Zum Inhalt springen
(Huutini)

Das  Schloß

Empfohlene Beiträge

Hier also, mal ungewöhnlich, eine Kritik zu Kafka. „Das Schloß“.

 

http://ws-eu.amazon-adsystem.com/widgets/q?_encoding=UTF8&ASIN=3596124441&Format=_SL250_&ID=AsinImage&MarketPlace=DE&ServiceVersion=20070822&WS=1&tag=andreaswilh09-21http://ir-de.amazon-adsystem.com/e/ir?t=andreaswilh09-21&l=as2&o=3&a=3596124441

 

Inhalt:

Der Landvermesser K. kommt in ein kleines Dorf am Fuße eines Hügels. Von Anfang an wird er mit Misstrauen und Feindseligkeit aufgenommen, man mag ihn nicht, man möchte ihn wieder loswerden, und offenbar braucht man ihn auch nicht.

Doch K. hat einen Grund und alles Recht hier zu sein: Die Herren im Schloß auf dem Gipfel des Hügels haben ihn bestellt.

 

Doch haben sie das wirklich? Die Kontakaufnahme mit dem Schloß ist schwierig, man lässt ihn nicht durch, und wer vom Schloß ist, will ihn nicht sprechen, und was K. erfährt ist, dass dort niemals ein Landvermesser bestellt worden ist.

 

Was folgt, ist eine für Kafka typische Geschichte voller Widersprüche, und Surrealität, jener Stil, der mit dem Ausdruck ‚kafkaesk’ bereits eine eigene Bezeichnung erhalten hat.

 

K., der sich von den Dorfbewohnern verstoßen fühlt, glaubt sich im Recht und sucht den Kontakt zum Schloß. Das Schloß selber ist eher eine leblose Ansammlung einzelner Gebäude, in denen es kräftig brummt. Die Hindernisse scheinen unüberwindbar da, wie K. feststellt, die Herren im Schloß mit niemandem sprechen, der nicht zu ihnen gehört, ja, sich gleichsam vor K. verstecken. Auch der Sinn seines Aufenthalts bleibt verborgen. Nebenher lernt K. jede Menge Leute und Frauen kennen, die ewig zwischen Freund und Feind wechseln, und all das in der für Kafka typischen spärlichen, in diesem Falle winterlichen Szenerie, die sich einer genauen zeitlichen Einordnung widersetzen. Denn, obwohl meist zwischen den Jahren 1910 und 1922 verfasst, haben seine Geschichten eine zeitlich seltsam losgelöste Szenerie, die teils mittelalterlich, teils modern anmutet.

 

Kritik:

Hier wurde und wird immmer wieder herzhaft über die Grenzen zwischen U- und E-Literatur gesprochen, mit wechselhaftem Ergebnis.

Für mich liegt eine der Grenzen hier, bei Kafka.

Ich habe „Das Schloß“ exemplarisch ausgewählt, die Kritik würde ebenso den Proceß oder den Verschollenen treffen, oder irgendeine von Kafkas kürzeren Geschichten.

Kafka als reine Unterhaltungslektüre zu lesen, ist in meinen Augen unmöglich. Was bei Goethe, Schiller, Dostojewksi oder E.T.A. Hoffmann noch möglich scheint, nämlich sich einfach etwas erzählen lassen, funktioniert bei Kafka nicht. Kafka zu lesen heißt, Kafka zu interpretieren.

 

Der Grund hierfür liegt in Kafkas Schreibe: Sie trägt nicht nur keinen eigenen Sinn mit sich, sondern sie entzieht sich einer solchen Sinngebung vollständig. Kafka auch nur ein Wort zu glauben wäre müssig, da er seine Aussagen meist noch auf der gleichen Seite ins Gegenteil verkehrt. Seinen Geschichten einen Sinn zu geben vermag man nur als Leser, und gerade dies macht in meinen Augen Kafkas größten Reiz aus.

 

Seine Geschichten, und so auch „Das Schloß“, bewegen sich in einem eigenen physischen, aber auch psychischen Universum. Da wundert sich K. selbst, dass es schon dunkelt, obgleich er eben erst aufgestanden ist. Da werden schwache, hilflose Wirtsfrauen, die ihren Bauerngästen ausgeliefert sind, plötzlich mächtig und treiben die Männer mit der Peitsche in den Stall.

K., der ohne seine Gehilfen und ohne sein Material in das Dorf kommt, trifft bei seinem ersten Versuch, das Schloß auf dem Hügel zu erreichen, zwei Fremde. Zurück im Wirtshaus, erklären ihm diese, sie seien seine alten Gehilfen. K. erklärt, er würe die beiden nicht kennen, und sie kämen doch vom Schloß. Doch, bestehen die beiden, sie wären seine alten Gehilfen, die er selber hergeschickt hätte. Gut, willigt K. ein, ihr seid meine alten Gehilfen.

Dies ist ebenso seltsam, wie das spätere Verhalten der beiden, die wie Schmeißfliegen um K. herumwuseln, und, wenn K. sie aus der Tür jagt, zum Fenster wieder eindringen.

 

Doch schon das Schloß selber wirkt unlogisch: So bekommt K. erzählt, das Schloß wäre ein riesiger bürokratischer Apparat, dessen einziger Zweck die Selbtskontrolle zur Vermeidung von Fehlern wäre, weshalb Fehler unmöglich seien. Dass K. überhaupt ins Dorf bestellt worden wäre, sei schlicht ein Fehler, man brauche nämlich keinen Landvermesser. Die Sache werde aber gerade kontrolliert.

 

Mächtige Vorsteher, die K. die Sachlage erklären, werden später von unwichtigen Wirtsfrauen als unwichtig bezeichnet.

 

In all diesen Widersprüchen, die Kafkas Stil auszeichnen, bewegt sich K., wie jeder andere Kafkaprotagonist auch, wie selbstverständlich. Niemals zweifelt er irgendetwas anderes an, als seine eigene Position: Er, K., habe das Recht hier zu sein und werde mit den Leuten im Schloß sprechen.

 

Kafka bereitet mir immer wieder Vergnügen, eben WEIL man ihn interpretieren MUSS. Kafka stellt die Welt auf den Kopf, stülpt Inneres nach Außen und gleichzeitig Außen nach Innen.

Nach modernen, auch hier oftmals besprochenen Kriterien, ist er eigentlich ein mieser Autor: Massiv viel Tell, wenig Show, Entwicklungen, die nicht nachvollziehbar sind, langweilige, zum Teil belanglose Schilderungen, endlose Dialoge, der Leser bekommt an keiner Stelle irgendwie ‚spannende’ Unterhaltung. Und doch fesselt mich sein Stil. Das Gefühl ständiger Bedrohung durchzieht jede Szene, ewige Verwirrung und das von K. ständig gefühlte Gefühl der Ablehnung werden mir beinahe greifbar. Hinzu kommt, dass ich trotz Kafkas oftmals widersprüchlicher Beschreibungen, die immer knapp und kurz sind, bei seinen Werken oftmals wesentlich deutlichere Bilder vor Augen habe, als bei langen Beschreibungen.

 

Fazit:

Kafka SOLLTE man für meine Begriffe einmal gelesen haben. Er ist, wie gesagt, keine Unterhaltungsliteratur, seine Texte fordern den Leser heraus, weil sie in beinahe jeder Zeile Leerstellen erzeugen, die der Leser erst mit einem Sinn, einer Aussage füllen muss. Er liefert nichts mit, was dem Text irgendeinen Sinn geben würde, im Gegenteil, jeder Sinn, der in seinen Texten einmal entsteht, wird von ihm genüsslich wieder zerstört.

Der Sinn muss dem Text erst vom Leser gegeben werden.

Das macht seine Geschichten aber auch so reichhaltig: Jeder Leser (und jeder wissenschaftler) entdeckt anderes, neues in den Texten.

Dabei ist es eigentlich egal, mit welchem Werk von Kafka man sich beschäftigt, ob der Proceß, das Schloß (die beide nur als Fragmente existieren), der Verschollene oder eine der zahlreichen Kurzgeschichten und Novellen. Denn meist sind seine Geschichten nur Variationen des gleichen Themas. Ein sturer, sich im Recht sehender Protagonist, der in eine ungemütliche, ihn nicht haben wollende Umgebung kommt, und an Autoritäten scheitert, die eigntlich keine sind.

Immer wieder schildert Kafka den Kampf des Einzelnen mit einer Institution, einer Autorität, deren einziger Zweck der Selbsterhalt zu sein scheint, die nur sich selber dient und niemand fremden in ihren Reihen akzeptiert, und den Kampf eines Protagonisten, der, von eben dieser Institution bestellt, und nach Erscheinen abgelehnt, in diese einzudringen, von daher ist ‚Das Schloß’ eines der deutlichsten Werke Kafkas, wenn es um eben diesen Kampf geht.

 

Aber natürlich ist das nur EINE, nämlich meine, von vielen Interpretationen und Möglichkeiten und jemand anders mag und wird in Kafkas Werk etwas ganz anderes sehen.

 

Doch der Glaube, Kafka sei nur für Germanisten, den Deutschunterricht und bestenfalls noch das Feuilleton interessant, der irrt. Jeder, der gewillt ist, ein bisschen Arbeit in die Lektüre zu investieren, ist geeignet, Kafka zu lesen und könnte oder dürfte einen Nutzen daraus ziehen, und möge sich hiermit von mir motiviert fühlen es einmal zu versuchen.

 

Kafka ist mein persönlicher Deutschsprachiger Lieblingsautor!

 

Lieben Gruß,

Marco!

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo Marco,

 

Kritik:

Hier wurde und wird immmer wieder herzhaft über die Grenzen zwischen U- und E-Literatur gesprochen, mit wechselhaftem Ergebnis.

Für mich liegt eine der Grenzen hier, bei Kafka.

[...]

Kafka als reine Unterhaltungslektüre zu lesen, ist in meinen Augen unmöglich.

Da sieht man wieder, wie unterschiedlich Geschichten von verschiedenen Lesern wahrgenommen werden. Kafka kann man nicht als Unterhaltungslektüre lesen, Kafka muss man interpretieren?

 

Kafkas "Die Verwandlung" war der Text, der mir von neun Jahren Deutschunterricht am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist. Und zwar, weil kein anderer bei mir soviele Bilder geweckt hat. Ich hab den Käfer (ich hab das Ungeziefer immer als riesigen Käfer gesehen) lebhaft vor mir gesehen, wie er auf dem Rücken liegt und strampelt, wie der Vater ihn mit Äpfeln verfolgt und einer bleibt im Panzer stecken und fault und ich habe mit ihm mitgelitten.

 

Allerdings hat es meinen Deutschlehrer schwer empört, als er das entdeckte. "Das ist alles nur metaphorisch", belehrte er mich, offenbar entsetzt bei dem Gedanken, dass einer seiner Schüler das alles direkt in Kopfkino umsetzt. ;-)

 

Das Schloß habe ich mal angefangen, natürlich ist es absurd, eine realistische Logik darin nicht enthalten. Aber für mich ist es eine absurde Erzählung, ich liebe so was. Und da gibt es mittlerweile ja noch einige von. Stanislaw Lem fällt mir da ein und die Brautprinzessin. Gerade damit, dass er die Logik der Realität auf den Kopf stellt, absurdes mit realistischem mischt, ist er das Vorbild einiger U-Autoren geworden.

 

Ganz ausgelesen habe ich es nicht, weil es mir am Ende dann etwas länglich wurde. Aber der absurde Humor (wo die Kellnerin und der angebliche Vermesser sich unter den Tisch flüchten und dann ...), die absurden Kombinationen in den Szenen, all das hat meines Erachtens eine innere Logik. Und, wie gesagt, auch sehr viel Witz. Ein Germanist hat mal zu mir gesagt, Kafka sei der am meisten falsch eingeschätzte Autor, weil nur die Depression, etc. in seinen Geschichten gesehen wird, aber nicht, dass es eben auch viel Witz darin gibt.

 

Du siehst also, auch und grade Kafka kann man ganz, ganz unterschiedlich lesen, eben auch unterhaltend. Und danke für deine Rezi, Kafka ist nämlich auch meiner Meinung nach wirklich lesenswert.

 

Grüße

 

Hans Peter

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

(Peter_Dobrovka)

Ich besitze ein Buch mit Kafkas Kurzgeschichten, und ab und zu lese ich immer mal wieder rein, um mich davon zu überzeugen, daß ich wirklich nicht in der Lage bin, ihn zu verstehen oder auch nur länger als 2 Seiten zu etragen.

"Die Verwandlung" ist eine der wenigen Ausnahmen. Die Geschichte mag ich. Sie ist surreal, tragisch und sehr plastisch.

Komischerweise reizt es mich nach dieser Rezension, in diesen Roman mal reinzusehen. Weil eigentlich liebe ich absurdes Zeug.

 

Peter

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo, Marco!

 

Danke für die Vorstellung dieses Klassikers - sollte man ruhig mal öfter machen.

 

Nach modernen, auch hier oftmals besprochenen Kriterien, ist er eigentlich ein mieser Autor: Massiv viel Tell, wenig Show, Entwicklungen, die nicht nachvollziehbar sind, langweilige, zum Teil belanglose Schilderungen, endlose Dialoge, der Leser bekommt an keiner Stelle irgendwie ‚spannende’ Unterhaltung.

Dazu eine kleine Anmerkung:

Nicht nach "modernen", sondern nach den eifrig propagierten Kriterien amerikanischer Schreibratgeberpäpste!

 

Ohne daß ich jetzt noch mal diese Diskussion eröffnen will - aber damit hast Du sehr schön einen Aspekt angesprochen, was "E-Literatur" ist: die darf nämlich *alles*.

 

Gruß

Jan

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo Jan,

Nicht nach "modernen", sondern nach den eifrig propagierten Kriterien amerikanischer Schreibratgeberpäpste!

 

Ohne daß ich jetzt noch mal diese Diskussion eröffnen will - aber damit hast Du sehr schön einen Aspekt angesprochen, was "E-Literatur" ist: die darf nämlich *alles*.

Andreas Eschbach hat es so formuliert: "Ein Autor darf alles - *wenn* er damit durchkommt."

Wobei der nicht E sondern U im Sinn hatte. Und natürlich liegt die Betonung auf *wenn*.

 

Vermutlich ist der Unterschied zwischen E und U  doch nicht so groß, wie viele glauben <bg>

 

Hans Peter

 

PS: Ja, Kafka lohnt sich. Er hat gewagt,  einfach mal völlig andere Wege zu gehen. Ich habe grade einen Krimi im Coaching, der spielt in Prag und immer wieder taucht Kafka auf. Aber die Autoren aus Prag haben alle (egal ob Kafka, Hasek, Perutz oder wer auch immer) so einen Touch. Auch King und Kafka haben viel gemeinsam. Bei  beidem entwickelt sich das Grauen aus dem Alltäglichen :))

 

 

Und muss man ihn "verstehen", um ihn geniessen zu können?

 

Hans Peter

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo, Hans-Peter!

 

Hab mir erlaubt, Dein doppeltes posting zu löschen - und den einen Satz, den schönen Schlußsatz, zum ersten hinzuzufügen.

 

Stimmt!

Um ein Buch genießen zu können, muß man es nicht verstehen - im Sinne von "jeden Satz, jede Wendung, jedes Bild hinterfragen, interpretieren etc" - das finde ich eher ätzend, muß ich ehrlich zugeben.

Ich laß mich da lieber einfach in einen Text "reinfallen".

 

Perutz - ja, Mensch, das wäre schön, wenn den mal hier jemand vorstellen würde.... (siehst Du den Wink mit dem Zaunpfahl?)  ;D

 

Gruß

Jan

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ebensowenig wie der Autor muss, muss der Leser. Aber: Während ein Autor ein Buch schon zu Ende schreiben sollte, darf ein Leser es einfach zuklappen und weglegen. Er hat die größere Freiheit.

 

Um Kafka zu lesen, sollte man in "seiner" Stimmung sein. Nur mal ein Tip!

 

Ernsthafte Grüße (;-))

 

Anja

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

"Das Schloß" ist auch eines meiner absoluten Lieblingsbücher.

 

Widersprechen möchte ich nur an einem Punkt: Man kann das Buch sehr wohl als vordergründig unterhaltsames lesen. Fernab von jeglichen Interpretationsanstrengungen ist das Buch einfach spannend, weil man mit K. mitfiebert: Schafft er es, irgendwie ins Schloß zu kommen? Und welche Anstrengungen und Strategien wählt er dabei? Mich hat Kafkas Buch jedenfalls bereits auf dieser Ebene gepackt und unterhalten. Ich finde auch, er ist tausendmal leichter zu lesen als -sagen wir mal - Döblin..

 

Herzlichst: jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hallo Jan,

Hab mir erlaubt' date=' Dein doppeltes posting zu löschen - und den einen Satz, den schönen Schlußsatz, zum ersten hinzuzufügen.[/quote']

Arrrg, hab ich schon wieder statt den Beitrag zu editieren, ihn doppelt eingestellt? Jedenfalls Danke für die Bereinigung.

 

Bei Wikipedia habe ich grade was über Kafka gefunden. Gabriel Garcia Marquez muss sehr von ihm beeinflusst worden sein. Die Art, die Realität in Stücke zu schlagen und neu zusammenzusetzen, soll ihm sogar erst den Mut gegeben haben zu seinem "magischen Realismus" zu stehen und so zu schreiben.

 

Hans Peter

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar abzugeben

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden


×
×
  • Neu erstellen...