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FlorianV

Muss man Figuren überzeichnen, um sie kenntlich zu machen?

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Beim Lesen von Stephen Kings Roman "The Stand" fragte ich mich wieder einmal, was es ist, dass Kings Bücher so großartig macht. Die Geschichten, die er erzählt, sind meistens ausgesprochen gut und ausgesprochen spannend, der Entwurf der kleinstädtischen Welt ist prall und von Wirklichkeit gesättigt. Doch das ist es für mich nicht, was es aus der Masse hervorhebt, es sind seine Figuren, vor allem ihre Sprache. Jeder und jede seiner Akteure und Akteurinnen spricht ein eigenes Idiom, alle sind voneinander allein anhand ihrer Sprache perfekt zu unterscheiden.

Ich finde das fantastisch, es ist eine ganz eigene Kunstform.

 

Was mir nun aber in "The Stand" aufgefallen ist: die Sprache vieler, wenn nicht aller, Figuren ist deutlich überzeichnet. Die Hinterwäldler reden wie die tot-tal-en Hinterwäldler, die Redneck-Offiziere und Kalten Krieger, als wären sie beim Dreh von "Die rote Flut" übrig geblieben (ich übertreibe ein bisschen).

 

Eigentlich sollte man als SchriftstellerIn so ja nicht vorgehen, es funktioniert aber hervorragend, es zeichnet jede einzelne Figur scharf auf die Buchseite.

 

Wie haltet ihr es also damit? Muss man, wie im Titel gefragt, Figuren überzeichnen, um sie kenntlich zu machen?

 

 

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Sehr interessantes Thema, Florian. 

 

Ich kann nur sagen, dass ich es bewundere, wenn jemand die Sprache der Figuren so darstellt. Mir gelingt es eher, die Figuren durch ihre Handlungen zu charakterisieren. Diese Überzeichnung führt natürlich dazu, dass ein sehr deutliches Bild entsteht, allerdings besteht ja dann auch die Gefahr, in die Klischeefalle zu tappen. 

Die Grenze ist schmal würde ich sagen...

Ab 01.01.2021 Lovelyscript-Lektorat Liebe im Mittelpunkt

Am 23.08.2023 erscheint mein Debüt - "The Sky above us"

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Beim Lesen von Stephen Kings Roman "The Stand" fragte ich mich wieder einmal, was es ist, dass Kings Bücher so großartig macht. Die Geschichten, die er erzählt, sind meistens ausgesprochen gut und ausgesprochen spannend, der Entwurf der kleinstädtischen Welt ist prall und von Wirklichkeit gesättigt. Doch das ist es für mich nicht, was es aus der Masse hervorhebt, es sind seine Figuren, vor allem ihre Sprache. Jeder und jede seiner Akteure und Akteurinnen spricht ein eigenes Idiom, alle sind voneinander allein anhand ihrer Sprache perfekt zu unterscheiden.

Ich finde das fantastisch, es ist eine ganz eigene Kunstform.

 

Was mir nun aber in "The Stand" aufgefallen ist: die Sprache vieler, wenn nicht aller, Figuren ist deutlich überzeichnet. Die Hinterwäldler reden wie die tot-tal-en Hinterwäldler, die Redneck-Offiziere und Kalten Krieger, als wären sie beim Dreh von "Die rote Flut" übrig geblieben (ich übertreibe ein bisschen).

 

Eigentlich sollte man als SchriftstellerIn so ja nicht vorgehen, es funktioniert aber hervorragend, es zeichnet jede einzelne Figur scharf auf die Buchseite.

 

Wie haltet ihr es also damit? Muss man, wie im Titel gefragt, Figuren überzeichnen, um sie kenntlich zu machen?

 

Eine Frage, Florian: Liest du das Original oder die Übersetzung? Die Übersetzung könnte vielleicht überzeichneter wirken, als das im Original der Fall ist. (In den USA oder GB lebt man amerikanische/englische Dialekte in Büchern oder Filmen etc. ja ganz anders als wir das in Deutschland mitbekommen. Das gilt selbst für überregionale Nachrichtensendungen. Es ist dort oft ganz normal, dass Schauspieler/Romanfiguren in unterschiedlichen Dialekten miteinander kommunizieren.)

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Ich gebe zu, kein Buch von ihm gelesen zu haben, sehe aber natürlich, wie er vermarktet wird: als Thriller, Horror, als etwas, das Angst machen will, und genau dort, in diesen Geschichten, sind Übertreibungen oft ein wichtiges Stilmittel (so wie sie es in meinem Genre, dem Liebesroman, auch ist. So viele Sixpacks wie in Liebesromanen habe ich in echt noch nirgends gsehen).

Ja, ich glaube, dass Überzeichnungen wichtig sein können, v.a. bei Nebenfiguren, damit sie mit wenigen Pinselstrichen im Gedächtnis bleiben.

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Ich denke schon, dass man als Autor oft seinen Figuren zu wenig Kontraste gibt, zu wenig ihre Heldenqualitäten herausarbeitet, sich nicht traut, sie ganz und gar ans Licht zu holen. Donald Maass gibt da übrigens in seinem Workbook "Writing the Breakout Novel", wie ich finde, tolle Beispiele aus ganz verschiedenen Romanen (literarischen Werken als auch Genre) zur Charakterentwicklung.

 

Ich finde seine Übungen und Tipps, zum Überarbeiten von Manuskripten, gerade was Figuren betrifft, absolut genial. Denn ja, in den Romanen, die Leute unbedingt lesen wollen (so wie es ja auch Stephen King immer wieder gelingt!), sind es natürlich die Figuren, die den Leser fesseln. Und wenn die nicht z.B. so was wie "larger than life Character Qualities" haben, wie Maass z.B. eine Eigenschaft nennt, die auf einen tiefen Seelenwert abzielt (z.B. Wahrhaftigkeit, Integrität, bedingungslose Liebe...also Werte, die nicht dem Ego dienen, sondern der Welt), ist es schwer den Leser davon zu überzeugen, seine kostbare Zeit mit der Figur zu verbringen.

Unter Character Development gibt er .B. Übungen zu den Punkten: 1 "From Pratagonist to hero",  2 "Multidimensoinal Characters", 3 "Inner Conflict", 4 "Larger-than-life Chracter Qualities", 5 "Hightening Larger-than-life Chracter Qualities", 6 "Character Turnabouts and Surprises", 7 "Personal Stakes" 8 "Ultimate Stakes"

 

Alle Übungen zielen eigentlich daraufhin, den bestehenden Charakter noch mehr herauszuschnitzen und die Kontraste wirklich erkennbar zu machen. Ich sehe das mittlerweile nicht als Übertreibung, sondern als nötige Maßnahme, die es dann später dem Leser ermöglicht, die Figur wirklich zu erkennen in all ihren Details.

 

Stephen King beschreibt in seinem "On Writing" den Prozess des Schreibens ja auch als einen, wo man sozusagen wie ein Archäologe versucht, etwas zu heben, das schon in all seinen Facetten eigentlich da ist. Seine Aufgabe sieht er darin, das Ding so unversehrt wie möglich zu heben - zuerst mit Hammer und Meißel, wo auch schon mal was kaputt gehen kann, aber dann all den Staub und Sand zu entfernen und zwar mit Pinselchen und darauf bedacht, alles so klar als möglich freigelegt wird.

Bearbeitet von JulianeB

"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen."

Erich Kästner Vorträge und Lesungen einstudieren  und  Autorenseite Juliane Breinl

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In deutscher Übersetzung, liebe Ramona (ich lese auf der Arbeit schon so viel englische Texte, dass ich privat deutsche Versionen vorziehe). Ich glaube aber nicht, dass das etwas Wesentliches ändert. Aber ich mag mich täuschen.

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Als ich meinen ersten Roman geschrieben habe, hat mir damals eine Lektorin darauf zurückgemeldet, dass meine Figuren alle dieselbe Sprache sprächen. Ich habe das damals nicht verstanden und dachte: Ja, alle sprechen Deutsch ... hä? Erst später realisierte ich, was sie damit meinte und verfiel ins andere Extrem; habe gewisse Charaktere Dialekt sprechen lassen, oder geschwollen, oder voller Fremdwörter. Auch nicht super!

Mittlerweile versuche ich gewisse subtile Unterschiede zwischen den sprechenden Figuren zu machen. Das geschieht aber eher unbewusst. Ich setze mich also nicht hin und entwerfe eine bestimmte Sprache für einen bestimmten Charakter. Das ergibt sich oft aus dem vorhergehenden Leben der Personen. Ob Stephen King das bewusst tut, kann ich nicht sagen. Vermutlich hat er einfach so viel Erfahrung, dass das bei ihm automatisch geschieht.

Ich bin ein grosser King-Fan. Schon seit es noch nicht cool war, King cool zu finden, und  man sich dafür beinahe entschuldigen musste. Und ja, auch ich bewundere seine Art, Figuren mit zwei, drei Sätzen Leben einzuhauchen und plastisch darzustellen. Ich versuche das natürlich auch immer wieder mal, es gelingt mir aber leider nicht. Aber vielleicht werde ich langsam besser darin, wer weiss.

 

Vllt. hat jemand von euch den Anfang von „Mr. Mercedes“ gelesen (mit Blick ins Buch übrigens anzulesen)? Da schafft es King im ersten Kapitel sofort, eine komplette Kleinstadtwelt aufzubauen. Man hat jede Figur darin sofort vor Augen. Klasse! Und danach merkt man (Achtung Spoiler!), dass diese Charaktere ihren ersten und einzigen Auftritt hatten. Ich war sogar ein bisschen enttäuscht deswegen, weil ich den Mann und auch die Frau sofort ins Herz geschlossen hatte.  

 

Dass King öfter mal übertreibt, ist mir auch schon aufgefallen, aber komplett egal. Ich verzeihe ihm beinahe alles. Mir wurde aber auch schon mal von jemandem aus dem Literaturbetrieb geraten, mehr mit Stereotypen zu arbeiten. In meinem Genre stört das (vermutlich?) nicht oder wird sogar erwartet. Doch natürlich versuche ich immer, das alles eher subtil und nicht mit dem Holzhammer anzugehen, immerhin hat man ja auch Ansprüche an sich selbst.

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Sehr interessant. Ich glaube inzwischen auch, dass der Versuch, dezent zu sein, bei der Charakterzeichnung nicht viel bringt. Gerade Nebenfiguren müssen prägnant und präzise sein, aber auch die Hauptfiguren, brauchen, wie Juliane sagt, deutliche Kontraste. Sehr schwer, gerade bei einer Perspektivfigur, die man nicht allzu überdreht, eben doch realitätsnah, "vernünftig" (anstatt übertrieben naiv und emotional), zeichnen möchte.

 

Donald Maass werde ich mir genauer anschauen.

 

Viele Grüße

Anna

               Website Anna             Instagram            

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Inzwischen habe ich mir mal über "Blick ins Buch" die ersten Seiten von Kings "The Stand-Das letzte Gefecht" durchgelesen. Die Dialoge sind alle überspitzt-hinterwäldlerisch und unterscheiden sich in ihrer Intensität und dem Gebrauch von Wörtern wie "scheiß", Jesus und Maria" oder vom Baby "Hab deslavn". Außerdem durch die Hintergrundinformationen zu ihrem Leben. Ferner werden sie charakterisiert durch Äußerlichkeiten wie die mit dem Rentner, der seine stinkenden selbst gedrehten Zigaretten raucht, weil er sich andere nicht leisten kann. Den wird man nicht mehr vergessen und immer wiedererkennen! Drittens unterscheiden sie sich dadurch, wie sie auf den Chevrolet reagieren, der schlingernd und mit verschmutzter Windschutzscheibe angefahren kommt und die Tanksäulen umnietet.

 

Das macht er aus dem Ärmel heraus. Ist aber ein Anhaltspunkt, wie man es machen könnte. :D

Bearbeitet von Christa
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Ich denke auch, dass eine solche Überzeichnung die einzelnen Figuren für den Leser besser greifbar macht. Ich tue mich damit aber noch schwer, vor allem, wenn es um das Innenleben geht. Denn ich erlaube meinen Protagonisten gerne mal ambivalente Charakterzüge. Hin und wieder bekomme ich dann die Rückmeldung, dass Leser durchaus ihre Probleme damit haben, diese Figuren zu erfassen. Eine optische und verbale Überzeichnung hingegen verleitet mich zu Klischees, und eine zu starke Überzeichnung könnte bestimmt nervig sein. Es ist alles nicht so einfach. :D

~~~ Carina alias C. R. Scott ~~~

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Christine Spindler

Ein sehr interessantes Thema.

 

Ich denke, wenn man einige Figuren überzeichnet, ist es ein gutes Stilmittel. Wenn man es mit zu vielen Figuren macht, wirkt es u.U. gekünstelt.

 

Ich bin mir oft nicht sicher, ob ich eine Figur schon überzeichne oder ob ich noch viel zu "brav" bin. Ein wichtiges Merkmal für Letzteres: ich langweile mich beim Schreiben. Dann weiß ich, dass ich noch eine Schippe drauflegen muss.

 

So ergeht es mir gerade mit einem Protagonisten, der zwar ein wichtiges Ziel verfolgt und mit Leib und Seele dabei ist, aber dennoch flach rüberkommt. Irgendwie braucht er eine bessere "Attitude". Ist manchmal gar nicht so einfach, den richtigen Zugang zu finden.

 

Danke übrigens für den Buchtipp, Juliane. Klingt nach genau dem, was ich gerade benötige.

 

Liebe Grüße

Christine

Hört mal rein in meinen Podcast: https://anchor.fm/tinazang

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Sebastian Niedlich

So ergeht es mir gerade mit einem Protagonisten, der zwar ein wichtiges Ziel verfolgt und mit Leib und Seele dabei ist, aber dennoch flach rüberkommt. Irgendwie braucht er eine bessere "Attitude". Ist manchmal gar nicht so einfach, den richtigen Zugang zu finden.

 

Wenn ein Charakter "langweilig" ist, dann liegt es oftmals daran, dass er

  • zu "perfekt" ist, d.h. keine Schwächen hat
  • keine Probleme hat, die ihn großartig beschäftigen, d.h. ihm nicht genug Steine in den Weg gelegt werden (Wie reagiert er auf diese Probleme?)
  • kein Leben neben dem im Buch hat, d.h. vielleicht nicht genug Backstory vorhanden ist
  • keine eigene "Stimme" hat, d.h. nicht aus der Masse hervorsticht
  • keine Passion oder gar Obsession hat

Zumindest letzteres scheint ja nicht dein Problem zu sein. Und die Attitüde ist definitiv auch etwas, worauf man achten sollte. Wenn die Figur auf eine normale Situation auf eine ungewöhnliche Weise reagiert, macht es sie natürlich wesentlich interessanter.

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Christine Spindler

Danke, Sebastian,

 

ich habe den Protagonisten gründlich "abgeklopft" und ihn dann einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Als Frau ist er/sie besser geeignet, den psychologischen Kampf auszufechten, der bevorsteht. Und mehr Passion/Obsession kommt dadurch auch ins Spiel.

 

Liebe Grüße

Christine

Hört mal rein in meinen Podcast: https://anchor.fm/tinazang

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Christine Spindler

Noch eine kurze Anmerkung: Ich schaue gerade zum x-ten Mal die Serie "Malcom mittendrin". Die Charaktere sind extrem überzogen. Und genau das macht es so unterhaltsam. Das gekonnt rüberzubringen ist sowohl für die Drehbuchautoren als auch für die Schauspieler vermutlich gar nicht einfach.

 

Liebe Grüße

Christine

Hört mal rein in meinen Podcast: https://anchor.fm/tinazang

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