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Sabine

Der Protagonist als Täter

Empfohlene Beiträge

Liebe Sabine,

 

ich verstehe. Dann nehme ich mal das "unelegant" zurück, weil man das erst beurteilen kann, wenn der jeweilige Text vor einem liegt. Es hängt für mich tatsächlich davon ab, wie diese Aussparungen eingesetzt werden.

 

"The Sixth Sense" fand ich einen schönen Film. Aber die Prämisse war mir durch den Trailer klar: "Ich kann tote Menschen sehen". Also, nahm ich an, ist Bruce Willis tot. War dann ja auch so. Und dann kommt man zu Szenen, in denen Bruce Willis mit seiner Frau an einem Tisch sitzt, wenn ich mich richtig erinnere. Als Zuschauer merkt man, dass diese Szene "hölzern" ist oder "kalt". Man strauchelt, weil man merkt, dass die zwei sich merkwürdig verhalten oder zumindest die Frau. Denn sie reagiert nicht auf ihn.

Und hier wird es für mich "unelegant". Der Charakter von Bruce Willis müsste hier bemerken, dass etwas absolut nicht stimmt. Er kennt seine Frau. Der Film spielt uns aber vor, dass er es darauf beruhen lässt. Und das nehme ich ihm nicht ab.

Warum ist das so? Weil die Regie hier dem Bedürfnis des Effekts folgt und nicht dem Bedürfnis der Figur. 

 

Schöne Grüße,

 

Holger

 

Da hast du recht, die Figur hätte das merken müssen, wenn man es genau nimmt oder wenn man es rückblickend auseinandernimmt. Aber wenn man danach geht, wäre es gar nicht möglich, überhaupt einen Film über jemanden zu machen, der tot ist und es nicht merkt. Denn eine Situation wo man es merken würde, würde schon sehr früh eintreten (z.B. weil einen jeder ignoriert) – da könnte man immer was finden, auch wenn der Autor diese Situationen im Film gar nicht zeigt. Generell wären uns dann sehr viele Filme verwehrt geblieben.

Ich glaube, die Intension des Films war es nicht, die Realität abzubilden, sondern der Autor wollte dem Zuschauer ein emotionales Erlebnis schenken, ihn mit dem Gefühl nach Hause schicken: krass, ich bin total darauf reingefallen (auch wenn du ihm dabei entwischst bist). Für mich hat der Film funktioniert, ich finde ich nach wie vor genial. Ich verzeihe dem Autor diese Tricksereien. Denn für mich zählt nur, was ich fühle und mich hat der Film körperlich geflasht. Aber meine Prioritäten liegen da einfach wo anders als z. B. bei dir. Außerdem wusste ich die Auflösung nicht schon vorher, hätte ich es gewusst, hätte ich vermutlich auch alles infrage gestellt.

Bearbeitet von Sabine
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"The Sixth Sense" fand ich einen schönen Film. Aber die Prämisse war mir durch den Trailer klar: "Ich kann tote Menschen sehen". Also, nahm ich an, ist Bruce Willis tot. War dann ja auch so. Und dann kommt man zu Szenen, in denen Bruce Willis mit seiner Frau an einem Tisch sitzt, wenn ich mich richtig erinnere. Als Zuschauer merkt man, dass diese Szene "hölzern" ist oder "kalt". Man strauchelt, weil man merkt, dass die zwei sich merkwürdig verhalten oder zumindest die Frau. Denn sie reagiert nicht auf ihn.

Und hier wird es für mich "unelegant". Der Charakter von Bruce Willis müsste hier bemerken, dass etwas absolut nicht stimmt. Er kennt seine Frau. Der Film spielt uns aber vor, dass er es darauf beruhen lässt. Und das nehme ich ihm nicht ab.

Warum ist das so? Weil die Regie hier dem Bedürfnis des Effekts folgt und nicht dem Bedürfnis der Figur. 

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Stimmt, die Szene ist an sich etwas hölzern. Aber kriegt man das als "Toter" mit? Vom luziden Träumen her kenne ich verschiedene Methoden, sich im Traum bewusst machen, dass man träumt, um den Traum anschließend lenken zu können. Eine besteht darin, dass man sich im Traum fragt, wie man an den Ort gekommen ist, an dem man sich grade befindet, weil im Traum die Szenen immer ohne Übergänge wechseln (man hat quasi keine Wegezeit und also auch keine Erinnerung daran). Das bedingt, dass man sich die Frage auch am Tag oft stellt, damit man eine Gewohnheit etabliert. Im Reich des "kleinen Todes" scheinen die Gesetzmäßigkeiten eher denen des "großen Todes" als denen des Alltagsbewusstseins zu ähneln, also kurze, jähe Wechsel und kein Infragestellen von Merkwürdigkeiten. Ich habe Bruce Willis die Steifheit in der Szene abgenommen, da sie recht kurz war, hatte beim ersten Schauen des Films aber noch keinen Verdacht. Kennt ihr den Film "Stay"? Der spielt damit noch extremer, für mich genial, aber um nicht zu spoilern, schreibe ich hier jetzt lieber nicht weiter ... :-)

Bearbeitet von KerstinH
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Fight Club und Sixth Sense machen das quasi auf dieselbe Art.

Nur das die Andeutungen bei Fight Club etwas offensiver sind. Mir war das recht schnell klar, daher war der Film für mich nach einer knappen dreiviertel Stunde "durch" und die Spannung weg.

Bei Sixth Sense hatte ich keinen Schimmer - der hat mich wirklich überrascht.

 

Wenn man den entsprechenden Hinweis übersieht, mag Fight Club handwerklich gelungener wirken - aber auch nur dann. Der geht halt ein einer Stelle ein großes Risiko ein.

Aber prinzipiell funktionieren die sehr ähnlich.

Fight Club hat mehr relevante Themen. Der Twist mit der gespaltenen Persoenlichkeit ist eigentlich nur ein Sahnehaubchen, das der Film nicht einmal zwingend braeuchte.

Beide funktionieren eigentlich nur an der Oberflaeche aehnlich.

Bei Fight Club glaube ich dem Protagonisten, dass er keine Ahnung hatte, beim andern nicht.

Und ueberschaetzt finde ich The Sixth Sense, weil er ohne den Aufhaenger nicht funktioniert haette. Aber das ist Ansichtssache.

Bearbeitet von FlorianH
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"The Sixth Sense" fand ich einen schönen Film. Aber die Prämisse war mir durch den Trailer klar: "Ich kann tote Menschen sehen". Also, nahm ich an, ist Bruce Willis tot. War dann ja auch so. Und dann kommt man zu Szenen, in denen Bruce Willis mit seiner Frau an einem Tisch sitzt, wenn ich mich richtig erinnere. Als Zuschauer merkt man, dass diese Szene "hölzern" ist oder "kalt". Man strauchelt, weil man merkt, dass die zwei sich merkwürdig verhalten oder zumindest die Frau. Denn sie reagiert nicht auf ihn.

Und hier wird es für mich "unelegant". Der Charakter von Bruce Willis müsste hier bemerken, dass etwas absolut nicht stimmt. Er kennt seine Frau. Der Film spielt uns aber vor, dass er es darauf beruhen lässt. Und das nehme ich ihm nicht ab.

Warum ist das so? Weil die Regie hier dem Bedürfnis des Effekts folgt und nicht dem Bedürfnis der Figur. 

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Stimmt, die Szene ist an sich etwas hölzern. Aber kriegt man das als "Toter" mit? Vom luziden Träumen her kenne ich verschiedene Methoden, sich im Traum bewusst machen, dass man träumt, um den Traum anschließend lenken zu können. Eine besteht darin, dass man sich im Traum fragt, wie man an den Ort gekommen ist, an dem man sich grade befindet, weil im Traum die Szenen immer ohne Übergänge wechseln (man hat quasi keine Wegezeit und also auch keine Erinnerung daran). Das bedingt, dass man sich die Frage auch am Tag oft stellt, damit man eine Gewohnheit etabliert. Im Reich des "kleinen Todes" scheinen die Gesetzmäßigkeiten eher denen des "richtigen Todes" als denen des Alltagsbewusstseins zu ähneln, also kurze, jähe Wechsel. Deswegen hab ich Bruce Willis die Steifheit in der Szene abgenommen (hatte allerdings beim ersten Schauen des Films noch keinen Verdacht). Kennt ihr den Film "Stay"? Der spielt damit noch extremer, für mich genial, aber um nicht zu spoilern, schreibe ich hier jetzt lieber nicht weiter ... :-)

 

Stimmt, beim Träumen ist es ja genauso. Man stellt die Dinge nicht infrage, auch wenn sie noch so absurd sind, man lebt einfach mit ihnen. Sogar wenn man luzid ist, stellt man sie nicht infrage, vielmehr nutzt man die Umstände oder spielt mit ihnen. 

 

Stay steht auf meiner Wunschliste und ich warte schon ewig drauf, dass er endlich mal bei prime kommt  ;D. Jetzt bin ich natürlich erst recht neugierig drauf, vielleicht leihe ich ihn mir ja doch schon aus.

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Ich glaube, die Intension des Films war es nicht, die Realität abzubilden, sondern der Autor wollte dem Zuschauer ein emotionales Erlebnis schenken, ihn mit dem Gefühl nach Hause schicken: krass, ich bin total darauf reingefallen.

 

Also, ich mochte den Film auch sehr, schon weil ich Bruce Willis gerne bei allem zuschaue, was er so macht, meist jedenfalls.

Ich konnte ihn anders genießen, weil ich den Twist richtig vermutet hatte.

 

Und ich bin ganz bei Dir: ja, dem Regisseur ging es primär um den Effekt. Und der ist ja auch toll. Um das zu ermöglichen, "schummelt" er bei seiner Figurenführung. Das ist für mich nicht "sauber". Es ist "unelegant".

Für mich wäre Effekt plus saubere Figurenführung die Kür. Ist "The Sixth Sense" für mich aus diesen Gründen nicht.

 

Ich meine übrigens auch nicht "Realität", wenn ich von der Szene zwischen Willis und seiner Frau schreibe, sondern es geht mir um die innere Glaubwürdigkeit der Geschichte. Das kennen wir alle aus unseren eigenen Geschichten.

Shyamalan vernachlässigt z. B. in dieser Szene die Glaubwürdigkeit der Figur zugunsten des Effekts. Das ist ihm nicht unterlaufen, das Opfer musste er bringen - oder auf die Szene verzichten, was er offensichtlich nicht wollte.

 

Schönen Grüße,

 

Holger

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Wenn der Täter es selbst nicht weiß, dass er der Täter ist, ist es ja noch relativ einfach.

 

Kompliziert wird es, wenn er es weiß, der Zuschauer es aber nicht wissen soll.

 

Gute Beispiele dafür sind "The Whole Truth" und "Schwarzer Schmetterling" (beides sind Filme; letzterer nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Buch von Bernard Minier).

 

Da sieht man aber auch das Problem: Bei beiden Filmen hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, sehr stark distanziert vom Protagonisten zu sein.

Man konnte nicht mit ihm mitfühlen, sich nicht mit ihm identifizieren usw.

Erst am Ende war dann klar, warum das so war: Der Zuschauer durfte halt nicht in den Kopf des Protagonisten rein, damit die Auflösung noch glaubwürdig bleibt.

Bei Büchern mit Ich-Perspektive oder personaler Perspektive ist das noch schwieriger, weil der Leser da eben im Kopf des Protagonisten drin ist.

Da ist die Gefahr dann schon groß, dass man sich als Leser nachher verschaukelt fühlt, weil die Auflösung nicht mehr zu den 300 Seiten passt (ihnen inhaltlich widerspricht), die man vorher gelesen hat. Es sei denn, es ist wirklich super gemacht.

Bearbeitet von MichaelT
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