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Titus

Individualität vs. Handwerk

Empfohlene Beiträge

Individualität einzufordern, bedeutet im Übrigen, schon wieder etwas Vermarktbares daraus machen zu wollen. 

 

Das ist ein ganz wichtiger Satz, den wir festhalten sollten! <festhalt>

 

Das Problem sehe ich eher auf der Abnehmerseite: Leider wird Individuelles zu schnell von Verlagen abgebügelt, weil Leser das angeblich nicht goutieren (z. B. unsympathische Helden). Daher möchte ich jedem Lektor, der die Klage führt, es gebe nicht genügend eigenwillige Texte, entgegenrufen: Wer im Glashaus sitzt, sollte lieber nicht mit Steinen werfen.

 

Ganz arg in Kinder- und Jugendbuchverlagen. 

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Seltsam, wenn man es recht bedenkt. Denn das heißt ja: Wenn man alles richtig machen will, macht man was falsch …  :-/

 

 

Oder anders gesagt: Wenn man alles richtig machen will, muss man etwas falsch machen. ;-)

 

 

Ein interessanter Gedanke, der in anderen Bereichen gar nicht so abwegig ist. In der Musik zum Beispiel. Da ist es ja heute möglich, auf digitalem Weg Musikstücke zu erzeugen, die absolut perfekt sind, bei denen jeder Ton hundertprozentig stimmt. Und was ist? Die hören sich irgendwie komisch an (habe ich mir sagen lassen. Ich selbst habe von Musik nicht sehr viel Ahnung). "Perfekt" für menschliche Ohren ist ein Musikstück, wenn die Töne ganz leicht daneben liegen - auch oder gerade von Spitzenmusikern.

 

Dazu fällt mir noch ein Beispiel aus dem Bilderdruck ein: Um ein Foto drucken zu können, muss man es rastern. Früher hatte man dafür Rasterfolien, mit denen ein Bild dann vier mal "aufgenommen" werden musste, wobei darauf zu achten war, dass die Winkel der einzelnen Rasterfolien zueinander richtig ausgerichtet waren. Per Hand, an einer großen Kamera. Dadurch war das Ergebnis immer un-perfekt.

Dann kam das digitale Rastern. Super! Endlich kann man hundertprozentig den richtigen Winkel hinbekommen! Und was ist? Das Foto sieht dann gedruckt irgendwie merkwürdig aus. Zu perfekt. Die Lösung war, dass man vom Computer eine Prise Nicht-Perfektion hat einbauen lassen.

 

Aber ist es beim Schreiben auch das Nicht-Perfekte, also das eigentlich Falsche, was aus einem guten Handwerksstück Kunst macht? Wenn ich "falsch" definiere als nicht ganz exaktes Einhalten der Regeln, dann kommt es hin. Beim Schreiben geht es nicht darum, eine exakte Luftschwingung oder einen exakten Winkel zu treffen. Solche messbaren Kriterien gibt es bei uns nicht. Aber wir haben (inzwischen) ebenfalls Regeln, die wir möglichst gut beherrschen sollten - und die wir dann bewusst oder unbewusst brechen können. Oder müssen?

 

Was beim Schreiben vielleicht noch anders ist als bei der Musik oder der Rasterfotografie: Ist es nicht eine noch recht neue Erkenntnis (zumindest im deutschen Sprachraum), dass Schreiben erlernbar ist, dass es überhaupt Tricks und Kniffe gibt, die gewissen Regeln folgen? Ganz lange ging man doch immer davon aus, dass man entweder von der Muse geküsst wird oder eben Pech hat. Deswegen herrscht vielleicht noch eine größere Unsicherheit darüber, wie man mit den Regeln unserer Kunst umzugehen hat. Die anderen Künste haben da schon ein paar Jahrhunderte Vorsprung.

 

lg

Maria

 

70 Prozent ist Perfektion

Komm wir essen Opa.

SATZZEICHEN können Leben retten.

www.mcpoets.de

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Ich habe da so meine Zweifel mit der Leidenschaft, mit dem für ein Thema brennen. Und dass dieses Brennen nun so durch den Text leuchtet, dass der Leser auch brennt. Man sollte das Schreiben nicht so romantisieren.  :)  Es gibt Schriftsteller, die 20 Bestseller produziert haben. Haben die für jedes einzelne Thema gebrannt? Nein, aber sie können gut schreiben.

 

Wenn schon Leidenschaft, dann sollte man für das Schreiben an sich brennen und fürs gute Erzählen. Und dazu gehört eine gute Erzählstruktur, die den Spannungsbogen aufrecht hält. Und natürlich die Tricks und Kniffe, wie Holger erwähnt, die funktionieren. Das ist eben Handwerk. Ohne wird es nicht gehen, egal, wie sehr der Autor für sein Thema brennt.

 

Die Leidenschaft ist eine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen. Sich die Zeit nehmen, sich in seine Figuren intensiv hineinzufühlen, Situationen so beschreiben, dass sie plastisch werden. Mehr aus einer Szene machen, als nur den Ablauf berichten, Einzelheiten einbringen, die das Geschehen authentisch, anfassbar machen. Das ist Schreiben an sich mit einem leidenschaftlichem Engagement betreiben. Wer das kann, wird jedes Thema hervorragend darstellen. Das ist Professionalität und noch ein bisschen mehr. 

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ich würde nur nicht sagen, dass die Kunst ist, etwas zu erschaffen, das vielen aus dem Herzen spricht, sondern vor allem einem: dem Autor. Das ist ja Individualität. Oft bleibt der Autor mit seiner Individualität eher allein. Wenn nicht, hat er Glück gehabt. Aber das sollte nicht die Erwägung seines Denkens und Schreibens sein.

 

Da gebe ich dir recht. Dass sich der Autor selbst aus dem Herzen spricht bedeutet in meinen Augen Leidenschaft. Wie heißt es so schön: Nur wer selbst Begeisterung verspürt, kann andere begeistern.

 

Wenn schon Leidenschaft, dann sollte man für das Schreiben an sich brennen und fürs gute Erzählen.

Wobei diese Leidenschaft ja automatisch da ist, wenn man eine Geschichte hat, die man unbedingt erzählen will. Aber ich gebe dir recht, die Leidenschaft fürs Schreiben führt auch dazu, dass man sich der Dinge annimmt, über die man schreibt. Insofern kommt es aufs selbe drauf hinaus.

 

Die Leidenschaft ist eine Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen. Sich die Zeit nehmen, sich in seine Figuren intensiv hineinzufühlen, Situationen so beschreiben, dass sie plastisch werden. Mehr aus einer Szene machen, als nur den Ablauf berichten, Einzelheiten einbringen, die das Geschehen authentisch, anfassbar machen. Das ist Schreiben an sich mit einem leidenschaftlichem Engagement betreiben. Wer das kann, wird jedes Thema hervorragend darstellen. Das ist Professionalität und noch ein bisschen mehr.

 

Genau, fühle ich das, was ich schreibe. Das ist etwas, was auch in meinen Augen Professionalität ausmacht. Aber ich denke, das betrifft nur die Mikrostruktur einer Geschichte. Das ist etwas, was Lektoren nur sehen, wenn sie den Text lesen. Ich bin sowieso der Meinung, dass auch ein mittelmäßiger Plot mitreißend und emotional geschrieben werden kann. Weil es einfach auf das Wie ankommt.

Aber was ich als individuell ansehe ist die Makrostruktur einer Geschichte. Der eigentliche Kern, der Geschichte. Der Zauber den eine Geschichte bewirkt. Das was die Leser an der Geschichte bewegt und nicht nur an den einzelnen Szenen.

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Hallo Titus,

möchte hier nochmals einsteigen, habe es heute erst entdeckt (da ich in Urlaub bin :-) )

 

Jetzt freue ich mich gleich doppelt auf das Seminar in Brixen. Dieses Zitat von Edgar Bracht spricht einiges an, woran ich an meinem aktuellen Projekt nage und womit ich mich grundsätzlich beschäftige. Auch seiner  früher-heute-Aussage bin ich durchaus nicht abgeneigt.

 

 

Die Individualität eines Autors kann nur in dem Überschüssigen bestehen, in dem, was nicht den handwerklichen Regeln entspricht. Um jenes von Forster so bezeichnete sumpfige Romangelände zu kreieren und zu durchmessen, braucht es eine Erzählenergie, einen Willen, beim Erzählen immer Neues zu entdecken und nicht nur starr eine Route zu verfolgen. Abschweifungen, Erfindungen, Ausschmückungen können den Roman verwässern, aber ohne sie wirkt er unbelebt trocken, vorhersehbar.

Ich brauche bzw. suche mir eine Geschichte, ein Thema, einen Prota, der meine Leidenschaft entfacht, dieser Figur eine Erzählstimme zu geben. Und ich ändere meinen Plot, wenn auch nicht grundsätzlich, aber die Geschichte lebt beim Schreiben. Oft fügen sich Ausschmückungen und Beiwerk ein, die ursprünglich nicht so geplant waren, doch innerhalb des Schreibprozesses, dem Werden des Romans ihren Sinn ergeben. (späteres Abklopfen auf seinen tatsächlichen Gehalt und Wert für die Story nicht ausgeschlossen)

Die Gegenüberstellung  Handwerk vs. Leidenschaft ist natürlich - wie ja hier bereits mehrfach ausgeführt - nicht wirklich so konträr zu sehen, ich jedenfalls sehe hier auch keinen Widerspruch. Ein grobes Gerüst muss her, der Konflikt, das was den Prota auf seine Erzählreise schickt und das, wo die Figur am Ende stehen soll.

 

Für mich macht dieses Drumherum sehr viel aus, gerade und auch als Leser.

Um ein bekanntes Beispiel zu nennen: ich denke, wenn es nach Gradlinigkeit und Konzept eines Plots ginge, wäre in "Meister und Margarita" einiges schiefgelaufen. Ebenso wenn ich dabei an Konsequenz einer Erzählperspektive denke.

Aber das liebe ich an osteuropäischer Erzählweise. Die Fabulierlust, das Gebinde von Anekdoten u.s.w. aus denen die Geschichten sich zusammenweben. Ähnlich finde ich das bei spanisch/südam. Autoren.

 

Jedenfalls finde ich spannend, was wir dann auch in Brixen dazu erarbeiten. Für "das gewisse Etwas" gibt es ja vieles, denke ich mir.

Bea

Bearbeitet von Bea

"Wer nicht weiß, in welchen Hafen er will, für den ist kein Wind der richtige." Seneca

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Ich kann mit diesem Thema, jedenfalls in dieser Formulierung, nicht so richtig etwas anfangen, weil ich wie viele andere nicht verstehe, was da miteinander verglichen wird. Äpfel und Birnen?

Es gibt Schwächen und handwerkliche Fehler, die mich als Leser ein Buch beiseite legen lassen, und es gibt Highlights in Form ganzer Szenen und oder mehr, die mich selbst gröbste Strukturschwächen verzeihen lassen. Am Ende ist es immer ein Abwägungsprozess der Dinge, die für mich persönlich wichtig sind. Wenn beispielsweise ein Pferd vor Wut schäumt, dann es das.

Und das erklärt auch, wenn trotz fehlerfreiem Handwerk kein Funke überspringt, denn Erzählkunst ist mehr als Handwerk. Dieses "Mehr" ist auch nicht ein gewisses Etwas, sondern lässt sich zumindest teilweise benennen. Dazu gehört ganz bestimmt die Anzahl und die Art von Ideen, die der Autor, aber nicht der Leser hat. Und es gehört auch Wahl und Entscheidung eines Autors dazu, was er für wichtig genug hält, es zu erwähnen, und was er weglässt, weil es eh jeder weiß. Und so kann ein Autor bei der Beschreibung einer Landschaft oder eines Verhaltens eine Wunderwelt aufspannen, die einem die Augen für etwas Neues noch nie so Gesehenes öffnet, oder auch etwas, das man schon zigfach erzählt bekommen hat Und das fallt für mich nicht unter Handwerk, wohl aber unter Individualität.

 

Liebe Grüße

Wolf

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Jede Kunst setzt doch das Beherrschen des Handwerks voraus, egal wie es erlernt wurde. Ist es erlernt, bleiben die meisten auf dieser Stufe stehen und nur wenigen gelingt der Sprung in die Kunst. Kunst ohne Handwerk sieht dilettantisch und fragwürdig aus, Handwerk ohne Kunst bleibt eben nur Handwerk. 

 

Beim Malen wie bei der Musik wie beim Schreiben. 

Krimis, Liebe und Mehr.

www.ilonaschmidt.com

Translations, Lektorat & Exposé Coaching

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(Ioana Orleanu)

Ich warte auf die Plotstruktur, bei der man lediglich nach mutiple-choice-Art Details ankreuzt, dann Namen der Orte, der Figuren und freilich auch des Autors einfügt und - simsalabim, fertig ist die perfekte Story. Lichte, lichte Zukunft: Alle schreiben. Gleich.

Ich bin zuversichtlich. :D

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