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(Huutini)

'Wirklichkeitsnahe' Erzählstimme

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Wird das zu extrem und verfügt er über zuviel Fachwissen' date=' dann wird der Roman -und die Figur- unglaubwürdig und man hat so einen wischi-waschi auktorial/personal, wie es grad besser passt, Erzähler[/quote']

 

Das geht in die Richtung, über die ich klage!

 

Weil das mit dem Mt. Everest so sehr allgemeinbildung ist, nehme ich ein anderes. Ich nehme mal einen Beispieltext, bei dem wir dem kleinen Samuel, sechs Jahre, auf einem kleinen Streifzug durch das Haus seiner Wohnung folgen:

(Bitte jetzte keinen literarischen Supererguss erwarten!)

 

"Samuel stand mit schläfrigen Augen auf und tappste durch sein Zimmer. Vor seinem Bett lag noch die Figur seines Brachiosaurus, einer Dinosaurierart, die vor etwa 130 MIllionen Jahren ausgestorben war. In seinem Schlafantzug , der vermutlich von unterbezahlten Kinderarbeitern irgendwo in der südasiatischen Tropenregion zusammengewebt worden war, wanderte er auf den Flur hinaus. Er rief nach seinen Eltern, seine Stimme hallte von den Wänden ab, als wäre er im Bauch einer Kogge, die gerade durch einen Sturm in der Behringstraße gewirbelt wurde.

Doch niemand antwortete. Vorbei an der alten Kirschholztruhe aus dem vierzehnten Jahrhundert, die vermutlich schon Karl IV. in seiner Prager Heimstatt gehabt hatte, gelangte er in das Arbeitszimmer seines Vaters.

Auf dem Schreibtisch stand der Arbeitscomputer, eine lahme Kiste, die gerade mal 800 Herz und 500 Megabyte festplattenspeicher hatte. Auf dem Schreibtisch stand auch ein Foto von Samuels Onkel. Richtig, fiel ihm ein, seine Eltern hatten ja seinen Oheim besuchen wollen.

Traurig ging er in die Küche und machte sich selbst eine Schale Corn Flakes, die er schließlich verschlang, als hätte er gerade einen Hungerstreik hinter sich, der irgendeine südamerikanische DIktatur in die Knie hätte zwingen sollen..."

 

Der Text ist (oder soll sein) ziemlich nah an Samuels Perspektive geschrieben. Würde ich den jetzt so lesen, würde ich mich mächtig aufregen. Dass Samuel mit seinen Sechs Jahren viel über Dinosaurier weiß, und meinetwegen auch über die Rechenleistung eines PC's, halte ich für glaubwürdig, für Wirklichkeitsnah.

Aber mit den anderen Vergleichen, und dem Wort Oheim, verlässt der Erzähler, bzw. in diesem Falle eher der Autor, die Perspektive des Kindes, und spricht den Leser direkt an. Sowas stört mich, weil ich nicht davon ausgehe, dass an dieser Stelle Vergleiche und Wissen angebracht ist, welches nicht in dem Jungen verankert ist.

 

Andererseits dienen solche Umschreibungen natürlich dem Leser, sind also nicht per se abzulehnen, denn sie schaffen ja eine Atmosphäre. Und es wäre ja auch theoretisch denkbar, dass unser Samuel all das hier bereits weiß.

 

Darum frage ich (nochmal): Wo liegt die Grenze: Wieso glaubt man Samuel, dass er weiß, wann die Brachiosaurier ausgestorben sind, aber nicht, dass die Kirschholztruhe von Karl IV. stammen könnte?

Beides ist Fachwissen.

 

Das ist nur eine Beispielsituation! Dass Jungs was über Dinosaurier wissen, ist bekannt. Aber wenn man diese Situation mal allgemein nimmt: Sehr oft 'wissen' Personen Dinge, die sie doch eigentlich nicht wissen 'dürften'. Und manches glaube ich ihnen, und nehme ich der Erzählstimme ab, und anderes lässt mich stutzen...

 

Vielleicht bin ich da auch der einzige, vielleicht stört es die meisten hier nicht, wenn der Junge durchs Haus schleicht, und munter Vergleiche ausserhalb seiner Wissenswelt zieht, weil sie dem Autoren grade in den Sinn passen. Und vielleicht bin ich damit auch der einzige, der da überhaupt eine Grenze hat, zwischen dem, was ich vom Erzähler als glaubwürdig empfinde, und dem, was nicht.

 

Dennoch frage ich mich, wo diese Grenze liegen könnte...

 

Ein weiteres Beispiel finde ich gerade in Andreas' Projekt Babylon: Der Professor, der bekannt ist und überall aktiv, und sogar noch lehrt, aber absolut keine Ahnung von Computern hat...

Für mich und mein Weltbild ist das zwar eine schöne Figur, aber unrealistisch, weil ein Dozent, der keine Ahnung mehr von Computern hat, arge Schwierigkeiten hätte, noch Seminare zu veranstalten...

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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Die Grenze, lieber Marco, ist doch ganz klar. Bleib glaubwürdig! Sicher geht ne Menge durch, aber wenn du selbst schon empfindlich in dieser Beziehung liest, dann solltest du auch glaubhaft schreiben.

Ich passe da immer auf in meinen Texten, weil mich sowas auch stört.

Deine Beispielgeschichte ist klasse und zeigt prima in überspitzter Form was du meinst.  :s02

Ich habe grade eben ein Buch gelesen, in dem die Heldin Amerikanerin ist und es sie nach Algier verschlägt. Der Erzähler beschreibt uns die Umgebung, sehr schön bildhaft, und so, dass ich glauben kann die Prota sieht das jetzt mal so. Aber dann sind Vergleiche drin mit Marseille, Paris und anderen Gegenden der Welt, was mich sofort zu der Frage führte, wieso im ganzen Buch nie erwähnt wurde, dass die Prota viel gereist ist! Woher will sie das alles wissen? Da komme ich immer ganz raus, wenn ich auf sowas stosse.

Wer, zum Geier, spricht hier gerade mit mir?

Selbst wenn es nicht in der Ichform geschrieben ist, begleite ich doch die Prota gerade auf ihrer Reise und erwarte das zu sehen, was sie sieht. Nicht mal ein Absatz deutete darauf hin, dass jetzt der Erzähler ganz allein spricht.

 

LG

Joy

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Ich habe grade eben ein Buch gelesen' date=' in dem die Heldin Amerikanerin ist und es sie nach Algier verschlägt. Der Erzähler beschreibt uns die Umgebung, sehr schön bildhaft, und so, dass ich glauben kann die Prota sieht das jetzt mal so.[/quote']

Auch ein schönes Beispiel. Hier wäre auch ein Punkt: Ich würde dem Erzähler alles abnehmen, die Datteln, die Kalkfarbe, die LUftfeuchtigkeit, die Größe der Wüste drumherum, von den namen der Bäume, der Architektur, und dem, was ich mal allgemeine Geschichte nennen würde.

Aber sobald irgendetwas spezielles käme, von der Art: "Sie stand vor dem Markthaus, das in den Tagen des zweiten Weltkriegs als Lazarett gedient hatte, und das später von britischen Soldaten zurückerobert wurde." würde es mich wieder stören...

 

Schon seltsam, oder?! ;)

 

Gruß,

Marco! :s17

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