Zum Inhalt springen
GesineS

Faszinierend: Syntaxfehler können das Bildgehirn stimulieren

Empfohlene Beiträge

Neurolinguistische Untersuchungen ergaben, dass Syntaxfehler und erfundene Wörter in Texten das „Bildgehirn“ von Leserinnen und Lesern stimulieren können.

Ist das nicht eine faszinierende Entdeckung? :o

Es geht um Shakespeares Werke, dürfte aber auch auf andere (gelungene, um nicht zu sagen geniale) Texte zutreffen. Es werden zahlreiche Zitate aufgeführt.

Dies ist eine ungrammatische, sehr kraftvolle Verdichtung, und funktionelle MRT-Scans legen nahe, dass sie eine starke neurologische Reaktion hervorruft. […]
"Die Shakespeare'sche Funktionsverschiebung scheint eine Aktivierung im visuellen Assoziationskortex auszulösen, d. h. in Regionen, die normalerweise durch Visualisierung aktiviert werden, d. h. im geistigen Auge".

Der vollständige englische Artikel von Robert McCrum in BRAIN hier: https://doi.org/10.1093/brain/aww279 (Auszug grob übersetzt mit www.DeepL.com/Translator)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Michael Beisteiner

Ein Grund mehr, unsere Definition von "Fehler" zu überdenken. Das geschulte Auge, der geschulte Gedanke, sie verlassen ihre Bahnen eher schwerlich. Ein sog. Fehler kann oft ein Türchen zu einer neuen Erkenntnis sein. Sog. Fehler können sich rückwirkend als Funke erweisen. Danke, Gesine!

Zuletzt erschienen: Der Tomatenrebell (wortweit)

                                 zwischenlandungen (Arovell)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ich habs überflogen und lese es mir später noch mal genauer durch. Danke, Gesine, sehr interessant! Da es um die englische Sprache geht – da ist natürlich manches anders als im Deutschen, gerade, was die Syntax betrifft. Hauptpunkt: Die relative starke Fixierung des englischen Satzes auf die Abfolge von S - P - O,  während unsere Sprache viel mehr Flexibilität zulässt. Aber da es auch im Deutschen Abfolgen von Satzgliedern gibt, die wir gewohnt sind, horchen schon auch wir auf, wenn da plötzlich mal was ganz anders daher kommt. Und meist ist es anders, weil der Schreiber /Sprecher eben dieses Aufmerken herstellen möchte (die Sprachlehre nennt das Markieren).

Dass Shakespeare aus Nomen oder Adjektiven Verben gemacht hat – ich denke, so was gehört auch zur englischen Sprache, es könnte aber sein, dass er damit angefangen hat, keine Ahnung, wo sind hier die Anglisten? Auf jeden Fall ist genau so was ja die Arbeit von Poeten und Schriftstellern: originelle, ganz neu und unverbraucht wirkende Worte zu schaffen.

Anyway – toll, dass sich inzwischen die Neurolinguisten drum kümmern!

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Als Illustratorin gehöre ich sicher zu den "in Bildern denkenden" Menschen, dieses Phänomen ist mir deshalb schon häufig aufgefallen.

"Altes Land und Neue Liebe" Knaur, erschienen 2.8.2021

www.heike-wiechmann.de

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 9 Stunden schrieb HeikeW:

Als Illustratorin gehöre ich sicher zu den "in Bildern denkenden" Menschen, dieses Phänomen ist mir deshalb schon häufig aufgefallen.

Eigentlich bin ich auch ein bildlich denkender Mensch mit einem "fotografischen Blick." Und beim Lesen von Shakespeare, dem "Faust" u.a. ist es mir auch so gegangen, dass mein "Bildgehirn" angeregt wurde. Ist ein freudiges Gefühl. Ich kann nur nicht sagen, was genau es war. Vielleicht gibt es Beispiele dafür?

Bearbeitet von Christa
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Danke Gesine für diesen Hinweis. Und das gleich aus zwei Gründen.
Einmal ist es eine Aufmunterung für alle, die gerne mit der Sprache herumspielen und neue Worte erfinden. Dass das auch mit der Grammatik möglich ist, kann man sich denken, aber das heißt noch lange nicht, dass man sich das auch traut. Jetzt zu erfahren, was so etwas mit dem Gehirn anstellt, ist schon faszinierend. Es wird sich lohnen, dem nachzugehen, vermute ich mal.

Und dann bin ich begeistert, weil es etwas unterfüttert, über das ich bei mir selbst eher zufällig gestolpert bin. (Ich versuche ja immer, meinen eigenen Kreativitätsprozess zu verstehen und aus der Intuition herauszuholen.)

Mir ist aufgefallen, dass ich häufig fremdsprachliche Brocken oder Songtexte beim ersten Hören falsch oder kaum verstehe. Aber das Gehirn stört das nicht, es folgt seinen eigenen Entdeckungen und kommt dann irgendwo heraus, wo es wild und spannend ist. So können auch neue Ideen entstehen.

Liebe Grüße
Wolf

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

“Hold your horses! Not so fast!” Hätte William Shakespeare vielleicht gerufen, wenn er Neurolinguist oder Psycholinguist gewesen wäre. Wo genau soll die Verbindung zwischen angeblich ungrammatischer Sprache und geistigem Auge sein?

Ganz so schnell geht das leider nicht.

Fangen wir mal mit der Studie an: Philip Davis, Professor für englische Literatur an der Liverpool University hatte sie mit Neurolinguisten 2006 durchgeführt, und das ging so: Probanden hörten Sätze von Willam S. Dazu wurden ihre „Gehirnströme“ gemessen (durch Elektroden auf der Kopfhaut). In der Psycholinguistik ist seit langem bekannt, dass menschliche Gehirnströme typische Muster bei verschiedenen sprachlichen Merkmalen aufweisen. Etwa bezogen auf die Endungen, den Satzbau, die Wortwahl oder die Bedeutung. Und dass bei Muttersprachlern typische Veränderungen in den Gehirnströmen auftreten, wenn Endungen, Satzbau, Wortwahl oder Bedeutung von dem abweicht, was in der gegebenen Muttersprache normal ist. Das nennt man eine ERP-Studie.

Nun ließ der Englischprofessor eine solche Studie mit Sätzen aus dem „early modern English“ des Herrn Shakespeare (1564 – 1616) lebenden, modernen Probanden aus dem Liverpool der Gegenwart vorspielen und dazu ihre Gehirnströme aufzeichnen, etwa Sätze wie diesen:

„Despised substance of devinest show, just opposite to what thou justly seemest.“

Was fällt euch sofort auf, wenn ihr bis zum „what“ vor gedrungen seid? Genau, da steht nicht „you“, sondern „thou“, und da steht nicht „seem“, sondern „seemest“, mit „-st“ wie in „du scheinst“. Das erkennt sogar die Autokorrektur auf meinem PC.

Natürlich blitzt da das Gehirn der modernen Leute aus Liverpool auf. Wenn sie nicht in early modern English gebadet haben, ist das für sie eine ziemlich seltsame Sprache. Und genau das macht das Gehirn, wenn die Sprache, die man sich als Kind einverleibt hat, seltsam wird. Seltsamer Satzbau, seltsame Endungen, seltsame Metaphern und so weiter.

Unser Professor für englische Literatur wollte halt verstehen oder beweisen, warum man von Shakespeare so beeindruckt ist. Ob nun alle Muttersprachler des Englischen diese Begeisterung teilen, ist eher fraglich. Sicher ist aber, dass das menschliche Gehirn IMMER aufblitzt, wenn sprachlich etwas Ungewöhnliches passiert, egal ob Shakespeare oder das angeblich „gebrochene“ Englisch von Neuankömmlingen. Beim Normalbetrieb läuft die Sprachverarbeitung auf Autopilot. Wenn etwas Ungewöhnliches passiert, wird die Kommandozentrale alarmiert. Das ist in etwa unser Bewusstsein. Und das ist an sich schon beeindruckend, erklärt aber Herrn Shakespeare nicht hinreichend.

Das Wesentliche der Studie kann man auch hier auf zwei Seiten von Daniel Honan etwas genauer nachlesen (von 2011): https://bigthink.com/the-present/this-is-your-brain-on-shakespeare/

Der Artikel in BRAIN (2016) ist von Robert McCrum, und zwar als eine amüsante Kolumne in einer Fachzeitschrift für Neurowissenschaften. Die Kolumne steht am jeweiligen Ende einer Ausgabe unter der Überschrift „DORSAL COLUMN”, was an sich schon ein amüsantes Wortspiel ist. Robert McCrum ist ein profilierter Autor und Publizist – und Shakespearespezialist: https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_McCrum

Leider ist sein Text in Teilen identisch mit dem von Daniel Honan, also Plagiat. Tut mir leid. Ich weiß, sowas sagt nur ein party pooper. Macht die Geschichte aber nicht besser.

Wie kommt denn McCrum auf die Idee, dass Shakespeare grammatische Fehler machte? Gemessen an was? Dem heutigen Englisch? Das wäre sinnlos. Dann das sind zwei unterschiedliche Sprachsysteme. Dem damaligen Englisch? Das hätte ja kaum Auswirkungen auf die Verarbeitung dieser Sätze durch die modernen Liverpooler. Nein, was bleibt, ist der Versuch, die Verarbeitung einer historischen Form des Englischen im Gehirn von Muttersprachlern des gegenwärtigen Englischen zu untersuchen. Und dabei findet man das, was man schon früher gefunden hatte: Ungewöhnliches erregt Aufmerksamkeit und bringt den Autopiloten in den Hintergrund. Ungewöhnlich sind an Shakespeares Englisch heute nicht nur die Dinge, die damals Innovationen waren, sondern auch viele andere Aspekte, die sich im Laufe der Jahrhunderte geändert haben.

Diese Geschichte braucht aber zumindest für uns AutorI:nnen ein besseres Ende. Wie war’s damit: Innovation steigert Aufmerksamkeit. Das muss man jetzt nur noch mit Akzeptanz in Einklang bringen. Dem Herrn S. ist das offenbar gelungen. :)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Gleich hab ich mein Pferd angehalten, lieber @Manfred – schon weil es so vergnüglich war, dich zu lesen. Lehrreich sowieso, ich konnte regelrecht spüren, wie es in meinem Gehirn geblitzt hat. Merci vielmals!  :D

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 5 Stunden schrieb AnnaW:

(Jetzt sag nicht, du liest, während du auf dem Pferd sitzt, @Angelika Jo ...)

Mein Pferd ist Kummer gewöhnt. 8-)

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar abzugeben

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden


×
×
  • Neu erstellen...