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Angelika Jo

Absage an die Parlamentspoetin

Empfohlene Beiträge

Drei Schriftsteller, darunter die mir aus Talkrunden bekannte und durchaus geschätzte Mithu Sanyal, haben dem inzwischen installierten Bundestag vorgeschlagen, eine Parlamentsdichterin zu engagieren, mit der Aufgabe, die Vorgänge und Herrschaften dort zu "irritieren" und zu "emotionalisieren.

"Bemerkenswert unironisch" sei der Beitrag geraten, konstatierten in der gestrigen SZ zwei weitere Autoren, nämlich Tija Sila und (die als Autorin von Otto gleichfalls von mir hoch geschätzte) Dana von Suffrin, die diesem Vorschlag wenig abgewinnen können. Weil der Normal-Autor (im Unterschied zum Parlamentarier) seinem Zweitberuf nicht so leicht entkäme. Und weil zwangsläufig "Politkitsch" dabei herauskäme. Ein durchaus erfrischender Artikel.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Inzwischen gibt es in den Medien fast täglich was zu dieser Ausschreibung. Fürs und Widers. Satirisches ist natürlich auch dabei wie heute in der SZ ein "Bewerberschreiben" des Schriftstellers und Popmusikers Peter Licht.

Schon zwei Tage vorher hat auf SPON ebenfalls eine Bewerbung verfasst – allerdings gleich in Gedichtform – der geistreiche und in Polit- wie Moralfragen eher unbestechliche Lyriker Thomas Gsella. Mich erheitert das Poem auf allen möglichen Ebenen.

EINE OFFENE BEWERBUNG

O nehmt meinen Antrag, erhört meinen Ruf,
Ihr Parlamentarier:innen!
O lasst mein Genie, wie die Muse es schuf,
Euch helfen mit all seinen Sinnen!

Die Macht tappt im Machen. Ihr dien' als Fanal
Der Dichtung erhellendes Wesen!
Ich tät's euch besorgen für sagen wir mal
Rund fünftausend netto (plus Spesen).

Begründung: Ich lebe als strahlender Stern
Des Fühlens, des Sehens, des Schmeckens
(Ich schmecke gern Nüsschen und sehe gern fern)
Und auch des, ja!, auch des Aneckens.

So ihr, zum Exempel, dem Drachen Türkei
Schiebt Panzer und Schießpulver rüber,
Dann ruf ich vom Pulte der Redner: Owei,
Da gehn wir doch gleich noch mal drüber!

Verschafft nämlich Rüstung den Arbeitern Brot
Und Brötchen den Arbeiterinnen,
So führen doch Kriege vom Leben zum Tod:
Was soll, wer’s verlor, noch gewinnen?!

Kurzum: Ich bin Wahrheit. Indem ich zum Stück
Das Für wie das Wider erwäge,
Besinnt ihr euch, ordert die Panzer zurück
Und schreddert die Lieferverträge.

Und steckt ihr den Bossen die Kohle wohin,
Und Elende sind, die verrecken,
Dann werd ich euch abends bei Tonic und Gin
Mit fuchtigen Versen erschrecken:

So geht das nicht! Prosit! Nur Fairness ist fair
Und wahrhaftig schön nur das Gute!
Und lang wird die Nacht und den Trinkenden sehr
Verwackelt und mulmig zumute.

Doch lallt ihr: »Bis morgen, du Spinnerter, du«,
Dann werde ich doch noch mal straffer
Und greife zum Werkzeug und schlage hart zu:
Mit einer beinharten Metapher.

»Ihr… Ärsche! Guts Nächtle! Ich h-hab uns so lieb!
Der Gin, yeah! Heut sind wir Besoffski,
Heut sind wir die Seinen, wie wer noch gleich schrieb,
Laut lachenden Mundes. Bukowski?« – –

So ungefähr wär ich. Beratet euch wohl!
Und schaut nicht aufs Zorneserröten
Der Mahner, die mosern, der Mumpitz sei hohl
Und anderer Zuwachs vonnöten:

Proleten gibt's keene; auf Lohnsteuer sind
Seit anfangs die wenigsten Eurer.
Das macht aber gar nix. Ein Dichter im Spind
Ist harmloser. Hübscher. Und teurer.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Ich würde ihn nicht nehmen, weil er wenig mit zeitgenössischer Lyrik zu tun hat. Was er schreibt ist nett, gekonnt gemacht, aber von einer Repräsentation aktueller Poesie erwarte ich deutlich mehr.

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vor 2 Stunden schrieb FlorianV:

Ich würde ihn nicht nehmen, weil er wenig mit zeitgenössischer Lyrik zu tun hat. Was er schreibt ist nett, gekonnt gemacht, aber von einer Repräsentation aktueller Poesie erwarte ich deutlich mehr.

Missverständnis. Aus der "Bewerbung" geht deutlich hervor, dass er sich selbst in Widerspruch zu diesem Posten sieht. Als "Dichter im Spind". Und dann auch noch "harmlos". Als poetischer Geist, der statt feinsinnig den Zeitgeist zu überblicken, TV sieht; dem bei Geschmack "Nüsschen" einfallen, der in besoffenem Zustand seinen Parlamentariern ausgerechnet den deutschen Dichter verabreicht, der bekanntlich den meisten Deutschen einfällt, wenn das Schicksal sie zwingt, Lyrik zu zitieren. Etc.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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vor 3 Stunden schrieb FlorianV:

Ich würde ihn nicht nehmen, weil er wenig mit zeitgenössischer Lyrik zu tun hat. Was er schreibt ist nett, gekonnt gemacht, aber von einer Repräsentation aktueller Poesie erwarte ich deutlich mehr.

Dass diese seine Bewerbung ernst gemeint ist, muss jedeR bezweifeln, der oder die Gsella kennt. Ich weiß nicht, ob es noch so ist, aber eine Zeitlang veröffentlichte er immer donnerstags seine Gedichtlein in der taz-Wahrheit.

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vor 41 Minuten schrieb KarinKoch:

... eine Zeitlang veröffentlichte er immer donnerstags seine Gedichtlein in der taz-Wahrheit.

Aktuell ist es eine (lyrische) Kolumne im Stern, vorher hat er regelmäßig geschrieben für FAZ, FR und SZ. Nur der Vollständigkeit halber. 

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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vor 22 Stunden schrieb KarinKoch:

Dass diese seine Bewerbung ernst gemeint ist, muss jedeR bezweifeln, der oder die Gsella kennt. Ich weiß nicht, ob es noch so ist, aber eine Zeitlang veröffentlichte er immer donnerstags seine Gedichtlein in der taz-Wahrheit.

Ich kenne ihn aus den Sozialen Medien und glaube, dass das nur halb ironisch gemeint ist.

Was die Sache angeht bin ich zwiegespalten, einerseits hätte dieser Posten schon etwas ungut Pompöses, andererseits unterstütze ich jede Initiative, die die Lyrik mehr in den gesellschaftlichen Fokus rückt. Weil sie marginalisiert wurde und das nicht gut ist.

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Am 17.1.2022 um 11:39 schrieb FlorianV:

Ich [...] glaube, dass das nur halb ironisch gemeint ist.

Für mich klingt da ziemlich beißende heinesche Ironie durch. Was sicher nicht ironisch gemeint ist, ist die Passage mit den Waffenlieferungen, aber dass sich das Parlament mit so einem Poeten einen echten Kritiker derartiger Entscheidungen in die Mitte holen würde, dann wieder doch.
Besoffsky halt.

Bearbeitet von KerstinH
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Aus dem Börsenblatt:

Parlamentspoetin willkommen, aber unter welchen Bedingungen? 

Das Netzwerk Lyrik, 2017 gegründet um die Anliegen der Lyrik zu vertreten und zu koordinieren, unterstützt den Vorschlag, eine Stelle für eine Parlamentspoetin im Deutschen Bundestag einzurichten. Prinzipiell. Unter welchen Bedingungen die Lyriker*innen eine solche Position für sinnvoll halten, erklärt Tristan Marquardt, zweiter Vorsitzender des Netzwerks. https://www.boersenblatt.net/news/sonntagsfragen/parlamentspoetin-willkommen-aber-unter-welchen-bedingungen-223475

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