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Alf

Wie viele Perspektiven verträgt ein Roman?

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Hallo allerseits!

 

Mich hat das Problem der Perspektiven ja schonmal beschäftigt, im Thread "Neue Perspektive am Ende des Romans einführen", und ich muss sagen, all die Antworten haben in ein ziemliches Wespennest gestochen und mich ganz schön verunsichert. Anstatt also auf besagten Thread zu antworten, würde ich das Fass gerne etwas weiter aufmachen, und generell fragen: wie viele Perspektiven verträgt ein Roman?

 

Auch die Fachliteratur hilft mir da nicht unbedingt weiter. Sol Stein schreibt auf der einen Seite, dass man darauf achten soll, dass man den Akteur wählt, der von den Ereignissen in der Szene am meisten betroffen ist. Und er schreibt, dass die Erzählform des personalen Erzählers am besten funktioniert, wenn man die Geschichte aus der Sicht einer bestimmten Person schildert. Tja. Und jetzt?

 

Was mein aktuelles Projekt angeht, ist diese Diskussion erstmal akademisch, weil Ende dieses Monats Abgabe ist, und eine komplette Entkernung nach perspektivischen Gesichtspunkten unmöglich sein wird. Also schau ich jetzt mal, wie ich das Beste aus den Gegebenheiten machen kann. Erstmal habe ich in die Kapitelüberschriften die jeweiligen Perspektivträger eingetragen, und bin auf 14 Perspektivträger auf ca. 800 Normseiten gekommen. Dabei sieht es so aus, dass der Erzählstrang tatsächlich ein wenig wie eine Pflanze wächst: Zu Beginn ist da nur die Hauptfigur, der Stamm sozusagen, und im Laufe der Geschichte kommt es zu feineren Verästelungen. Gottseidank bleibt die Hauptfigur dabei immer präsent und im Mittelpunkt, wie ich festgestellt habe: der Kontakt zu den anderen Figuren bildet sich meist "traubenartig" um die Hauptfigur herum. 

 

Um die Geschichte jetzt also so gut wie möglich zum Abgabetermin rüberzuretten habe ich aus all den kritischen Punkten folgende Richtlinien rauszudestilieren versucht:

 

Regel Nummer 1: Verwirre Deine Leser nicht!

Erreichbar vielleicht dadurch, dass kein Perspektivenwechsel im leeren Raum geschieht. Ungünstig wäre es wahrscheinlich, wenn der Leser blinzelt, sich im Kopf einer anderen Figur wiederfindet und keine Ahnung hat, wo er gerade ist, und warum er hierherteleportiert wurde. Also sollte wahrscheinlich so eine Art "Staffelstab-Übergabe" stattfinden, es sollte einen Anknüpfungspunkt geben, der von der Perspektive der Hauptfigur auf eine Nebenfigur überleitet, die der Leser bereits erlebt hat.

 

Regel Nummer 2: Sorge Stets dafür, dass Deine Hauptfigur immer im Kern der Dinge bleibt.

Erreichbar vielleicht durch "Konfliktcluster", durch ein gemeinsames Thema, dass alle verwendeten Perspektivträger um die Hauptfigur vereint.

 

Entsprechend werde ich diese Brille bei der Überarbeitung besonders im Auge behalten und daraufhin nachbessern, wo das nötig ist.

 

Aber ganz allgemein gefragt: Was ist Eure Meinung zu mehreren Perspektiven? Wo ist es Chance, wo Falle, wo ist es zu viel, welche Vorsichtsmaßnahmen würdet ihr vorschlagen?

 

Ciao,

 

Alf.

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Ich stelle immer wieder fest, dass Autoren Perspektiven (beim Personalen Erzählen) nicht deutlich sichtbar voneinander trennen. Dass also mitten auf einer Seite plötzlich die P. wechselt. Ich selbst erzähle gern aus verschiedenen Perspektiven (jeweils kapitelweise) und komme schon mal (beim Krimi) auf 5 verschiedene. 14 hielte ich für zu viel. Selbst bei diesem Umfang.

 

LG Cornelia

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Das Thema treibt mich auch gerade um.

 

Den Wechsel der Perspektive versuche ich dem Leser deutlich zu machen, indem ich entweder ein neues Kapitel beginne oder ein Unterkapitel einschiebe, also eine Leerzeile zwischen den Perspektiven lasse. Das genügt aber wohl nur, wenn der Leser sich mit den zwei, drei oder vier Perspektiven im Buch zurechtfindet. 14 Perspektiven halte ich, wie Cornelia, auch für etwas happig. Allerdings: Dem Roman sind ja keine Grenzen gesetzt und ebensowenig der Fantasie. 

 

Einen Lesetipp noch zum Thema Wildwuchs in der Perspektive: "Shogun" von James Clavell. Der wechselt alle drei Seiten ohne Ankündigung die Perspektive, bis man nach 1800 Seiten nicht mehr weiß, ob der eigene Kopf nicht zwischendurch dem Samuraischwert zum Opfer gefallen ist. Der Roman ist aber trotzdem ein Bestseller gewesen. 

Sagt Abraham zu Bebraham: Kann ich mal dein Cebraham?

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Hi Alf

 

Kein guter Zeitpunkt, um etwas „retten“ zu wollen. Stell dir vor, alle sagen dir jetzt: Oh, Mann, 14, bist du irre? ... dann wirst du kaum noch eine ruhige Nacht haben. ;-)

Ich kann dir auch nicht sagen, so viel oder so viel, das kommt immer auf die Geschichte an, aber selbst mich dünkt 14 eine Menge .

 

Meist habe ich zwischen 2 bis 3 Erzählstimmen: 1. Held, 2. Heldin, 3. Antagonist, selten noch eine 4., wenn eine Nebenfigur eine wichtige Sichtweise vermitteln soll und in der ganzen Geschichte vorkommt. Aus dem einfachen Grund, weil ich weder die Leser noch mich selbst verwirren will. Ich muss ja alle Erzähler gut kennen, nicht? Und mit einer Erzählstimme soll man sich ja auch irgendwie identifizieren können - positiv oder negativ. Wenn dann aber lauter Statisten auftreten, wie soll ich die alle „ins Herz schliessen“? Du weißt, was ich meine?

 

Aber das sind alles Theorien. Ich kenne ein paar Romane, in denen sich der Autor überhaupt nicht darum geschert hat, wie viele Erzähler darin vorkommen. Und die funktionieren alle ganz prächtig.

 

Gruss

Margot

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Ich würde sagen, form follows function, auch im Roman. Wenn du 14 Perspektivträger brauchst, um deine Geschichte so zu erzählen, wie du möchtest, dann ist das so. Vierzehn ist natürlich eine ungewöhnlich hohe Anzahl und ich frage mich, ob Leser bereit sind, da mitzugehen. Man muss sich bei jedem Perspektivwechsel auf eine neue Innenwelt einstellen, auf eine neue Sichtweise, und wenn die Perspektive so häufig wechselt, kann das Lesen sehr anstrengend werden. Es sei denn, es ist wirklich gut gemacht.

Ich denke, die meisten Geschichten kommen mit, zwei bis fünf Perspektivträgern aus. Aber Regel gibt es bei Schreiben nur eine: Tu das, was für die Geschichte notwendig ist.

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Tatsächlich, liebe Margot, beruhigt mich das, was Du schreibst sogar sehr. Du hast Recht: Viel Verändern ist da nicht mehr drin. Und Du hast weiterhin Recht: Es war eine SAUDUMME Idee, dieses Fass überhaupt so kurz vor Ende aufzumachen. Vor allen Dingen, weil es mir bisher immer sehr gut gefallen hat, und meine Zweifel nur durch diese Diskussion entstehen.

 

Beruhigend finde ich Deinen Beitrag deswegen, weil ich ruhigen Gewissens behaupten kann, dass ich die Perspektiven von Figuren gewählt habe, die ich unglaublich gut kenne. Ich entwickle eine Geschichte immer aus den Figuren heraus, alle Figuren sind immer irgendwie mit der Geschichte verknüpft. Und da der Roman in einem Internat spielt gibt es da natürlich viele Sichtweisen.

 

Ob ich mich verzettelt habe? Vielleicht. Aber jetzt ists ums Eck. Ach was solls. Ich bring das Ding jetzt einfach mal zu Ende ;D

 

Danke und Ciao,

 

Alf.

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Also von Regeln halte ich wenig. Es kommt immer darauf an, wie es gehandhabt wird. 14 Perspektiven in einem Krimi halte ich auch für problematisch, weil wahrscheinlich unnötig und verwirrend. Denn meist sind ja Perspektiven mit Erzählsträngen verbunden. Und wie viele Erzählstränge braucht ein Krimi?

 

George R.R. Martin erzählt aus vielen unterschiedliche Perspektiven, manchmal ist das auch verwirrend. Aber er hat tatsächlich ganz viele unterschiedliche Erzählstränge und hält es so, dass jedes Kapitel aus einer einzigen Perspektive erzählt wird, die dann fünf Kapitel weiter wieder auftauchen kann. Aber das ist ein Megawerk mit vielen Orten, Figuren und parallel verlaufenden Ereignissen. Da passt das.

 

Man kann natürlich neben den Hauptperspektiven auch mal ganz kurz die Sicht eine Nebenfigur einflechten. "Die Polizistin blickte zu den Beamten der Spurensicherung hinüber. Sie bewunderte die akribische Vorgehensweise und unglaubliche Geduld, mit der der Tatort abgesucht wurde." So einen kleinen Einschub kann man machen und dann wieder zur Hauptfigur zurückkehren.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Man kann natürlich neben den Hauptperspektiven auch mal ganz kurz die Sicht eine Nebenfigur einflechten. "Die Polizistin blickte zu den Beamten der Spurensicherung hinüber. Sie bewunderte die akribische Vorgehensweise und unglaubliche Geduld, mit der der Tatort abgesucht wurde." So einen kleinen Einschub kann man machen und dann wieder zur Hauptfigur zurückkehren.

Ulf, gerade solche Einschübe verwirren mich als Leser immer wieder. Ich sehe darin einfach kein gutes Handwerk. Vielleicht bin ich da auch auf dem Holzweg oder zu streng.

 

LG Cornelia

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Hallo Alf,

wieviele? Na ja, das kommt wahrscheinlich nicht zuletzt auf das Genre an.

 

Bei meinem aktuellen Histo-Roman, der demnächst erscheint, hätte ich 11 Perspektiven auf 600 Seiten zu bieten, schiebe aber gleich mein Fazit hinterher: es geht!

 

Da ich - zusätzlich zu 2 Konfliktträgern und 4 weiteren wichtigen Personen – 5 Nebenfiguren für politischen Hintergrund, persönliche Interessen und allerlei geheime Machenschaften benötigte, blieb mir nichts anderes übrig, als ihnen jeweils eigene Perspektiven zuzugestehen. Schließlich treiben auch sie den Plot voran und müssen die Leser mitnehmen.

Aber ich  gebe ihnen unterschiedliches Gewicht.

Meine Vorgehensweise: 1. Mit jedem Perspektivwechsel beginnt ein neues Kapitel; 2. Die Kapitel der Hauptpersonen sind deutlich detaillierter und länger als die der Nebenpersonen; 3. Ein Trick: Eines der letzten Substantive aus dem Vorkapitel taucht im ersten Satz des neuen Kapitels in anderem Zusammenhang wieder auf, oder sein Gegenteil, oder die Szenen ähneln einander.

 

Deine beiden Regeln (übrigens super auf den Punkt gebracht!) scheine ich jedenfalls beachtet zu haben, denn weder Agentin noch Lektorin haben sich in der Geschichte verirrt.

 Also: Nicht bange machen lassen.

 

Lieben Gruß

Doris

MAROKKO-SAGA: Das Leuchten der Purpurinseln,  Die Perlen der Wüste,  Das Lied der Dünen; Die Wolkenfrauen

Neu seit März 2020: Thea C. Grefe, Eine Prise Marrakesch

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Dazu sollte ich allerdings erwähnen, dass es sich nicht um einen Krimi im klassischen Sinn handelt. Es geht um ein Internat, mit einem dunklen Geheimnis, und die Hauptfigur wird in dieses Internat gelockt, und muss sich durch einen Wald aus Angst und Schweigen kämpfen, um diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Sie weiß nicht, wem sie vertrauen kann, und welche Information verlässlich ist. Gerade beim Thema "Geheimnis" hätte es sich für mich unglaublich schal angefühlt, nur aus der Perspektive Weniger zu schreiben. Einer der "Hauptfunktionen" mehrerer Perspektiven ist für mich das Erzeugen von Suspense: Die Hauptfigur weiß nicht, dass unter ihrem STuhl eine eine Bombe klebt, an der die Lunte schon brennt - damit das spannend ist, brauche ich natürlich einen Perspektiventräger, der von dieser Bombe sehr wohl etwas weiß - und auch darüber, wann das Ding hochgehen wird ;D

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Lieber Ulf, George R.R. Martin ist natürlich der Grandmaster und stilistisch eines meiner absoluten Vorbilder. Ist aber natürlich auch ein anderes Genre. Ich muss mir nochmal Hellstroms Brut vorknöpfen, und sehen, wie viele Perspektiven Frank Herbert da verwurstet hat. Dieser Roman ist nämlich von der Erzählstruktur sehr gut mit meinem Roman vergleichbar (was natürlich nicht heißt, dass ich es genau so gut gemacht habe, wie Frank Herbert, schon klar ;D )

 

 

Und Doris: Vielen Dank :D  Das beruhigt mich dann doch auch sehr ;)

 

Ciao,

 

Alf.

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Lieber Alf,

 

lass Dich nicht verrückt machen.

Es gibt keine generell gültige Aussage darüber, wie viele Perspektiven für eine Erzählung zu viel sind.

Wenn es bei fünf Perspektiven langweilig ist und bei 20 unglaublich fesselnd, nun ja, dann ist die Antwort ja klar.
 

Verwirrung entgegenwirken am besten durch neue Kapitel vor Perspektivwechsel und nach dem Wechsel durch Querverweise auf bereits Gelesenes / Geschehenes als Anknüpfungspunkt.

 

Schönen Sonntag,

 

Holger

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Klingt nach viel, aber wie Mascha sage ich: form follows function, oder wie Andrea, wenn die Geschichte sie braucht.

 

Mir hilft immer die Antwort auf die Frage: aus welcher Perspektive ist diese Szene am spannendsten?

 

Aber wenn du selbst ein komisches Gefühl hast, ist vielleicht am Unbehagen was dran. Das können vermutlich nur Außenstehende erkennen, ob an deinem Unbehagen was dran ist.

 

Auf Regeln würde ich hingegen pfeifen - auf Unbehagen aber sehr genau hören.

 

Gute Entscheidungen wünscht ...

 

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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Ich bin ein Fan der personalen Erzählweise und mich werfen vor allem unmotivierte Perspektivwechsel hinaus.

 

 "Die Polizistin blickte zu den Beamten der Spurensicherung hinüber. Sie bewunderte die akribische Vorgehensweise und unglaubliche Geduld, mit der der Tatort abgesucht wurde." So einen kleinen Einschub kann man machen und dann wieder zur Hauptfigur zurückkehren.

Dieses Beispiel ist vielleicht unglücklich gewählt, denn ich würde dies als unmotivierten Perspektivwechsel halten, denn die Aussage trägt (anscheinend) nichts zum Plot bei.

 

Geht es nicht letztlich um die Frage, über wen oder was die Story geht? Geht es um die Figuren und ihre Entwicklung, dann ist personal und sich auf wenig Perspektiven beschränken optimal. Siehe Extrem Ich-Erzähler. Weil ich dann als Leser nicht wissen will, was Figur 5 oder 10 über einen Vorgang denkt, sondern nur was Protagonist tut und fühlt. Geht es um die Darstellung eines Verbrechens, dann sind vielleicht mehrere Perspektiven ok oder gar eine auktoriale Perspektive ausreichend.

 

James Frey (glaube ich) rät zu nicht mehr als fünf (maximal sechs) Perspektiven, um den Leser nicht zu verwirren. Mehr als fünf Handlungsstränge sind eh schwer in einem Plot zu verkraften, die Gefahr, dass er auseinanderfällt und unfokussiert erscheint, ist einfach zu groß.

 

Meine zwei Cents.

Krimis, Liebe und Mehr.

www.ilonaschmidt.com

Translations, Lektorat & Exposé Coaching

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Ich frage mich gerade, ob es nicht manchmal sinnvoll, nützlich oder einfach spannend sein kann, den Leser zu verwirren. Das darf natürlich nicht versehentlich passieren, aber möglicherweise muss man den Leser nicht ständig an die Hand nehmen, sondern darf ihn auch mal mit dem Text alleine lassen.

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Eine einfache Faustregel: Die Figur, aus deren Perspektive das gegenwärtige Geschehen am Interessantesten darzustellen ist, bekommt die Perspektive in diesem Moment. Dann merken es die Leser auch kaum, weil sie der Geschichte folgen.

 

Gruß, Melanie

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Liebe Mascha, ja, wenn der Leser absichtlich in die Irre geführt, dann kann das sehr pfiffig sein! In "16 Blocks" funktioniert das wirklich meisterhaft - ist zwar ein Film, aber auch das ist eine bewunderte Inspirationsquelle für mich. Allerdings kann das gefährlich sein, wenn das nicht kunstvoll gemacht ist: dort werden nämlich nicht nur unterschiedliche Perspektiven verwendet, sondern auch noch unterschiedliche Zeitebenen, und da kann man ohne entsprechende Erfahrung warhscheinlich wahnsinnig schnell Schiffbruch erleiden :) Da wage ich mich jedefalls noch nicht dran ;D

 

So. Hellstroms Brut gecheckt. Dort gibt es sehr viel mehr Perspektivträger, und Herbert hat sich wirklich drauf konzentriert, den Staffelstab der Geschichte stets an die Figur weiterzugeben, deren Sicht sie am sinnvollsten erzählen kann. Einzig Nils Helstrom ist eine Kernfigur. Das kann man mögen, oder auch nicht, ich fand es damals wie heute berauschend und frisch und toll und es hat der Geschichte eine Tiefe verliehen, die anders nicht möglich gewesen wäre. Und ich habe das Buch damals vor zwanzig Jahren das erste Mal gelesen, war also ein relativ unerfahrener Leser, und kein alter Hase, der sich nach extremen stilistischen Normbrüchen gesehnt hat, weil er von den "üblichen Stilmitteln" schon völlig abgestumpft war ;D Es kann also funktionieren :) Und auch das versöhnt mich gerade sehr mit meiner Entscheidung. In diesem Sinne nehme ich Holgers Ratschlag gerne an, und gönne mir einen angenehm ausklingenden Restsonntag. Auf dass es morgen in alter Frische weitergehen kann!

 

Danke Euch und Ciao,

 

Alf.

 

[Edit: Liebe Melanie, zu Deinem Beitrag, den ich jetzt erst nach dem Posten gelesen habe: Das ist wahrlich ein schönes Schlusswort, das mich heute in besonders friedlichen Schlummer geleiten wird :) ]

Bearbeitet von Alf
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Auch wenn du schon das Schlusswort gesprochen hast ;) noch eine Anmerkung von mir.

 

Mich stören viele Perspektivträger nicht. Was mich manchmal stört - wenn es dadurch zu Wiederholungen kommt. Wenn Dinge, Orte oder Menschen mehrmals durch eben die verschiedenen Perspektivträger beschrieben werden, dann finde ich das langweilig. Oder wenn Handlungen mehrfach beschrieben werden oder die Person etwas zu bisherigen Handlungen kommentierend denkt. "A Song of Ice and Fire" lese ich gerade, und da ist mir das bislang nicht aufgefallen. Gibt ja auch genügend Handlung zu erzählen, als dass er sich wiederholen müsste ;)

 

Ein auktorialer Erzähler, der ja in jeden Kopf schauen kann, würde sich auch nicht wiederholen, sondern immer die für die Geschichte wichtigesten Gedanken erzählen.

 

Wahrscheinlich trifft dich das gar nicht - war mir nur gerade ein Bedürfnis, es zu sagen.

 

LG Ulrike

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Oh ja, das ist ein Graus! Ich lese gerade "Limit" von Frank Schätzing, und es ist für mich eine Qual, wenn ein Perspektiventräger über mehrere Kapitel hinweg Detektivarbeit leistet, um etwas herauszufinden, was ich als Leser schon unlängst weiß. Auch bei der Millenium-Trilogie von Stieg Larsson fand ich ab Band 2 diese Wiederholungsunart echt anstrengend. Und: Wie gesagt, George R.R. Martin. The Master :D

 

Ciao :)

 

Alf.

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Ich möchte mich mit der Hauptperson identifizieren, wenn ich lese, deshalb stören mich Perspektivwechsel enorm. Also spätestens beim dritten Perspektivwechsel wäre ich raus, da würde ich mich auf den Arm genommen fühlen. Aber ich weiß, dass das nur meine Meinung ist. Es gibt Leute, wurde ja auch hier schon gesagt, die Perspektivwechsel gar nicht stören, sowohl Autoren als auch Leser.

 

Was ich mich immer frage, ist: Warum muss die Perspektive überhaupt gewechselt werden? Ich gebe zu, ich habe selbst in „Namibische Nächte“ einen Perspektivwechsel, weil ich an dem Punkt auch einmal die Perspektive des Helden einbringen wollte, nicht nur die der Heldin, aber ich habe dann ganz schnell wieder zur Perspektive der Heldin zurückgewechselt, weil diese Perspektive die einzig wirklich sinnvolle ist. Die Leserinnen haben mir dann auch bestätigt, dass sie von dem Perspektivwechsel überrascht waren, er war also eigentlich überflüssig. Sie wollten nur wissen, was die Heldin denkt, sonst nichts.

 

Es kommt aber immer auf das Genre an. In einem Liebesroman ist ein Perspektivwechsel eher ungewöhnlich, in vielen anderen Romanen durchaus normal. Dennoch muss ich sagen, mir gefallen die Bücher am besten, die nur aus einer Perspektive geschrieben sind, denn da fühle ich eine Kontinuität, die ich persönlich für ein befriedigendes Leseerlebnis brauche.

 

P.S.: George R.R. Martin kenne ich nur dem Namen nach. Solche Bücher lese ich nicht. Kann auch an den Perspektivwechseln liegen. ;)

Bearbeitet von Michelle
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Und: Wie gesagt, George R.R. Martin. The Master :D

 

Ciao :)

 

Alf.

 

Wobei der sechste Band mich aber gelangweilt hat. Es wird allzu Fantasy-mäßig und der Meister scheint sich im Nirvana zu verlieren. Man weiß überhaupt nicht mehr, wo die Geschichte geblieben ist.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ich erzähle gern als Ich-Erzähler. Wo es sich aber in einem Roman um verschiedene parallele Stränge handelt, geht das natürlich nicht. In meinem Karibik-Roman gibt es zwei Hauptstränge die parallel und an verschiedenen Orten beginnen, später aber zusammenlaufen. Jeder Strang hat natürlich einen eigenen Protagonisten, aus dessen Sicht erzählt wird. Daneben war es nötig, um die Geschichte voranzutreiben, auch noch aus drei oder vier weiteren Perspektiven zu erzählen, aus den gleichen vorgenannten Gründen. Die Hauptfiguren erleben das selbst nicht und können es auch nicht wissen.

 

Trotzdem sind diese Nebenfiguren ein ganz erheblicher Bestandteil der Geschichte. Insgesamt wurde daraus also eine ganze Figurenfamilie und etwa fünf oder sechs Erzähl-Perspektiven. Die Reaktionen der Leser zeigen, dass sie sich neben den Hauptfiguren auch besonders mit diesen Nebenfiguren identifizieren konnten. Diese haben das Buch für viele Leser besonders abwechslungsreich gemacht. Es kommt also darauf an, wie lebendig und wie nahe man solche Figuren und ihre Erlebnisse dem Leser bringen kann, so dass er nicht verwirrt ist.

Bearbeitet von Ulf Schiewe

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Es ist ja auch nicht so, dass sich Leser nur mit einer Figur identifizieren (wollen). Klar, die Hauptfigur heißt schon so, weil sie wichtig ist. ;-) Aber auch die Handlungsmotive der anderen sind sehr interessant, zB. wie ein Täter im Krimi soweit kommt, töten zu wollen und es auch tatsächlich zu tun. Ich erinnere mich an einen Krimi, ich glaub, es war "Glatzenschnitt", da fand ich einige der Typen extrem unsympathisch, aber es war so dargestellt, dass man mit jedem mitgehen/seine Anreize verstehen konnte. Ich müsste erst nachlesen, welche Perspektiven genau verwendet wurden, die Lektüre ist schon mehr als paar Jahre her.

 

Grüße

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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@Michelle, ich fasse mal zusammen, was in den  bisherigen Postings schon angesprochen wurde und deine Frage nach dem Grund, mehrere Perspektiven zu verwenden, beantworten könnte:

 

Man wählt zusätzliche Perspektiven, um Ereignisse beschreiben zu können, die die Hauptfigur nicht erlebt, die man aber dem Leser mitteilen möchte.

 

Man kann damit einen Informationsvorsprung erzeugen, der die Spannung erhöht (der Leser weiß, dass unter dem Stuhl eine Bombe tickt, die Figur nicht, wie Alf es so schön beschrieben hat). Oder die Handlung vorantreiben, wie Ulf schreibt: Während der Protagonist anderweitig beschäftigt ist, tun sich außerhalb seines Sichtfeldes alles möglichen Dinge, die später Einfluss auf ihn haben werden.

 

Weil mir die Figurenpsychologie sehr wichtig ist, benutze ich gerne die Perspektive des Gegenspielers, um dessen Motive darzustellen. Jemand, der einfach nur »böse« ist, gibt keinen guten Antagonisten ab. Der Leser muss den Antagonisten nicht mögen, aber er sollte ihn verstehen, wie Anni schon angemerkt hat.

 

Dabei sollten die verschiedenen Perspektiven schon beim Beginn der Geschichte angelegt werden. Eine neue Perspektive nur ein einziges Mal in einem Roman zu verwenden oder erst sehr spät einzuführen, überrascht und verwirrt die Leser, weil sie nicht damit gerechnet haben und dann den plötzlichen Wechsel tatsächlich nicht verstehen. Man sollte die Gelegenheit geben, einen Bezug zum jeweiligen Perspektivträger aufzubauen und seine Innenwelt kennenzulernen.

 

Es spricht natürlich nichts dagegen, nur aus einer Perspektive zu erzählen, wenn es zur Geschichte passt. Man kommt der Hauptfigur dann sehr nah, was durch eine Ich-Perspektive verstärkt werden kann.

Bearbeitet von Mascha
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Übrigens: ich lese gerade "Gilgi" von Irmgard Keun, erschienen 1931.

Darin ist hauptäschlich Gilgis Perspektive zu erleben, aber an manchen Stellen wechselt es zu einer anderen Figur.

 

Ich war erst ein wenig irritiert, nein, überrascht, aber überhaupt nicht überfordert. Es ist mehr so ein Springen, ab und zu, in den Kopf ihres Freundes zum Beispiel.

 

Kennt jemand das Buch?

 

Jedenfalls war ich überrascht und dann habe ich festgestellt, dass es überhaupt nicht stört, im Gegenteil. Ich habe die Vermutung, dass wir heute mehr auf einheitliche Perspektiven eingeschossen sind, als noch vor ein paar Jahrzehnten.

 

Man kommt ja auch allgemein im Leben mit Dingen zurecht, wenn sie vertraut sind. Könnte beim Lesen auch so sein.

 

Liebe Grüße

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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