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KarinKoch

Das Buch der seltsamen neuen Dinge von Michel Faber

Empfohlene Beiträge

In den letzten fünfzehn Jahren hat mich kein Buch derart mitgerissen, durchgerüttelt und erfreut wie dieses.

Es ist die Geschichte des christlichen Missionars Peter und seiner Frau Bea. Die eine versucht, ihr Leben auf einem in vielerlei Hinsicht erschütterten Planeten namens Erde zu bewältigen, während der andere auf einem Millionen Lichtjahre entfernten Stern den dort lebenden Wesen die Heilige Schrift und ihre frohe Botschaft nahe bringen soll.

 

Sie schreiben sich Mails, Bea und Peter, sie versuchen das, was um sie herum geschieht, in Worte zu fassen und scheitern doch immer wieder am Unerklärbaren. Wie soll Peter seiner Frau die befremdlichen und beglückenden Begegnungen mit den Einheimischen begreiflich machen, wenn sie gleichzeitig ihren immer härter werdenden Alltag kaum bewältigt?

Während die Kommunikation mit seiner Frau immer frustrierender wird, fühlt sich Peter zunehmend von der scheinbar schlichten Frömmigkeit der fremdartigen Wesen angezogen. Er stürzt sich in seine Aufgabe und merkt erst spät, warum der Konzern USIC ausgerechnet ihn auswählte, und welche Mission er wirklich hat.

 

Teilweise fühlte ich mich beim Lesen an John Irvings Owen Meany erinnert. Nicht wegen der vielen Bibelzitate, die in beiden Geschichten schon mal nerven können, sondern wegen der Thematik: Die Erschütterung des eigenen Glaubens. Aber während sich bei Owen Meany am Ende alles auf eine beglückend perfekte Art und Weise zusammenfügt, driftet es in dieser Geschichte gleichermaßen erschreckend auseinander.

Trotzdem fühlt man sich bei beiden getröstet und bereichert.

 

Das Buch der seltsamen neuen Dinge wird sicher eines von denen sein, die ich mit Gewinn mehrmals lese.

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Inzwischen habe ich das Buch zu Ende gelesen, Karin, und mich hat es auch beeindruckt. Ein Roman über Aliens und eine fremde Welt, der gerade nicht auf das Fremde und Spektakuläre setzt, sondern sehr vertrauten Fragen nachgeht. Zum Beispiel, was mit der Liebe zwischen zwei Menschen passiert, wenn sich die beiden in völlig unterschiedlichen Welten bewegen, mit ganz verschiedenen Freuden, Ängsten, Katastrophen konfrontiert sind. Aber auch, was für ein Mensch man sein müsste, um gut mit diesem Leben im Nirgendwo zurechtzukommen, das die Kolonisten auf dem neuen Planeten führen. Oder wie es kommt, dass die einen mit Glaube/Liebe/Hoffnung auf die Welt blicken und die anderen mit Verzweiflung oder Wut oder Zynismus.

 

Was mir dabei besonders gut gefallen hat, war, dass in diesem Roman alle Personen zu ihrem Recht kommen. Niemand wird denunziert oder bloßgestellt oder lächerlich gemacht. Nicht einmal der eine Verrückte (um hier nicht mehr zu verraten). Und auch nicht die Hauptfigur Peter (und das, obwohl ich für dessen Spielart des Christentums eigentlich wenig übrig habe). Er nervt manchmal, aber das muss sein. ;-) Und die fremde Welt mitsamt ihrer Bewohner sind einfach wundervoll beschrieben. In der ersten Zeit nach Peters Ankunft gab es da für mein Gefühl ein paar Längen. Aber abgesehen davon fand ich den Roman rundum gelungen.

 

PS: Owen Meany kenne ich nicht, aber John Irving ist auch so richtig nicht mein Fall. Von daher bin ich froh, dass Faber mich kein bisschen an ihn erinnert … ;-)

Bearbeitet von BarbaraS
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Ja, das stimmt, Barbara, selbst die Handlungen der schrulligsten Protagonisten bleiben nachvollziehbar.

Die Beschreibung der ersten Tage auf der Station wären langweilig, wenn sie nicht auch die tatsächliche Leere abbildeten, die Peter dort vorfand. Ich konnte seine Gefühle von Verlassenheit und Verunsicherung gut mitfühlen. Und die erste Begegnung mit den Aliens aus seiner Perspektive war fast ein wenig zum Gruseln, so naiv ist er auf sie zu gegangen.

Aber ist die Idee für einen solchen Plot nicht allein schon großartig: ein christlicher Missionar auf einem fremden Planeten?

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Aber ist die Idee für einen solchen Plot nicht allein schon großartig: ein christlicher Missionar auf einem fremden Planeten?

 

Auf jeden Fall. Und ich finde es ganz toll gestaltet, wie er trotz aller missionarischen Freude immer ein bisschen unsicher bleibt, was sich die Aliens nun eigentlich genau von ihm – und der Bibel – erhoffen. Am Ende hat er ja eine Theorie (soviel kann man verraten, oder?), aber die fand ich eigentlich ziemlich anthropozentrisch. Gerade diese große Offenheit hat mir an dem Roman sehr gut gefallen.

 

Was die Leere kurz nach seiner Ankunft angeht, könntest du recht haben. Evtl. braucht es sogar diese Längen. Ich habe da halt ein bisschen geseufzt … Beim Perlentaucher habe ich übrigens gesehen, dass ein Rezensent (bei der FAZ, glaube ich) den Roman als langweilig bezeichnet hat. Der hatte dann wohl ein richtiges SF-Spektakel erwartet. Während es für mich gerade die Stärke des Romans ausmacht, dass er ohne Spektakel auskommt.

 

Kennst du eigentlich noch andere Romane von Michel Faber? Im englischen Klappentext heißt es, dies sei bereits sein zweites Meisterwerk, nach The Crimson Petal and the White, was offenbar auch übersetzt wurde: Das karmesinrote Blütenblatt. Ich hatte, ehrlich gesagt, vorher noch nie von ihm gehört.

Bearbeitet von BarbaraS
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Das karmesinrote Blütenblatt habe ich angefangen, aber bisher nicht weitergelesen, obwohl es eigentlich einen interessanten Einstieg in eine interessante Umgebung und Epoche bietet. Womöglich nehme ich es auf meine Radtour mit, da kommt so ein Schinken gerade recht ...

 

Wenn ich es richtig erinnere, hat M. Faber nur drei Bücher geschrieben, und während er das letzte schrieb, verstarb seine Frau an Krebs. Daher wahrscheinlich auch der Verlauf im letzten Drittel.

 

Die anthropozentrische Theorie, wie du sie so treffend nennst, ist dann aber schon auch wieder so typisch Peter, dessen Horizont immer so ein kleines bisschen begrenzter ist, als der der Leser. Ein Teil des Lesevergnügens resultiert ja häufig daraus, dass man sich immer ein wenig schlauer fühlen darf, als der Protagonist, oder die Protagonistin. :)

Bearbeitet von KarinKoch
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Die anthropozentrische Theorie, wie du sie so treffend nennst, ist dann aber schon auch wieder so typisch Peter, dessen Horizont immer so ein kleines bisschen begrenzter ist, als der der Leser.

 

Ja, da ist vieles ganz toll ausbalanciert, oder? Z. B. dass er die Nachrichten von der Erde eine Weile so energisch von sich wegschiebt – während ich als Leserin sie natürlich aufnehme, und ich glaube fast, sie wirken gerade deshalb so intensiv, weil sie im Text bruchstückhaft bleiben.

 

Danke für die Infos zum "Blütenblatt"! Interessant, wie stark sich beide Romane offenbar in Setting und Thema unterscheiden. Ich glaube, ich werde da erst einmal passen. Historische Romane sind nicht so ganz "meins".

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Eure Beschreibungen hier haben mich so neugierig gemacht, dass ich das Buch auch gelesen habe.

 

Mir gefällt sehr gut diese Mischung aus einem Setting, das man eher mit Popkultur verbindet (fremder Planet! Aliens! Welt geht den Bach runter!) und den philosophischen Fragen, die aufgeworfen werden.

 

Das Buch hat seine Längen, trotzdem fand ich es gleichzeitig auch sehr spannend. Das Ende habe ich als etwas unbefriedigend empfunden, aber vielleicht war das Absicht. 

 

Jedenfalls hatte ich seit langem erstmals das Gefühl etwas richtig Frisches und Innovatives gelesen zu haben.

 

Vielen Dank für die Empfehlung!

 

Gibt es etwas ähnliches von einem deutschsprachigen Autoren/ einer Autorin?

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Neugierig durch die Posts habe ich mir das Buch aus der Bibliothek besorgt (im Klappentext steht, dass M. Faber insgesamt neun Romane geschrieben hätte, aber es werden nur zwei genannt: Die Weltenwanderin, Das karmesinrote Blütenblatt).

Mich hat der Roman sehr bewegt. Ich fand gar nicht, dass man dem Protagonisten als Leser immer schon voraus ist. Obwohl seine Art der Spiritualität nicht meine ist, fand ich seine Herangehensweise, vor allem die Gespräche auf der Basis, oft sehr interessant. Das Missionarische selbst - den Ureinwohnern gegenüber - ist allerdings etwas, was ich nicht nachvollziehen kann.

Die Schilderungen des Planeten, seine physikalischen Gegegebenheiten, fand ich unglaublich gut, sehr eindrücklich beschrieben. Und der "Briefwechsel" mit seiner Frau ... so viel Wahrheit darin meiner Meinung nach, so viel Versuch, es richtig zu machen und sich doch immer mehr voneinander zu entfernen ...

Das Ende fand ich - trotz aller Beschreibungen, was auf der Erde abläuft - irgendwie hoffnungsvoll, um das aber weiter auszuführen, müsste ich spoilern, das möchte ich nicht. Insgesamt fand ich viele einzelne Sätze, die mich sehr zum Nachdenken angeregt haben und es noch tun. Was ich vor allem mitnehme: Sich den Dingen, wie sie dort sind, wo man ist, auszusetzen, sich ihnen zuzuwenden und sie im wahrsten Sinne des Wortes zu "begreifen" zu versuchen, scheint mir die bessere Herangehensweise an das Leben zu sein.

Danke für die Buchempfehlung.

Bearbeitet von KerstinH
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