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HenningS

Unzuverlässiger Erzähler

Empfohlene Beiträge

Hallo zusammen,

hat jemand von euch Erfahrung mit dem "unzuverlässigen Erzähler" oder ihn schon mal selbst verwendet?

Liebe Grüße, Henning

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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Ich hatte schon öfter einen unzuverlässigen Erzähler. Immer in Ich-Perspektive. Mal war die Protagonistin bewusst unzuverlässig, mal unbewusst. Und in meinem aktuellen Plot hält der Leser sie für unzuverlässig.

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vor 3 Minuten schrieb Sabine:

in meinem aktuellen Plot hält der Leser sie für unzuverlässig.

Ist das für den Leser angenehm im Sinne dessen, dass diese Unzuverlässigkeit der Charakterisierung des Erzählers und der Handlung gleichermaßen dient? Nur so kann ich mir das vorstellen. Ich gestehe, ich musste sogar kurz nachlesen, was ein unzuverlässiger Erzähler genau ist. Aber ich finde das total interessant, weil ich mich frage, ab wann ein Leser diese Unzuverlässigkeit bemerkt und ob er ab diesem Zeitpunkt den Erzähler vielleicht nicht mehr mag - es sei denn, der Grund für die Unzuverlässigkeit ist wirklich nachvollziehbar begründbar oder vielleicht von einem besonders starken Charakter mit entsprechenden plausiblen Eigenschaften oder einer ganz klaren Motivation ausgehend und hat ein Ziel, welches der Leser dann entweder voll unterstützt oder komplett ablehnt. . 

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vor 4 Minuten schrieb SusanneGa:

Ist das für den Leser angenehm im Sinne dessen, dass diese Unzuverlässigkeit der Charakterisierung des Erzählers und der Handlung gleichermaßen dient? Nur so kann ich mir das vorstellen. Ich gestehe, ich musste sogar kurz nachlesen, was ein unzuverlässiger Erzähler genau ist. Aber ich finde das total interessant, weil ich mich frage, ab wann ein Leser diese Unzuverlässigkeit bemerkt und ob er ab diesem Zeitpunkt den Erzähler vielleicht nicht mehr mag - es sei denn, der Grund für die Unzuverlässigkeit ist wirklich nachvollziehbar begründbar oder vielleicht von einem besonders starken Charakter mit entsprechenden plausiblen Eigenschaften oder einer ganz klaren Motivation ausgehend und hat ein Ziel, welches der Leser dann entweder voll unterstützt oder komplett ablehnt. . 

In dem Fall ist es so, dass der Leser hin- und hergerissen ist, ob er die Einschätzung der Protagonistin teilen soll oder nicht. Die Handlung ist entsprechend darauf ausgerichtet.
Ein Beispiel, bei dem es auch so ist, ist „Girl on the train“. Der Leser ist sich nicht sicher, ob sie sich nur was zusammenreimt und sich vielleicht getäuscht hat oder ob es stimmt, wovon sie überzeugt ist. 
Im Grunde nutzt man dafür eine mögliche psychische Krankheit und/oder Drogenprobleme, die machen eine Figur nicht per se unsympathisch, sondern nur unzuverlässig.

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vor 39 Minuten schrieb SusanneGa:

Aber ich finde das total interessant, weil ich mich frage, ab wann ein Leser diese Unzuverlässigkeit bemerkt

Der Ich-Erzähler spricht ja sozusagen zum Leser. Im Allgemeinen ist es wohl so, dass

1) die Unzuverlässigkeit schon am Anfang klar gemacht wird, indem der Erzähler Dinge zB maßlos übertreibt oder indem er sogar sagt, dass andere Menschen seine Glaubwürdigkeit anzweifeln

2) die Unzuverlässigkeit erst ganz am Ende klar gemacht wird, um damit einen besonderen Twist zu erzeugen

Bei der Perspektive des Allwissenden Erzählers (der ja auch eine Erzählerfigur ist und nicht die Autorin) stelle ich es mir schwerer vor, die Unzuverlässigkeit dem Leser zu vermitteln

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 55 Minuten schrieb Sabine:

Und in meinem aktuellen Plot hält der Leser sie für unzuverlässig.

Wodurch erreichst du das?

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 5 Minuten schrieb HenningS:

Wodurch erreichst du das?

Zum einen dadurch wie ich die Protagonistin angelegt habe und zum anderen mit Geschehnissen, die nicht eindeutig sind. Ich spiele mit der Wahrnehmung, Interpretation und mit rätselhaften Ereignissen, die sich erst am Ende aufklären.

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vor 44 Minuten schrieb Sabine:

m Grunde nutzt man dafür eine mögliche psychische Krankheit und/oder Drogenprobleme,

Das ist raffiniert, und ja auch total logisch. Wie gesagt, ich hab mich damit noch nie bewusst beschäftigt. Sollte ich mal tun, das ist reizvoll.

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Klassisch für den unzuverlässigen Erzähler ist der Agatha Christie Krimi "Murder of Roger Ackroyd". Der Ich-Erzähler blendet sich geschickt aus, wenn es um seine Involvierung bei dem Mordfall geht. 

Ich habe ihn auch verwandt, in der dritten Person und dabei ebenfalls ausgeblendet, wenn es um die Erinnerung an den Tathergang geht, wobei das Eingeständnis psychisch durch ein traumatisches Erlebnis unterdrückt wird. 

Krimis, Liebe und Mehr.

www.ilonaschmidt.com

Translations, Lektorat & Exposé Coaching

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vor 10 Stunden schrieb IlonaS:

Klassisch für den unzuverlässigen Erzähler ist der Agatha Christie Krimi "Murder of Roger Ackroyd".

Und ich weiß noch, wie überrascht ich nach dem ersten Lesen von "Alibi" war. Gleichzeitig fühlte ich mich von der Autorin getäuscht.

Kurz: ich war ein bisschen sauer.;)

 

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Nicht mit einem Erzähler, aber wohl mit unzuverlässigen wichtigen Figuren. Da habe ich mich immer bemüht, dass sich eine Meinung nicht als Faktum festsetzt. Da habe ich dann mit Widersprüchen, Fragen und allem Möglichen gearbeitet. Praktisch so wie es heutzutage in der Medienwelt abgeht. Wer hat die Deutungshoheit und welche Meinung setzt sich durch. Das ist ein ungeheuer spannendes Spiel. Vor allem wenn man Trilogien oder Serien schreibt. Die größte Gefahr ist immer, dass man den Leser täuscht. Das muss man unbedingt verhindern, meine ich. Ich kann also @GesineS völlig verstehen, wenn sie nach der Lektüre sauer war.

 

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Ich habe ebenfalls einen unzuverlässigen Ich-Erzähler in einem meiner Thriller. Der Mann ist Polizeipsychologe und wurde (höchst unangenehm für ihn, aber das erfahren die Leser erst am Schluss) vom Kommissar ausgerechnet zu einem Fall hinzugezogen, für den er die Verantwortung trug. Mit kleinen Hinweisen habe ich bereits im ersten Kapitel auf den "Täter" aufmerksam gemacht. Man könnte also durchaus stutzig werden, wenn man aufmerksam liest. Zwei Beispiele: "Ich wollte an diesem Tag eigentlich nur in Ruhe gelassen werden, doch dann ..."; oder hier: "Mir war etwas mulmig zumute, auch weil ich nicht genau wusste, was der Kommissar von mir erwartete ..." Also eine Mischung aus Erzählton und geschickten Anspielungen. Mir hat es riesigen Spaß gemacht, aber ich gebe zu, dass das nicht jedem Leser gefiel. ;)

Helene Luise Köppel:  Romanreihe "Töchter des Teufels" (6 Historische Romane über den Albigenserkreuzzug); sowie Romanreihe "Untiefen des Lebens"  (6 SÜDFRANKREICH-thriller), Neu in 2022: "Abkehr".

                                         

                                 

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In der ZEIT gibt es gerade online ein Interview mit Bret Easton Ellis, in dem der unzuverlässige Erzähler eine große Rolle spielt. Fand ich ganz spannend. (Bezahlschranke)

https://www.zeit.de/kultur/literatur/2023-01/bret-easton-ellis-the-shards-unter-null

Ulrike Hartmann | Autorin & Coach
 
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Da kann ich auch "The Silent Patient" von Alex Michaelid anführen. Das war sein Debut (was man merkt), aber trotzdem ein gutes Beispiel für wie man einen unzuverlässigen Erzähler aufbaut. 

Am 15.1.2023 um 02:25 schrieb GesineS:

Und ich weiß noch, wie überrascht ich nach dem ersten Lesen von "Alibi" war. Gleichzeitig fühlte ich mich von der Autorin getäuscht.

Kurz: ich war ein bisschen sauer

Das sollte man dabei nicht aus den Augen lassen, vor allem, wenn man einen unzuverlässigen Ich-Erzähler hat. 

Krimis, Liebe und Mehr.

www.ilonaschmidt.com

Translations, Lektorat & Exposé Coaching

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Ich habe selbst noch keine unzuverlässige Erzählerin verwendet (mal abgesehen davon, dass sowieso jede Figur ihre eigene Wahrheit hat).

Aber ich finde, das muss sehr gut gemacht sein, damit es funktioniert. Ich fühle mich immer ziemlich verschaukelt, wenn am Ende rauskommt: Ätsch, stimmt alles gar nicht, der Erzähler ist psychisch krank/verwirrt oder Ähnliches. Weil es einem als Leserin/Zuschauerin gar keine Möglichkeit gibt, hinter die Wahrheit zu kommen.

Ich habe sehr laut geschimpft, als sich am Ende von „Shutter Island“ herausstellte, dass der Ermittler in Wirklichkeit Insasse der Klinik ist und man ihn als Teil seiner Therapie in seinem Wahn hat gewähren lassen. 

Es gibt natürlich viele Leute, die das toll fanden. Ich fand es billig.

Sehr genial dagegen „The Sixth Sense“. Wenn man sich das mit dem Wissen um die Lösung noch einmal ansieht, begreift man erst all die Hinweise, die ganz offen präsentiert werden. Ich kriege imemr noch Gänsehaut vor Ehrfurcht vor diesem genialen Kniff. Ebenso „The Others“ - da funktioniert es großartig.

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Am 17.1.2023 um 15:01 schrieb MaschaV:

Sehr genial dagegen „The Sixth Sense“. Wenn man sich das mit dem Wissen um die Lösung noch einmal ansieht, begreift man erst all die Hinweise, die ganz offen präsentiert werden. Ich kriege imemr noch Gänsehaut vor Ehrfurcht vor diesem genialen Kniff. Ebenso „The Others“ - da funktioniert es großartig.

„Gänsehaut vor Ehrfurcht“ trifft es wirklich gut. Das ist einfach meisterliche Film-Erzählkunst.

Hüten sollte man sich davor den „unzuverlässigen Erzähler“ als beliebig einsetzbare „Deus ex machina“ nutzen zu wollen. 

 

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Sebastian Niedlich

Ein Meisterstück des unzuverlässigen Erzählers ist für mich der Protagonist des Films "Memento". Ich will hier nix spoilern, falls den Film jemand noch nicht gesehen haben sollte. Aber das Ende hat mir ebenso die Socken ausgezogen wie seinerzeit das von "The Usual Suspects".

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Ja, ging mir genauso. Weil der Denkfehler so logisch begründet ist. Das, so kommt mir gerade der Gedanke, ist vermutlich der Königsweg zum unzuverlässigen Erzähler, welcher nicht psychisch krank ist (was ich übrigens immer ein bisschen unfair finde, also: psychisch krank; vor allem, wenn man es erst spät erfährt). Auch bei Sixth Sense wird der „Denkfehler“ ganz am Anfang etabliert, wie bei Memento, wenn der Autor das Film- oder Romanambiente gerade aufbaut, denn das ist der Punkt, an dem sich der Leser/Zuschauer noch auf alles einlässt, weil er die Welt der Geschichte erst erklärt bekommt und eine natürliche Bereitschaft zum Glauben mitbringt (hier entstehen auch die „gebrochenen Verträge“, wenn der Autor die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt später nicht mehr einhält). Bei Sixth Sense und Memento werden diese Gesetzmäßigkeiten aber konsequent eingehalten, nur die Prämisse ist falsch, allerdings anschließend so konsequent nach unserer Alltagslogik durchgezogen, dass uns die ganze Geschichte völlig schlüssig erscheint. Solche Filme finde ich genial.

Bearbeitet von KerstinH
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