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HenningS

Du-Perspektive

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Liebe Montis

Gerade eben habe ich Kreatives Schreiben unterrichtet. In Schreibratgebern wird die Du-Perspektive ja meist als manieriert bezeichnet. Nichtsdestotrotz wollte ich einmal damit Erfahrungen sammeln. Zur Einleitung sagte ich, dass eine Du-Perspektive nach meinem Verständnis auch dann vorliegt, wenn sie als durchgängiger Teil von mehreren Seiten in einen Roman eingebettet ist, der dann wiederum in einer anderen "normalen" Perspektive sein kann.

Dann ging ich dazu über, in welchen Fällen einer Erzählung eine Du-Perspektive denn natürlich sein könnte:

Amnesie. Eine Figur macht bei der Polizei ein Geständnis und verliert hinterher ihr Gedächtnis. Der Polizist sagt: "Sie gingen zu dem Haus und überlegten, wie sie am besten hineingelangen ..." usw. In diesem Fall könnte der Polizist auch wissen, was die Du-Figur gedacht hat. Anstatt durch ein Geständnis könnte das Wissen über die Taten der Du-Figur auch durch Hypnose erlangt worden sein.

Eine Wahrsagerin. Sie sagt: "Man wird Ihnen morgen einen Schlüssel zusenden. Damit gehen Sie ..." usw. In diesem Fall ist der Teil im Futur geschrieben.

Die Aufgabe ergab viele überraschende Ergebnisse. Bei manchen Autorinnen gab es nicht einmal eine Figur, die die Du-Figur ansprach (wie in meinen Beispielen den Polizisten oder die Wahrsagerin). Eine Teilnehmerin wählte eine Briefform, in der mehrere Du-Figuren angesprochen wurden: "Einer von euch hat mich ermordet." Interessant für mich war auch, dass die jüngeren Autorinnen es eher gewohnt waren, in längeren Texten in der Du-Form angesprochen zu werden. Im Zusammenhang mit "Escape Rooms" oder "Role-Playing Games".

Vieles daran war natürlich keine strenge Du-Perspektive, sondern berührte eher Randbereiche.

Hat von euch schon mal jemand eine Du-Perspektive benutzt oder anderweitig damit Erfahrung gemacht?

Ich wäre sehr gespannt auf eure Anmerkungen.

Lieben Gruß, Henning

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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"A Prayer for the Dying" war das erste Buch in Du-Perspektive, das ich gelesen habe, und ich fand es überhaupt nicht manieriert, sondern sehr beeindruckend, weil es mich auf eine unmittelbare Weise in die Geschichte reingesogen hat. Ist übrigens ein Buch, dass ich immer wieder gerne lese. Ich habe auch selbst probiert, in dieser Perspektive zu schreiben, aber nie was zu Ende geschrieben. Aber irgendwann werde ich es noch mal probieren.

Ich finde aber nicht, dass das Du sich auf die lesende Person beziehen muss - also anders als bei einer Handlungsanweisung in einem Spiel. Und auch einen Brief finde ich nicht ganz sauber, weil da ja die Person, die den Brief schreibt, eigentlich die Ich-Perspektive einnimmt. Aber ich nehme es wahrscheinlich zu genau. In jedem Fall eine spannende Erzählperspektive.

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vor 2 Stunden schrieb KatharinaG:

"A Prayer for the Dying" war das erste Buch in Du-Perspektive, das ich gelesen habe, und ich fand es überhaupt nicht manieriert, sondern sehr beeindruckend, weil es mich auf eine unmittelbare Weise in die Geschichte reingesogen hat.

Vielen Dank für den Buchtipp. Ja, tatsächlich hatte ich heute den Eindruck, dass die von den Teilnehmerinnen erstellten Texte alle einen Sog entwickelten.

vor 2 Stunden schrieb KatharinaG:

Ich finde aber nicht, dass das Du sich auf die lesende Person beziehen muss - also anders als bei einer Handlungsanweisung in einem Spiel. Und auch einen Brief finde ich nicht ganz sauber, weil da ja die Person, die den Brief schreibt, eigentlich die Ich-Perspektive einnimmt. Aber ich nehme es wahrscheinlich zu genau. In jedem Fall eine spannende Erzählperspektive.

Sie bietet erstaunlich viele Möglichkeiten. Und je verschiedener die Ergebnisse der Autorinnen sind um so besser. Es erweitert den Werkzeugkasten :)

Ich habe eben nach dem von dir genannten Buch gesucht. Es hört sich sehr spannend an

Bearbeitet von HenningS

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 2 Stunden schrieb KatharinaG:

Und auch einen Brief finde ich nicht ganz sauber, weil da ja die Person, die den Brief schreibt, eigentlich die Ich-Perspektive einnimmt. Aber ich nehme es wahrscheinlich zu genau.

Du nimmst es nicht zu genau - es stimmt doch, dass bei einem Brief aus der Sicht des Schreibenden erzählt wird. Ich bin offengestanden bei der "Du-Perspektive" auch mit Gehirnknoten versehen, denn eigentlich widerspricht sich das doch. Entweder, es ist suggestiv ( ... du stehst am Bahnhof und denkst: "Warum kommt der verdammte Zug nicht?" Es juckt unter deiner Mütze, aber du widerstehst dem Drang, dich zu kratzen, weil du fürchtest, dass andere denken könnten, du hättest vielleicht Läuse ...) oder unterstellend ( .... du bist der Meinung, ich sei schlampig. Du hälst meine Angewohnheit, die Socken unters Sofa zu schieben für bescheuert ...) oder beschreibend (Du gingst zur Post, um den Brief abzuholen. Als du den Absender sahst gingst du wieder, ohne den Brief mitzunehmen) - aber das ist alles doch stets aus der Perspektive dessen, der mit "Du" anspricht, also des Schreibenden, es steht immer jemand zwischen Leser und Figur - bzw. drüber, oder? Ich stolpere gerade über meine eigenen Gedanken .... 

Bearbeitet von SusanneGa
Wortänderung
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vor 56 Minuten schrieb SusanneGa:

aber das ist alles doch stets aus der Perspektive dessen, der mit "Du" anspricht, also des Schreibenden, es steht immer jemand zwischen Leser und Figur - bzw. drüber

Das ist schon richtig. In dem von mir erwähnten Buch ist das Du ein Sheriff in einer kleinen Stadt in Montana oder so. Es ist also genau genommen personal, nur mit "du" statt "er". Und trotzdem kickt es härter, ich habe mich tiefer eingefühlt. 

Bearbeitet von KatharinaG
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vor einer Stunde schrieb SusanneGa:

aber das ist alles doch stets aus der Perspektive dessen, der mit "Du" anspricht, also des Schreibenden, es steht immer jemand zwischen Leser und Figur - bzw. drüber, oder? Ich stolpere gerade über meine eigenen Gedanken ...

Es geht ja zunächst erst einmal nur darum, neue Möglichkeiten kennenzulernen. Sozusagen neben Dur und Moll noch weitere Tonarten zu sehen. Ob man diese anderen Tonarten dann auch benutzen will oder kann, ist eine ganz andere Frage. Man sollte ja eine solche Perspektive nicht um ihrer selbst Willen benutzen.

Ein Allwissender Erzähler steht ja auch zwischen Leser und den Figuren. Und bei einer Ich-Erzählung steht deren Erzählerfigur zwischen dem Leser und der Handlung.

Ich komme noch mal zum Beispiel der Amnesie: Stell dir vor, in einem Roman haben zwei Freunde A und B ein Erlebnis. A hat danach eine Amnesie. B erzählt A nun, was A während ihres gemeinsamen Elebnisses alles getan hat. Wenn B nun nicht seine eigenen Handlungen schildert, sondern ausschließlich die von A, haben wir in diesem Teil eine (Art von) Du-Perspektive. In diesem Fall müssen alle Gedanken von A weggelassen werden, da B diese Gedanken ja nicht kennen kann. Hier haben wir ja eine "Figur" A, die B anspricht. Auch wenn die Figur in diesem Teil in den Hintergrund treten mag, bleibt sie für den Leser sicherlich weiterhin präsent.

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 1 Stunde schrieb KatharinaG:

Das ist schon richtig. In dem von mir erwähnten Buch ist das Du ein Sheriff in einer kleinen Stadt in Montana oder so. Es ist also genau genommen personal, nur mit "du" statt "er". Und trotzdem kickt es härter, ich habe mich tiefer eingefühlt. 

Bedeutet das, es gibt keinen Grund dafür, warum die Geschichte in der Du-Perspektive geschrieben ist? Also keinen Grund, der sich aus der Handlung oder etwas anderem ergibt?

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Elizabeth George

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Der schönste in dieser Perspektive verfasste Roman, den ich kenne, ist Oriana Fallacis "Un uomo". Sie erzählt die Geschichte ihres Geliebten, die sie selbst nicht miterlebt hat. Das "Du" erscheint dabei als die klügste Wahl. Nicht der Leser wird angesprochen, sondern der Protagonist. 

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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vor 12 Stunden schrieb HenningS:

Bedeutet das, es gibt keinen Grund dafür, warum die Geschichte in der Du-Perspektive geschrieben ist? Also keinen Grund, der sich aus der Handlung oder etwas anderem ergibt?

Keinen technischen Grund, aber es geht in dem Roman viel um Verantwortung und Schuld. In der dritten Person wäre da zu viel Distanz, um das Gefühl wirklich erlebbar zu machen, scheint mir, und in der ersten zu viel Reflexion. 

Ein technischer Grund wäre ja eigentlich immer runterzubrechen darauf, dass es ein Ich gibt, dass das Du anspricht, oder? Also einen aktiven, identifizierbaren Erzähler. Oder wie meinst du das?

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vor 3 Stunden schrieb Charlie:

Der schönste in dieser Perspektive verfasste Roman, den ich kenne, ist Oriana Fallacis "Un uomo". Sie erzählt die Geschichte ihres Geliebten, die sie selbst nicht miterlebt hat. Das "Du" erscheint dabei als die klügste Wahl. Nicht der Leser wird angesprochen, sondern der Protagonist. 

Habe eben auf Wikipedia darüber gelesen. Hört sich sehr interessant an. Vielen Dank für den Tipp

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 2 Stunden schrieb KatharinaG:

Keinen technischen Grund, aber es geht in dem Roman viel um Verantwortung und Schuld. In der dritten Person wäre da zu viel Distanz, um das Gefühl wirklich erlebbar zu machen, scheint mir, und in der ersten zu viel Reflexion. 

Ein technischer Grund wäre ja eigentlich immer runterzubrechen darauf, dass es ein Ich gibt, dass das Du anspricht, oder? Also einen aktiven, identifizierbaren Erzähler. Oder wie meinst du das?

Ich meine einen künstlerischen Grund, durch den die Du-Perspektive als bestes Mittel erscheint. Werden in "A Prayer for the Dying" auch die Gedanken der Du-Figur gezeigt?

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 14 Minuten schrieb HenningS:

Ich meine einen künstlerischen Grund, durch den die Du-Perspektive als bestes Mittel erscheint. Werden in "A Prayer for the Dying" auch die Gedanken der Du-Figur gezeigt?

Werden sie, ebenso wie Wahrnehmungen und dergleichen.

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vor 1 Stunde schrieb KatharinaG:

Werden sie, ebenso wie Wahrnehmungen und dergleichen.

Das hört sich sehr spannend an.

Bei der o.g. Schreibübung trat bei einigen Autorinnen überhaupt keine Figur auf, die das Du ansprach. Ich hätte nicht gedacht, dass das funktioniert. Aber es scheint zu gehen. Man muss es halt ausprobieren ...

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 9 Stunden schrieb Charlie:

Der schönste in dieser Perspektive verfasste Roman, den ich kenne, ist Oriana Fallacis "Un uomo".

Auch ihr "Brief an ein nie geborenes Kind", glaube ich. Beide Bücher habe ich damals geliebt.

 

Ebenfalls in der der zweiten Person verfasst sind die Romane "Erde und Asche" von Atiq Rahimi (aus dem Persischen übersetzt von Susanne Baghestani) und "Das Glück der anderen" von. Stewart O'Nan (übersetzt von Thomas Gunkel).

 

Der geklaute Garten https://amzn.eu/d/23HGCFp :s13  

www.gesineschulz.com 

 

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Ich finde die Du-Perspektive total faszinierend. Würde mich selbst nicht rantrauen, war aber von Zoran Drvenkars Roman "Du" sehr beeindruckt. 


Leonie Werdenfels: Liebeszauber am Chiemsee (Harper Collins 4/2023)
Sabrina Sonntag: Apfelglück am See (Harper Collins 4/2022) Unser Sommerblau für immer (Harper Collins 5/2021) Schwein gehabt, sagt die Liebe (MTB - Harper Collins 9/2019)

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Es gibt diese Szene in Wim Wenders "Himmel über Berlin": Ein Motorradfahrer ist verunfallt und liegt sterbend am Randstein, im Kopf panische Gedanken, macht sich Sorgen um seine Frau ... Einer der Engel legt ihm die Hände an die Schläfen und spricht ihm die schönen Momente seines Lebens vor: Das Licht auf den Orangenhainen in Sizilien , ...  - bis der Sterbende darauf einsteigt und man nun seine Stimme hört, wie sie die Glücksmomente aufzählt.

Für mich hat die Du-Perspektive mit einer, sagen wir mal, transzendenten oder innerpersonalen Intimität zu tun. Ich hab sie deshalb bei zwei längeren Texten verwendet: Im ersten spricht ein allwissender Erzähler in fünf Kapiteln fünf verschiedene Figuren an, deren Geschichten sich im Laufe einer Nacht verzöpfen und einander gegenseitig Ursache und Wirkung sind. Es wird nie ausgesprochen, aber der allwissende Erzähler ist die Seele eines kürzlich überraschend verstorbenen Mannes, der ähnlich empathisch und transluzent wie Wenders Engel die Fünfe auf ihren nächtlichen Wegen und Irrwegen begleitet - und an- und ausspricht.

Im zweiten Fall ist es der Roman, den ich momentan in Arbeit habe: Die 40-jährige Erzählerin spricht sich selbst als Siebzehnjährige mit "du" an und erzählt so deren/ihre Geschichte. Der Grund für diese Perspektive: Die Siebzehnjährige kann unmöglich das soziologische, psychologische, ökonomische und geologische Wissen haben, das der Vierzigjährigen zwanzig Jahre später die Souveränität verleiht, eine verstrickte Episode ihrer Jugend zu röntgen, zu diagnostizieren, zu heilen. Es ist eigentlich eine Ich-Perspektive, die das "Du" nutzt, um ihr jüngeres Selbst anzusprechen.

Dieses "du" erzeugt eine Unmittelbarkeit und Lesepräsenz, die bei aller zerebralen Distanz der Erzählerin doch ganz ans Eingemachte geht.

Nach einer Weile Nachdenken würde ich Hennigs Ansatz - Amnesie (auch Aphasie/Koma/ein Schweigegelübde z.B. beim Eintritt in einen Schweigeorden oder als selbstauferlegte Massnahme/ möglicherweise auch Berufsgeheimnis ) - als stellvertretenden Erzählversuch (tastend, annähernd, mutmassend) eines nicht-allwissenden Erzählers einordnen; das kann für Stories, die ihre Spannung aus einem grossen, zentralen Geheimnis ziehen,  das sich möglicherweise auch nie ganz auflöst, sehr interessant sein. Ich merke gerade, dass mein Du-Ansatz durch ein Werbeschild geprägt ist, das ich vor Jahren im Londoner Stadtteil Islington an einer Kreuzung mit dem Namen "Angel" gesehen habe: Angel Optician Aid - oder ähnlich. Sich als Autor also eine Engelsbrille aufsetzen und seine Figuren so betrachten - und beschreiben. Das "Engel"-Ich (nennen wir's mal so) nimmt sich dabei ganz zurück - es sei denn, ihn oder sie jucken die Federlinge im Gefieder - , hat aber einen Blick, dem einerseits nichts verborgen bleibt und der andererseits nicht urteilt. Wem das zu katholisch oder spirituell ist, stelle sich eine zufriedene alte Katze vor, die aus ihrem warmen Winkel heraus das Geschehen im Zimmer/Haus beäugt. Eingreifen? Nö, können wir nicht, wollen wir nicht. Aber checken tun wir alles ... Das wäre dann eine Art ohnmächtiger bis desinteressierter Allwissenheit.

Dieses Erzählen bleibt immer an eine Ich-Perspektive gebunden - das ist vorgängig bereits erwähnt worden ; ich denke deshalb, dass man die Du-Perspektive als Sonderfall der Ich-Perspektive zu sehen hat, die sich a) für Texte mit Zentralgeheimnis und b) für Texte, in denen der/die Erzählerin jemand sehr intim anspricht, eignet.

Wenn ich sie so nutze, dann tendiere ich auch zum Präsens. Unmittelbarkeit. Sog. 

Bearbeitet von StefanS
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Oh ja, das ist eine Szene, die absolut besoffen macht. Danke fürs Erinnern.

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Am 20.2.2023 um 12:55 schrieb SabrinaS:

Ich finde die Du-Perspektive total faszinierend. Würde mich selbst nicht rantrauen, war aber von Zoran Drvenkars Roman "Du" sehr beeindruckt. 

Dann probier es vielleicht mal an einer Kurzgeschichte. Die oben von mir genannten Übungen entstanden innerhalb von 30 Minuten

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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Am 20.2.2023 um 18:53 schrieb StefanS:

Im ersten spricht ein allwissender Erzähler in fünf Kapiteln fünf verschiedene Figuren an, deren Geschichten sich im Laufe einer Nacht verzöpfen und einander gegenseitig Ursache und Wirkung sind. Es wird nie ausgesprochen, aber der allwissende Erzähler ist die Seele eines kürzlich überraschend verstorbenen Mannes, der ähnlich empathisch und transluzent wie Wenders Engel die Fünfe auf ihren nächtlichen Wegen und Irrwegen begleitet - und an- und ausspricht.

Dies -- aber auch dein zweites Beispiel -- hört sich total cool an.

Am 20.2.2023 um 18:53 schrieb StefanS:

Nach einer Weile Nachdenken würde ich Hennigs Ansatz - Amnesie (auch Aphasie/Koma/ein Schweigegelübde z.B. beim Eintritt in einen Schweigeorden oder als selbstauferlegte Massnahme/ möglicherweise auch Berufsgeheimnis ) - als stellvertretenden Erzählversuch (tastend, annähernd, mutmassend) eines nicht-allwissenden Erzählers einordnen; das kann für Stories, die ihre Spannung aus einem grossen, zentralen Geheimnis ziehen,  das sich möglicherweise auch nie ganz auflöst, sehr interessant sein.

So ist es. Aber zuallerallererst geht es ums Ausprobieren, um so die Möglichkeiten zu erweitern.

Dabei kommt mir der Gedanke, dass ich in meinem Schreibunterricht mal eine Aufgabe in der Zeitform Futur stellen werde. Der Kontext könnte sein: Eine Figur erwacht aus dem Koma und kann plötzlich in die Zukunft sehen. Oder auch eine Zeitreise ...

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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Schieb noch was nach: Die Ihr/Euch-Perspektive, also 2.Person Plural.

Vermutlich reizvoll für:

a) Ein einzelner Mensch rechnet mit einem Kollektiv ab. Z.B. Jemand verlässt eine Sekte oder ein abgelegenes Dorf oder ein Schiff der Seligen ... Das hätte den Charakter eines Distanzierung, einer Anklageschrift, vielleicht auch eines Kopfschütteln über die eigene Verstrickung. Würde das einen Handlungsbogen tragen? Vielleicht im Gegenschnitt mit dem Kollektiv, das den Einzelnen in der Du-Perspektive anspricht -und ihm widerspricht.

b) ein Kollektiv erzählt einem anderen Kollektiv seine Sicht der Dinge. Beispiel: Krähen begleiten den Menschen seit Anbeginn. Wann immer eine/r von uns was angestellt hat, sass irgendwo eine Krähe und hat zugeschaut (und es den anderen Krähen erzählt, die es wiederum ihrem Krähennachwuchs erzählten, der es dann ...). Sagen wir einfach: Krähen sind die Chronisten unserer Gattung. Und nun entscheiden sie sich, uns erzählerisch zur Verantwortung zu ziehen: "Ihr dachtet, niemand sieht Euch beim ... zu. Ihr dachtet, die Welt würde vergessen. Oh nein, Freunde. Das und alle eure anderen Schandtaten befinden sich in unserer Obhut. Und jetzt packen wir aus ..."

Hat seinen Reiz.

Bearbeitet von StefanS
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Am 20.2.2023 um 18:53 schrieb StefanS:

Dieses Erzählen bleibt immer an eine Ich-Perspektive gebunden - das ist vorgängig bereits erwähnt worden ; ich denke deshalb, dass man die Du-Perspektive als Sonderfall der Ich-Perspektive zu sehen hat, die sich a) für Texte mit Zentralgeheimnis und b) für Texte, in denen der/die Erzählerin jemand sehr intim anspricht, eignet

Ja - so verstehe ich das auch, als Sonderfall der Ich-Perspektive. Dein Beispiel "für Texte mit Zentralgeheimnis" finde ich gut, Dafür kann ich mir das auch gut vorstellen.

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