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HenningS

Ein langer Satz (Teil 2)

Empfohlene Beiträge

Ich habe "ein langer Satz" zum Thema meines Unterrichts gemacht. Die Übung dazu hatte 2 Teile.

1. Schreibt etwas Dramatisches oder Beschauliches - Wichtig: Darin keine Dialoge! - maximal 160 Worte - (15 Minuten)

Erst nach Fertigstellung der ersten Übung sagte ich den Teilnehmern, wie es weitergeht

2. Macht aus dem Geschriebenen einen einzigen Satz - (30 Minuten)

Hatten die Teilnehmer ein "beschauliches" Thema gewählt, wurde allgemein die 1. Fassung als besser empfunden. Wurde dagegen ein "dramatisches" Thema gewählt, fanden die Teilnehmer meist (nicht immer) die 2. Fassung angemessener.

Eine Teilnehmerin stellte mir freundlicherweise ihren Text zur Verfügung:

Fassung 1:

Horst sah immer noch gut aus, nicht mehr so gut wie früher natürlich, aber das Haar war noch voll, die Figur drahtig und die Zähne eins a. Und jetzt so mit Anzug – alle Achtung. Er hatte lange überlegt, ob er sich die Verkleidung zumuten sollte, aber es musste wohl sein, wenn er die Sache einigermaßen gut hinter sich bringen wollte. Er holte noch einmal tief Luft, dann klingelte er. Mutter öffnete wie erwartet mit leicht geröteten Augen die Tür, begrüßte ihn mit einem Gott Junge, wir dachten schon, du kommst wieder nicht, und konnte noch vor der obligatorischen Umarmung unterbringen, dass die Gans beinah verkohlt sei und die Klöße natürlich inzwischen zusammen gefallen waren. Bevor sie auch noch sagen konnte, dass der Baum brannte, obwohl auch diesmal die Spitze wieder schief saß, weil er nicht geholfen hatte, nahm er sie in den Arm. Nicht schon wieder diese Tiraden über den missratenen Sohn. Es musste diesmal die allseits beschworene friedlich weihnachtliche Stimmung herrschen, sonst konnte er die Sache gleich vergessen und musste zu Plan B übergehen.

Fassung 2:

Wenn man das wollte, was Horst wollte, der für sein Alter immer noch recht gut aussah, auch wenn der Zahn der Zeit schon etwas an ihm genagt hatte, was aber der ungeliebte Anzug größtenteils wieder wettmachte, dann musste man schon von Anfang an für eine friedvoll besinnliche Stimmung sorgen, auch wenn die Mutter natürlich schon gleich bei der Begrüßung keine Gelegenheit ausließ, ihm ihren Kummer über den missratenen Sohn zu zeigen, der mal wieder alle warten ließ und sich einen Dreck um verkohlte Weihnachtsgänse und zerfallenen Klöße scherte und wieder mal nur an sich dachte und nicht einmal beim Schmücken des Baums geholfen hatte, der jetzt natürlich auch ohne seine Hilfe brannte, wenn auch mit schief sitzender Spitze, weshalb er sie mitten in ihrem zweiten Vorwurf liebevoll in den Arm nahm, damit nicht schon von vorneherein alles versaut war und er zu Plan B greifen musste.

Es gibt keine Regeln, nur sachkundige Entscheidungen. Und sachkundige Entscheidungen könnt ihr nur treffen, wenn ihr euch sachkundig macht.

Elizabeth George

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