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HenningS

Schreibt ihr von vorne nach hinten?

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Ich kann nur durchgehend schreiben, denn in meinen Kapiteln passiert immer etwas, das die nächsten beeinflusst. Selbst bei mehreren Handlungsträngen muss ich diese aufeinanderfolgend schreiben. 

Das liegt daran, dass vom der Natur her ein Bauchschreiber bin, der anfangs eine grobe Zusammenfassung braucht, um den Faden nicht zu verlieren. Aber die einzelnen Szenen kommen beim Schreiben. 

Krimis, Liebe und Mehr.

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Jetzt wird es spannend für mich :)

Durch eure vielen Kommentare (vielen Dank dafür) wird mir gerade bewusst, WIE ich schreibe, hängt damit zusammen, WAS ich schreibe:

1. Meinen ersten Roman schrieb ich von vorne nach hinten. Ein Abenteuerroman. Um 1800 auf einer fiktiven Insel, die Eingeborenen sind von Kolonisten versklavt. Eine junge Kriegerin flieht von den Plantagen, sie befreit einen jungen Mann aus dem Gefängnis, sammelt Gefährten um sich usw ... Ich fand es so ein bisschen wie ein Roadmovie

2. Meine Todsündenromane sind Lebensgeschichten. Mein Verlag wünschte sich Kurzgeschichten zu den 6 Gängen eines Menüs. Ich dachte, die Gänge könnten für den Verlauf eines Lebens stehen: Das Amuse Geule ist die Schwangerschaft, die Vorspeisen die Kindheit, Hauptspeise Erwachsenenalter, Nachspeise Rentenalter. Jede Geschichte war in sich geschlossen, hatte einen eigenen Spannungsbogen. Zusammen bildeten sie ein größeres Ganzes. Meinem Verlag gefiel die Idee so gut, dass er mich bat, weitere Geschichten zu schreiben. Es entstand ein Roman aus 16 Kurzgeschichten. Die Hauptfigur nannte ich Gula, nach der Todsünde der Völlerei.

Daraus folgte das Projekt, auch über die anderen sechs Todsünden zu schreiben. Weiterhin setzten sich die Romane aus Kurzgeschichten zusammen, Abschnitte eines Lebens, die jeweils im Abstand von etwa 5 Jahren spielten. Zu Beginn des Schreibens überlegte ich: Was ist in jedem Lebensabschnitt/Kapitel das besondere Ereignis, das das Leben der Figur prägt?  Da die Kapitel untereinander viel lockerer verbunden sind als in den meisten eurer Romane, konnte (und musste) ich ganz anders darangehen. (Der Inhalt wurde auch dadurch bestimmt, dass ich in möglichst jedes Kapitel zeittypische Elemente einbauen wollte: 11. September, Tschernobyl, Bundestagswahlen, Rubiks Zauberwürfel, Songs, Filme ...)

3. Jetzt schreibe ich einen Krimi. Ich wollte so daran gehen wie bei meinen Todsünden, aber das funktionierte nicht. Meine Grundidee war: Ein vierjähriger Junge und seine Mutter haben eine Autopanne im Wald. Dabei wird die Mutter erschossen. 10 Jahre später wird der Mörder auf ungewöhnliche Weise enttarnt. Ich merkte, dass ich hier rückwärts arbeiten muss: Warum beging der Mörder seine Tat? Er wollte ein anderes Verbrechen vertuschen. Warum geschah das andere Verbrechen? Inwieweit spielten die Charaktere der Figuren bei der Tat eine Rolle? Wodurch entwickelten sich diese Charaktereigenschaften? usw

Dass ich in der Lage bin, beliebig zwischen verschiedenen Stellen hin- und herzuspringen, kommt mir jetzt zugute. Zugleich habe ich die Überarbeitungen deutlich stärker vom Anfang zum Ende hin geschrieben, als ich es bei den Todsünden gemacht habe. Ich konnte einerseits zwar Teile überspringen und Leerraum lassen. Musste aber stärker als bei den Lebensgeschichten einen roten Faden beachten.

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Wie gesagt, das wird mir erst jetzt bewusst :)

Liebe Grüße, Henning

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 19 Stunden schrieb HenningS:

Wenn sowas passiert, entscheide ich mich für eine Version, die andere wird archiviert.

Oder ich drucke die Versionen aus, dann streiche ich alles, was in mehreren Versionen steht. Das reduziert schon mal wesentlich. Die verbleibenden Sätze bringe ich in einen logischen Sinnzusammenhang. Auch dabei fallen mir wieder Doppelungen auf -- oder Sätze, die Ähnliches aussagen. So streiche ich immer weiter, und das Endergebnis entsteht sozusagen "von selbst".

Dieses Verfahren gelingt mir auf Papier wesentlich besser als am Monitor. Auf Papier kann ich mehrere Seiten gleichzeitig ansehen, beim Computer hin- und herscrollen geht für mich nicht so gut.

Vertrau dir. Das wird schon.

Von dieser Arbeitsweise zu lesen, finde ich gerade sehr interessant. Es ist ungefähr das, was ich tue, nur ohne den Text auszudrucken (stattdessen setze ich Bemerkungen kursiv in den Text). Ich muss es dringend tun und habe es eigentlich auch vor. Übrigens schreibe ich auch fast nur mit Bleistift. 

Während ich Szenen schreibe, entwickel ich gleichzeitig einen Plot, den ich parallel überarbeite, es gibt sogar schon ein Exposé. Ich habe den Eindruck, dass ich mich in Spiralen weiterbewege, es ist ein sehr unmittelbarer Umgang mit dem Material.

Aber wie gesagt, ich mache das auch zum ersten Mal, zumindest bei einem Roman (Kurzgeschichten und Erzählungen habe ich genau wie UlrikeSch oft „gebaut“, Teile immer wieder verschoben, an jedem Satz gefeilt), und würde es nicht wirklich zur Nachahmung empfehlen.

Für dieses Mal hoffe ich schlicht, dass ich herausfinde aus dem Durcheinander, das mir aber auch sehr besondere Momente der Erkenntnis beschert hat, von denen ich das Gefühl habe, ich wäre auf anderem Weg nicht zu ihnen gelangt. Von vorn loszuschreiben funktionierte irgendwie nicht, ich musste das Thema umkreisen, um tiefer liegende Verbindungen und Linien zu finden.

In diesem Zusammenhang ist es für mich auch höchst interessant, was ihr im Nachbarthread über den Zettelkasten geschrieben habt. Das ist gerade eine Offenbarung. Danke für diese interessante Diskussion.

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vor 8 Minuten schrieb AnnaW:

1. Ich habe den Eindruck, dass ich mich in Spiralen weiterbewege, es ist ein sehr unmittelbarer Umgang mit dem Material.

 2. (...) Teile immer wieder verschoben, an jedem Satz gefeilt), und würde es nicht wirklich zur Nachahmung empfehlen.

 

Zu 1: Das ist ein schönes Bild, im Kreis und dennoch langsam voran

Zu 2: Die Arbeitsweise eines anderen zu übernehmen, ist ohnehin nur teilweise möglich.

Ich kann auch gut feilen, mir macht das Überarbeiten (bis zu achtmal) viel Spaß, und ich fühle dabei keinerlei Druck

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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Ich plane chronologisch ud schreibe das dann von A bis Z runter. Das brauche ich, um in den Flow der Geschichte zu kommen und die Entwicklung der Figuren organisch geschehen zu lassen.

Ich finde aber generell nicht-chronologisches Schreiben interessant – in dem Sinn, dass sich auch auf dem Papier eine Gechichte nicht chronologisch entfaltet, sodnern sich aus Puzzleteilen erst nach und nach zusammensetzt. Irgendwann möchte ich mal ein Buch auf diese Art schreiben.

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vor 10 Stunden schrieb MaschaV:

Ich finde aber generell nicht-chronologisches Schreiben interessant – in dem Sinn, dass sich auch auf dem Papier eine Gechichte nicht chronologisch entfaltet, sodnern sich aus Puzzleteilen erst nach und nach zusammensetzt.

Ich unterrichte ja auch Kreatives Schreiben. Und da habe ich vor Jahren einen Versuch gemacht: Die Teilnehmer haben zusammen eine Grundstory aus 8 Teilen erfunden. Und dann wurde "ausgewürfelt", in welchen Reihenfolgen die Teile in fiktiven Romanen präsentiert werden könnten. Und das auch für mich Überraschende war, das sehr viele der so entstandenen Darstellungsmöglichkeiten funktionierten. Viele entfalteten einen eigenen Reiz.

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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Das ist aber auch ein bisschen unheimlich, oder? 

Oft hat man ja schon während des Schreibens z.B. an einer Schlüsselstelle den sicheren Eindruck, dass das so noch nicht wirklich passt. Aber man will ja vorwärtskommen und macht erstmal weiter. Dann nagt es und nagt es, bis ein rettender Einfall kommt. Der ist dann so rettend, dass er sich gar nicht wie ein Einfall anfühlt, sondern wie etwas endlich Gefundenes (statt Erfundenes). Insofern, Henning, klingt das funktionierende (!) "Auswürfeln" von Plots schockierend.

Hilfe! Der liebe Gott würfelt doch auch nicht... ;-) 

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Ich reise mit meinen Helden zusammen vom Anfang bis zum Ende der Geschichte und lasse mich auf dem Weg überraschen. Eine grobe Skizze der Wegmarken habe ich vorab, aber ein richtiges Exposé schreibe ich erst, wenn der Roman abgeschlossen ist. Wenn die Agenten und Verlage nicht darauf bestehen würden, schriebe ich gar kein Exposé.

Was ich allerdings manchmal mache ist, zurückzuspringen im Manuskript, um neue Szenen einzufügen. Das passiert auch noch beim Überarbeiten.

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Am 2.2.2022 um 09:16 schrieb NilsW:

Das ist aber auch ein bisschen unheimlich, oder? 

Oft hat man ja schon während des Schreibens z.B. an einer Schlüsselstelle den sicheren Eindruck, dass das so noch nicht wirklich passt. Aber man will ja vorwärtskommen und macht erstmal weiter.

Einer der Gründe für meine Art des Schreibens ist, dass sich der Wunsch "vorwärtszukommen" nicht einstellt. Ich arbeite nur an Stellen, zu denen ich "gerade Lust habe". Stellen, die zB für Übergänge wichtig sind, nehme ich mir erst dann vor, wenn 95% des Romans bereits geschrieben sind.

Dann nagt es und nagt es, bis ein rettender Einfall kommt. Der ist dann so rettend, dass er sich gar nicht wie ein Einfall anfühlt, sondern wie etwas endlich Gefundenes (statt Erfundenes).

Picasso hat sinngemäß gesagt, das Kreativität nicht im Suchen, sondern im Finden besteht. Man vertraut seinem Stoff und lässt sich von ihm leiten. Und dann entstehen viele Stellen scheinbar "von allein". Aber das tun sie ja gar nicht. Denn viele kreative Prozesse geschehen ja gar nicht auf einer bewussten Ebene. Insofern kann das Bewusstsein von solchen Ergebnissen "überrascht" sein.

Insofern, Henning, klingt das funktionierende (!) "Auswürfeln" von Plots schockierend.

Du lässt etwas Zufälliges entstehen und benutzt das als Material

Hilfe! Der liebe Gott würfelt doch auch nicht... ;-) 

 

 

 

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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vor 2 Stunden schrieb HenningS:

Picasso hat sinngemäß gesagt, das Kreativität nicht im Suchen, sondern im Finden besteht. Man vertraut seinem Stoff und lässt sich von ihm leiten. Und dann entstehen viele Stellen scheinbar "von allein". Aber das tun sie ja gar nicht. Denn viele kreative Prozesse geschehen ja gar nicht auf einer bewussten Ebene. Insofern kann das Bewusstsein von solchen Ergebnissen "überrascht" sein.

Das ist wirklich der verrückteste Teil des ganzen Vorgangs. Da ich meist vorne anfange und mich nach hinten durcharbeite, fangen die Charaktere meistens irgendwann zur Hälfte mit dem Eigenleben an. Die zweite Hälfte schreibt sich dadurch tatsächlich meist wie von allein - die wissen ja, was zu tun ist. Und da man spätestens nach einem Drittel die Spielregeln einer Welt nicht mehr ändern sollte, läufts dann. Aber nicht immer in die geplante Richtung.

Ist es schon einmal jemandem passiert, dass eine Geschichte aufgrund ihres Eigenlebens deutlich (!) anders aufhörte als gedacht? Das passiert wahrscheinlich dann doch eher den Von-vorne-nach-hinten-Schreibern, oder?

Bearbeitet von NilsW
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vor 8 Stunden schrieb NilsW:

Ist es schon einmal jemandem passiert, dass eine Geschichte aufgrund ihres Eigenlebens deutlich (!) anders aufhörte als gedacht? Das passiert wahrscheinlich dann doch eher den Von-vorne-nach-hinten-Schreibern, oder?

Stephen King sagt ja, er würde die Enden seiner Romane vorher nicht kennen. Und dann sagt er sinngemäß weiter: Wenn ich selber vom Ende meiner Romane überrascht bin, wird der Leser es erst recht sein

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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Ich weiß das Ende nie vorher. Die Figuren entwickeln sich mit der Geschichte, und das notwendige Ende wächst mit und zeigt sich erst, wenn mir alle offenen Fäden bewusst sind. Das kann ich aber nur auf diese Art und Weise tun, weil ich mir so viel Zeit nehmen kann und manchmal erst nach Wochen weiterschreibe. Bevor ich dann den ersten neuen Satz schreibe, lese ich alles nochmal, überarbeite gleichzeitig, und wenn sich die Geschichte dann anfühlt, als hätte sie jemand anderes geschrieben, der richtig gut und spannend schreibt, dann weiß ich, dass es was taugt und erst dann kann ich auch weiterschreiben. Wenn nicht, muss ich zurück ins Geschehen und einfügen oder herausnehmen. Meistens sind es Kleinigkeiten, die dann die Geschichte wieder ins Laufen bringen.

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Am 3.2.2022 um 22:45 schrieb HenningS:

Stephen King sagt ja, er würde die Enden seiner Romane vorher nicht kennen. Und dann sagt er sinngemäß weiter: Wenn ich selber vom Ende meiner Romane überrascht bin, wird der Leser es erst recht sein

Minette Walters sagte auch, bei ihren Krimis (die ich liebe) stellt sich Mörder /Mörderin erst während des Schreibens heraus. Ja, ich bin auch eine fast komplette Bauchschreiberin - unterwegs mit meinen Figuren. Das sind für mich auch die wirklich erfüllenden Momente des Schreibens:Wenn sich alles wie von selbst organisch ergibt. Eine meiner liebsten Kritiken bezeugt:"... So raffiniert konstruiert, dass man die Konstruktion nirgendwo merkt." :)


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