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WolfgangG

Wechsel zwischen Ich-Perspektive und personalem Erzähler

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Schlussendlich ist es die Geschichte, die überzeugen muss. Ich-Erzähler und verschiedene personale Erzähler in einem Roman sind heute keine Seltenheit mehr und schon gar kein No go. Auch wenn verschiedene Ratgeber das behaupten. 

Bearbeitet von VolkerS

"Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren"

(Karl Lagerfeld - und der muss es ja wissen)

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vor 4 Stunden schrieb WolfgangG:

Hat wer eine Idee, was ich tun kann, um den Entscheidungsprozess voranzubringen?

 

Einen Ausschnitt in beiden Varianten in die Textkritik stellen.

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Sebastian Niedlich

Ich vage zu behaupten, dass auch das Reinstellen beider Varianten in die Textkritik nicht viel bringt.

Letztlich musst du dich fragen, was genau du mit deinem Text machen oder erreichen willst.

Ich-Perspektive:

  • Der Erzähler spricht direkt von sich selbst, gibt seine eigenen Meinungen, Gefühle usw. wieder.
  • Ein Wechsel zu einer anderen Person, um z.B. etwas zu erklären, wirkt vermutlich ungelenk. Man sieht, hört und fühlt nur das, was der Ich-Erzähler auch sieht, hört, fühlt.

Dritte-Person-Perspektive:

  • Es ist theoretisch möglich, die Gefühle, Meinungen usw. von anderen Personen zu erzählen. Der Erzähler selbst kann eine eigene Meinung vertreten und ggf. das Ganze kommentieren. Die Sichtweise, die Meinungen usw. müssen dabei nicht der der Hauptperson entsprechen.
  • Perspektivwechsel zwischen verschiedenen Personen innerhalb eines Kapitels sind weit weniger merkwürdig, wobei man auch hier natürlich aufpassen sollte, nicht andauernd zu springen. Es kommt darauf an ob man einen allwissenden Erzähler oder einen eingeschränkt wissenden Erzähler wählt.

Im Grunde kannst du auf beide Arten dieselbe Geschichte erzählen. Theoretisch ist es egal. Aber je nachdem was du erzählen willst, kann die Freiheit oder die Beschränkung der Sichtweise von Vorteil oder Nachteil sein. WAS und WIE du es erzählen willst, musst du selbst entscheiden.

Beispielsweise:
Willst du z.B. ein Buch schreiben, in dem mehrere Personen davon erzählen, wie sie die Ankunft von Außerirdischen auf der Erde erlebt haben, macht es vielleicht Sinn, wenn man in der Rahmenhandlung in der dritten Person von einem Journalisten erzählt, der zu den verschiedenen Leuten fährt, die dann wiederum in der Ich-Perspektive von ihren Erlebnissen berichten. Du hättest also beide Perspektiven gemischt und es wäre völlig legitim, weil nachvollziehbar ist, warum du das tust.

Willst du z.B. einen Thriller schreiben, in dem ein Kriminalist einen Serienmörder / Vampir / entlaufenen Mörderelefanten schnappen will, macht es vielleicht Sinn nur aus seiner Sicht zu schreiben, damit die Leser alles so wie er erfahren. Ob die Ich-Perspektive oder ein eingeschränkter Erzähler das übernehmen, ist dabei relativ unerheblich. Wichtig wird es dann, wenn du vielleicht mittendrin ein Kapitel aus der Sicht eines anderen Ermittlers, des Serienmörders / Vampirs / entlaufenen Mörderelefanten machen willst. In dem Fall ist dann vielleicht der eingeschränkte Erzähler besser, mit dem du beide Figuren erzählst.

Es ist schwierig dazu etwas zu sagen, wenn man so gar nicht weiß, was du erreichen willst und warum.

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Ich würde es auch in die Textkritik stellen und mal schauen, was passiert. Im Zweifelsfall kommen da durch die Diskussion ganz neue Aspekte auf. So ohne Anschauungsmaterial kann man einfach von außen schwer was dazu sagen.

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Danke für eure Antworten.

@Sebastian Niedlich Im Wesentlichen handelt es sich um einen Locked Room-Krimi (Schauplatz ist ein witterungsbedingt von der Außenwelt abgeschnittenes Dorf in den frz. Cevennen), wobei der Erzähler - ein Lokaljournalist - einen engen persönlichen Bezug zum Täter hat, den er am Ende  überführen wird. Er ist also emotional in den Fall verstrickt. Parallel dazu wird eine zweite Geschichte aus Sicht einer Frau erzählt, die sich außerhalb dieses Settings abspielt und erst am Ende mit dem Hauptstrang zusammengeführt wird. Ich brauche also zumindest zwei Perspektiven, evtl. sogar drei. Für den Täter selbst hätte ich keine eigene Perspektive geplant, da er laufend durch andere Akteure charakterisiert wird. Neben dem Krimi-Plot möchte ich die persönliche Entwicklung meines Protagonisten zeigen, der durch die erzwungene Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit und die Überführung des Täters einen differenzierteren Blick auf seine früheren Gefährten und sein früheres Ich erlangt.

Ich hoffe, das war nicht zu abstrakt. Ich weiß nicht, ob eine Textprobe für meine Zwecke hilft, werde aber gerne ein oder zwei Kapitel einstellen, wenn ihr denkt, dass es mir die Perspektiventscheidung erleichtert. 

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Sebastian Niedlich

Klingt für mich nach zwei Ich-Perspektiven oder zwei Perspektiven eines jeweils eingeschränkten Erzählers.
Der eingeschränkte Erzähler wäre hier die einfachere Wahl, weil du im Grunde "deinen Stil" halten kannst. Willst du in der Ich-Perspektive schreiben, müsstest du halt beide Perspektiven individuell machen, d.h. der Sprachduktus, die Vokabeln ... einfacher gesagt: alles ... muss unterschiedlich sein. Der Lokaljournalist würde halt anders erzählen, als die Frau, so wie Kapitän Ahab anders sprechen würde, als Ishmael. Oder sich eine Uni-Professorin von einem Junkie auf der Straße unterscheidet. Beide würden - wenn sie dasselbe sehen - es unterschiedlich beschreiben.

Die Frage ist jetzt einfach nur: Wie viel Arbeit willst du dir machen? ;)

Bearbeitet von Sebastian Niedlich
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Hm, schwierig. Du sagst, dass du  dich mit dem Ich-Erzähler näher an der Figur fühlst, aber das ist ja letztlich nicht zwangsläufig der Fall. Auch ein personaler Erzähler kann sehr dicht an der Figur sein. Kannst du für dich denn herausfinden, warum du bei diesem Journalisten den Ich-Erzähler wählen möchtest? Hast du das Gefühl, sonst seine persönliche Entwicklung nicht richtig rüberzubringen?

Ich finde das Projekt übrigens sehr spannend, ich mag es, wenn bei einem Krimi der Ermittler persönlich involviert ist. Das bringt auf der Figurenebene nochmal schönen Tiefgang in die Geschichte.

Zur besseren Beurteilung würd ich mir wünschen - wenn du magst - unten in den Textkritiken einen Textauszug in personaler Perspektive und denselben Textauszug dann mit Ich-Erzähler und vielleicht auch noch einen kurzen Text mit der Frau - da willst du ja in jedem Fall die personale Perspaktive wählen, wenn ich das richtig verstehe? Ich würde da gerne reinlesen in Hinblick auf die Fragestellung, wie dicht du jeweils an der Figur bist - weil ich dunkel vermute, dass vielleicht da dein Problem liegt?

Bearbeitet von Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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vor 16 Stunden schrieb WolfgangG:

Neben dem Krimi-Plot möchte ich die persönliche Entwicklung meines Protagonisten zeigen, der durch die erzwungene Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit und die Überführung des Täters einen differenzierteren Blick auf seine früheren Gefährten und sein früheres Ich erlangt.

Diese Passage klingt für mich nach Ich-Perspektive (neben den anderen personalen).

Weiter oben schreibst du: 

Am 22.6.2021 um 10:00 schrieb WolfgangG:

Genau das birgt aber auch die Gefahr, dass es zu einer Vermischung von Autoren-Ich und Erzähler kommt, was wiederum kontraproduktiv wäre.

Das ist der einzige Satz in deiner Beschreibung, der für mich gegen die Ich-Perspektive spricht. Ansonsten zählst du Pluspunkte auf. Könntest du das nochmal deutlicher machen? Inwiefern besteht diese Gefahr, und warum wäre das kontraproduktiv? Weiter vorn schreibst du ja, dass du schon in Ich-Perspektive veröffentlicht hättest, die Gefahr dürfte also überschaubar sein.

Vielleicht gibt es bei dieser Entscheidung aber auch kein besser und kein schlechter im schreiberischen Sinn. Manchmal führen einfach mehrere Wege nach Rom. Dann muss die Entscheidung vielleicht anhand anderer Kriterien getroffen werden, beispielsweise Schreibfreude: Welche Version zieht dich morgens eher an den Schreibtisch, bei welcher hast du mehr Spaß und die besseren Ideen? Welche reizt dich mehr?

Oder geht es eher um Befürchtungen? Das wäre sozusagen das Gegenstück zum Motivationsprozess. Solche Gefühle können sehr lähmen, wenn man sie nicht klar hat, weil sie sich diffus nach Gefahr anfühlen. Was befürchtest du zu verpassen, wenn du die jeweils andere Option wählst? Eine Entscheidung für ist ja immer auch eine Entscheidung gegen etwas. Was würdest du bei der entsprechenden Figur dann vermissen?

Oder ist es vielleicht eher eine marktwirtschaftliche Überlegung: Was könnten Verlage/Leser eher ablehnen? (Deine Frage, ob man Perspektiven überhaupt mischen dürfe, lässt mich in diese Richtung denken.)

Vielleicht kannst du dich ja auch mal hinsetzen und die entsprechende Person mit dir als Autor schriftlich argumentieren lassen, in welcher Perspektive sie geschrieben werden will. So als Wechselgespräch. Vielleicht hat sie selbst Befürchtungen oder Wünsche.

Bearbeitet von KerstinH
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Ich glaube, jenseits der klug hier dargelegten Theorie kommt es irgendwann auch aufs Bauchgefühl an. Mit der Zeit entwickelt man ja Schreibinstinkte. Es gibt mMn kein richtig oder falsch bei der Auswahl, nur in der Ausführung.

Ist dir vielleicht eine der beiden Perspektivarten beim Schreiben leichter gefallen? Dann wird das die richtige sein.

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Danke für eure Anregungen. 

@Sebastian Niedlich

Zitat

Klingt für mich nach zwei Ich-Perspektiven oder zwei Perspektiven eines jeweils eingeschränkten Erzählers.

Zwei Ich-Perspektiven schließe ich für mich eigentlich aus. Infrage kommen nur die beiden Varianten "Ich-Erzähler+ personaler Erzähler" oder zwei Mal personal.

Zitat

Genau das birgt aber auch die Gefahr, dass es zu einer Vermischung von Autoren-Ich und Erzähler kommt, was wiederum kontraproduktiv wäre.

Das ist der einzige Satz in deiner Beschreibung, der für mich gegen die Ich-Perspektive spricht. Ansonsten zählst du Pluspunkte auf. Könntest du das nochmal deutlicher machen? Inwiefern besteht diese Gefahr, und warum wäre das kontraproduktiv? Weiter vorn schreibst du ja, dass du schon in Ich-Perspektive veröffentlicht hättest, die Gefahr dürfte also überschaubar sein.

 

Vermutlich hast du recht. Ich meinte damit nur, dass ich dem Umfeld meines Protagonisten näher bin als bei vergangenen Projekten, weil es einige Schnittmengen in der Biografie gibt (Sprachstudium, Interesse für Literatur, Fernbeziehung zu Studienzeiten). Aber natürlich war ich in keinen Mordfall verwickelt.  Die Gefahr besteht für mich darin, aufgrund der erwähnten Überschneidungen zwischen dem Autoren-Ich und dem Roman-Ich zu wechseln, sodass es zu einer Vermischung von Gedanken und Gefühlen. kommt. 

Bei den letzten beiden Projekten hatte ich jeweils Protagonisten mit einem völlig anderen Background. 

Zitat

Oder ist es vielleicht eher eine marktwirtschaftliche Überlegung: Was könnten Verlage/Leser eher ablehnen? (Deine Frage, ob man Perspektiven überhaupt mischen dürfe, lässt mich in diese Richtung denken.)

Auch das spielt natürlich eine Rolle.

Zitat

Vielleicht kannst du dich ja auch mal hinsetzen und die entsprechende Person mit dir als Autor schriftlich argumentieren lassen, in welcher Perspektive sie geschrieben werden will. So als Wechselgespräch. Vielleicht hat sie selbst Befürchtungen oder Wünsche.

Das ist eine gute Anregung.

Darüber hinaus komme ich eurem Vorschlag gerne nach und stelle die beiden Varianten mal unter Textkritik ein. Vielleicht sehe ich dann ja noch klarer. 

Bearbeitet von WolfgangG
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Sebastian Niedlich
vor 7 Minuten schrieb WolfgangG:

Zwei Ich-Perspektiven schließe ich für mich eigentlich aus. Infrage kommen nur die beiden Varianten "Ich-Erzähler+ personaler Erzähler" oder zwei Mal personal.

In dem Fall: Dürfte ich zwei "personale Erzähler" vorschlagen? Bzw. EINEN Erzähler, der halt in den jeweiligen Kapiteln nur die Sichtweise einer Person einnimmt.

Sicher geht die Mischung "Ich-Erzähler + personaler Erzähler" bestimmt auch, aber da es anscheinend keinen übergeordneten Zusammenhang gibt, warum das so sein sollte, würde ich die Leser nicht verwirren. Ist allerdings nur meine Meinung.

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Aus der letzten Lektüre (Susann Pásztor,"Die Geschichte von Kat und Easy): Diese Geschichte wird aus der Perspektive einer Frau (Kat) erzählt, allerdings in einem kapitelweise geordneten Wechsel von Zeit und Ort und Erzähler: Kapitel A 1973, eine deutsche Kleinstadt; Kapitel B 2018, ein Dorf auf Kreta. (Dazwischen finden sich noch kursiv gedruckte Mails, im Wechseln geschrieben von Kat und ihrer Freundin Easy, beide natürlich aus dem Ich.)

Die B-Kapitel werden in der Ich-Form erzählt (es spricht Kat), im Präteritum und in eher herkömmlichen Schreibung, also Wechsel von kurzen und langen Sätzen, narrative Abschnitte, Kennzeichnung der direkten Rede durch Anführungszeichen. Auch die A-Kapitel gehören Kat, es wird aus ihrem Blickwinkel erzählt, allerdings im Präsens, die Sätze sind meist kürzer, es gibt sehr viel Dialog und nirgendwo ist die direkte Rede speziell gekennzeichnet. Das alles ergibt eine starke Nähe zur Figur, einem sehr jungen Mädchen in heftigen Gefühlswirren, der man sozusagen direkt in die Seele blickt, so nah ist die Kamera auf sie gerichtet, ohne dass sie sich dagegen wehren könnte. In den B-Kapiteln ist dieselbe Person eine ältere Frau, die Gründe hat, sich immer wieder zu überlegen, was oder wie viel aus ihrem Leben sie ihrer Umgebung (und damit dem Leser) preisgeben will.

Ganz grundsätzlich wollte ich mit diesem Beispiel (zu dem es analytisch sicher noch mehr zu bemerken gäbe) sagen, dass die einfache Gleichung: Ich-Perspektive ist näher am Ich-Erzähler durchaus nicht stimmen muss. Schon weil es neben der Wahl der Perspektive noch etliches mehr an schreiberischen Mitteln gibt; vor allem aber, weil es auch gute Gründe dafür geben kann, die Sache mit Nähe und Distanz von der Figur her zu überlegen, um die es gehen soll: Wie sie gestimmt ist, wie viel Einblick sie geben will oder kann.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Danke euch. Die Rückmeldungen in der "Textkritik" haben mir gezeigt, dass der personale Erzähler hier die bessere Wahl ist. Ich werde also Sebastians Vorschlag folgen.

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Diana Hillebrand

Lieber Wolfgang, 
du hast zwar hier schon viele ausführliche und kompetente Antworten bekommen, aber wenn du magst, kannst du dir zu dem Thema "Erzählperspektive" auch noch den aktuellen Podcast "Schreibzeug" von Wolfgang Tischer (literaturcafè.de) und mir anhören. Wir haben intensiv darüber gesprochen und sind (für alle anderen hier) auch zu dem Ergebnis gekommen, dass man Perspektiven durchaus mischen kann. 
https://schreibzeug.podigee.io/4-erzaehlperspektiven
Liebe Grüße
Diana 

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