Notiz von Zettel 1:
"Der größte Reisende macht eine Reise in sich selbst." (Konfuzius)".
Es kommen noch viele Metaphern vom Stricken, Häkeln und den Maschen dazwischen.;)

Bearbeitet von Christa
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Am 17.10.2023 um 10:17 schrieb KatjaK:

Die von dir, Jürgen, so benannte Metaebene ist das, was mich an diesem Buch am meisten beeindruckt hat. Als die Autorin sich zum ersten Mal mit in eine Szene gestellt hat, im Text sichtbar geworden ist, war ich schon sehr beeindruckt, muss ich sagen. Für mich ist es zumindest stellenweise auch kein autofiktionaler Roman, sondern eher ein Buch, ein Bericht, über die Entstehung eines Buchs und die Schwierigkeit, jemanden zu fassen zu kriegen, der nur noch in der Erinnerung existiert.

Ja, ich denke auch, dass dieser Text keine Autofiktion ist, gerade durch den geschickten Einzug dieser anderen Ebene, bzw diverser anderer Ebenen, und weil die Autorin im Grunde auch als Figur im Text auftaucht, wenn es um Erinnerungen geht - der Blick ist ja immer auf die Mutter (auch als Figur) gerichtet. Am beeindruckensten finde ich im Nachhinein die Versuche, etwas greifbar zu machen, was nicht greifbar ist, nämlich diese Art von Leere,  anscheinend  erzeugt durch die Anfänge, die Kindheit von Renée. Diese Leere lässt sich nicht versprachlichen, auch nicht kategorisieren oder in größere Zusammenhänge bringen, so Sylvie Schenk  ja mit allem anderen  verfährt: Die Nummerierungen der verschiedenen erzählten Versionen, die Nummerierung des Schrecklichen.

Generell könnten wir ja mal analysieren, wie viele verschiedene Erzählebenen es gibt. Das finde ich nämlich wirklich spannend, aus wie vielen Positionen und Richtungen sich Schenk ihrem Thema nähert.

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Jetzt habe ich auch zu Ende gelesen, und schon ein bisschen nachdenken können, und eure Beiträge gelesen. Vieles was mir aufgefallen ist, habt ihr schon erwähnt. Der distanzierte Blick auf die Mutter prägt den Roman auch für mich sehr stark. Die Erzählerin macht keinen Hehl daraus, dass die Mutter ihr immer fremd geblieben ist, und sie versucht auch nicht, diese Fremdheit durchs Schreiben  aufzuheben. Sie will sich kein kohärentes Bild der Mutter, keine "schlüssige" Geschichte erschreiben. Es gibt ja durchaus Passagen, wo wir der Mutter sehr nah sind, wo wir sie in sehr konkreten, bildlichen Szenen begleiten, aber das sind immer nur kurze Momente, und oft wird das, was eben ausgemalt wurde, gleich wieder in Frage gestellt. (War der "Fauxpas" wirklich Arnaud, und gab es wirklich diese Verbindung zur Résistance, oder war doch alles anders?)

Sprachlich finde ich den Text einfach wundervoll. "Ich habe sie geliebt, wie man ein seltsames Wesen liebt, das zu einem gehört, ein Geheimnis, das man bewahrt." (S.11) Ein Vergleich, der mir selbst niemals in den Sinn gekommen wäre, trotzdem erkenne ich das Gefühl wieder, das sie beschreibt. Und wenige Zeilten später dann plötzlich: ":… ich hasste diese arroganten Lyoner Ärsche." Da wacht man doch auf, hoppla, was ist das denn für ein Ton? (Weiter hinten wirft ihr die Cousine dann vor, sie sie bei den Teutonen grob geworden, und die Erzählerin macht es sich prompt zu eigen: "Ach, was. Schreiben, Bescheißen (ich werde grob bei den Teutonen)."

Noch eine Überlegung zum Schluss. Dass von den vier letzten Kapiteln drei mit "Allein" überschrieben sind, hat mich auf den Gedanken gebracht, dass dies Alleinsein sich tatsächlich als roter Faden durch den Text zieht. Die Frauen, die hier im Mittelpunkt stehen, sind mit ihren Krisen und Katastrophen immer allein. Niemand ist auf ihrer Seite. Als Renée durchbrennt, schickt ihre Adoptivmutter sie zu ihrem Mann zurück. Und sie ist völlig in ihrer Einsamkeit gefangen. Sie kann nicht mit anderen sprechen. Das allerletzte Kapitel ist für mich darum ein Versuch, diese Einsamkeit wenigstens für einen Moment, wenigstens in der Vorstellung aufzuheben.

Bearbeitet von BarbaraS
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Liebe @BarbaraS, ich hab jetzt auch zu Ende gelesen und hatte deine Überlegungen die ganze Zeit im Kopf. Tatsächlich habe ich das Ende ganz anders gelesen. Hatte nicht den Eindruck, dass es ums Alleinsein geht, sondern eher darum, wie man eine Gemeinschaft wird, aus lauter einzelnen und zufällig zusammengewürfelten Individuen, unauflöslich letztlich, eine Familie. Wobei - das schließt sich gar nicht aus, merke ich gerade. Das Thema Einsamkeit und Zusammengehörigkeit. Vielleicht liegt darin eine Spannung, vielleicht der Reiz, das zu erkunden. Definitiv geht es im Roman in meinen Augen um Fremdheit und Vertrautheit zu einzelnen der Familienangehörigen. Um diese Zufälligkeit, die Ungeplantheit des Schwangerwerdens, die aber die Familie fortschreibt. Am Ende, mit den Schwangerschaften der Schwestern, ein Bogen zur Schwangerschaft der unbekannten Großmutter.

Was mich gerade beschäftigt, ist die erzählerische Distanz der Erzählerin zu ihrer Mutter.

(Lieber @jueb, bleiben wir jetzt eigentlich doch im öffentlichen Bereich?)

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Am 21.10.2023 um 20:35 schrieb BarbaraS:

Noch eine Überlegung zum Schluss. Dass von den vier letzten Kapiteln drei mit "Allein" überschrieben sind, hat mich auf den Gedanken gebracht, dass dies Alleinsein sich tatsächlich als roter Faden durch den Text zieht. Die Frauen, die hier im Mittelpunkt stehen, sind mit ihren Krisen und Katastrophen immer allein. Niemand ist auf ihrer Seite. Als Renée durchbrennt, schickt ihre Adoptivmutter sie zu ihrem Mann zurück. Und sie ist völlig in ihrer Einsamkeit gefangen. Sie kann nicht mit anderen sprechen. Das allerletzte Kapitel ist für mich darum ein Versuch, diese Einsamkeit wenigstens für einen Moment, wenigstens in der Vorstellung aufzuheben.

Ich schreibe jetzt auch noch den Rest meiner Notizen über dieses Buch hier herein. Zum Allein-Sein und Zusammensein und Sichnichtmitteilenkönnen der Mutter:  "Stricken als Überlebensstrategie. Maman: Kein Kern,  schwebendes, undefiniertes Wesen, Festhalten an Türklinken, Teekannen, Einkaufskorb, Portemonnaie, Kochtöpfen - eine sich entziehende Mutter - Kapitän auf der Fahrt ins Nichts ..."

Die Erzählerin stellt sich vor, wie Maman mit Arnaud -und dass sie dessen Tochter sein könnte. Der Seitensprung als Ausbruchsversuch ins Leben, in die Liebe. Nach ihrer Flucht und der vergeblichen Suche nach Arnaud (er ist ja abgereist, für ihn war/ wäre es nur ein Spiel gewesen) die Konfrontation mit der Bettlerin: "Schau dir die Bettlerin gut an." Da wird Renee die Ausweglosigkeit ihres Daseins bewusst. Maman leidet an Nierenkrebs, sie interessiert sich für das Schreiben ihrer Tochter. Die hat es versäumt, mit der Mutter zu sprechen, hat sie über die Krankheit belogen.

Mein Fazit: Für mich ist es ein Roman weniger über das Allein-Sein, sondern über die Sprachlosigkeit innerhalb dieser Familie, vielleicht überhaupt zwischen den Menschen.. Durch das Schreiben über die Mutter stellt die Erzählerin die Verbindung her. Der letzten Teil mit dem "Allein"-Sein war für mich irgendwie hoffnungsvoll und ganz, nicht mehr so zerrissen. Als hätte die Erzählerin sich mit allem, was geschehen war und vor allem nicht geschehen war, versöhnt. Die Sprachlosigkeit war überwunden, Maman hatte jetzt eine Stimme. Und ganz groß, in der Szene im Chalet am Kamin: Sie spürt ihre Mutter neben sich, in sich und fragt sich, ob ihre Lippen sich nicht genau wie ihre bewegen. Ist sie wie ihre Mutter ein verlorener und nichts-sagender Mensch? Die Erzählerin hat aber etwas zu sagen über ihre Mutter. Sie stellt sich die Frage: Was bedeuten wir in der Welt? Was brauchen wir, um zu einem sinnvollen, erfüllten Leben zu kommen und zu einem friedlichen Tod, bei dem wir die Gewissheit haben, nicht umsonst gelebt zu haben?

Dieser Roman als Annäherung an die Mutter, an die Familie, sich selbst und die Welt hat mich mehr berührt als alles, was ich in der letzten Zeit gelesen habe.

Bearbeitet von Christa
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vor 11 Stunden schrieb Christa:

Für mich ist es ein Roman weniger über das Allein-Sein, sondern über die Sprachlosigkeit innerhalb dieser Familie

Das würde ich so unterschreiben :-)

vor 11 Stunden schrieb Christa:

die Gewissheit haben, nicht umsonst gelebt zu haben

... das hast du gut auf den Punkt gebracht, finde ich.

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Jetzt nehme ich den Faden auch wieder auf, weiß allerdings gar nicht, wo ich ansetzen will, vieles wurde schon gesagt. Was ich noch einen interessanten Aspekt finde, ist der unsentimentale Ton, in dem Sylvie Schenk schreibt.

Sie hat aber spürbare Empathie für ihre Figuren. Das zeigt sich etwa darin, wenn sie sich in die Szenen aus der Vergangenheit (die sie zumeist nur durch Erinnerungen und Erzählungen anderer kennt bzw. entsprechend weiter gestaltet), sehr geschmeidig mit hineinnimmt: "Ich lege mich zu Cécile", "Ich begleite Maman zur Wohnung" , schreibend erlebt und empfindet sie  mit ihnen Figuren mit: "Ich habe Cécile und mich mit einem leichten letzten Bild getröstet..." Sie stellt sich wie ein Schutzengel an die Seite der Figuren. Und diese Erinnerungen sind bezeichnender Weise auch im Präsens geschrieben. Gewissermaßen ist die Erzählerin eine Zeitreisende. Und der knappe, poetische Stil passt inhaltlich dazu, dass hier jemand erlebend durch die Jahrzehnte bzw. zwei Jahrhunderte springt. 

 

Bearbeitet von jueb

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Ich komm so ein bisschen hinterhergehinkt, hatte mir schon überlegt, die Nachwirkungen des Buches einfach im Stillen noch ein bisschen zu genießen, aber jetzt möchte ich doch noch etwas dazu schreiben. Ich muss dazu sagen, dass ich bisher noch nichts von dem gelesen habe, was ihr oben geschrieben habt. Ich lass mich da so schnell beeinflussen und verliere dann meinen eigenen Faden.

Ich fang mal ganz von vorn an, nämlich mit dem Cover. Da musste ich erst genauer schauen, bis ich erkannte, dass ein türkiser Stoff abgebildet ist, der in der Handwäsche liegt. Es sieht hübsch aus, aber warum gerade dieses Motiv? Vielleicht hat es mit dem Kapitel, das das letzte Drittel der Geschichte einläutet, zu tun. Es heißt Zurück. Reneé trägt ein türkises langes Kleid auf einem Ärzteball, und wieder daheim gibt es meiner Erinnerung nach den einzigen von ihr initiierten heiteren Moment: Die Kinder werfen das mitgebrachte Konfetti und die Luftschlangen durch das Zimmer.

Viel Heiteres gibt es ansonsten ja nicht. Aber schwermütig ist die Geschichte auch nicht. Es ist eine vorsichtige, rücksichtsvolle Annäherung an eine Frau, die in eine lieblose Umgebung hinein geboren wurde und deren Liebe zu sich und zu denen, die ihr nah sind, ja nur verkümmern konnte und so ohne Liebesgesten auskommen musste. Ein Mangel, den die Autorin bis zum Schluss ihrer Mutter gegenüber nicht beseitigen konnte.

Faszinierend finde ich, wie sich Sylvie Schenk gleichzeitig als Autorin und Protagonistin zeigt, wenn sie sich selbst in Szenen hinein schreibt, die sie offenbar erfunden hat, weil ihre Mutter ja so geizig war mit dem, was eine Familie auch zusammenhält: Erzählte Erinnerungen. Da liegt dann also die sterbende Großmutter im Kindsbett und ihre Enkelin legt sich zu ihr und flüstert ihr Tröstendes zu. Das hat mich sehr ergriffen.                                                                                                                              

Ich weiß nicht, ob das das übergeordnete Thema des Buches ist, aber immer wieder kommen ungewollte Kinder vor. Ganz am Anfang die Mutter, Reneé, und am Ende die unehelichen Kinder ihrer Schwestern. Wenigstens eins davon, Flore, die Tochter von Lisa, der jüngsten Schwester, war gewünscht. Wenigstens eins.

Bearbeitet von KarinKoch
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Die Allein-Abschnitte der Schwestern fand ich auch sehr beeindruckend. Diese Kinder, die gar nicht erst zur Welt kommen sollen - das schreckliche Alleinsein der Frauen damit. 

Der Gegensatz: Auf der einen Seite die Möglichkeiten einer Abtreibung, die es in jenen Zeiten der Schwestern bereits gab. Sicherlich auch sehr schwierig, gerade bei Aline,  Anfang der Sechziger. Aber immer noch  eher im Bereich des Möglichen/einer legalen Möglichkeit als im Jahr 1916, als eine uneheliche Schwangerschaft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Tod der Frau - bei der Abtreibung oder der Geburt in einer Elendseinrichtung - endete. Die Schuld lag immer bei der Frau. 

Und in den Allein-Abschnitten weist die Reaktion der jeweiligen Männer/Jungs ebenfalls die Schuld erstmal der Frau zu und isoliert sie damit, und die Schrecklichkeit/Ungeheuerlichkeit dieser Isolation ist in diesen Abschnitten meisterhaft geschildert, wird beim Lesen derart spürbar, dass man selbst in dieser Kälte und Starre gefangen ist.
Eine Entscheidung für das Kind und gegen die Abtreibung war in jener Zeit der Schwestern, also sechziger und achtziger Jahre, sicherlich auch nicht einfach, aber wenigstens möglich, ohne mit dem Kind und womöglich ohne den Beistand des Erzeugers verelenden zu müssen. Schon gar nicht, wenn man aus einer etwas besseren Familie stammt. Aber selbst wenn nicht: Auch hier gab es bereits andere Möglichkeiten, es gab Hilfe - wobei es mich in Gedanken an die Sechziger schon gruselt, trotzdem: Kein Vergleich mit der Situation von Cécile. Und damit auch Renée - und alles, was durch diese Geburt und das Aufwachsen von Renée an seelischem Elend bzw Sprachlosigkeit, ja, eigentlich Fassungslosigkeit (diese Leere bei Renée, diese Unmöglichkeit etwas zu greifen, zu benennen, zu fühlen/fassen) über die Familie gekommen ist.

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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