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BarbaraS

Erzählstimme

Empfohlene Beiträge

Hallo –

 

diesmal habe ich keine Richtig-oder-falsch-Frage, sondern würde euch gern allgemeiner zu eurer Schreiberfahrung befragen. Wir hatten das Thema hier schon (mindestens) einmal, aber seitdem sind viele neue Mitglieder dazugekommen, und außerdem haben sich eure Erfahrungen ja verändert, darum möchte ich es gern noch mal "frisch" diskutieren. Ich hoffe, es interessiert euch auch.

 

Es geht mir, wie die Überschrift schon sagt, um die Erzählstimme eines Textes. Und dabei vor allem um Texte, in denen diese Erzählstimme deutlich hörbar wird. In denen der Erzähler also Handlung zusammenfasst, evtl. beschreibt, erklärt, kommentiert, vielleicht auch in der Zeit hin- und herspringt. Texte mit größeren narrativen Anteilen. ("Narrativ" als Gegensatz zu "szenisch", also solchen Passagen, die dem Leser das Gefühl vermitteln wollen, er wäre unmittelbar beim Geschehen dabei.) Ob der Erzähler dabei als "Ich" in Erscheinung tritt oder nicht, finde ich erst einmal zweitrangig.

 

Was mich interessieren würde: Wie findet ihr beim Schreiben solcher Texte die Erzählstimme? Ist sie "einfach da", d. h. hört ihr sie irgendwann, und mehr braucht ihr nicht? Oder denkt ihr länger über sie nach? Wenn in der 3. Person erzählt wird: Erfindet ihr evtl. einen Erzähler dazu? Wie viel müsst ihr dann über ihn wissen? Wenn ihr einen Ich-Erzähler habt: Wie genau müsst ihr über die Lebenssituation Bescheid wissen, aus der heraus er erzählt?

 

Und daran schließt gleich die zweite Frage an. Wie findet ihr heraus bzw. wie genau legt ihr fest, warum euer Erzähler erzählt? Wie entscheidet er (oder ihr), was für die Geschichte wichtig ist, wie sehr färbt sein Blick das Erzählen ein? Es geht mir da weniger um Sachen, die explizit im Text stehen, sondern mehr ums Gewichten der Ereignisse, darum, welche Atmosphäre erzeugt wird, darum, was in den Mittelpunkt gerückt wird. Am wichtigsten ist das sicher bei Texten, die sich stark von der Logik der Handlung lösen oder in denen es erst gar keine strenge Handlungslogik gibt. Dann kann der Erzähler der Geschichte eine andere Struktur geben. Wie findet man diese Struktur?

 

Wie gesagt, richtig und falsch gibt es da meiner Ansicht nach nicht. Mich interessieren einfach eure Erfahrungen. Gern auch Leseerfahrungen, wobei mich die Frage, wie "man es macht", schon am meisten interessiert.

 

Viele Grüße in die Runde

 

Barbara

Bearbeitet von BarbaraS
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Hallo Namensschwester, das ist ein sehr interessantes Thema und ich bin gespannt, was andere dazu sagen. Ich bin ja nun mal eine ausgesprochene "Bauchschreiberin" und finde meine Erzählstimme intuitiv. In meinem letzten Roman "Die Salzwiesen" ist der Erzähler ein Mann, der zwischendurch als Ich-Erzähler auftritt. Ich muss sagen, ich bin so sehr in ihn eingetaucht, dass ich er war ... und hatte so keine Probleme, seine Erzählstimme zu finden. Ich glaube, das ist auch bei meinen anderen Geschichten der Fall - ich tauche ganz in die erzählende Person ein. Häufig finde ich meine Personen ja durch reale Vorbilder, die ich aber oft nicht näher kenne. Da spielt dann meine Phantasie ... und häufig fließt natürlich auch selbst Empfundenes hinein.

Bei der Geschichte "Die Wildhunde" ist die Protagonistin sich am Anfang selbst fremd. In der Urfassung hatte sie anfangs auch keinen Namen - das habe ich dann um der Lesbarkeit willen geändert. Aber Testleser bestätigten, dass man der Person zunächst auch distanziert begegnet ...  Herzlich, Barbara

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Ja, das ist eine interessante Frage.

Mir geht es so, dass, wenn ich in der engen persponalen Perspektive schreibe, die Erzählstimme sehr eng an der Figur bleibt und ich, wenn ich laut meine Textstellen lese, in gewisser Weise auch mich selbst als Erzählerin wahrnehme. Als Erzählerin, die sich ganz dicht an ihre Figuren schmiegt.

Hier fällt es mir oft sehr leicht, eine Stimme zu finden, zumal ich den Eindruck habe, dass sie eher der Sache dient, als sich selbst besonders bemerkbar macht. So, als ob hier die Erzählstimme nur das dienende Instrument ist, das ausschließlich dazu da ist, den anderen (hier die Figur, aus deren personalen Perspektive ich schreibe) zu begleiten.

 

Wenn ich eine Ich-Perspektive wähle, und noch dazu eine jugendliche, dann ist es schon schwieriger. Hier habe ich bei einem Manuskript, in dem ich eine 17jährige sprechen lasse, wirklich sehr lange gebraucht, um den Ton zu finden.

Als ich die Stimme endlich hatte, habe ich ein viel innigeres Verhältnis zur Figur entwickelt als ich es sonst jemals getan habe und sie ist auch viel mehr eigene Wege gegangen, als ich das sonst kenne. Als ob die Stimme meiner Figur ihren Chrakter gegeben hat - egal, was ich vorher entworfen hatte.

Hier ist die Distanz, die ich zur Figur habe, aber viel größer, als wenn ich pesronal schreibe. Das mag erst einmal widersprüchlich erscheinen, aber dadurch, dass die Stimme so etwas losgelöst von mir selbst spricht, ist sie eine eigenere Figur als meine personal erzählten Figuren. Ich nehme sie mehr als eigene Persönlichkeit wahr und nicht  als einen Teil meiner selbst.

 

Einen auktorialen Erzähler habe ich auch, der sich völlig verselbstständig hat. Wenn ich meinen Text lese, höre ich eine alte Männerstimme, die das erzählt.

Hier musste ich gar nicht lange suchen. Die Stimme war, würde ich sagen, fast zuerst da. Dann kam alles andere. Das macht es vielleicht auch schwer. Denn ich doktore gerade an diesem Projekt seit Ewigkeiten herum.

 

Lautes Lesen seines eigenen Textes ist für mich ja sowieso eine Art Allheilmittel. So arbeite ich auch damit, wenn es darum geht, die Erzählstimme zu finden.

 

Was mir kürzlich Ruth, meine hochgeschätzte Testleserin gezeigt hat, insbesondere mit Blick auf den auktorialen Erzähler, ist, dass ein bisschen sich darüber klar werden, was der Erzähler alles weiß und warum er etwas weiß oder warum er etwas nicht gleich verrät, obwohl er es doch weiß, schon angesagt ist. Die Leser an der Nase herumführen sollte der Erzähler nicht nur aus Lust und Dollerei, sondern immer nur zielgerichtet.

 

Zur Frage: "Warum erzählt der Erzähler?"

Ich verstehe deine Frage so, dass du wissen willst, warum er erzählt, anstatt  dass in einer Szene gehandelt wird oder in einem Dialog die Figuren diese Sache direkt klären ( "show don't tell")?

 

Das mache ich erst intuitiv und dann beim Redigieren fliegen reine Erzählpassagen manchmal raus bzw. werden umgearbeitet zugunsten von mehr direkter Handlung.

Manche Ereignisse lasse ich natürlich auch nur erzählen, weil sie entweder in der Vergangenheit liegen und  es manchmal keinen Sinn ergibt, das in einen gestellten Dialog zu packen. Dann lieber erzählen lassen. Möglichst kurz und gut verständlich.  Spielt aber z.B. das vergangene Ereignis eine sehr wichtige Rolle für die jetzige Handlung, dann würde ich versuchen, dass ich es doch irgendwie "actionreicher" mit einbaue.

Grudnsätzlich gilt für mich: Wichtiges für die Handlung möglichst nicht nur erzählen, sondern tatsächlich passieren lasse, Nebensachen gerne erzählen.

Und dann gibt es natürlich auch noch Lansachaftsbeschreibungen und solche Dinge. Ich glaube, auch hier mache ich es davon abhängig, wie wichtig die Beschreibung für die Handlung ist. Beschreibe ich einen Ort, an dem bald einer abstürzt, dann würde ich dies eher emotionaler mittels einer Figur lösen...

 

Ich habe bisher noch nie einen Erzähler dazu erfunden. Er kam immer mit der Perspektive. Wie gesagt: die Ich-Perspektiven bereitet mir hier am meisten Arbeit. Da suche ich regelrecht nach einer Stimme. Ich entwerfe sie aber nicht. Das geschieht durch ein sich Herantasten und Ausprobieren und diese Stimme verändert dann die Figur...

 

Viele Grüße,

Juliane

Bearbeitet von JulianeB

"Man kann auf seinem Standpunkt stehen, aber man sollte nicht darauf sitzen."

Erich Kästner Vorträge und Lesungen einstudieren  und  Autorenseite Juliane Breinl

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Ich rede jetzt nur für Psychothriller:

 

Das Wichtigste ist m.E. erst einmal, sich Figuren auszudenken, die wirklich zu der Geschichte passen;

also mit denen sich die Geschichte auch wirklich erzählen lässt.

 

Das ist schon mal die halbe Miete.

 

Die Geschichten, die ich mir ausdenke, könnte ich z.B. nur mit einer Hauptfigur eines Geschlechtes erzählen.

Würde ich, nachdem die Geschichte steht, den Protagonisten zu einer Protagonistin machen (oder umgekehrt), würde das nicht funktionieren.

Das gilt für den Altersbereich genauso.

 

Wenn mir die Geschichte praktisch schon aufzwingt, mit männlichem oder weiblichem Ton zu schreiben, und ich auch die entsprechende

Figur habe, geht der Rest recht einfach.

 

Ich lese und schreibe am liebsten in Ich-Perspektive, da man die Geschichten m.E. so am authentischsten rüberbringen kann; und vor allem auch so,

dass der Leser am meisten mitfiebert. Und für mich ist es auch am einfachsten, mich in Ich-Perspektive in die Figur hineinzufühlen und dann auch den

richtigen Ton zu treffen.

 

Ja, und um in die entsprechende Stimmung zu kommen, gibt es m.E. nichts besseres als Musik.

Wenn man z.B. drei Stunden am Stück den "Saw"- oder den "Hide and seek"-Soundtrack hört (je nachdem, was man braucht),

und dann noch im Dunkeln schreibt, kann man schon fast nicht mehr anders, als die Stimmung auch rüberzubringen.

 

Wichtig ist für mich auch, bei den einzelnen Szenen vorher zu wissen, was ich schreibe, damit ich es runterschreiben kann,

und nicht noch beim Schreiben sehr über den Inhalt nachdenken muss. Je schneller ich das runterschreibe, desto besser bleibe

ich auch in der Stimmung und treffe den Ton.

Bearbeitet von MichaelT
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Sebastian Niedlich

Ich denke, dass das von Geschichte zu Geschichte ganz unterschiedlich ist und ehrlich gesagt: Es kann ganz schön schwierig sein, die korrekte Erzählerstimme zu finden. Im Grunde muss man sich ja im Klaren darüber sein, was man ggf. irgendwann mal im Buch erzählen will. Wenn man einen Ich-Erzähler benutzt, der gleichzeitig die Hauptperson ist, ist es für den schwierig Dinge zu erzählen, bei denen er nicht dabei gewesen ist. (Karl-Heinz ist der Erzähler und bringt gerade lustig seinen Nachbarn um, während seine Frau daheim die Katze an die Wand nagelt. Dann kann Karl-Heinz natürlich nichts darüber erzählen, was seine Frau gerade tut... usw.)

 

Bei meinem ersten Buch "Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens", war mir klar, dass ich die Geschichte aus Sicht des Jungen erzählen will, der über die Jahre mit dem Tod zusammenkommt. Eine andere Perspektive wäre da einfach merkwürdig gewesen, z.B. wäre es sicherlich schlecht gewesen, wenn der Tod als Perspektive noch mit reingespielt hätte.

In meinem zweiten Buch "Und Gott sprach: Es werde Jonas" hatte ich tatsächlich das Problem, dass die gewählte Perspektive (auktorialer Erzähler) irgendwie unstimmig war, bis ich auf die Idee kam, dass Gott persönlich - also der ULTIMATIVE auktoriale Erzähler - das ganze auf seine Art bringen kann. Plötzlich fügte sich so einiges ganz anders zusammen. Plötzlich konnte ich der Erzählstimme tatsächlich eine eigene Persönlichkeit geben.

 

Auch die Erzählstimme kann eine Person sein, also sollte man sich das schon genau überlegen.

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Ich bin ja nun mal eine ausgesprochene "Bauchschreiberin" und finde meine Erzählstimme intuitiv. In meinem letzten Roman "Die Salzwiesen" ist der Erzähler ein Mann, der zwischendurch als Ich-Erzähler auftritt. Ich muss sagen, ich bin so sehr in ihn eingetaucht, dass ich er war ... und hatte so keine Probleme, seine Erzählstimme zu finden. Ich glaube, das ist auch bei meinen anderen Geschichten der Fall - ich tauche ganz in die erzählende Person ein. Häufig finde ich meine Personen ja durch reale Vorbilder, die ich aber oft nicht näher kenne. Da spielt dann meine Phantasie ... und häufig fließt natürlich auch selbst Empfundenes hinein.

 

So ähnlich geht es mir auch. Am stärksten war das beim Dichter Mörike, in den bin ich wohl am tiefsten eingetaucht - und da war es

selbstverständlich, dass meine Stimme ihm total entsprach. Bei allen anderen Romanen geschah das wie von Barbara beschrieben.

Momentan überarbeite ich meinen Schwarzwaldkrimi. Da kommt eine Erzählstimme hinzu, und zwar die der Protagonistin als Kind.

Erst als ich mich richtig darauf einließ, hat diese Stimme begonnen zu erzählen, intuitiv. Vom Kopf her muss ich jetzt darauf achten, dass auch die Sprache und Denkweise einer Neunjährigen entspricht.

LG

Christa

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Guten Morgen – und danke für eure ausführlichen und vielfältigen Antworten!

Es ist wirklich ein großes Thema mit vielen Aspekten, die alle Stoff für Diskussionen hergeben. Ich würde mich deswegen gern auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren. Nämlich auf Erzählstimmen, die nicht ganz nah bei einer handelnden Person bleiben, sondern einen eigenen Ton in die Geschichte bringen. Wie es dein "Gott" offenbar tut, Sebastian. Oder dein auktorialer Erzähler, Juliane. Oder dein Erzähler in den "Salzwiesen", Barbara.

 

Der Hintergrund meiner Frage ist dieser: Ich sitze an einem Text, den ich zunächst in (relativ) enger personaler Erzählweise geschrieben habe. Inzwischen habe ich jedoch den Eindruck, dass das nicht funktioniert. Denn was mir an der Geschichte wichtig ist, spielt zum größten Teil im Innenleben der Figur; zugleich sind es Dinge, über die sie selbst nicht spricht (am Anfang ist sie sowieso ziemlich einsam), über die sie aber auch nicht wirklich nachdenkt, und Tagebuch oder dergleichen würde sie auch niemals führen. Damit blieb mir eigentlich nur die Möglichkeit, ihr Innenleben sozusagen im Außen zu "spiegeln", was dieses Außen aber ziemlich belastet und überfrachtet.

 

Darum versuche ich es gerade mit einem Erzähler, der sich nicht "ganz dicht an ihre Figuren schmiegt", wie du es beschreibst, Juliane. Sondern der Dinge sagen kann, die sie nicht sagen würde. Der nicht unbedingt mehr über die Geschichte und die Welt weiß als die Figur – vielleicht aber doch – die Unterteilung in "personal" und "auktorial" erscheint mir in solchen Fällen wenig hilfreich. Auch ein Erzähler, der aus einiger Distanz von seiner Figur (oder seinen Figuren) erzählt, muss ja nicht unbedingt allwissend sein. Er kann sogar selbst als Figur im Roman auftauchen, als recherchierende Journalistin wie in "Demokratie" von Didion oder wie in "Jakob der Lügner" als einziger Überlebender und Zeuge, der aber nicht in die Geschichte involviert war.

 

Und um die Sache noch ein bisschen komplizierter zu machen: den gleichen Unterschied gibt es doch auch bei Ich-Erzählerin. Es gibt den Ich-Erzähler, der durchgängig ganz nah beim handelnden Ich bleibt, wie du es von deinen Thrillern beschreibst, Michael. Und es gibt Ich-Erzählungen, in denen das erzählende Ich als eigene Instanz auftritt, in denen es kommentiert, Andeutungen macht oder gleich ganz die Reihenfolge der Ereignisse aufmischt, wie Alice Munro es gern tut. Auch da kann der Erzähler eine Stimme haben, die weit von der des handelnden Ichs entfernt ist (zum Beispiel kann er ja in erwachsenem Tonfall über Kindheitserlebnisse sprechen), darum würden mich auch da eure Erfahrungen sehr interessieren.

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Oh, und die Frage, warum der Erzähler erzählt, hatte ich noch viel allgemeiner gemeint, Juliane. Gerade beim Ich-Erzähler liegt die Frage ja nahe: Warum erzählt er das? Will er (blödes Beispiel) eine These beweisen; will er uns ein Land nahebringen; will er irgendeine Handlung rechtfertigen … Was steht für ihn im Mittelpunkt der Geschichte? Ich meine nicht, dass es diese Ebene geben muss! Aber es kann sie geben, und mich würde interessieren, ob sie für euch eine Rolle spielt und wie sich das ausgewirkt hat.

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Denn was mir an der Geschichte wichtig ist, spielt zum größten Teil im Innenleben der Figur; zugleich sind es Dinge, über die sie selbst nicht spricht (am Anfang ist sie sowieso ziemlich einsam), über die sie aber auch nicht wirklich nachdenkt, und Tagebuch oder dergleichen würde sie auch niemals führen. Damit blieb mir eigentlich nur die Möglichkeit, ihr Innenleben sozusagen im Außen zu "spiegeln", was dieses Außen aber ziemlich belastet und überfrachtet.

Hm, ich glaube ich weiß, was du meinst. Der Protagonist in den "Salzwiesen" war anfangs auch recht einsam und jemand, der nicht über sich spricht. Er taucht dann in die Geschichte ein, geht sehr nah dran und dann passiert es, dass er sich plötzlich wie ein zweiter Huwald gegenübersteht. Er tut Dinge, die ihm selbst fremd erscheinen. Und an einem Punkt der Geschichte zieht er sich dann ganz zurück und reflektiert sein Handeln und das der anderen. In den Salzwiesen gibt es einen weiteren "Trick" (der natürlich nicht neu ist): Es ist ein Roman im Roman.

Was steht für den Erzähler im Mittelpunkt? Ich glaube, er will erzählen, wie sich eine enge Gemeinschaft auflöst, welcher Verlust das für Einzelne bedeutet, aber welcher Gewinn auch daraus entstehen kann. In meinem Badezimmer hängt der Spruch einer Freundin: "... por vezes perdendo também se ganha!" (manchmal bedeutet verlieren auch, dass man gewinnt).

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Und um die Sache noch ein bisschen komplizierter zu machen: den gleichen Unterschied gibt es doch auch bei Ich-Erzählerin. Es gibt den Ich-Erzähler, der durchgängig ganz nah beim handelnden Ich bleibt, wie du es von deinen Thrillern beschreibst, Michael. Und es gibt Ich-Erzählungen, in denen das erzählende Ich als eigene Instanz auftritt, in denen es kommentiert, Andeutungen macht oder gleich ganz die Reihenfolge der Ereignisse aufmischt, wie Alice Munro es gern tut. Auch da kann der Erzähler eine Stimme haben, die weit von der des handelnden Ichs entfernt ist (zum Beispiel kann er ja in erwachsenem Tonfall über Kindheitserlebnisse sprechen), darum würden mich auch da eure Erfahrungen sehr interessieren.

 

Genau das ist, was ich mache. Ich schreibe gern als Ich-Erzähler. Es fällt mir leicht, in die Figur zu schlüpfen und alles aus ihren Augen zu sehen, zu erleben. Dabei wechsle ich zwischen szenisch und narrativ. Meine Ich-Figur erklärt, denkt über Dinge nach, moralisiert sogar manchmal aus ihrer Perspektive, oder schaut zurück und erklärt, ohne aber zu viel Innenleben zu zeigen. Manchmal macht sie sich Gedanken über das Leben, den Tod. Manchmal verschweigt sie Dinge, besonders, wo es zu gefühlvoll wird. In meinem Fall ist es ja ein Mann. Er ist ein scharfer Beobachter, aber er sagt nicht, wenn er sich verliebt, zum Beispiel, aber man merkt es an seinen Handlungen oder wie andere ihm im Dialog die Sache auf den Kopf zusagen. Er bleibt immer dicht an der Geschichte, aber gewichtet ist sie dennoch, nach dem, was ihm wichtig erscheint, wie er die Welt sieht, was er kommentieren will oder auch nicht, oder sogar vor sich selbst verbergen möchte. Ganz so, wie man es oft selber tut.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Oh, und die Frage, warum der Erzähler erzählt, hatte ich noch viel allgemeiner gemeint, Juliane. Gerade beim Ich-Erzähler liegt die Frage ja nahe: Warum erzählt er das? Will er (blödes Beispiel) eine These beweisen; will er uns ein Land nahebringen; will er irgendeine Handlung rechtfertigen … Was steht für ihn im Mittelpunkt der Geschichte? Ich meine nicht, dass es diese Ebene geben muss! Aber es kann sie geben, und mich würde interessieren, ob sie für euch eine Rolle spielt und wie sich das ausgewirkt hat.

 

In meinem ersten Roman wollte ich darstellen, warum der Ich-Erzähler seine Geschichte an den Mann bringe will. Wegen eines Erbes, Sohn verschollen, etc.

 

Aber inzwischen hallte ich das für unwichtig. Er erzählt einfach und zwar so, dass man meint, man sitzt neben ihm und hört ihm zu. Kein besonderer Grund.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Genau das ist, was ich mache. Ich schreibe gern als Ich-Erzähler. Es fällt mir leicht, in die Figur zu schlüpfen und alles aus ihren Augen zu sehen, zu erleben. 

 

 

Um in eine Figur hineinzuschlüpfen und hautnah aus ihrer Gedanken- und Gefühlswelt heraus zu schreiben, ist es eigentlich recht unerheblich, ob in Ich-Perspektive oder Nicht-Ich-Perspektive, wie Top-Autoren immer wieder belegen, finde ich.

 

Beeindruckt haben mich immer Texte in denen eine Autorin oder ein Autor scheinbar spielend elegant zwischen der Stimme der jeweiligen Figur (Figurenperspektive) und der Erzähler-Stimme so wechselte, dass sich alles wie aus einem Guss las, also ohne Stilbruch, ohne, dass die jeweilige Romanfigur oder der Erzähler selbst "out of character" fiel.

 

Ein bisschen ist es mit der "Erzählerstimme" wie mit dem Charisma. Da fängt dann jene "Magie" an, die übers Handwerk hinausgeht.

 

Liebe Grüße

Ramona

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Hm, ich glaube ich weiß, was du meinst. Der Protagonist in den "Salzwiesen" war anfangs auch recht einsam und jemand, der nicht über sich spricht. Er taucht dann in die Geschichte ein, geht sehr nah dran und dann passiert es, dass er sich plötzlich wie ein zweiter Huwald gegenübersteht. Er tut Dinge, die ihm selbst fremd erscheinen. Und an einem Punkt der Geschichte zieht er sich dann ganz zurück und reflektiert sein Handeln und das der anderen. In den Salzwiesen gibt es einen weiteren "Trick" (der natürlich nicht neu ist): Es ist ein Roman im Roman.

Das klingt spannend, Barbara (aber was ist ein zweiter Huwald?). Habe ich das richtig verstanden, dass dein Protagonist teils als außenstehender 3.-Person-Erzähler auftritt und teils als Ich-Erzähler? Und der Roman im Roman hat noch einmal einen eigenen Erzähler?

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Huwald ist der Name des Protagonisten. Er tritt quasi neben sich und spricht mit sich: "...und da trat ein neuer Huwald auf die Bühne, kuckte scheu um sich, sprach auch nicht so laut, und gab zu bedenken: Hast du nicht zugehört? Das ist ein ganz normaler Mann. Es ist halt dumm gelaufen für ihn. Hätte dir auch passieren können. Und der andere Huwald wieder: Mir? Wie kommst du denn darauf. Du siehst doch: Alles läuft nach Plan in meinem Leben. – Und der Neue: Ehrlich? Und wo sind deine Träume geblieben, die hast du wohl preiswert entsorgt. – Träume, Huwald, wofür braucht man Träume?"

Huwald erscheint manchmal in der dritten Person, das ist richtig. Aber in den Szenen, die ich meinte, tritt er vom Geschehen zurück. Er bleibt Ich-Erzähler, aber betrachtet das Geschehen aus der Distanz und reflektiert auch seine eigene Rolle.

Der Roman im Roman ist nur die Rahmenhandlung, die es erlaubt, der Geschichte einen zweiten Schluss zu verleihen.

Bearbeitet von BarbaraMM

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Meine Ich-Figur erklärt, denkt über Dinge nach, moralisiert sogar manchmal aus ihrer Perspektive, oder schaut zurück und erklärt, ohne aber zu viel Innenleben zu zeigen. Manchmal macht sie sich Gedanken über das Leben, den Tod. Manchmal verschweigt sie Dinge, besonders, wo es zu gefühlvoll wird. In meinem Fall ist es ja ein Mann. Er ist ein scharfer Beobachter, aber er sagt nicht, wenn er sich verliebt, zum Beispiel, aber man merkt es an seinen Handlungen oder wie andere ihm im Dialog die Sache auf den Kopf zusagen. Er bleibt immer dicht an der Geschichte, aber gewichtet ist sie dennoch, nach dem, was ihm wichtig erscheint, wie er die Welt sieht, was er kommentieren will oder auch nicht, oder sogar vor sich selbst verbergen möchte. Ganz so, wie man es oft selber tut.

 

Ja, genau um solche Punkt geht es mir, Ulf: um das Gewichten, Erklären, Kommentieren. Hast du für dich Faustregeln, wie du das dosierst? Oder wann du solche kommentierenden Passagen einbaust und wann nicht? Zum Beispiel: nicht in Aktion-Szenen, sondern eher, wenn die Handlung ohnehin springt oder zusammengefasst wird? Auch wenn du das dem Gefühl nach entscheidest, kannst du ja vielleicht im Nachhineinsagen, was funktioniert und was nicht?

 

Der zurückblickende Ich-Erzähler ist ja ein Klassiker. Mich würde aber auch sehr interessieren, wie ihr das Entsprechende (also einen kommentieren, vorausgreifenden etc. Erzähler) in der 3. Person einsetzt. Wie gesagt, ob klassich auktorial oder irgendeine Mischform, finde ich dabei nicht so entscheidend.

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Beeindruckt haben mich immer Texte in denen eine Autorin oder ein Autor scheinbar spielend elegant zwischen der Stimme der jeweiligen Figur (Figurenperspektive) und der Erzähler-Stimme so wechselte, dass sich alles wie aus einem Guss las, also ohne Stilbruch, ohne, dass die jeweilige Romanfigur oder der Erzähler selbst "out of character" fiel.

 

Das könnte ich von mir gar nicht sagen, Ramona. Außer dass der Umgang mit der Erzählstimme souverän sein sollte, klar, und keine ungewollten Brüche entstehen sollten. Aber bewusste harte Schnitte zwischen Erzähler- und Figurenstimme kann ich mir z.B. sehr interessant vorstellen. (Wobei mir jetzt kein Beispiel einfällt.) Mich faszinieren aber auch Bücher, in denen durchgängig die Erzählerstimme präsent ist. Ebenso wie es tolle Bücher gibt, in denen der Erzähler sich durchgängig so eng an die Figur schmiegt, wie Juliane es ausdrückt, dass man seine Stimme praktisch nicht mehr bemerkt. Oder Bücher wie "Raum", wo die Erzählstimme kindliche und erwachsene Elemente zu etwas Neuem vermischt, so dass man das gefühl hat, in der Haut des fünfjährigen Protagonisten zu stecken, und dennoch auf eine Weise erzählt wird, die kein Fünfjähriger zustande brächte.

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Meine Ich-Figur erklärt, denkt über Dinge nach, moralisiert sogar manchmal aus ihrer Perspektive, oder schaut zurück und erklärt, ohne aber zu viel Innenleben zu zeigen. Manchmal macht sie sich Gedanken über das Leben, den Tod. Manchmal verschweigt sie Dinge, besonders, wo es zu gefühlvoll wird. In meinem Fall ist es ja ein Mann. Er ist ein scharfer Beobachter, aber er sagt nicht, wenn er sich verliebt, zum Beispiel, aber man merkt es an seinen Handlungen oder wie andere ihm im Dialog die Sache auf den Kopf zusagen. Er bleibt immer dicht an der Geschichte, aber gewichtet ist sie dennoch, nach dem, was ihm wichtig erscheint, wie er die Welt sieht, was er kommentieren will oder auch nicht, oder sogar vor sich selbst verbergen möchte. Ganz so, wie man es oft selber tut.

 

Ja, genau um solche Punkt geht es mir, Ulf: um das Gewichten, Erklären, Kommentieren. Hast du für dich Faustregeln, wie du das dosierst? Oder wann du solche kommentierenden Passagen einbaust und wann nicht? Zum Beispiel: nicht in Aktion-Szenen, sondern eher, wenn die Handlung ohnehin springt oder zusammengefasst wird? Auch wenn du das dem Gefühl nach entscheidest, kannst du ja vielleicht im Nachhineinsagen, was funktioniert und was nicht?

 

Der zurückblickende Ich-Erzähler ist ja ein Klassiker. Mich würde aber auch sehr interessieren, wie ihr das Entsprechende (also einen kommentieren, vorausgreifenden etc. Erzähler) in der 3. Person einsetzt. Wie gesagt, ob klassich auktorial oder irgendeine Mischform, finde ich dabei nicht so entscheidend.

 

 

Zu viel Reflektieren und seitenlange Bauchnabelschau erlaube ich mir nicht. In Action-Szenen natürlich schon gar nicht. Eher in ruhigen Momenten, wenn mein Protagonist allein ist, Zeit zum Nachdenken hat und sich über etwas Wichtiges schlüssig werden will. Das mag eine politische Intrige behandeln, aber auch seine Beziehung zu anderen Menschen, über Religion, über das Leben. Natürlich steht das nicht isoliert, sondern hat direkten Bezug zur Handlung oder was ihm gerade widerfährt. Da ich der Figur über mehrere Bände folge, erlaubt mir das seine persönliche Entwicklung und Reifeprozess mitzuerleben, auch sein wachsendes Selbstvertrauen, sich auch gegenüber mächtigen Personen einzubringen. Ich versuche, nicht zu viele längere Passagen dieser Art zu schreiben. Ich möchte nicht zu sehr damit langweilen. Zwischendurch, oft in Dialogen, bringe ich dann aber auch ein paar Reflektionen als Zweizeiler unter, die den Dialog anreichern und sich vielleicht auf die anderen erwähnten Passagen beziehen.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Was mich interessieren würde: Wie findet ihr beim Schreiben solcher Texte die Erzählstimme? Ist sie "einfach da", d. h. hört ihr sie irgendwann, und mehr braucht ihr nicht? Oder denkt ihr länger über sie nach? Wenn in der 3. Person erzählt wird: Erfindet ihr evtl. einen Erzähler dazu? Wie viel müsst ihr dann über ihn wissen?

 

Ja. Den (bzw sie) erfinde ich, ich will wissen, was er/sie bezweckt. Bei der Fee stellte ich mir zB eine experimentierfreudige Person vor, nicht unbedingt ernstzunehmende Wissenschaftlerin, eher Hobbywissenschaftlerin, die diese beiden Figuren, die so gegensätzlich sind, vor sich auf einer Glasplatte hat und durchs Mikroskop betrachtet oder auch mal von fern/sie durchs Labyrinth laufen lässt etc. Das Ganze als Experiment betrachtet. Neugier, Nähe, Distanz. Vielleicht ab und zu auch Mitgefühl. Ich hatte eine gefühlsmäßig recht genaue Vorstellung von ihr - wusste aber nicht, was sie außerhalb des Labors tat - und trotz dieser genauen Vorstellung hört man sie gar nicht im Text. Die Stimme schmiegt sich in der Fee ja tatsächlich ganz eng an die Figuren, wobei ich auf unterschiedliche Figurentöne geachtet habe (hoffentlich :)) Wollte die Stimme erst hörbarer  machen, das passte dann aber nicht. Aber wichtig war die Haltung. Und ich wusste lange, lange, während ich schrieb, nicht, wie die Sache ausgeht, das passt auch zu dieser Alles-nur-ein-Versuch-Haltung.

In der Zeitenbummlerin habe ich mir allerdings keine Erzählerin ausgedacht, da war "ich" nah an der Figur, die aber viel mit sich selbst redet, sich also per Du anspricht und denkt und auch ab und zu einfach "Ich" sagt, auch sind Gesprochenes und Gedachtes nicht immer klar getrennt, deshalb war das eine Mischform, für die ich das Konstrukt nicht brauchte, das war Erzählen von innen. Und dennoch anders als beim Ich-Erzähler: keine spürbare Gegenwart, also genau nicht: aus welcher Situation und in welcher Stimmung (und aus welchem Grund) wird erzählt, keine Vorausdeutungen, keine Erzählergegenwart als Präsens im gemütlichen Das-ist-alles-nur-eine-Geschichte-Präteritum. Allerdings Sprünge ins Präsens, oft, während die Figur die Geschichte "erlebt". Es geht ja ums Jetzt, da erschienen mir diese Konstrukte nicht produktiv.

 

Und ums Auswählen geht es irgendwie immer. Hier war es eben "ich" mit meiner Haltung: Es geht ums Erleben der Gegenwart, verflucht noch mal, die ausgewählt hat, was erzählt, was verschwiegen wird.
Und es gibt wohl diese Instanz in uns, die beschließt, wie die Stimmung, der Sound (ich wieder, immer komm ich damit) die Atmosphäre sein soll, und damit verbietet sich ja schon einiges von selbst. (Immer noch interessant, Tereza Mora mit der Form, dem Labyrinth ... wir sprachen ja darüber ...)

 

 

 

Wenn ihr einen Ich-Erzähler habt: Wie genau müsst ihr über die Lebenssituation Bescheid wissen, aus der heraus er erzählt?

Dummerweise relativ genau. Merke ich, ich hab es im Moment nur mit Ich-Erzählern zu tun. Je genauer desto besser. Aber ich plane das nicht vorher, ich muss probieren, brauche Text und das Gefühl für den Klang. Das heißt, ich überlege mir vieles davon erst später, aber mein good old Unbewusstes macht es meistens schon richtig, (nicht immer!). Aber überlegen muss ichs mir irgendwann. Die Stimmung ist wichtig, in der der Erzähler ist (auch wenn's nicht nur eine ist, aber es ist eine Grundfärbung). Ich-Erzähler, deren Gegenwart man gar nicht spürt, kommen mir immer klobig vor (hab aber selbst zweimal so eine geschrieben, mit Absicht weil im Genre üblich. Was ich jetzt nicht mehr machen würde.)

 

 

 

Und daran schließt gleich die zweite Frage an. Wie findet ihr heraus bzw. wie genau legt ihr fest, warum euer Erzähler erzählt? Wie entscheidet er (oder ihr), was für die Geschichte wichtig ist, wie sehr färbt sein Blick das Erzählen ein? Es geht mir da weniger um Sachen, die explizit im Text stehen, sondern mehr ums Gewichten der Ereignisse, darum, welche Atmosphäre erzeugt wird, darum, was in den Mittelpunkt gerückt wird. Am wichtigsten ist das sicher bei Texten, die sich stark von der Logik der Handlung lösen oder in denen es erst gar keine strenge Handlungslogik gibt. Dann kann der Erzähler der Geschichte eine andere Struktur geben. Wie findet man diese Struktur?

 

Am leichtesten ist es, finde ich, bei Erzählern, die sehr stark zu hören oder eigen sind. Ich habe in einem Projekt einen etwas außergewöhnlichen Wir-Erzähler (will hier im öffentlichen Bereich nicht näher darauf eingehen), da ist der Blick vorgegeben von dem, was dieser Wir-Erzähler bemerken kann und was nicht (bzw er verfügt auch über die Fähigkeit, in die Menschen hineinzuschauen und von einem zum anderen zu gleiten. Alles weiß er aber auch nicht. Und ja, er hat spezielle Interessen und einen speziellen Blickwinkel) Das macht es eher einfach, zu wissen, was er weglässt und worauf er sich konzentriert. Bei weniger ausgeprägten Erzählern ist es schwieriger. Vielleicht ist die Haltung, wie beim Schauspielern, ein Punkt, an dem man anknüpfen könnte.

 

Wahrscheinlich nur zu Verwirrung beigetragen habend ... grüßt herzlich

Claudia (mit Erzählermeise!)

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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ich habe jetzt nicht alles gelesen, tut mir leid.
Aber ein Beispiel für einen ganz tollen Erzähler bringt Félix J. Palma in seinen Romanen. Er hat einen allwissenden Erzähler mit ganz eigener Stimme, den man im Laufe der Romane richtig kennenlernt - und das, obgleich er nicht ein einziges Wort über sich sagt. Aber man merkt eben sehr genau, wie sein Humor ist, was er mag, was er nicht mag, welchen Figuren er nachempfinden kann, was sie tun, welche er für nicht ganz knusper hält ...

Man erfährt nichts über ihn, aber man lernt ihn kennen. Viele Leser diskutieren angeregt darüber, wer der Erzähler sein könnte. Das ist toll!

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Liebe Barbara, liebe Mitdiskutanten,

das sind viele spannende und wichtige Fragen, wenn es ums Geschichten schreiben geht. Ich werfe einfach mal ein, was mir gerade dazu einfällt.

 

Derzeit habe ich den Eindruck, dass ich die Erzählstimme meines Textes am ehesten im Dialog hören kann. Faszinierend daran finde ich, dass Dialoge, die im Roman ohne weitere Regieanweisungen eingebaut werden, scheinbar objektiv daherkommen, in Wirklichkeit aber ganz viel über die Erzählstimme verraten, allein durch Auswahl und Montage der zitierten Sätze, und auch was ausgespart wird und was nicht. Und welche Stimmung dadurch erzeugt wird: Ironie, Entfremdung, Sentimentalität etc.

 

Ein anderer Gedanke: Wenn ich über etwas schreibe, dann auch deshalb, weil ich es verstehen möchte. Das führt dazu, dass mir meine Hauptfiguren gar nicht unbedingt so vertraut sind. Sie sind mir trotz allem auch ein bisschen fremd. Deshalb schreibe ich ja über sie. Dadurch aber legt sich (denke ich zumindest) eine gewisse Grunddistanz zwischen dem Erzählen und den Figuren. Vielleicht ähnelt das ein wenig der Experiment-Situation, von der Claudia gesprochen hat. Ich staune immer, wenn Autoren erzählen, wie gut sie ihre Figuren kennen. Das ist bei mir anders. Ich empfinde sie auch als unberechenbar.

 

LG

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Ich staune immer, wenn Autoren erzählen, wie gut sie ihre Figuren kennen. Das ist bei mir anders. Ich empfinde sie auch als unberechenbar.

Ich kenne meine Figuren am Anfang einer Geschichte auch nicht gut - da sind sie erstmal ein Konstrukt, für die ich allerdings eine Idee habe. Ich lerne sie dann im Laufe der Geschichte richtig kennen, und - unberechenbar - ja, manchmal tun sie Dinge, die ich nicht vorhergesehen habe.

Mit Gruß, Barbara

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Liebe Barbara,

 

ich glaube, ich weiß so langsam auch, was du meinst.

 

Meine Erfahrung als Leserin: Es stört mich kolossal, wenn ein auktorialer Erzähler in alle Figuren schlüpft, besser weiß als diese selbst, was sie denken und fühlen, und mir ein Panorama präsentiert, von dem ich am Ende nicht weiß, warum er das eigentlich tut. Das kann etwas ungeheuer Selbstgerechtes haben, etwas Thesenhaftes.

 

Eine behutsame Erzählerstimme, eine, die weiß, was sie tut, und sich möglicherweise selbst reflektiert, ist mir als Leserin wichtig.

 

Meine Erfahrung als Schreiberin: Ich habe einmal einen Roman geschrieben, in dem ich die Figuren von außen beschrieben habe, in dem Versuch, eine Konstellation begreiflich zu machen, die die Figuren selbst nicht begriffen (was ihr Verhängnis war). Es gab eine beschreibende, nachzeichnende, einordnende und kommentierende Erzählerstimme. Diese Stimme habe ich einer Figur zugeordnet, die im Roman eigentlich nicht auftauchte bzw. nur am Rand, die dieses Geschehen aber einigermaßen überzeugend kennen konnte. Es wurde letztlich ein Roman mit einer Rahmenhandlung, die niemanden, der das Manuskript las, überzeugt hat. Ich selbst bin vom Konzept dieses Rahmens aber nie weggekommen. Alles andere wäre mir zu nah dran gewesen an den Figuren, zu vermessen. Diese Versuchsanordnung, der Versuch der Nacherzählung eines fiktiven Geschehens, musste sich auch in der Form niederschlagen.

 

Und warum erzählte diese Erzählerin? Sie hat Ordnung in Überreste gebracht, Ordnung in etwas Abgeschlossenes, Vergangenes, die Konsequentheit dessen, was passiert ist, sie hat eine Geschichte vom Ausgang her nachgezeichnet.

 

Kurz: Die Erzählstimme war „da“, die Erzählerfigur wurde später hinzuerfunden, deren Hintergründe wurden nicht vertieft, ihr wurde von mir als Autorin aus ihrer Lebenserfahrung und Nähe zu den Hauptfiguren die Fähigkeit des analytischen liebevollen Blicks zugestanden, aber, wiegesagt – die Konstruktion kam nicht gut an.

 

Was Claudia sagt, dass es nämlich eine bewusste Haltung braucht, mit der die Erzählstimme erzählt, ist, glaube ich, sehr wichtig und wird oft vergessen.

 

Ich mag Rahmenhandlungen, den Gestus von „Hier wird euch eine Geschichte erzählt, Vorhang auf“. Zwei Buchdeckel können das vielleicht auch signalisieren – aber ein E-Bookreader schon nicht mehr so gut …

 

Als Leserin diskutiere ich zur Zeit mit der Erzählstimme in „Unterleuten“, was aber auch an Überidentifikation mit demThema liegt. Trotzdem: Ich finde es schön, wenn mir nicht alles passgenau vorgelegt wird, und ich noch eigene Aha-Erlebnisse haben und im Kopf selbst ein wenig puzzeln kann. Wenn ich bei der Deutung von Charakteren noch Spielraum habe. Aber das ist eine momentane Leseerfahrung.

 

Grüße

Anna

               Website Anna             Instagram            

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Derzeit habe ich den Eindruck, dass ich die Erzählstimme meines Textes am ehesten im Dialog hören kann. Faszinierend daran finde ich, dass Dialoge, die im Roman ohne weitere Regieanweisungen eingebaut werden, scheinbar objektiv daherkommen, in Wirklichkeit aber ganz viel über die Erzählstimme verraten, allein durch Auswahl und Montage der zitierten Sätze, und auch was ausgespart wird und was nicht. Und welche Stimmung dadurch erzeugt wird: Ironie, Entfremdung, Sentimentalität etc.

 

 

Das geht mir definitiv auch so. Der Dialog ist überhaupt für mich das beste Instrument für eine Charakterisierung, besonders natürlich auch des Protagonisten oder Ich-Erzählers. Daraus erschließt sich oft mehr als aus dem narrativen Text. Oder zumindest kann man es so anlegen.

Bearbeitet von Ulf Schiewe

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Bei der Fee stellte ich mir zB eine experimentierfreudige Person vor, nicht unbedingt ernstzunehmende Wissenschaftlerin, eher Hobbywissenschaftlerin, die diese beiden Figuren, die so gegensätzlich sind, vor sich auf einer Glasplatte hat und durchs Mikroskop betrachtet oder auch mal von fern/sie durchs Labyrinth laufen lässt etc. Das Ganze als Experiment betrachtet. Neugier, Nähe, Distanz. Vielleicht ab und zu auch Mitgefühl. Ich hatte eine gefühlsmäßig recht genaue Vorstellung von ihr - wusste aber nicht, was sie außerhalb des Labors tat - und trotz dieser genauen Vorstellung hört man sie gar nicht im Text.

 

Also, das finde ich gerade mega-spannend. Du hattest sozusagen eine Erzählerin im Kopf, die die Geschichte arrangiert, deren Stimme aber nirgendwo zu hören ist?

 

Die Frage des Weglassens finde ich bei dem Thema übrigens auch zentral, darauf komme ich gleich noch mal.

 

Interessant finde ich, dass hier eigentlich alle sagen, dass sie ihre Erzählstimmen intuitiv finden. Auch wenn manche von euch durchaus etwas theoreitscher darüber nachdenken, was für ein bestimmtes Projekt passen könnte und was nicht, die Stimme stellt sich irgendwann ein. Manchmal erst nach einigem Suchen und Ausprobieren, was ja auch eher ein "Abschmecken" ist, etwas, was das berühmte Bauchgefühl zuständig ist. Ich hoffe, ich fasse das nicht falsch zusammen – sonst bitte widersprechen! Mir geht es auch so, obwohl ich wirklich gern analysiere, wie andere es machen, wie ich selbst es hier und da gemacht habe, wie man es sonst noch machen könnte …

 

Derzeit habe ich den Eindruck, dass ich die Erzählstimme meines Textes am ehesten im Dialog hören kann. Faszinierend daran finde ich, dass Dialoge, die im Roman ohne weitere Regieanweisungen eingebaut werden, scheinbar objektiv daherkommen, in Wirklichkeit aber ganz viel über die Erzählstimme verraten, allein durch Auswahl und Montage der zitierten Sätze, und auch was ausgespart wird und was nicht. Und welche Stimmung dadurch erzeugt wird: Ironie, Entfremdung, Sentimentalität etc.

 

Ja, genau, genau. Das finde ich immer wieder so toll an Texten, die sehr vom Narrativen leben: Wenn dann mal Dialog kommt, nur wenige Sätze, dann haben diese Sätze eine solche Power, wie man sie in einem szenischen Dialog kaum mal erreicht. Rede, Gegenrede, und Feierabend – und alles Wichtige ist gesagt. Und wie du sagst, jueb: Genau durch dieses Auswählen zeigt der Erzähler, worauf er abzielt. Ohne ein kommentierendes Wort schreiben zu müssen. Ich muss gestehen, dass ich die Leute, die das wirklich beherrschen, höllisch beneide. Bei mir wird am Ende doch immer unendlich viel geredet. ;-)

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Meine Erfahrung als Leserin: Es stört mich kolossal, wenn ein auktorialer Erzähler in alle Figuren schlüpft, besser weiß als diese selbst, was sie denken und fühlen, und mir ein Panorama präsentiert, von dem ich am Ende nicht weiß, warum er das eigentlich tut. Das kann etwas ungeheuer Selbstgerechtes haben, etwas Thesenhaftes.

 

Die Gefahr, dass der (distanzierte) Erzähler nervt, sehe ich definitiv auch, Anna. Ich reagiere auf manche Autoren genau wegen ihrer Durchblicker-Erzähler ausgesprochen allergisch.

 

Meine Erfahrung als Schreiberin: Ich habe einmal einen Roman geschrieben, in dem ich die Figuren von außen beschrieben habe, in dem Versuch, eine Konstellation begreiflich zu machen, die die Figuren selbst nicht begriffen (was ihr Verhängnis war). Es gab eine beschreibende, nachzeichnende, einordnende und kommentierende Erzählerstimme. Diese Stimme habe ich einer Figur zugeordnet, die im Roman eigentlich nicht auftauchte bzw. nur am Rand, die dieses Geschehen aber einigermaßen überzeugend kennen konnte. Es wurde letztlich ein Roman mit einer Rahmenhandlung, die niemanden, der das Manuskript las, überzeugt hat. Ich selbst bin vom Konzept dieses Rahmens aber nie weggekommen. Alles andere wäre mir zu nah dran gewesen an den Figuren, zu vermessen. Diese Versuchsanordnung, der Versuch der Nacherzählung eines fiktiven Geschehens, musste sich auch in der Form niederschlagen.

 

Und warum erzählte diese Erzählerin? Sie hat Ordnung in Überreste gebracht, Ordnung in etwas Abgeschlossenes, Vergangenes, die Konsequentheit dessen, was passiert ist, sie hat eine Geschichte vom Ausgang her nachgezeichnet.

 

Kurz: Die Erzählstimme war „da“, die Erzählerfigur wurde später hinzuerfunden, deren Hintergründe wurden nicht vertieft, ihr wurde von mir als Autorin aus ihrer Lebenserfahrung und Nähe zu den Hauptfiguren die Fähigkeit des analytischen liebevollen Blicks zugestanden, aber, wiegesagt – die Konstruktion kam nicht gut an.

 

Das finde ich aber interessant, Anna. Magst du noch etwas genauer berichten, was nicht gut ankam? War es eher die Konstruktion – die Rahmenhandlung – oder allgemeiner die distanzierte Stimme? Und hattest du beim Schreiben selbst das Gefühl, eine Hilfskonstruktion zu bemühen, oder hat es sich für dich organisch und stimmig angefühlt? (Wenn dir dieses Nachhaken zu weit geht, bitte einfch ignorieren!)

 

Als Leserin diskutiere ich zur Zeit mit der Erzählstimme in „Unterleuten“, was aber auch an Überidentifikation mit demThema liegt.

 

Das spricht aber auf jeden Fall dafür, dass es eine prägnante Erzählstimme ist, oder? (Ich kenne von dem Roman bisher nur einen kurzen Ausschnitt von einer Lesung.)

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