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DirkH

Eine Figur beschreiben

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Wie stellt Ihr Eure Figuren dem Leser vor? Beschreibt ihr das Aussehen? Wenn ja: Wie ausführlich und mit welchen Mitteln?

 

Heinrich Böll z.B. äußerte in einem Interview einst er konzentriere sich auf die Beschaffenheit von Haut, Zähnen und Haar, zusätzlich beschreibe er den Geruch und verwende Farbvergleiche aus dem Lebensmittelsektor. 

 

Was ist Euer liebstes Handwerkszeug?

 

 

 

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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Mein Werkzeug ist die Perspektive.

Auftauchende Figuren werden so beschrieben, wie die perspektivtragende Figur sie wahrnimmt. Worauf achtet sie, womit assoziiert sie, was bemerkt sie überhaupt. (Die blonden langen Haare meiner besten Freundin würden mir persönlich z.B. nur auffallen, wenn die Freundin gestern noch kurze braune gehabt hätte ;)  aber ich habe da auch kein gutes Augen für und bin zum Glück auch keine Figur. )

Das führt dann natürlich dazu, dass die eine Figur eher auf Haare achtet, die nächste auf Geruch, wieder eine vergleicht vielleicht gern mit Promis. Manchen ist es auch egal, dann wird gar nichts beschrieben. 

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Hallo,

 

wie Jenny halte auch ich die Perspektive für sehr wichtig. Ich glaube, es macht auch Sinn, sich nur auf ein bis zwei wirklich hervorstechende Merkmale zu konzentrieren. Was ich selbst beim Lesen immer recht ermüdend finde: Wenn mir die Figur in allen Details von der Haarspitze bis zu den Zehen beschrieben wird (überspitzt gesagt). Eine gute Beschreibung ist auch unauffällig in den Text hineingearbeitet und findet ein schnelles, pointiertes Bild.

 

Ein aus der Hüfte geschossenes Beispiel, um einen Mann zu beschreiben: "Er war lang und hager. Sein blonder Kopf saß auf einem dünnen Hals, ja, alles wirkte an ihm, als hätte man ihn in einen Schraubstock gespannt und in die Länge gezogen. Er erinnerte mich an einen Reiher. Auf seinen langen Beinen stakste er mehr, als dass er ging."

 

Mir würde das Bild dann an der Stelle schon genügen. Mehr (Augenfarbe, Hautfarbe, Beschaffenheit der Hände, Geruch, etc.) muss ich erst mal nicht wissen, das kann man dann später bei Gelegenheit immer noch nebenbei mal einbauen, wenn man zB erzählt, wie der Mann nach etwas greift und dabei dann auch die rissige Haut an seinen Handflächen bemerkt oder dergleichen. Ein guter Weg ist es, denke ich, erst einmal ein schnelles, einprägsames Bild zu finden, und alles Weitere kann man später nachreichen. Zuerst aber wieder weiter mit der Geschichte.

 

Würde der Ich-Erzähler aus dem Beispiel die beschriebene Person schon kennen, würde ich im Übrigen - wie auch Jenny - gänzlich auf die Beschreibung verzichten. Dann würde da nur stehen: "Ich traf Herbert in der Kneipe." (Auch da kann man natürlich im Kontext der Erzählung das eine oder andere Merkmal subtil einbauen, zB: "Ich traf Herbert in der Kneipe, der seine Storchenbeine umständlich um den Barhocker wickelte." - aber ich würde eben nicht anfangen, diese Person zu beschreiben.)

 

Viele Grüße

 

Thomas

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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Interessant. Das bedeutet, dass Ihr den Protagonisten, aus dessen Perspektive erzählt wird, nicht beschreibt?

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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Interessant. Das bedeutet, dass Ihr den Protagonisten, aus dessen Perspektive erzählt wird, nicht beschreibt?

 

Nur mit kleinen Kniffs. Im Dialog, wenn andere Figuren Komplimente oder Kritik loslassen oder der Protagonist über sein Äußeres nachdenkt, was aber zwingend zur Geschichte passen muss, sonst wirkt es so konstruiert.

 

In der "Novemberschokolade" z.Bsp. wird das Äußere der Hauptfigur erst auf S. 15 erwähnt, als sie ein Foto ihrer Eltern betrachtet, als diese noch sehr jung sind (zum Verständnis: der Vater war wie die Hauptfigur Chocolatier)

 

"Für meinen Vater stellte nicht die Nase, sondern die Zunge das wichtigste Arbeitsinstrument dar. Sein unübersehbarer Bauch zeugte von seiner gewissenhaften Arbeit. Meine Mutter war noch so jung. Eine blonde Elfe, feingliedrig, zart wie ein Lufthauch. Ich hingegen habe die braunen Locken meines Vaters geerbt, das runde Gesicht und Füße, mit denen man fest auf dem Boden stehen kann."

 

Ich weiß natürlich nicht, ob es gelungen ist, da ich aber keine andere Perspektivfigur in diesem Roman habe, musste ich zu so einem Kniff greifen. Wenn die Perspektivfiguren sich abwechseln, ist es leichter, dann können sie die jeweils andere ja in ihren Gedanken beschreiben - wenn sie diese kennenlernen oder irgendetwas geschieht, was die Aufmerksamkeit auf das Äußere lenkt.

 

Beschreibungen von Personen, die sich kennen, geschickt einzuflechten, finde ich gar nicht so einfach.

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Interessant. Das bedeutet, dass Ihr den Protagonisten, aus dessen Perspektive erzählt wird, nicht beschreibt?

 

Nur mit kleinen Kniffs. Im Dialog, wenn andere Figuren Komplimente oder Kritik loslassen oder der Protagonist über sein Äußeres nachdenkt, was aber zwingend zur Geschichte passen muss, sonst wirkt es so konstruiert.

 

 

 

 

Exakt. In Romanen für Erwachsene gehe ich mehr und mehr dazu über, das Äußere der Perspektivfigur gar nicht mehr zu beschreiben, sofern es sich nicht regelrecht aufdrängt. Ist ja auch meist nicht so wichtig, ob die nun ne große oder ne kleine Nase haben. 

​im Jugendbuch muss man tricksen wie Ulrike schreibt - die wollen Haar- und Augenfarbe einfach unbedingt zeitnah erfahren (um passende Schauspieler zuzuordnen). 

 

Wie Ulrike finde ich es auch am schwierigsten, Personen zu beschreiben, die die Hauptfigur gut kennt. Ich habe mich schon dabei ertappt, dass die beste Freundin auffallend oft gerade beim Friseur war  :D 

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Hallo Dirk,

 

ich versuche die Figur über Vergleiche und Tätigkeiten zu charakterisieren.

 

 

Einmal im Jahr nutze ich den Aufzug im Bürogebäude. Immer dann, wenn, am Sonnabend vorher der Rennsteiglaufmarathon war und die Beine am Montag noch erholungsbedürftig sind. Eine Aftershave-Wolke nähert sich und die gehört nur zu einem – dem Schönling aus der IT-Abteilung. Ich weiß, was er gleich sagen wird – 'Hallo Bärbelchen!', obwohl ich größer als er bin. Danach bin ich auf aggressiv getrimmt und hoffe, der Aufzug bleibt nicht stecken.

„Hallo Bärbelchen“, kommt von ihm, als er neben mit steht, mir übertrieben höflich den Vortritt lässt und ich ihn mit meinen Blicken durchbohre.

„Wie kann man am Montag nur so auf Krawall gekämmt sein, Bärbelchen, oder war der Marathon am Sonnabend zu anstrengend?“ fragt er und seine Finger sind schneller auf den Etagenknöpfen, als meine. Die Tür schließt sich und mit einem Ruck setzt sich der Aufzug in Bewegung.

„Bärbelchen, wenn wir jetzt stecken bleiben, müssen wir uns mindestens für eine halbe Stunde, diesen Raum teilen“, bloß nicht denke ich, dass wäre die Hölle auf Erden, „und willst du mich dann die ganze Zeit anschweigen?“

„Wir können uns ja über die Zugriffsoptimierung in verteilten Datenbanken unterhalten“, provoziere ich ihn.

„Bärbelchen, ich weiß, dass das dein Spezialgebiet ist, aber in der Enge eines steckengebliebenen Aufzuges gibt es doch sicher reizvollere Themen, oder?“

Seine Augen tasten mich Zentimeter für Zentimeter ab, seine Gedanken scheinen mich ebenso scheibchenweise zu vernaschen und ich bereue es, heute früh ein figurbetonendes T-Shirt ausgewählt zu haben, obwohl ich es mir leisten kann. Der Aufzug bleibt in der vierten Etage stehen, die Tür öffnet sich und er verabschiedet sich mit, „ich wünsche dir trotzdem einen schönen Montag, Bärbelchen!“

I Don't Like Mondays – wurde ich ihm am liebsten durch die sich wieder schließende Tür hinterherrufen.

 

Was ist über die Ich-Person bekannt?

Name: Bärbel - indirekt über die Anmache des IT-Schönlings

Figur: sportlich, schlank (Marathonläuferin, figurbetonendes T-Shirt)

          attraktiv (Beobachtungen durch den IT-Schönling)

Größe: größer als Durchschnittsfrau (Schönlinge sind keine Zwerge und sie ist größer), daraus ergeben sich automatisch die restlichen Körperproportionen

Eigenschaften: schlagfertig, lässt sich aber auch leicht provozieren, kann Männer, die ihr Ego durch Duftwässerchen übertrieben aufpeppen oder mit plumper Anmache kommen, nicht ausstehen

Beruf: IT-Bereich

Alter: Ende 40 / Anfang 50 - I Don't Like Mondays, Bob Geldof, 1979 (die 70iger/80iger müssen also ihre Jugendzeit gewesen sein)

 

Das reicht meiner Meinung nach für den Anfang aus, der Rest kommt nach und nach.

 

Viele Grüße

Dietmar

Bearbeitet von Dietmar
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Ich beschreibe meine Figuren so gut wie gar nicht ( mehr ), höchstens mal die Größe oder die Art, wie sie gehen.
Als Leserin verwirrt es mich total, wenn mein Kopfkino angeht und der Protagonist für mich blond und schlaksig ist, der Autor ihn aber als brünett und mopsig beschreibt.

Die Elemente des Lebens - Januar `24 (Aufbau Verlag) ~ Agatha Christie - Juni `24 (Aufbau Verlag)

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Ich beschreibe meine Figuren so gut wie gar nicht ( mehr ), höchstens mal die Größe oder die Art, wie sie gehen.

Als Leserin verwirrt es mich total, wenn mein Kopfkino angeht und der Protagonist für mich blond und schlaksig ist, der Autor ihn aber als brünett und mopsig beschreibt.

 

Ich gehöre auch zu jenen, die eher weniger beschreiben. Und ich denke, dass man eine Figur möglichst rasch bei ihrem ersten Auftritt beschreiben sollte, um eben solche Diskrepanzen, wie von dir angesprochen, zu vermeiden. Wenn ich eine Figur schon über 200 Seiten lang verfolge und blond und schlaksig vor mir stehen habe, doch dann ist sie plötzlich brünett und mopsig, dann ärgert mich das auch.

 

So ganz auf Figurenbeschreibungen verzichten möchte ich aber auch nicht. Nur eben sparsam eingesetzt und mit Fokus auf ein, zwei wirklich hervorstechende Merkmale. 

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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Danke für die vielen Antworten. Die Perspektive zählt scheinbar für alle. 

 

Oft lese ich die Beschreibung einer Figur als Möglichkeit ihren Charakter anzudeuten. Ulrike macht das wunderbar vor mit den "Füßen, mit denen man fest auf dem Boden stehen kann". In solchen Fällen geht es ja nur zweitrangig um das äußere Erscheinungsbild. Die Füße sieht man eher selten, und Vergleiche mit Prominenten bieten sich auch kaum an (Er hatte Füße wie John Travolta?). Um nochmal auf Böll zurückzukommen: Seine Schurken haben meist schlechte Zähne.

 

Ist das zeitgemäß? Nimmt es für Euch zuviel vorweg? Oder ist es eine schöne Möglichkeit, den Leser mit einer Figur bekannt zu machen, damit man gleich weiß, wohin die Reise geht?

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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Um nochmal auf Böll zurückzukommen: Seine Schurken haben meist schlechte Zähne.

 

Es steht mir absolut nicht zu, was gegen einen Literaturnobelpreisträger und dessen Handwerk zu sagen, aber, ehrlich gestanden, finde ich es ungünstig, die Unterteilung ist charakterlich gut/schlecht über äußerliche Merkmale vorzunehmen. Wenn es sich bei dem Schurken um jemanden aus einer sozial schwachen Schicht handelt, der sich keinen Zahnarzt leisten kann und deshalb schlechte Zähne hat, und weil er eben sozial schlecht gestellt ist, behilft er sich mit Gaunereien und wird dadurch zum Schurken - okay, dieser Kette kann ich dann absolut folgen, das macht für mich dann auch Sinn. Die schlechten Zähne sind dann ein völlig nachvollziehbares Charakteristikum. Aber wenn ein Schurke einfach dadurch gekennzeichnet wird, dass er - ohne weiteren Hintergrund - eben schlechte Zähne oder einen üblen Atem oder eine hässliche Warze hat, dann reicht mir das nicht aus. Dann denke ich: Hier hat es sich der Autor/die Autorin zu einfach gemacht.

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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Ich denke, es kommt sehr wesentlich auf das Genre an, in dem man sich bewegt. Bei Krimi oder Romance brauchts sicher was anderes als bei Chick-Lit...

 

Meine aktuelle Hauptperson hat nicht zu bändigende rote Haare. Diese Haare sowie ihre oft unüberlegten Handlungen sind prägend für die Geschichte. Also schildere ich die rote Mähne bei ihrem ersten Auftritt. Ihre Mitspielerin ist eine eher unauffällige graue Maus,und auch das stelle ich anhand ihrer Frisur dar.

Falls nötig folgen weitere Äußerlichkeiten - sparsam eingesetzt!- im Verlauf der nächsten Szenen. 

 

Die Crux ist ja zu Beginn einer Geschichte, die handelnden Personen vorzustellen und ihre Konflikte frühzeitig zumindest anzudeuten. Da sind typische äußerliche Merkmale der Beteiligten oft hilfreich.

 

LG

Doris

MAROKKO-SAGA: Das Leuchten der Purpurinseln,  Die Perlen der Wüste,  Das Lied der Dünen; Die Wolkenfrauen

Neu seit März 2020: Thea C. Grefe, Eine Prise Marrakesch

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Danke für die vielen Antworten. Die Perspektive zählt scheinbar für alle. 

 

Oft lese ich die Beschreibung einer Figur als Möglichkeit ihren Charakter anzudeuten. Ulrike macht das wunderbar vor mit den "Füßen, mit denen man fest auf dem Boden stehen kann". In solchen Fällen geht es ja nur zweitrangig um das äußere Erscheinungsbild. Die Füße sieht man eher selten, und Vergleiche mit Prominenten bieten sich auch kaum an (Er hatte Füße wie John Travolta?). Um nochmal auf Böll zurückzukommen: Seine Schurken haben meist schlechte Zähne.

 

Ist das zeitgemäß? Nimmt es für Euch zuviel vorweg? Oder ist es eine schöne Möglichkeit, den Leser mit einer Figur bekannt zu machen, damit man gleich weiß, wohin die Reise geht?

 

Ich beschreibe Figuren meist nicht so genau, was das Äußere betrifft. Dabei versuche ich aber, neben ein paar Worten zur äußerlichen Erscheinung, etwas über den Charakter zu vermitteln, zumindest den Eindruck, den die Figur bei dem jeweiligen Betrachter hinterlässt, oder welche Gedanken er sich dazu macht.

 

Hier ein kleines Beispiel:

 

 

"Bei Oðin!”, sagt Anund erneut. "Wie lange ist es jetzt her?”

"Vierzehn Jahre, Schwager.”
"Vierzehn Jahre! Wie die Zeit verfliegt.”
In der Tat. Und mit einem gewissen Schock stelle ich fest, dass Anund gealtert ist. Man selbst merkt kaum, dass man älter wird. Erst wenn man nach vielen Jahren einen alten Freund wieder trifft, so wie jetzt, erkennt man, wie schnell und unerbittlich die Zeit an uns vorüberzieht. Anund ist immer noch ein beeindruckender Mann, aber an die schweren Tränensäcke, die jetzt unter seinen Augen liegen, an die grauen Haare und die Furchen um seinen Mund kann ich mich nicht erinnern. Außerdem hat er zugenommen und sich einen Bauch zugelegt. Zweifellos dem guten Leben geschuldet, mit Bier und fetttriefendem Fleisch. Doch das freundliche Grinsen in seinen Augen ist das gleiche geblieben. Deshalb sollte man ihn aber nicht unterschätzen. Im Volksmund nennt man ihn Anund Kolbränner, weil er Gesetzesbrechern zur Strafe das Haus abfackelt.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Für mich hängt das sehr stark vom Genre ab. Wenn es darum geht, dass es beim Lesen prickeln soll, in einem Rote-Ohren-Buch, ist das Aussehen sehr wichtig, da darf man ruhig auch Klischees noch und nöcher nutzen. Breitschultrige Kerle mit Waschbrettbauch, zarte Haut bei Mädels ... Das kann man, wie Jenny schreibt, dadurch machen, dass die Leute sich bei wechselnden Perspektivfiguren gegenseitig betrachten (und wenn man sich von jemandem sexuell angezogen fühlt, achtet man auf das Äußere und Geruch und zarte Haut und kratzende Bartstoppeln und so was alles, weil man den Menschen dann so intensiv wie möglich wahrnehmen möchte).

 

***

 

Ansonsten, wenn es mehr um innere Prozesse geht, kann der Blick in den Spiegel durchaus eine Möglichkeit sein, finde ich. Nicht, um kurz einen allgemeinen Check zu machen (blonde Haare liegen, Check, kleine Nase sieht aus wie immer, Check), sondern um beim Anblick der eigenen Außenseite die eigenen inneren Defizite spürbar zu machen. Dann hat man einen Konflikt.

 

Bsp:

 

(Die Freunde der Figur haben ihr soeben geraten, sich die Stirn waschen zu gehen, weil sie im ersten Moment glaubten, Cherry habe sich am Kopf verletzt. Es ist ein heißer Julitag und sie hat sich am Vorabend die Haare rot nachgefärbt. Jetzt schwitzt sie und der Schweiß färbt sich durch die Pigmente. Eine peinliche Situation, wo sie doch für ihren heimlichen Schwarm besonders hübsch aussehen wollte ...)

 

"Sie lehnte [es] im Vorraum der Toilette an den Korb mit den benutzten Papierhandtüchern und musterte ihr Gesicht im Spiegel. Der Schweiß hatte die restliche Farbe aus den Haaren gewaschen und ihre Stirn damit verschmiert. Es sah tatsächlich aus, als hätte sie sich eine Kopfverletzung zugezogen.

 

„Wie hässlich du bist“, beschuldigte Cherry ihr Spiegelbild, statt auf der Stelle ein Papierhandtuch zu holen und zu versuchen, die Farbe aus ihrem Gesicht zu wischen. „Kein Wunder, dass niemand dich liebt.“
 

Ihr Kinn schob sich knochig nach vorn. Die Nase wirkte im Vergleich dazu winzig. Es war auf keinen Fall das Gesicht der taffen, gnadenlosen Kriegerin mit südamerikanischen Glutaugen, die sie gern wäre. Daran änderte auch die Taktikweste über ihrem schwarzen T-Shirt nichts.

 

„Vielleicht solltest du aufhören, danach zu suchen, dass jemand dich mag.“ Cherry blickte in die blauen Augen der Fremden im Spiegel. „Konzentrier dich lieber auf den Kampf und darauf, die anderen auf sicherer Distanz zu halten. Das kannst du besser.“"

 

Keine Ahnung, wie gelungen die Passage ist, aber sie beschreibt vielleicht ein wenig, was ich meine. Sie schiebt sich zwischen ein missglücktes Gespräch mit Cherry Love-Interest, dann träumt sie kurz vor dem Spiegel von ihm, danach wird sie Opfer sexueller Belästigung, die sich nicht als solche zuordnen kann, weil sie sich selbst für viel zu hässlich hält. Ein paar Infos über ihr Aussehen werden zusammen mit dem Chaos in ihrem Kopf eingearbeitet. Das fand ich hier wichtig, weil die Zweifel an ihrem Wert als Frau und ihre gefühlt fehlende Attraktivität wichtig für den zentralen Konflikt der Handlung werden und sie im ersten Kapitel Perspektivfigur ist. Da von außen draufzublicken, hätte meinen Bogen zerstört und Tempo rausgenommen. Da sie, abgesehen von dem Typ, der sie gleich belästigt wird, nur mit Freunden zusammen ist, fiel mir außer dem Spiegel nichts ein. Die "Fremde im Spiegel" wird später erneut auftauchen, Cherry wird ihr jedes Mal Vorwürfe für deren "Unfähigkeit" oder "Wertlosigkeit" machen, wenn Dinge in ihrem Leben passieren, von denen sich Cherry überfordert fühlt.

***

Dritte Möglichkeit, die mir noch einfällt, wenn es mehr um innere Prozesse der Romanfigur als um äußere Action geht, ist (bei einigen Charaktertypen) Tagträumerei. Er/sie sieht sich bei coolen Abenteuern, Wind in den (dunklen/hellen) Haaren, jemand verliebt sich in das Blitzen in den (dunklen/blauen/grünen) Augen ... und dann wird man durch ein abruptes Ereignis zurück in die Realität geschleudert und die Oberschenkel sind wieder fett oder so. Das muss natürich auch entsprechend in die Story eingebunden sein und einen Bezug zum Plot/Konflikt haben, sonst nimmt es Tempo und Spannung raus - aber Tagträume verraten manchmal eine Menge über das Want oder Need einer Figur und können durchaus funktionieren. Ist aber ein gefährliches Werkzeug, weil Gefahr von Spannungsabfall und so.

Bearbeitet von Hanna Aden
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Bei erotischer Literatur ist das Äußere natürlich wichtig, hier hat man über die Gefühle, die der Protagonist beim Betrachten/Anfassen empfindet, viele Möglichkeiten, das Gegenüber zu beschreiben. Ich frage mich nur, ob das Äußere der Perspektivfigur dabei beschrieben werden soll oder ob man es der Fantasie des Lesers/der Leserin überlässt - die sich vielleicht selber in der Perspektivfigur sehen möchte.

Von Blicken in den Spiegel möchte ich übrigens abraten, das liest man einfach viel zu oft.

 

Noch was zu den schlechten Zähnen bei Böll - sehe ich wie ThomasM. Zudem ist ein Schurke, der schlecht aussieht, ein langweiliges Klischee. Schlechte Zähne sind übrigens auch ein Steckenpferd von Thomas Mann, der das auch zum Charakterisieren benutzte. Ich fände es nur gut, wenn es zur Geschichte gehören würde - wenn der Kommissar die Vernachlässigung eines Kindes daran erkennt, dass es unbehandelten Karies hat o.ä.

 

In meinem neuen Roman hat die Hauptfigur ständig die Finger an ihren kurzen Haaren (werden hinters Ohr gestrichen o.ä.) Dass sie die Haare abschnitt und warum ist wichtiger Bestandteil der Vorgeschichte, sie sind noch immer ungewohnt und daher hat sie nicht nur die Finger immer drin, sondern bemerkt das eben auch. Sie stören. Das ist natürlich auch eine Möglichkeit: etwas Körperliches, das stört (oder gut gefällt), so dass es in den Fokus der Perspektivfigur fällt.

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Ich beschreibe/erwähne meistens Frisur, Kleidung, wie sich die Figur bewegt, Geruch (wenn Figuren sich nahe kommen). Manchmal Vergleiche. Ich möchte möglichst viel der Fantasie des Lesers überlassen. Manchmal erwähne ich trotzdem Haar- und Augenfarbe, wenn daran etwas bemerkenswert ist. Ich beschreibe gerne nebenbei, während die Figur etwas tut.

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Ich konzentriere mich beim Schreiben sehr stark auf Handlung und Perspektive. Figuren beschreibe ich nur ungern, außer es hat einen bedeutenden Bezug zur Handlung. 

Da passiert es mir eigentlich bei jedem Manuskript, dass die Rückfrage aus dem Lektorat kommt, wie eine Person denn aussieht. Und dann werden im Nachhinein kurze Beschreibungen eingeflochten - aber immer im Bezug auf die Perspektive.

Bearbeitet von Chris

chrizwagner.de
Daddy der Plotting-Software StoryIt und StoryIt Go

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In meinem Genre wird die Beschreibung der Figuren quasi erwartet. Das hat natürlich Vor- und Nachteile. Aber ich bin jetzt auch nicht der Typ, der bis auf den letzten Faltenwurf beschreibt. Mich würde das beim Lesen ermüden, also gehe ich davon aus, dass es den Leser/-innen ebenso geht. Doch es ist mir schon wichtig, dass man die Figuren klar unterscheiden kann. Eine spezielle (äusserliche) Eigenheit bekommen daher alle.

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