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Brunhilde

streicheln und streichen

Empfohlene Beiträge

Liebe Kollegen,

 

ich finde (gerade in Texten von Selfpublishern) immer öfter den Ausdruck, dass jemand über etwas streichelt, z.B. "Er streichelte ihr über den Rücken."

 

Da meine Korrektur in "Er strich ihr über den Rücken" hartnäckig ignoriert werden, verdrehe ich nur noch die Augen.

Es kann doch nicht angehen, dass man über etwas streichelt, oder liege ich da jetzt total falsch? Man streicht doch über ein warmes Fell oder über irgendwelche Körperteile oder Nutella aufs Brot, aber man streichelt etwas, einen Hund, eine Katze und sonstwas. Oder nicht? Dann streiche ich meine Segel .... 

 

Wie haltet ihr das?

 

Brunhilde

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Ich sehe definitiv einen Unterschied zwischen streichen und streicheln. Streichen tut man meist nur einmal, um etwas zu befühlen oder zu korrigieren, das passiert dann ein Mal oder ein zweites Mal, sofern es beim ersten Mal nicht den gewünschten Erfolgt hatte. Und streicheln tut man, wenn man Zärtlichkeit schenken will, die Bewegung findet dann – einen Ticken zärtlicher als beim Streichen – mehrmals hintereinander statt.

Zumindest wäre das jetzt meine Interpretation.

Bearbeitet von Sabine
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Sehr viele Verben auf -eln sind ein verbaler Diminuitiv. Bei den Nomen kennt man das: Haus – Häuschen, Buch – Büchlein. Einige Verben können das aber auch:

lachen – lächeln

klingen – klingeln

streichen – streicheln.

Das eine ist die große Bewegung, das andere die kleinere. Zusätzlich ist sehr oft dabei ein Wiederholen gemeint – das ist Sabine richtigerweise aufgefallen: zappeln, ruckeln, gickeln, nuckeln, hoppeln etc.

 

Und zu deiner eigentlichen Frage: Du hast recht, Brunhilde. "streicheln" ist ein transitives Verb, d.h. es folgt ein Akkusativobjekt und keine Präposition. Er streichelte ihre Wange, sie streichelt den Hund etc.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Hm, so gern ich immer deinen Ausführungen »lausche«, liebe Angelika, und ihnen auch meistens folge, möchte ich hier doch widersprechen, auch wenn ich das nicht so grammatikalisch korrekt kann, wie du. Ich bin schon der Meinung, dass es einen Unterschied macht, ob ich jemandem »den« Rücken streichle - was ich so interpretiere, dass ich in dem Moment ganz auf diese Beschäftigung des Streichelns konzentriert bin, oder ob ich jemandem »über den« Rücken streichle, was ich empfinde als ein mehr nebensächliches zärtliches Darüber Streicheln - aber eben nicht Streichen. Und ich würde gern als Autorin die Möglichkeit haben, diese Feinheiten auch ausdrücken zu dürfen. Herzlich, Barbara

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Schön finde ich ganz besonders das Wortpaar: zappen - zappeln *duckundweg*

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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Ich finde, dass Streicheln und Streichen im gleichen Kontext nicht unbedingt unterschiedliche Handlungen sind, beides drückt ja dann Zärtlichkeit aus. Ob ich nun zärtlich über die Wange streiche oder zärtlich die Wange streichle, ist egal. 

Aber das "über" ist beim Streicheln ja sowas von über ... :-), während es beim Streichen über eine Körperpartie dazugehört.

 

Barbara, für mich ist das ein Misston, wenn ich über etwas streichle ...grrr :-)  

 

Brunhilde

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Für mein Sprachgefühl geht es beim "streicheln" um ein Lebewesen (Tier, Mensch, Baum), beim "streichen" eher um Gegenstände (Kotflügel, Perlenkette, Tischplatte). Die Platte meines Esstisches z.B. würde ich niemals streicheln wollen, den Apfelbaum vor meinem Fenster aber sehr wohl , von Mann und Katze ganz zu schweigen ...

 

Lieben Gruß

Doris

MAROKKO-SAGA: Das Leuchten der Purpurinseln,  Die Perlen der Wüste,  Das Lied der Dünen; Die Wolkenfrauen

Neu seit März 2020: Thea C. Grefe, Eine Prise Marrakesch

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Rein gefühlsmäßig würde ich auch nicht über etwas streicheln, sondern nur etwas oder noch besser jemanden.

Das Stilwörterbuch Duden protestiert allerdings nicht gegen die Wendung "jemandem übers Haar streicheln".

 

Brunhilde, immerhin verdrehst du in solchen Fällen die Augen und rollst weder sie noch mit ihnen :-)

 

 

hg

Maria

Komm wir essen Opa.

SATZZEICHEN können Leben retten.

www.mcpoets.de

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Brunhilde, immerhin verdrehst du in solchen Fällen die Augen und rollst weder sie noch mit ihnen :-)

 

 

hg

Maria

 

Na gut, übers Haar streicheln ... -  nein, selbst das nicht.

 

Maria, ich verdrehe die Augen auch nur, weil das Streicheln in Erotikromanen naturgemäß häufig vorkommt - und dann jedesmal "über ..."

Bin da ein bisschen geschädigt  :-)

 

Brunhilde

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Interessant, wie einige der intuitiven Einschätzungen und Angelikas genaue linguistische Analyse in diesem Fall zu divergieren scheinen. Ich frage mich, warum das so ist. Als Linguist kann ich Angelikas Analyse nur bestätigen.

 

Vielleicht ist es hier nützlich es, wenn man sich klar macht, dass sprachliche Formen durch die Ableitung (z.B. von Verben abgeleitete Verben) auch ihre Bedeutung verändern. Peter Polenz klassifiziert in seinem Buch „Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen-den-Zeilen-Lesens“ das Suffix –el (wie in streicheln) als iterativ – also wiederholend. Dadurch erhält es eine zeitliche Bedeutungskomponente. Andere Verben, die mit -el von Verben abgeleitet sind, erhalten eine diminutive Bedeutungskomponente: Hüsteln, lächeln, tänzeln. Beide Arten von Verben (iterative und diminutive) haben gemeinsam, dass sie im Gegensatz zu den perfektiven Verben wie „loslaufen“, oder „einschlafen“ den reinen Ablauf des Geschehens bezeichnen, ohne etwas über Anfang oder Ende des Geschehens auszusagen. Das Suffix –el verstärkt diese zeitliche Dimension der Bedeutung und erlaubt es so, diese Bedeutungsnuancen auszudrücken.

 

Ob sich nun streicheln nur auf Menschen und Tiere oder auch auf Objekte beziehen kann, ist eine Frage der Kollokation. Dazu muss man den Muttersprachlern aufs Maul schauen, also die Frage empirisch beantworten. Ich habe mal mit den Begriffen „Stift“, „Blume“ und „Bild“ gegoogelt und zum Beispiel folgende Verwendungen gefunden:

-       Mit den Augen dem Gesehenen folgen, als ob ich sie so mit dem Stift  streicheln könnte. Frederick Franck, der Autor von “Zen in der Kunst des Sehens" spricht von Auge-Herz-Hand-Reflex.

-       Es war die Berührung, mit der man die Blütenblätter einer Blume streicheln würde. (Richard Harvell. Der Kastrat.)

-       Sie strich leicht über die Farbe, als würde sie das Bild streicheln, dann...

-       Behutsam, als würde er die Blätter einer Blume streicheln, hob er mich hoch auf das Pferd. (Doris Laubmeier: Unter dem Zeichen des Kriegsgottes)

-       Frau Schuster im Altenheim würde sicherlich strahlen und zärtlich über das Bild streicheln.

 

Wie man sieht,  ist die Kollokation des Verbs „streicheln“ nicht strikt auf Menschen und Tiere begrenzt. Die zitierten Beispiele erhalten aber durch das Verb streicheln eine belebte Bedeutungskomponente, die in dem Objekt selbst nicht enthalten sein muss. In den ersten vier Beispielen distanzieren sich die Autoren auch durch einen Konjunktiv von dieser untypischen Kollokation. 

 

Es steckt also eine Menge an Ausdrucksvermögen in dem schönen Suffix -el. Ist doch praktisch.

 

Die stilistische Bewertung überlasse ich dann lieber den jeweiligen Autorinnen und Autoren.

 

Schöne Grüße,

 

Manfred

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Aber das ist doch hier sehr interessant, Manfred! Ausgangspunkt der Frage war ja – ich raffe es zusammen – ob auf streicheln ein Akkusativobjekt folgt oder eine präpositionale Ergänzung mit über. Ich hätte gesagt: transitives Verb oder absolutes (so wie dein Beispiel mit dem Stift streicheln). Aber hier findet sich tatsächlich ein über –  

-       Sie strich leicht über die Farbe, als würde sie das Bild streicheln, dann...

 

-       Frau Schuster im Altenheim würde sicherlich strahlen und zärtlich über das Bild streicheln.

– und obwohl es mir kontextlos seltsam vorkäme, kann ich mir jetzt den Satz ohne die Präposition gleich gar nicht mehr vorstellen: " ... würde sicher strahlen und zärtlich das Bild streicheln" – klingt blöd, oder? Schon wegen der Satzstellung, das müsste eigentlich heißen: " ... und das Bild zärtlich streicheln". Aber dann bekommt das Bild den Charakter des Lebendigen, das passte, wie du oben schön ausgeführt hast, dann ja auch nur im Konjunktiv.

 

In so einem Fall geht es also doch mit Präposition. Und die Vorstellung dazu ist bei mir: sie berührt das Bild immer nur ganz kurz, dann schwebt die Hand wieder darüber. Bei über gibt es ja – im Unterschied zu auf – keinen Kontakt mit dem Gegenstand. 

 

Aha, aha, aha.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Ja, das ist alles toll, Manfred und Angelika.

 

 

 

 

– und obwohl es mir kontextlos seltsam vorkäme, kann ich mir jetzt den Satz ohne die Präposition gleich gar nicht mehr vorstellen: " ... würde sicher strahlen und zärtlich das Bild streicheln" – klingt blöd, oder? Schon wegen der Satzstellung, das müsste eigentlich heißen: " ... und das Bild zärtlich streicheln"

Wirklich? Geht die Satzstellung eins, wenn man sie aus rhythmischen bzw Betonungsgründen wählen wollen würde :) denn nicht durch und den Lesefluss hinunter?

 

 

 

Aber dann bekommt das Bild den Charakter des Lebendigen, das passte, wie du oben schön ausgeführt hast, dann ja auch nur im Konjunktiv.

Ja! Finde ich auch einleuchtend.

 

 

 

In so einem Fall geht es also doch mit Präposition. Und die Vorstellung dazu ist bei mir: sie berührt das Bild immer nur ganz kurz, dann schwebt die Hand wieder darüber. Bei über gibt es ja – im Unterschied zu auf – keinen Kontakt mit dem Gegenstand.

Ja, kann ich mir auch gut vorstellen, eine streichelnde Distanziertheit sozusagen, durch den Konjunktiv und die gewählte Präposition.

Aber gibt es bei über wirklich keinen Kontakt? Es kann sein, dass der Kontakt flüchtig ist, wenn man über etwas streicht (nicht streichelt) aber schon mit Berührung, man wischt vielleicht etwas weg, schnell, beiläufig, unwillkürlich, aber die Hand schwebt NICHT immer wieder über zB der Tischplatte, der Fläche, über die man streicht.
Und streicht man länger darüber, selbstvergessen, dann beginnt irgendwann das Streicheln. Ohne Präposition.
Ach - und erinnert ihr euch noch an die Streicheleinheiten?

Was für ein Wort.

Liebe Grüße

Claudia

Bearbeitet von ClaudiaB

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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