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(BarbaraE)

Historische Romane - wie wahr(haftig) sind diese?

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Lieber Tom,

 

ganz erheblicher Einspruch. Wir sind als zoologisches Wesen mit physischen Merkmalen genauso ausgestattet wie mit emotionalen Imperativen und Qualitäten (Instinkte), die zu einem Großteil unser Tun beherrschen. Das kann man nicht leugnen. Und dazu gehört auch unter vielen anderen die Liebe. Ebenso wie der Geltungstrieb oder das Bedürfnis, gemeinsam Spaß zu haben, sich als fähig zu beweisen, vor den Augen Anderer zu bestehen oder im Wettbewerb zu siegen. Das sind typische soziale Verhaltensweisen und Motivationen. Vielleicht hat man das Wort "Selbstverwirklichung" früher nicht in den Mund genommen, aber den Drang danach, den hat es schon immer gegeben. Oder warum sollten eine Hildegard von Bingen, ein Shakespeare, ein Caesar oder Alexander oder ein Aristoteles tun, was sie getan haben? Nur, um genug zu fressen zu haben? :)

 

Unsere hochtechnisierte Welt sieht von außen sehr anders aus als noch vor hundert, fünfhundert oder tausend Jahren. Wir sind auch mit anderen Problemen konfrontiert. Aber Zivilisation und Kultur sind nur ein dünner Lack. Wenn man dran kratzt, kommt der ewige Adam zum Vorschein. Und natürlich auch die Eva. ;D

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Die Baumeister der gotischen Kathedralen hatten keinen Schönheitssinn?

 

Na, wenn Du meinst, Tom.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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ich kann die Behauptung einfach nicht hinnehmen' date=' dass die Menschen zu allen Zeiten die gleichen waren, nur in anderen Umgebungen. [/quote']

Kommt drauf an, was Du unter "Menschen" verstehst. Zeitreisen klappen ja leider nicht, aber es gibt z.B. Naturvölker, die dem Steinzeitleben recht nahe kommen. Und es gibt Menschen, die unter anderen Völkern leben oder gelebt haben.

 

Du kannst ein Kleinkind aus jeder Kultur in eine andere verpflanzen. Es wird, wenn es eine liebevolle Pflegefamilie hat, dort genauso aufwachsen wie alle anderen Kinder, und es wird die dort geltenden Werte übernehmen. Mit einem Erwachsenen geht das nicht so leicht, und ein heutiger Mitteleuropäer dürfte unter Steinzeitjägern, Prärieindianern, den Besuchern römischer Gladiatorenkämpfe (IN der Arena sowieso) oder auf mittelalterlichen Kreuzzügen erhebliche Probleme haben. Auch die Werte, Ehrbegriffe usw. seiner Gesellschaft gehören zum (erwachsenen) Menschen, trotzdem haben die Menschen an sich die gleichen Eigenschaften.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Ich spreche doch überhaupt nicht von "menschlichen Eigenschaften", sondern von Interaktion, sozialen Strukturen, Verhaltensmustern usw. Aber - geschenkt. Ich streiche - wahrscheinlich ohnehin im Unrecht - die Segel. Habe immerhin gelernt, dass die Existenz gotischer Kathedralen beweist, dass "Germany's Next Topmodel" damals wie heute gleich ausgegangen wäre. ;)

 

Herzlich,

Tom

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Ich gehe davon aus, dass die Menschen zu allen Zeiten die gleichen Gefühle hatten und haben - Angst, Hoffnung, Vertrauen, Misstrauen, Liebe, Wut ...

 

Aber der Wissenstand war ein anderer, weshalb der mittelalterliche Mensch sich vor Dämonen und Teufeln fürchtet. Dafür hatte er aber vermutlich keine Angst davor, an Lungenkrebs zu sterben.

Er hat möglicherweise den Geistlichen mehr vertraut als wir der FAZ, er hat auf ein Leben nach dem Tod zwar gehofft, aber alle Anstrengungen auf sich genommen, das so farbenprächtig propagierte Fegefeuer zu umgehen.

Mittelalterliche Buchmalereien gehören zu den größten Kunstwerken, auch wenn die dargestellten Märtyrer-Szenen manchmal recht grausig sind.

 

Nichtsdestotrotz bleiben Glaube, Liebe und Hoffnung. Und die Liebe ist die Größte unter ihnen.

 

Unter dieser Prämisse kann man "wahrhaftige" historische Szenarien entwickeln. Besser würde mir der Begriff "glaubhafte" gefallen. Denn die Wahrheit hat ja nun mal viele Facetten.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo, Anni.

 

was wollen Menschen? Überleben, Essen, Sicherheit, Lieben & Geliebtwerden, ein bisschen Schönheit, ein bisschen Selbstverwirklichung, das ausleben, was wir wirklich sind ...

 

Und meiner Meinung nach endet diese Aufzählung mit dem dritten Punkt. Alles danach sind neuere Ideen.

 

Herzlich,

Tom

 

 

Klarstellung:

 

Du hast Liebe, Schönheit und Selbstverwirklichung als neue Ideen bezeichnet. Darauf begründet sich mein Protest.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Hallo, Andrea.

 

Genauer ging es um den Wunsch nach Schönheit, Lieben und Geliebtwerden, Selbstverwirklichung. Tatsächlich ist "Schönheit" keine absolute Kategorie, sondern wird erstens individuell unterschiedlich wahrgenommen und unterliegt zweitens dem ästhetischen Paradigma der jeweiligen Epoche (und, by the way - ich finde die meisten Kathedralen - von Gaudís ulkigen Sachen abgesehen - nicht "schön"). Was wir heutzutage "Liebe" nennen, also die Verbindung aus emotionaler wie intellektueller Zuneigung, sexueller Erfüllung und individueller wie gemeinschaftlicher partnerschaftlicher Verwirklichung, stellt eine erneute Definition des Begriffs dar, der übrigens auch in einigen abendländischen Kulturen zeitweise dem Gott/den Göttern vorbehalten war. Sexuelle Erfüllung als Ausdruck von Liebe, überhaupt die Akzeptanz der "Lust" als Bestandteil des emotionalen Gefüges ist meines Wissens auch eher eine neuere Idee; in der vorchristlichen Zeit hat man mindestens drei Arten des Gefühls gekannt - und kategorisch unterschieden. Und auch wenn z.B. der sportliche Wettbewerb mindestens in der Antike (wahrscheinlich aber schon vorher) bekannt war, ging es meines Erachtens weniger um das, was wir heutzutage "Selbstverwirklichung" nennen, sondern in erster Linie um die Verbesserung der gesellschaftlichen Position, um Anerkennung, nicht selten aber um Handlungen aus Zwangssituationen heraus. Das ist nicht das gleiche. Die Suche nach eigenen Stärken, Schwächen und Interessen und daraus resultierend nach einer "optimierten" persönlichen Lebensplanung nebst Bedürfnis- und Wunscherfüllung gehört überwiegend zum Luxus der Freizeitgesellschaften, aber nicht zum Alltag (!) im Mittelalter oder in späteren Epochen. Lebensplanung verläuft heutzutage ganz anders als vor Jahrhunderten, und selbst in den deutschen Fünfzigern, Sechzigern war der Durchschnittsbürger, der sich von gesellschaftlichen wie sozialen Vorgaben entfernt hat, um "sein Ding" zu machen, noch die Ausnahme. Viele hätten das, was wir heute darunter verstehen, für eine ziemlich absurde Idee gehalten.

 

Dass zu allen Zeiten die Reicheren und Mächtigeren Muße und Mittel hatten, um sich in vielerlei Hinsicht auszuprobieren, steht auf einem anderen Blatt.

 

Herzlich,

Tom

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. Und auch wenn z.B. der sportliche Wettbewerb mindestens in der Antike (wahrscheinlich aber schon vorher) bekannt war' date=' ging es meines Erachtens weniger um das, was wir heutzutage "Selbstverwirklichung" nennen, sondern in erster Linie um die Verbesserung der gesellschaftlichen Position, um Anerkennung, nicht selten aber um Handlungen aus Zwangssituationen heraus.[/quote']

Das ist bei sportlichen Wettkämpfen heute noch immer der Fall. Wer Profisportler wird, tut dies vor allem, um Anerkennung, Ruhm und Geld zu verdienen.

Selbstverwirklichen tut sich hingegen der Mitvierziger, der seinen ersten Marathon läuft und stolz ist, es geschafft zu haben - egal mit welcher Laufzeit.

 

Zudem - wenn du glaubst, dass die Menschen früher nur das Bedürfnis nach Essen, Überleben und Sicherheit hatten - warum gab es dann eigentlich Sklavenaufstände? Ich meine, viele Sklaven hatten im alten Rom ein besseres Leben als manch Freier.

 

Die Bedürfnisse, die uns als Mensch auszeichnen, stehen auf mehreren Säulen.

Die Grundbedürfnisse sind tatsächlich Essen, Dach über dem Kopf, Überleben.

Wenn das sichergestellt ist, kommt das nächste Grundbedürfnis - der Wunsch nach Geborgenheit, Sexualität und Fortpflanzung.

Wenn dieser Wunsch erfüllt ist, kommt der nächste Wunsch - nämlich der, seinem Leben einen Sinn zu geben.

Dieser Wunsch war schon immer in den Menschen verankert. Manch einer widmete sein Leben der Kirche und ging ins Kloster. Der nächste wollte ein berühmter Feldherr werden. Wieder jemand ein großartiges Bauwerk erschaffen. Noch einer der größte König von allen.

 

Und das ist etwas, das die Menschen von den Tieren unterscheidet - die Tiere sind mit den Grundbedürfnissen bis zur Geborgenheit zufrieden.

 

Menschen reicht das nicht - es hat ihnen nie gereicht. Denn wäre es so, hätte es keine Kunst gegeben, keine Religion, keine Philosophie.

Das aber gab es schon, seit man den Mensch einen Menschen nennt. Siehe die schon erwähnten Höhlenmalereien.

 

Gruß, Melanie

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Worauf sich Tom bezieht, sind nicht prinzipielle, menschliche Eigenschaften, die sich ganz bestimmt in den letzten tausend Jahren nicht massgeblich geändert haben. Wohl aber haben sich Weltanschauungen geändert und das menschliche Selbstverständnis.

 

"Selbstverwirklichung" ist heutzutage ein Konzept, das in aller Munde ist.

Ob nun eine Person aus dem Mittelalter stammt oder aus einem von der Zivilisation abgeschottenen Urwalddorf: Entfernte man diese Person im Kindesalter in die heutige Zeit, könnte sie das gleiche Wissen erlangen, wie wir heute, die gleichen Konzepte erfassen und anstreben, usw. Die Evolution arbeitet nun wirklich nicht so schnell, dass die Menschen vor tausend oder fünftausend Jahren nicht zur selben geistigen Leistung fähig gewesen wären.

 

Aber das ist ja nicht der springende Punkt. Es geht darum, dass es heutzutage vielerorts selbstverständlich ist, sich ausdrücken, sich verwirklichen zu wollen, aus Liebe zu heiraten(*), etc., während das damals einfach keine grundlegenden Konzepte waren. Nicht existent. Und es wäre den Menschen damals auch aufgrund des vollkommen anderen Sitten- und Weltbildes nicht zu vermitteln gewesen. Es waren allerhöchstens aufgeklärte/revolutionäre/ketzerische (je nach Sichtweise) Ideen Einzelner.

 

Indem sich historische Romane aus nachvollziehbaren Gründen auf Personenschicksale konzentrieren, die eben "gegen diesen Strom" schwimmen, zeichnen sie ein Bild, das sehr einzigartig ist. Deutlich zu machen wie krass einzigartig dies in einem Universum mit massiv anderen Ansichten und einer anderen Realität gewesen sein müsste, ist die grosse Herausforderung. Schlägt dies fehl, fühlt es sich für den Leser an, als handelten dort moderne Menschen mit modernen Ansichten und der dazugehörigen Selbstverständlichkeit auf einer Bühne, die wenig mehr als eine Kulisse ist. Das ist die Kritik and der Wahrhaftigkeit, die immer wieder Laut wird.

 

Das ist wohlgemerkt keine Kritik am Genre per se ist, sondern an jenen Büchern, die damalige Weltwirklichkeit (wie wir sie aus heutige Perspektive ableiten/vermuten) vermeintlich nicht richtig darstellen. Und auch das bezieht sich natürlich auf den einzelnen Leser und das, was er als "historische Wirklichkeit" vorzufinden erwartet.

 

Lieben Gruss,

 

Andreas

 

(*) Wie extrem die Weltbilder auch das einzelne Individuum formen und seine Wahrnehmung ändern, sogar seine ureigensten Wünsche und Gedanken beeinflussen, habe ich bei meinen Besuchen in Indien erlebt, in Gesprächen mit den dortigen Kollegen über die dort üblichen arrangierten Hochzeiten. Ideen von Liebe sind dort ausschliesslich im festen Glauben verankert, dass diese sich durch die Zeit und das Kennenlernen einstelle. So dass die Hochzeit der erste Schritt zur künftigen Liebe darstellt. Die überbordenden Themen aus Bollywood zeigen, wie intensiv das Bedürfnis nach Liebe dort ist, und dennoch käme niemals jemand auf die Idee, sich entgegen seiner Familie (und entgegen der Familie des Geliebten) gegen eine arrangierte Hochzeit zu stellen. Und auch wer es täte, würde keineswegs zum Helden, sondern aus der Gesellschaft und von der Unterstützung der Familie (wozu im weitesten Sinne alle mit dem selben und zwei drei weiteren Nachnamen zählen) ausgeschlossen werden.

 

PS: Ach ja, und ich stimme Tom zu.

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@Andreas

 

Wenn man den historischen Roman betrachtet, darf man aber nicht als Maß aller Dinge das "Historical" nehmen - ein Untergenre, auch historischer Liebesroman genannt.

 

Je höher die gesellschaftlichen Schichten in der Vergangenheit waren, umso weniger Rechte hatten die Beteiligten, bei einer Ehestiftung mitzureden, weil es politische Bündnisse waren. Das wird in den ernstzunehmenden HRs auch niemals bestritten.

 

Also - Prinz und Prinzessin haben nix zu melden, wenn Familie König mit Familie Kaiser redet.

 

Aber wenn z.B. ein reicher Kaufmann den passenden Mann für seine Tochter sucht und es gibt drei gleichwertige Kaufleute zur Auswahl - warum sollte man dann nicht den nehmen, der seiner Tochter am besten gefällt? Ich glaube, das ist früher auch schon oft genug vorgekommen. Es gab schon immer die Patriarchen, die gar nicht fragten, und es gab die, denen es auch wichtig war, dass eine Ehe harmonisch läuft.

 

Und zum Thema Gruppendruck in Indien - genau das gleiche habe ich weiter oben ausgeführt - Menschen sind durch den Gruppendruck in ihre Rollen gepresst. Auch wenn sie es tief in ihrem Herzen nicht wollen. Aber das Grundbedürfnis "Geborgenheit" verhindert in den meisten Fällen das Aufmucken gegen den Gruppendruck.

 

Übrigens - auch in unserer Zeit in Deutschland gibt sogar noch Fälle von Zwangsheirat und Ehrenmorden - was auch wieder mit kulturellen Vorstellungen zu tun hat.

 

Gruß, Melanie

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Ich finde es leicht befremdlich, dass diejenigen, die sich im Grunde nicht sonderlich für die Historie interessieren (oder das zumindest behaupten), zu so fundierten Urteilen kommen, wie es in früheren Zeiten gewesen ist.

 

Wir leben inmitten unzähliger Zeugnisse der Vergangenheit, die Menschen geschaffen haben, die "moderne" Ansichten hatten. Man kann sie ansehen, lesen, hören.

 

Aber sei's drum, vor fünfhundert Jahren hätte ich einem Bauern auch nicht den Glauben an böswillige Geister ausreden können oder den an die Wunderwirkung einer Hostie.

 

Ich verstehe auch nicht, warum hier zum Beispiel immer auf die abgesprochenen Heiraten hingewiesen wird - genau dieses Thema wird doch sehr oft in den Romanen behandelt. Wir wissen schließlich alle, das Tomaten noch nicht auf der Pizza lagen, und das man aus dynastischen und wirtschaftlichen Gründen Beziehungen eingegangen ist.

Dass sich die Menschen dennoch verliebt haben, wird wohl keiner bestreiten wollen.

 

Und dann erklär mir mal einer, warum da Vinci Fluggeräte konzipiert hat. Ist Kreativität nicht auch ein Zeichen von Selbstverwirklichung?

 

Hat man nicht zahllose Kunstwerke geschaffen - wenn auch vielleicht zur höheren Ehre Gottes, letztlich aber zum Genuss der Menschen?

 

Den Menschen der Vergangenheit Liebe, Schönheitssinn und Selbstverwirklichung abzusprechen, ohne sich mit den Zeugnissen ihrer Zeit zu beschäftigen, ist ein wenig übermütig.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Ich stimme Andrea da vollkommen zu.

 

Zudem gibt es auch viele Zeugnisse über Menschen, die sich über Konventionen ihrer Zeit hinweggesetzt haben.

 

Und wenn man sich einen Spannungsbogen ansieht - was ist eigentlich interessanter für die Leser? Jemand, der ein braves Durchschnittsleben führt und sich niemals über irgendeine Konvention hinwegsetzt?

Oder jemand, der genau das tut?

 

Natürlich haben sich nicht viele Menschen über Konventionen hinweggesetzt - die meisten haben brav und angepasst gelebt.

 

Aber es regt sich ja auch keiner über Thriller auf, in denen am laufenden Band intelligente Serienmörder morden. Dabei weiß jeder, der sich mit der Materie der Serienmörder auskennt und evt. auch den einen oder anderen Serienmörder persönlich kennt, dass die meistens allenfalls durchschnittlich intelligent sind und mit den Serienmördern in Thrillern so gut wie gar nichts gemein haben.

 

Gruß, Melanie

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Hallo, Andrea.

 

Es tut mir leid, in Dir "unangenehmes Erstaunen" (Wahrig, "Befremden") ausgelöst zu haben, aber erstens gibt es keine Qualifikation "Autor historischer Romane" (das darf jeder) und zweitens lese ich durchaus Fensterkreuz mal Pi zwei, drei historische Romane pro Jahr (zuletzt von einem gewissen Herrn Schiewe ;)), im Verhältnis zur Gesamtmenge der Lektüre aber, zugegeben, wenige. Was übrigens auch an der von mir skizzierten Problematik liegt (deshalb lese ich beispielsweise Krimis auch nur, wenn sie von Leuten wie Wolf Haas oder Heinrich Steinfest stammen, also Autoren, die die Eigenarten des Genres ironisch brechen). Und ich fänd's, ehrlich gesagt, schade, wenn an entsprechenden Diskussionen nur Autoren teilnehmen dürften, die auch überwiegend im jeweiligen Genre zugange sind. Gerade dieser Blick über den Tellerrand - aus welcher Richtung auch immer - kann zuweilen sehr hilfreich sein. Jedenfalls geht es mir umgekehrt so.

 

Herzlich,

Tom

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im Verhältnis zur Gesamtmenge der Lektüre aber' date=' zugegeben, wenige. Was übrigens auch an der von mir skizzierten Problematik liegt [/quote']

 

Liegt das tatsächlich an der von dir skizzierten Problematik oder aber an dem Vorurteil, dass es diese Problematik in jedem HR gibt?

 

Tatsächlich ist es nämlich so, dass man die HRs in vier Grundkategorien einteilen kann:

 

1. Historischer Roman, der eine wahre Begebenheit/Biografie möglichst authentisch beschreibt und überwiegend auf historische Persönlichkeiten zurückgreift

 

2. Historischer Roman, der wahre Begebenheiten durch die Augen von fiktiven Personen erzählt - reale Persönlichkeiten sind dann eher Statisten.

 

3. Historischer Roman, der auf fiktive Figuren vor realistischem Setting zurückgreift, auch historische Begebenheiten, die wirklich passiert sind, als Hintergrund hat, aber sich mehr mit der Charakterentwicklung der Protagonisten befasst - eben auch vor dem Umfeld einer real nachgestalteten Zeit

 

4. Historical bzw. Historischer Liebesroman, wo die Liebesgeschichte die Hauptsache ist, der aber vor der bunten Kulisse eigentlich überall spielen könnte - Historie ist Kulisse für "märchenhafte" Geschichte.

 

Romane der Kategorie 4 erkennt man meistens an den gutgebauten, halbnackten Männern auf dem Cover, die immer eine schöne Frau im Arm halten.

 

In den Romanen der Kategorie 1-3 findet man auch immer mehr oder weniger gelungene Erzählungen, aber ihnen allen ist gemein, dass die Autoren sich um Recherche bemühen - die einen mehr, die anderen weniger, aber alle haben durchaus den Anspruch, dass die Fakten stimmen.

 

Gruß, Melanie

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Über die Behauptung, es ginge Menschen vergangener Zeiten nur Ums Überleben, Fressen und Sicherheit, und alle höheren Motive hätten sich nur in unserer eigenen glorreichen Zeit entwickelt, kann man doch eigentlich nur den Kopf schütteln. Das erscheint mir so weit entfernt von jedem Menschenverständnis, dass es sich kaum lohnt, das noch weiter zu diskutieren. :)

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ich glaube, das hat Tom so auch nicht gemeint, sondern eher dass Individualismus und Selbstverwirklichung sehr moderne Themen sind, und die Haltung, sich selbst mit seinen persönlichen, eben individuellen Wünschen, Lebenszielen und Begierden in den Mittelpunkt des Kosmos zu stellen und das auch zu dürfen, weil es gesellschaftlicher Konsens ist, das gilt nicht so ohne weiteres auch für frühere Jahrhunderte. In früheren Jahrhunderten waren Menschen stärker in ein "wir" eingebunden, in eine Gemeinschaft, in ein Kollektiv, in eine bestimmte Gesellschaftsschicht, in eine Religion, in einen festen Familienzusammenhang. Das findet sich auch bei Soziologen und Historikern in einschlägiger Fachliteratur wieder und ist auch nicht automatisch wertend gemeint. Wenn sich der einzelne Mensch in erster Linie als Teil einer größeren Gruppe betrachten kann, bietet das auch Orientierung und Sicherheit.

Ich finde, dass Tom damit recht hat. Und ich habe historische Romane gelesen (ich hoffe, ich darf zu dem Thema etwas sagen, obwohl ich nur wenige historische Romane lese), die etwa im Mittelalter spielen und die Protagonistinnen haben so individualistisch gedacht und "emanzipatorisch" gelebt und gelitten, als wären sie Zeitgenossinnen von mir. Und ich mich fragen musste, warum spielen diese Geschichten ausgerechnet in dieser Zeit, wenn sie doch die damaligen Bewusstseinslagen so wenig berücksichtigen. Mir scheint schon, dass das eine Grundherausforderung jedes historischen Romans ist, wie natürlich jeder Roman egal welchen Genres seine eigene Herausforderungen und Ansprüche hat.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Hallo Jueb,

 

Da bin ich mit dir selbstverständlich einverstanden. Wenn Tom das "so nicht gemeint hat", dann hat er es aber so gesagt. Er hat sich einige Male ziemlich kategorisch ausgedrückt:

Hallo, Anni.

was wollen Menschen? Überleben, Essen, Sicherheit, Lieben & Geliebtwerden, ein bisschen Schönheit, ein bisschen Selbstverwirklichung, das ausleben, was wir wirklich sind ...

Und meiner Meinung nach endet diese Aufzählung mit dem dritten Punkt. Alles danach sind neuere Ideen.

Das ist doch wohl ziemlich eindeutig, oder? :)

 

Es wurde die Liebe negiert und die Selbstverwirklichung, unter anderem. Ich bin einverstanden, dass die heutige Ausprägung dieser Motivationen anders ist als in vergangenen Zeiten. Jede Epoche hat ihre kulturellen Zwänge, auch unsere, die bestimmen, wie und ob und in welcher Form die Konventionen erlauben, gewisse grundmenschlichen Bedürfnisse auszuleben. Das hat hier niemand bestritten. Aber zu sagen, die gab es nicht, zeugt von Unverständnis der menschlichen Natur.

 

Was die Liebe betrifft, so zeugen Dichtungen aus allen Jahrhunderten, welche Bedeutung sie im Leben der Menschen gehabt hat. Von den griechischen Mythen über die römischen Dichter, die Troubadoure, die nordischen Epen, die Ritterromane, Shakespeare, usw, usw., eine ununterbrochene leidenschaftliche Beschäftigung mit dem alten Thema "boy meets girl". Wie man damit umging, was erlaubt, was verboten war, das freilich war einem kulturellen Wandel unterlegen. Gerade mit den Troubadouren habe ich mich sehr beschäftigt ("Die Comtessa"). Es gibt kaum einen eleganteren, raffinierteren und verfeinerten Umgang mit diesem Thema als die höfische Liebe und die Dichtung, die sie besingt.

 

Ähnlich ist es mit der Selbstverwirklichung. Der Begriff ist fraglos modern. Die Tatsache, dass heute jedes Hänschen und Lieschen Müller diese als ihr gutes (oft egoistisches) Recht ansehen, sicher auch. Aber dieses Bedürfnis an sich, ob erlaubt, unterdrückt oder ausgelebt, ist ebenfalls grundmenschlich. Jeder Dichter, Dombauer, Handwerker, Kaufmann oder Feldherr war bestrebt, seine Ideen durchzusetzen, sich zu beweisen, vor den Augen der Gemeinschaft zu bestehen. Eigentlich gilt das für jeden, der etwas Nützliches für sich und andere leistet. Und das schließt Frauen in ihren dörflichen oder urbanen Umgebungen mit ein.

 

Zu behaupten, das Leben im (ach so dunklen) Mittelalter (zum Beispiel) bestand nur aus Fressen und Überleben, Frauen vergewaltigen und sich gegenseitig abschlachten, verkennt diese Zeiten völlig. Es ist auch etwas überheblich, denn unsere "aufgeklärte" Epoche hat sich leider soviel Unmenschliches und Selbszerstörerisches geleistet, dass wir auf andere Zeiten nicht herabsehen sollten. Ohne das Mittelalter mit seinen technischen Erfindungen, seinen neu entwickelten Baukünsten, den Übersetzungen der antiken Schriften, seinen Kirchenphilosophen, seinen Handelspraktiken wäre die Renaissance gar nicht denkbar. Vieles um uns herum, das wir für gegeben ansehen, stammt aus dem Mittelalter. Leider auch religiöser Wahn und Kreuzzüge. Aber das gibt es ja alles auch noch heute, nur oft noch grausamer.

 

Dass es Romane gibt, die sich nicht wirklich mit dem Verhaltenskodex ihrer Epoche auseinandersetzen, sei unbestritten. Doch dass sich unabhängige Geister zu jeder Zeit gegen die Konventionen mit oder ohne Erfolg aufgelehnt haben, ist auch unbestritten. :)

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Hallo, Anni.

was wollen Menschen? Überleben, Essen, Sicherheit, Lieben & Geliebtwerden, ein bisschen Schönheit, ein bisschen Selbstverwirklichung, das ausleben, was wir wirklich sind ...

Und meiner Meinung nach endet diese Aufzählung mit dem dritten Punkt. Alles danach sind neuere Ideen.

Das kommt auf die Lebensbedingungen an, meint Ihr nicht? Wer jeden Tag um sein Überleben (und das seiner Kinder, wenn er sich welche leisten kann) kämpfen muss, dem dürften Schönheit und Selbstverwirklichung eher schnuppe sein. Damals bei armen Tagelöhnern, leibeigenen Bauern, Galeerensklaven und Kriegs-Söldnern so sehr wie heute z.B. syrischen Flüchtlingen. Ein römischer Patrizier z.B. allerdings hatte eine Menge Möglichkeiten, sich mit Kunst und Schönheit und Selbstverwirklichung und seinen Talenten und Möglichkeiten zu beschäftigen, und mW taten das auch viele.

 

Liebe Grüße

Beate

Man gräbt keine goldenen Halsbänder aus dem Boden. (John Vorhaus "Handwerk Humor")

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Ähnlich ist es mit der Selbstverwirklichung. Der Begriff ist fraglos modern. Die Tatsache, dass heute jedes Hänschen und Lieschen Müller diese als ihr gutes (oft egoistisches) Recht ansehen, sicher auch. Aber dieses Bedürfnis an sich, ob erlaubt, unterdrückt oder ausgelebt, ist ebenfalls grundmenschlich. Jeder Dichter, Dombauer, Handwerker, Kaufmann oder Feldherr war bestrebt, seine Ideen durchzusetzen, sich zu beweisen, vor den Augen der Gemeinschaft zu bestehen. Eigentlich gilt das für jeden, der etwas Nützliches für sich und andere leistet. Und das schließt Frauen in ihren dörflichen oder urbanen Umgebungen mit ein.

 

Zu behaupten, das Leben im (ach so dunklen) Mittelalter (zum Beispiel) bestand nur aus Fressen und Überleben, Frauen vergewaltigen und sich gegenseitig abschlachten, verkennt diese Zeiten völlig. Es ist auch etwas überheblich, denn unsere "aufgeklärte" Epoche hat sich leider soviel Unmenschliches und Selbszerstörerisches geleistet, dass wir auf andere Zeiten nicht herabsehen sollten. Ohne das Mittelalter mit seinen technischen Erfindungen, seinen neu entwickelten Baukünsten, den Übersetzungen der antiken Schriften, seinen Kirchenphilosophen, seinen Handelspraktiken wäre die Renaissance gar nicht denkbar. Vieles um uns herum, das wir für gegeben ansehen, stammt aus dem Mittelalter. Leider auch religiöser Wahn und Kreuzzüge. Aber das gibt es ja alles auch noch heute, nur oft noch grausamer.

 

Ich möchte Ulf hier von ganzem Herzen zustimmen und ergänze drei Dinge:

- Ich glaube, dass es ein Unterschied ist, ob jemand regelmäßig oder unregelmäßig 'ein paar historische Romane liest' oder ob er sie schreibt. Der, welcher sie schreibt, taucht in die Materie zwangsläufig viel tiefer ein. Der, welcher das Ergebnis liest, hat nur seine eigene Sicht der Dinge (wo auch immer die herkommt) und die des Autors.

 

- Bervor ich romanschreibend zum Mittelalter wechselte habe ich mich mit der Rolle der Frau beschäftigt, weil ich die Vorgabe 'starke Frau als Hauptfigur' hatte und zuerst abklopfen wollte, ob es das im Mittelalter so überhaupt gab. Heute ärgert es mich, wenn ich lese, mittelalterliche Romanfrauen seien doch alle viel zu neumodisch emanzipiert. Allen, die so etwas denken, würde ich ensprechende Fachlektüre empfehlen (es gibt auch hervorragende populärwissenschaftliche Bücher). Ein Beispiel wäre von Edith Ennen, Frauen im Mittelalter. Auch sehr erfrischend: Von Karin Schneider-Ferber, Alles Mythos! 20 populäre Irrtümer über das Mittelalter.

Nicht zuletzt erinnere ich an Frauengestalten wie Kleopatra, die durch geschicktes Einsetzen ihrer weiblichen Anziehungskraft gleich zwei römische Herrscher für sich gewinnen konnte, um das Reich, das sie selbst führte (Ägypten) zu verfestigen. Und solche Frauengestalten gibt es genügend quer durch die Geschichte.

 

- Die Grundleidenschaften verfolgen uns Menschen meiner Ansicht nach schon von Beginn an. Religion wurde immer gebraucht, um Unerklärliches erklärbar zu machen (ist heute noch so). Wir Ur- und Frühgeschichtler beschäftigen uns ja mit den materiellen Hinterlassenschaften der Menschen früherer Zeiten. Geht mal ins Museum in Stuttgart und schaut euch die Beigaben des Fürstengrabs von Hochdorf an. Solche imposanten Funde erzählen immer auch etwas über die Leute, die sie in Auftrag gaben und die sie geschaffen haben.

Und wenn man sich mal mit dem erfrischend menschlichen Götterkanon der alten Griechen beschäftigt hat, dann erkennt man sehr wohl auch die Bedürfnisse der Menschen dahinter, die diese Götterwelt erschaffen haben. Ich sehe nicht, inwiefern die so grundlegend anders sind als unsere heutigen Anliegen.

 

Viele Grüße

Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Taucht man nur tief genug in die mittelalterlichen Texte ein  -  so erkennt man schnell, dass sie ein Spiegel unserer heutigen Zeit sind.

Es ist alles vorhanden: Überleben, Essen, Sicherheit, Glanz und Elend, Endzeitängste, törichter Aberglaube - aber immer auch Lieben und Geliebtwerden! Die Liste kann beliebig fortgesetzt werden, wobei sich der Wunsch nach "Selbstverwirklichung" selbst beim kleinen Mann findet. Natürlich nicht, wenn er gerade am Verhungern ist. Geht es ihm besser, bleibt er dennoch Realist: Er weiß, dass nur die wenigsten Träume erfüllt werden - aber er träumt sie!

 

Es geht mir und sicherlich den meisten Kolleginnen und Kollegen beim Schreiben unserer Romane um die geschichtlichen Ereignisse und Zusammenhänge - aber vor allem um die Menschen. Wir bemühen uns redlich, sie zu verstehen, ihre Lebenssicht und Lebensweise zu untersuchen, wobei wir natürlich auf das Wissen und die (oft unvollständigen und fehlerhaften) Aufzeichnungen anderer angewiesen sind. Das schränkt uns ein und macht uns mitunter angreifbar.

 

LG

Helene

Helene Luise Köppel:  Romanreihe "Töchter des Teufels" (6 Historische Romane über den Albigenserkreuzzug); sowie Romanreihe "Untiefen des Lebens"  (6 SÜDFRANKREICH-thriller), Neu in 2022: "Abkehr".

                                         

                                 

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Es geht mir und sicherlich den meisten Kolleginnen und Kollegen beim Schreiben unserer Romane um die geschichtlichen Ereignisse und Zusammenhänge - aber vor allem um die Menschen. Wir bemühen uns redlich, sie zu verstehen, ihre Lebenssicht und Lebensweise zu untersuchen, wobei wir natürlich auf das Wissen und die (oft unvollständigen und fehlerhaften) Aufzeichnungen anderer angewiesen sind. Das schränkt uns ein und macht uns mitunter angreifbar.

 

... das möchte ich jetzt auch noch unterschreiben. Mir persönlich geht es beim Schreiben historischer Romane darum, die Menschen zu betrachten. Ein Professor von mir hat experimentelle Archäologie betrieben mit der Begründung 'Ich möchte den Menschen von damals ein bisschen auf die Finger schauen'. Genauso geht es mir, wenn ich versuche, Menschen in fremden Zeiten in einer Geschichte lebendig werden zu lassen. Dass ich dabei mindestens ebenso sorgfältig vorgehe wie mein Professor bei seiner experimentellen Archäologie, das versteht sich für mich von selbst und ich bin ziemlich sicher, dass es sämtliche meiner Kollegen im historischen Romanbereich ebenso halten.

 

Angreifbar werden wir meines Erachtens nicht durch die eigene Arbeit, sondern dadurch, dass es immer Menschen gibt, die glauben, es besser zu wissen, obwohl sie sich nie eingehend mit der Materie beschäftigt haben. So wie jemand, der das Ergebnis einer Operation kommentiert mit der Begründung, er schaue sich alle Arztserien im Fernsehen an und könne deshalb doch wohl schon einschätzen, was richtig ist und was falsch.

 

Wenn jemand gerne historische Romane liest, dann sollte er auch bereit sein, dem Autor zu vertrauen, dass der seinen Job vernünftig erledigt hat. Und wenn ihm was komisch vorkommt, dann wäre der nächste Schritt, sich über Fachliteratur zu informieren und erst dann, wenn sich der Zweifel als berechtigt herausstellt, kann er kommentierend an die Öffentlichkeit gehen.

 

... finde ich.

 

Gruß Susann.

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Hallo, Susann.

 

Dass ich dabei mindestens ebenso sorgfältig vorgehe wie mein Professor bei seiner experimentellen Archäologie, das versteht sich für mich von selbst und ich bin ziemlich sicher, dass es sämtliche meiner Kollegen im historischen Romanbereich ebenso halten.

 

Angreifbar werden wir meines Erachtens nicht durch die eigene Arbeit, sondern dadurch, dass es immer Menschen gibt, die glauben, es besser zu wissen, obwohl sie sich nie eingehend mit der Materie beschäftigt haben.

 

Du bist "ziemlich sicher"? Mmh. Ich möchte (und muss hoffentlich) hier keine Namen nennen, aber bei einigen - auch sehr erfolgreichen - historischen Romanen, die ich gelesen habe, habe ich mich durchaus ernsthaft gefragt, ob sich die Autoren über die unmittelbare Recherche hinweg (wer herrschte, wie hießen die Volksgruppen, ein bisschen Architektur und etwas Kunst) auch nur eine Sekunde lang mit den sozialen Strukturen befasst haben. Ich verstehe, wenn "Kollegen" einander verteidigen (obwohl das, was ich hier ausgeführt habe, um es nochmals zu sagen, keinen Angriff darstellt!), aber ich würde als Autor mittelmäßig lustiger Popromane auch nicht meine Gliedmaßen dafür ins Feuer legen, dass alle anderen Autoren in diesem Gebiet rechtschaffend arbeiten, was auch immer darunter zu verstehen wäre (und unerheblich ist, denn die Ergebnisse zählen).

 

Zum zweiten Abschnitt: "Eingehend" mit der Materie beschäftigen sich Historiker, Archäologen, solche Leute. Ich kenne nur wenige Autoren historischer Romane, die zugleich diesen Berufsgruppen angehören. Peter Prange hat Germanistik, Romanistik und Philosophie studiert, Iris Kammerer hat immerhin u.a. Geschichte studiert. Das sind jedoch eher Ausnahmen. Thomas R. P. Mielke ist eigentlich ein Werbemann gewesen, bis er seinen Faible für historische Stoffe entwickelte. Die Vitae anderer Autoren historischer Romane lesen sich ähnlich. Es sind Schriftsteller, die sich - aus persönlichem Interesse, möglicherweise auch aus Marketingerwägungen - einem Genre zugewandt haben, ganz sicher im Rahmen ihrer Möglichkeiten intensiv recherchieren, aber unterm Strich sind sie keine Fachleute. Was ja auch völlig in Ordnung ist. Die Forderung, ein Kritiker müsse sich im jeweiligen Fachgebiet mindestens ebenso gut wie ein Fachmann auskennen, läuft hier also ins Leere, denn die Autoren sind zumeist selbst keine Fachleute. Dieser Ansatz - man muss etwas buchstabengetreu kennen, um es kritisieren zu können - begegnet einem immer wieder in Glaubensdiskussionen; es ist ein Totschlagargument, weil das, was ein Theologe während seines Studiums "gelernt" hat, vom Laien niemals aufzuholen ist. Und auch nicht aufgeholt werden muss, denn es wird ja die Idee diskutiert, nicht der Bibeltext in der fünfundneunzigsten Übersetzung oder das Leben irgendwelcher Heiligen.

 

Herzlich,

Tom

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Was bei der ganzen Diskussion untergeht ist meiner Meinung nach die Sicht des Lesers.

Beispiel: Als ich „Die Frau in Rot“ schrub, war ich sehr bemüht, authentisch zu sein. Die Geschichte spielt zum Teil im 18. Jahrhundert, geht um eine Adelige, die drei Kinder hat (eine historisch verbürgte Person). Damals war es nun so, dass sich adelige Mütter (größtenteils, Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel) nicht selbst um ihren Nachwuchs kümmerten, sondern Personal dafür hatten.

Dem trug ich Rechnung und bekam dieselbe zeitgleich zurück, nämlich mit der Rückmeldung meiner Testleser/des Verlags, dass die Frau unsympathisch, lieblos, eine Zicke, eine dumme Kuh etc. sei.

 

Tja, vorbei war es mit der „Wahrhaftigkeit“. Ich schrieb die Figur nach heutigen Maßstäben um und alle waren zufrieden. Also kann man noch so wahrhaftig sein wollen, wenn’s nicht goutiert wird, bleibt es nur „autorisches“ Wunschdenken.

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Hallo, Margot.

 

Exakt. Ich hatte das in meinem ersten Posting im Rahmen dieser etwas aus dem Ruder laufenden Diskussion angedeutet - meiner Meinung nach wären in jeder Hinsicht authentische (meinetwegen "wahrhaftige") historische Romane eher ungenießbar, würden aber mindestens eine kleinere Leserschaft erreichen. Romane leben davon, dass sich Leser mit den Figuren identifizieren, aber Identifikation wird erschwert, wenn auf irritierende Weise fremde Weltsichten transportiert werden, ein Wertegefüge vermittelt wird, zu dem man keinen Zugang hat usw. usf. Die Adaption ist deshalb, wenn man so will, zulässig, weil alternativlos. Und es ist ja keineswegs so, dass man nichts über die Zeit erfährt, in der die Handlung spielt, nur ist der Fiktionsraum im Vergleich zu zeitgenössischen Romanen etwas ausgeweitet.

 

Herzlich,

Tom

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