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ChristianeL

Bestseller DNA - der neue Weg zum Buch?

Empfohlene Beiträge

Liebe Montis,

 

als ich das erste Mal davon las, hielt ich das Ganze für einen Aprilscherz, aber es scheint ernstgemeint zu sein.

 

Mit Hilfe einer Software soll das Bestseller-Potential eines Manuskripts errechnet werden können:

 

https://www.boersenblatt.net/artikel-die_sonntagsfrage.1378618.html

 

Ist die Verunsicherung in der Branche so groß, dass Computer statt Lektorinnen demnächst entscheiden?
Fehlen meinen Geschichten bestimmte Wörter, so dass sie nur Midlist sind?

 

Liebe Grüße

 

Christiane

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Wir hatten ja schon mehrere solche Threads, und das ist gefühlt die 50ste Software, der ich begegne, die das von sich behauptet.

 

Neu ist nur, dass diese Leute dafür Staatsknete abgegriffen haben (gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – man würde gern fragen, mit welcher Begründung >:( ).

 

Nach dem, was sie auf ihrer Website verraten, haben sie mehr oder weniger die Software für Deutsch nachprogrammiert, die Grundlage für das Buch "The Bestseller-Code" war.

 

Die Grundidee bei all diesen Projekten ist immer die, das man neue Bestseller erzeugen/ermitteln/aussieben könne, indem man sich an bisherigen Bestsellern orientiert. Eine Annahme, von der ich glaube, dass eher das Gegenteil richtig ist.

 

Wäre natürlich aber tragisch, wenn Verlage darauf einsteigen würden. Dann kämen nur noch algorithmisch abgesicherte Bücher auf den Markt, Autoren würden mehr und mehr in Hinblick auf den Algorithmus schreiben, und alles würde zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Bis die Leute keine Lust mehr hätten, immer die gleichen Muster zu lesen. (Vielleicht verschafft das dann dem Selfpublishing den Durchbruch?)

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Es würde sich schnell herausstellen, dass Bestseller zwar vieles gemeinsam haben mögen, aber nicht jeder Roman, der diese Merkmale aufweist, zum Bestseller wird.

 

Die ganz großen Erfolge sind sehr häufig Bücher, die zigmal von Verlagen abgelehnt wurden und die niemand auf dem Schirm hatte.

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Bevor man etwas programmiert, muss man wissen, wie es funktioniert. Das weiß bei Bestsellern bis heute aber niemand. Ausnahme: Bücher von Promis. Enthält der Suchalgorhythmus also nur Prominamen?

 

Promis, Autoren, die schon Bestseller geschrieben haben und das Marketing sind Faktoren, die von dieser Software offensichtlich nicht erfasst werden.

 

Für einen Bestseller muss vieles stimmen: Der Spannungsbogen des Romans, der richtige Cocktail an Themen und ihr Verhältnis zueinander, starke Hauptpersonen, eine angemessene Wortwahl und und und...

Wie ich einem Kommenar zum Buch über den Bestseller Code entnehme, sei bei Bestsellern weniger Sex mehr, Hunde funktionierten besser als Katzen, menschliche Nähe sei wichtig, und die Figuren müssten ihre Probleme aktiv angehen (u.v.m.).

 

Ich kenne aber auch Bestseller ohne Hunde und menschliche Nähe. ;) 

 

Bearbeitet von Christa
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Bevor man etwas programmiert, muss man wissen, wie es funktioniert.

Nein, das muss man heutzutage nicht mehr wissen. Die aktuelle künstliche Intelligenz arbeitet meistens mit neuronalen Netzen. Das sind sozusagen selbstlernende Programme, denen man einen Haufen Beispiele gibt und die nach Gemeinsamkeiten suchen. Daraus basteln sich die Netze selbst einen Regelsatz, der am Anfang meistens voll daneben liegt. (Etwa, dass in Bestsellern die Helden immer einen Namen mit H am Anfang haben.) Mit weiteren Sätzen von Beispielen werden diese Regeln überprüft, falsche Regeln verworfen, neue aufgestellt, gute verfeinert. Nach und nach entwickelt sich auf diese Weise ein gut zutreffendes Regelwerk - von dem wir Menschen aber nicht wissen, wie es aussieht! 

 

Im Prinzip gehen Menschen (und damit auch Lektoren) nach dem gleichen Muster vor. Bekanntermaßen mit unterschiedlichem Erfolg. Und wer sich starr an sein Muster klammert und nicht flexibel mit der Zeit geht, der liegt bald ständig daneben. Insofern dürfte sich eigentlich nicht viel ändern, falls eines Tages Programme die Auswahl treffen. Wer glaubt, mit einem Computer Modetrends vorhersagen und den Geschmack der Leute gleichschalten zu können, unterschätzt die Komplexität der Welt kolossal.

Olaf Fritsche 

www.seitenrascheln.de

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Hui, das klingt ja interessant!

Wenn ich es richtig verstanden habe, untersucht das Programm aber nur die Muster, die sich in den Beststellertexten verbergen.

Tja, nur hat ja jedes Thema/jeder Text auch seine Zeit und seinen Rezeptionskontext (huch, schön intellektuell ausgedrückt;-)) ... was vor hundert Jahren zum Beststeller wurde, wird es heute vielleicht nicht mehr und umgekehrt, würde ich mal vermuten?

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Tatsächlich wird ja auch dieser IT-Ansatz zur Analyse literarischer Texte von den Unternehmensgründern von „QualiFiction“ auf ihrer Internetseite bombastisch angekündigt und unterscheidet sich in deren großspurigen Behauptungen wenig von den gefühlten 50 Vorgängern, die AndreasE zitiert.

 

Einen Unterschied zu manchen Scams sehe ich darin, dass hier wirklich programmiert wird. Allerdings kann man die wirkliche Arbeit, die geleistet wird, nur schwer erkennen. Als Linguist, der sich auch in der Computerlinguistik tummelt, muss ich leider sagen, dass in diesem Bereich auch bei publizierten Arbeiten oft die entscheidenden Details fehlen. Die Arbeiten an der „BestsellerDNA“ führen zu ihrem intellektuellen Förderer, Alexander Löse, Professor an einer technischen Fachhochschule in Berlin. Hier seine Publikationen und Projekte seit 2010:

 

http://dblp.uni-trier.de/pers/hd/l/L=ouml=ser:Alexander

 

https://www.linkedin.com/in/loeser

 

Offenbar hat er sich bei den hier relevanten Aspekten vor allem mit Fragen der Wissensextraktion in Textdatenbanken beschäftigt.

 

Wenn man sich die Seiten anschaut, die ein wenig Auskunft über Details der „BestsellerDNA“ geben, dann bekomme ich den Eindruck, dass die Software nur sehr oberflächliche Aspekte von Texten betrachtet, die vor allem mit Lexik und Textlänge etwas zu tun haben. Das wäre in der Tat simpler als viele Tools, die z.Z. von Linguisten zur Erforschung von Textkorpora genutzt werden. Ich kann nicht erkennen, dass neuronale Netze benutzt werden, um eine Sprache zu lernen oder abzubilden, geschweige denn Inhalt und Form von Romanen zu repräsentieren.

 

Wir sind Lichtjahre davon entfernt, dass ein System etwas Derartiges beherrscht, und dies ist bisher auch mit neuronalen Netzen nicht gelungen. Ein solches Programm würde den Turing-Test bestehen und von Menschen für einen Menschen gehalten werden. Trotz gegenteiliger Meldungen ist das aber bisher nicht geschehen, z.B.:

 

https://www.heise.de/newsticker/meldung/Eugene-und-der-angeblich-bestandene-Turing-Test-So-einfach-nun-dann-doch-nicht-2218151.html

 

Dabei ist noch zu bedenken, dass Kritiker den Turing-Test für ungeeignet halten, um menschliche Qualitäten zu prüfen. Es fehlt die Überprüfung von Bewusstsein und Intentionalität, zwei entscheidende Eigenschaften des menschlichen Geistes, die auch in Literatur und Kunst von zentraler Bedeutung sind.

 

Literatur macht nur Sinn im Kontext des menschlichen Geistes. Für die reine Informationsvermittlung ist Stil, Register, Atmosphäre, Plot, Figur usw. überflüssig. All dies wird erst mit Bewusstsein, Ich-Identität und Intentionalität sinnvoll. Solange ein KI-System diese Qualitäten nicht hat, kann es Literatur nicht verstehen und bewerten.

 

Jede Software, die nur rein statistische Merkmale auszählt und vergleicht, geht fundamental an dem vorbei, was wir als Text und Literatur verstehen, und es wäre katastrophal, wenn Verlage sich ihre Aufgabe der Auswahl literarischer Texte durch derartige Rechenoperationen erleichtern würden. Das wäre in meinen Augen ein Akt, der Kultur zerstört. Also das Gegenteil der Aufgabe von Verlagen, nämlich die Vermittlung von Kultur.

 

Daher fordere ich die Autoren von BestsellerDNA auf, offen zu legen, welche Aspekte von Romanen genau von ihrer Software bewertet werden, damit wir als Autoren an diesem Diskurs teilhaben können und uns bei Verlagen Gehör verschaffen.

 

Wir müssen in diesen Diskurs nicht als Maschinenstürmer eintreten. Wir können aber sehr wohl eine Rolle spielen bei der Bewertung von Textanalyseprogrammen, bevor Verlage nur den Technikern Gehör schenken. Dazu ist es notwendig, dafür zu werben, dass diejenigen Kriterien anzuwenden sind, die Literatur ausmachen. Natürlich hat niemand ein Patentrezept für gute Literatur. Es macht aber keinen Sinn, die essenziellen Bestandteile und Voraussetzungen von Literatur (Bewusstsein, Ich-Identität und Intentionalität) zu ignorieren. Es würde ja auch heutzutage niemand (mehr) auf die Idee kommen, dass man Mäuse entstehen lassen könnte, indem man alle Aspekte der Umwelt von Mäusen nachbildet. Das ist bei Beststellern nicht anders.

Bearbeitet von Manfred
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Literatur macht nur Sinn im Kontext des menschlichen Geistes. Für die reine Informationsvermittlung ist Stil, Register, Atmosphäre, Plot, Figur usw. überflüssig. All dies wird erst mit Bewusstsein, Ich-Identität und Intentionalität sinnvoll. Solange ein KI-System diese Qualitäten nicht hat, kann es Literatur nicht verstehen und bewerten.

 

Jede Software, die nur rein statistische Merkmale auszählt und vergleicht, geht fundamental an dem vorbei, was wir als Text und Literatur verstehen, und es wäre katastrophal, wenn Verlage sich ihre Aufgabe der Auswahl literarischer Texte durch derartige Rechenoperationen erleichtern würden. Das wäre in meinen Augen ein Akt, der Kultur zerstört. Also das Gegenteil der Aufgabe von Verlagen, nämlich die Vermittlung von Kultur.

 

Das mit dem Turing-Test finde ich hochinteressant! Dann müsste der Computer also selber die Simpsons gucken und sagen, wann gelacht werden soll, um als "Mensch" erkannt zu werden.

Ähnlich ist es ja auch bei den gängingen IQ-Tests, da werden ja auch keine Werte wie Emotionalität, Kreativität, Intuition oder Empathie gemessen. Dazu noch ein Interview mit dem Biologen und Hirnforscher Roth aus der Stuttgarter Zeitung:

 

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mensch-und-computer-menschliche-kreativitaet-ist-unersetzbar.d396860d-2e61-4e17-91e0-2996f02e6a0f.html

 

Ein Computer arbeitet mit Algorithmen und Regeln, er würde nie auf die Idee kommen, zum Beispiel Brainstorming zu machen oder ein Problem im Traum zu lösen. Hand aufs Herz: Ich traue es intelligenten Verlegern und Lektoren nicht zu, ihre Bestseller auf diese Weise zu ermitteln. :p

Bearbeitet von Christa
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Ich glaube, es geht hier nicht so sehr um die Frage, ob KI kreativ sein kann. Für Autoren geht es um die Frage, wie lange Verlage der Versuchung widerstehen werden, den Einflüsterungen von großmäuligen Entwicklern zu folgen:


 


„Wird der Software ... ein neues Werk angeboten, so kann sie ... für den neuen Roman ... eine Bestseller-Prognose errechnen.



...


Dies stellt insbesondere für Verlage eine spannende Chance dar, die ... die Flut eingereichter Manuskripte kaum bewältigen können ... Einige interessierte Verlage haben sich bereits von der Idee und Vision der Bestseller-DNA begeistern und anstecken lassen, sie werden die Software als Cloudservice nutzen und für die Analyseergebnisse bezahlen. Zudem wird die weitere Entwicklung der Software durch ein Programm der EU und des Bundesministeriums für Wirtschaft unterstützt.

“


https://www.boersenb...ge.1378618.html


 


Wenn diese im Börsenblatt gemachten Aussagen zutreffen, sind einige Verlage bereits den o.g. Einflüsterungen erlegen. Dann ist die Diskussion über die Kreativität von KI für Autoren rein akademisch. Was für uns faktisch zählt, ist das Verhalten der Verlage in dieser Sache. 


 


Wenn sie sich wirklich von literarisch wenig relevanten Rechenoperationen leiten lassen, wäre das aus meiner Sicht ein Verrat an der Kultur und müsste öffentlich angeprangert werden. Das wäre viel schädlicher als die Vision, dass KI tatsächlich irgendwann Literatur verstehen und bewerten könnte. Einer solchen Entwicklung hin zu statistischen Evaluationen müsste man mit starken inhaltlichen Argumenten begegnen. Da hilft es nicht, dass eine literaturverstehende KI noch in weiter Ferne ist. 


 


Textstatistik statt literarischer Evaluation ist als Möglichkeit viel näher als eine literaturverstehende KI. Es wird bereits angeboten. Und wer immer das Angebot (als Verlag) annimmt, versteht nicht oder ignoriert, dass Textstatistik nur die Verpackung betrachtet, nicht die Essenz der Literatur.


____________________


Hier noch ein Artikel aus dem NewYorker zu diesem Thema:


 


https://www.newyorker.com/books/page-turner/the-bestseller-code-tells-us-what-we-already-know


 


Bearbeitet von Manfred
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Bevor man etwas programmiert, muss man wissen, wie es funktioniert. Das weiß bei Bestsellern bis heute aber niemand. Ausnahme: Bücher von Promis. Enthält der Suchalgorhythmus also nur Prominamen?

Tsss, das kann dann sogar ich programmieren ...

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