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Angelika Jo

Holzfällen

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Vielleicht geht es in dem Text  - ich knüpfe an Barbaras kluges Posting weiter oben an - um die Unmöglichkeit ein - zumindest in Gesellschaft - aufrichtiges Leben führen zu können.

 

Ja, das glaube ich auch. Auf jeden Fall unmöglich, soweit es sich bei der Gesellschaft um Künstler handelt. Darum kreisen – finde ich – sämtliche Reflexionen aus diesem Ohrensessel heraus: Schein, Schein, alles nur Anschein. Die Namen erfinden sie sich neu (aus Elfriede wird Joana, ihren Friedrich nennt sie John, der Emporkömmling Auersberger will das ständische er aus dem Namen haben, damits aristokratischer klingt), ihre Viten gleich dazu, ihr Kennertum ist gar keins (da schwärmt die Auersberger stundenlang von der Leistung des Schauspielers in der "Wildente", kennt aber die Figur gar nicht, die er spielt) etc. Überhaupt – ein "künstlerisches Abendessen", was soll das denn bitte sein? Dass halt alle Künstler sind und sich unglaublich was darauf zu Gute halten (besser als Virginia Woolfe) ja wohl? Eher künstlich als künstlerisch, sagt der Erzähler irgendwann, und wirklich ernst werden sie ja alle in Fragen der Authentizität erst, wenn es um den aufgetischten Fogosch geht: Ist der auch echt aus dem Plattensee?

 

Und wer dies alles so bitter beklagt, das ist ein Künstler. Der das natürlich weiß, sich selbst auch gar nicht ausnehmen will, im Gegenteil, ich bin schon auch so ein unechtes Arschloch, sagt er. Na ja, und dann soll man ihm glauben? Das wäre für mich das thematische Element, aus dem eigentlich schon rausspringt, was du sagst, jueb, mit deinem "Erzählen in Drehungen". Seht ihr das auch so oder bin ich alleine?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Ich glaube' date=' ich finde ihn zumindest eingangs ueberraschend unerregt, diesen Erzaehler.[/quote']

 

Ach so, damit das hier nicht untergeht: Ich auch. Diese ganze Ohrensesselei ist für mich der I. Akt. Da ist er der – ziemlich unangenehme – finde ich Beobachter, der seine Urteile parat hat und an sich selber gar nichts ran lässt.

 

Erst wenn Kilb ins Spiel kommt und dann noch mehr durch den Burgschauspieler, geht der Krieg los, in dessen Verlauf sich dann erregt wird.

 

Angelika

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Das ist nicht auf Künstler beschränkt, sondern geht einem immer so in Kreisen von Leuten mit großem sozialem Ehrgeiz. Ich habe das selbst auch erlebt. Man macht es (leider) eine Weile mit, wenn man in einen solchen Kreis gerät, bis es einem zum Hals heraushängt.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Du hast schon Recht, Ulf, das glaub ich dir gern, dass man Angeber auch bei den Business-leuten oder im Tierschutzverein oder wo auch immer trifft.

 

Dem Bernhard aber ging es höchst grimmig speziell um den Wahn bei Künstlern. Und das muss etwas damit zu tun haben, dass er selber einer ist.

 

Angelika

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Du hast schon Recht, Ulf, das glaub ich dir gern, dass man Angeber auch bei den Business-leuten oder im Tierschutzverein oder wo auch immer trifft.

 

Dem Bernhard aber ging es höchst grimmig speziell um den Wahn bei Künstlern. Und das muss etwas damit zu tun haben, dass er selber einer ist.

 

Angelika  

 

Nein, es hat eigentlich nicht so sehr mit Angeben zu tun, sondern mit mehr Schein als Sein, wie es auch im Roman beschrieben wird. Da werden im privaten Zirkel von Rechtsanwälten und Managern schöngeistige Reden gehalten, irgendeine Sängerin beordert, die Schubertlieder vorträgt, oder es werden Leute eingeladen, die das Gemenge aufwerten sollen, wie irgendein Philosophieprofessor, der bei Geburtstagen die Laudatio halten soll, das macht sich ja immer besonders gut. Natürlich hat man immer die richtigen Weine dabei und den ganz großen Cognac, das Porzellan aus Limoges. Am Ende des Abends, nach Litern teuren Weines, da vergessen sie dann die feine Art. Da werden die Ärmel hochgekrempelt, da kommt die Flasche Cognac auf den Tisch und dann wird gesoffen wie bei Bolles. ;D

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. Und da habe ich mich schon auch selbst ertappt

 

Kannst Du das bitte erklaeren, jueb? Wobei hast Du Dich selbst ertappt?

 

Ja, und das ist natürlich nicht schön :-)

 

Für mich ist das Künstlermiiieu, das Bernhard charakterisiert oder vielleicht auch persifliert, übertragbar auf gesellschaftliches Verhalten im Allgemeinen. Womit ich menschliches Verhalten im Kontext des Beruflichen meine, was ja - zumal wenn es um Aufstieg, auf Neudeutsch: Karriere geht - mit gesellschaftlichem Leben verknüpft ist.

 

Sagt man seinem Vorgesetzten, Untergebenen, Auftragegeber, Verleger, Lektor, Agenten immer das, was man denkt, wirklich meint? Ich habe manchmal (Gott sei Dank nicht so oft) mit Auftraggebern zu tun, die Dinge sagen, über Ausländer, über Frauen, über Homosexuelle, über Kunst und Literatur und menschliche Freiheit, die ich unterirdisch finde, im Privatleben möchte ich mit solchen Individuen nichts zu tun haben, aber im Beruflichen sage ich da schon einmal NICHTS, obwohl ich eigentlich (wenn ich es mir leisten könnte), am liebsten sagen würde, DAS sehe ich aber anders, da müssen wir ERST diskutieren, bevor wir ins Geschäft kommen, denn mit einem solchen reaktionären Pack möchte ich keine Geschäfte machen. (Klar, das ist natürlich naiv). Oder kleinteiliger: Redakteure, Lektoren, die dies und das einfordern oder vorschlagen, und man findet es nicht gut, und aus opportunistischen Gründen nimmt man es manchmal hin, oder verwässert die eigene Position, indem man sagt, es ist schon ok so, obwohl man es eigentlich nicht ok so findet, weil es um den nächsten Auftrag geht, um die finanzielle Grundlage der eigenen Existenz, oder der Auftraggeber ist ja so einflussreich, da drückt man schon ein Auge zu, aus taktischen Gründen.  Schließlich (nichts har?) sieht man sich im Leben immer zweimal. Alles nachvollziehbar, alles menschlich, doch vorbildlich nicht. Denn geht es im Leben nicht auch darum - um Haltung? Und noch kleinteiliger das Problem: wie findest du mein neues Buch? Sagen da wirklich die, die gefragt werden, immer die Wahrheit?

Vielleicht ist es auch so ein Freudscher Wunsch, von allen geliebt, gemocht und gelobt zu werden, der zur Unaufrichtigkeit führt, von der Bernhard schreibt.

 

Ich finde schon, dass er dieses grundsätzliche Problem im gesellschaftlichen Miteinander  überspitzt, aber eben überzeugend in eine literarische Form gießt, denn in dem Text spürt man ja nicht nur eine abgrundtiefe Traurigkeit (da geht es mir ganz genau so wie Claudia!!!!), sondern schon auch einen Selbstekel des Erzählers. Und das macht mir die Erzählerstimme wieder sympathisch.

 

Kurzum: ich stecke weiß Gott nicht so tief in dem Dilemma des Erzählers wie bei Bernhard, doch der Konflikt ist mir vertraut und berührt mich.

 

Oder noch ein Beispiel - hoffentlich nicht zu weit hergeholt. Merkel spricht ihrem Minister ihr vollstes Vertrauen aus - drei Stunden später tritt er "freiwillig" zurück. Auf Druck von Merkel, wie man später erfährt, die sich noch später dann bedankt für so viel großartigen, erfolgreichen Einsatz in seinem Ministerium.

 

Haben wir uns schon so daran gewöhnt, dass wir eine solche Bigotterie für völlig normal halten?

 

LG

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Vielen Dank, jueb, das habe ich jetzt sehr gut verstanden (mir sind auch sofort etliche Beispiele aus meinem eigenen Erleben leider eingefallen).

Beim Lesen Deines Beitrags und Aufblitzen von Stellen aus "Holzfaellen" kam es mir so vor, als saehe ich diesen Ohrensessel mit den zwei Ohrenklappen auf einmal als Deckung, in die sich der Erzaehler zurueckgezogen hat, um die Wut zu verspruehen, die gedeckelt bleibt, wenn er sich aus dem Ohrensessel herausbeugt.

Jetzt will ich rasch nachlesen, ob ich das in dem Teil, den Angelika - sehr klug, finde ich - als zweiten Akt eingeteilt hat, auch noch so lese.

 

Einen schoenen Tag wuenscht Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Beim Lesen Deines Beitrags und Aufblitzen von Stellen aus "Holzfaellen" kam es mir so vor' date=' als saehe ich diesen Ohrensessel mit den zwei Ohrenklappen auf einmal als Deckung, in die sich der Erzaehler zurueckgezogen hat, um die Wut zu verspruehen, die gedeckelt bleibt, wenn er sich aus dem Ohrensessel herausbeugt. [/quote']

Leider bleibt sie gedeckelt. Er versprüht in Wirklichkeit gar nichts, behält alles für sich und lügt am Ende auch noch, küsst die Gastgeberin auf die Stirn: "That was so wonderful, Darling! We must do this again soon." Und ab.

 

Versprühen lässt er dagegen den Burgschauspieler, auf seine Weise. Irgendwie feige.

 

Ihr seht, ich habe fertig! ;D

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Toll gemacht, Ulf!

Wirklich!

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

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Ulf, du bist ein Held!

Dies nur als Zwischenruf, muss all eure Postings noch lesen ...

Liebe Grüße

von einer vorbeiflatternden

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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So viele Gedanken und Stellungnahmen schon! Ich pflück ein paar hervor und denke, mit der Zeit wird das dann schon alles abgearbeitet.

 

1. Ulf, großes Holzfällerabzeichen mit Eichenlaub!

 

2. Ich finde wie du, Ulf, dass der Erzähler keiner ist, der sich durch so was wie Offenheit und Kampfesmut auszeichnet. Ich brauche aber auch keinen Erzähler, der mir den allseits bewunderten, edlen Ritter gibt (dafür gibts ja schon dich  :p).

 

3. Gleich im Zusammenhang damit: Ich seh die von euch beschworene abgrundtiefe Traurigkeit nicht. Ich höre den "sound" nicht, den ihr vernehmt und schreibe das meiner schwach ausgebildeten Musikalität zu (obwohl ich mein Akkordeon so liebe, schluchz). Aber für die Traurigkeit hätte ich jetzt gerne mal einen Nachweis. Wo lest ihr das? Ich nehme eine Verletzung wahr, das ist nicht schwer, er spricht ja beständig davon, besonders im letzten Akt. Aber aus Verletzungen kann ja einiges erwachsen, das ganz verschieden ist: stille Traurigkeit, Verzweiflung oder Gift. Ich lese – wie Ulf – vom Gift. Und ich meine nach wie vor: Das ist nicht eins zu eins so was wie "ich will mich auch mal auskotzen dürfen", sondern spiegelt sich dauernd in einer Selbstanklage und diese wieder in einer Anklage gegenüber dem Künstlertum. Na ja, dafür hätte ich jetzt massig Belege, aber ihr habts ja frisch gelesen, ich denke, das braucht es erst mal nicht, oder wollt ihr?

 

Die anderen drei Punkte (Barbaras "das Erzählerische", Claudias Einwurf zur Dramaturgie von Einmannstücken und juebs – fast hätte ich jetzt geschrieben "Bekenntnisse"  :D – müssen wir unbedingt auch noch abarbeiten. Aber vielleicht ein wenig später, damit nicht alles durcheinander kommt?

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Entschuldigt, wenn ich mich hier vordrängele. Aber mich hat das Buch am Ende geärgert, und ich muss es, wie Thomas Berhard, einfach loswerden. Ihr könnt mich ja dann gerne zerpflücken.  ;D

 

Eigentlich finde ich dieses Werk ziemlich erbärmlich.

 

Vom Stil her hat mich gar nichts beeindruckt, eher haben mich Dinge gestört. Der Schreibstil ist lesbar, enthält aber eine Menge Holprigkeiten (vielleicht mit Absicht), die mir auf die Nerven gingen. Das sind die ewigen Wiederholungen, nicht nur von Namen und Worten, sondern auch von Aussagen und Inhalten. Man hat den Eindruck, allein dadurch hätte der Band um 50% gekürzt werden können. Und dazu unglückliche Konstruktionen wie: „Dann hättest du ja gleich in Wien bleiben können, sagte ich, sagte der Burgschauspieler.“ Davon gibt es zuhauf und das hier ist nur ein mildes Beispiel. Ich frage mich, was das soll.

 

Ansonsten sind keine gekonnten Metaphern enthalten, keine weisen Einsichten, außer dass die Menschen oberflächlich und gekünstelt sind und dummes Zeug reden. Nichts Neues (gähn). Hauptsächlich enthält es also verächtliche Beschreibungen über Weggefährten des Autors, aber in einem solchen Umfang, dass man als Leser nach einer Weile eigentlich abstumpft und sie einen kaum noch berühren. Ja, die Sprache hat einen gewissen Rhythmus, aber es ist das rhythmische Dahinrollen von Vitriolwellen, die sich endlos und eintönig durch die Seiten wälzen. Am Anfang gelegentlich noch ganz witzig, im Weiteren aber immer langweiliger werdend, erst durch den Burgschauspieler wacht man ein bisschen wieder auf.

 

Es gibt keine Handlung, nur Gedanken und Personenbeschreibungen, Gesprächsfetzen, gelegentlich kleine Erinnerungen, ein paar angedeutete Zusammenhänge. Die Handlung könnte man also auf 3 Seiten zusammenfassen. Höchstens. Es gibt auch keine Dramaturgie, keinen Spannungsbogen. Die ganze Zeit wartet man auf eine Art Entladung, ein High Noon, aber da kommt nichts, es endet wie es anfängt, in Belanglosigkeit.

 

Denn wo ist überhaupt die Relevanz, bitte? Dass es solche Menschen, die beschrieben werden, zuhauf gibt, und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft, ist uns doch allen bekannt. Das wäre höchstens ein Thema am Rand eines interessanten Romans, aber nicht der gesamte Inhalt. Wen interessiert denn nun wirklich die Künstlerschickeria von Wien, mein Gott? Auf einer Skala von gegenwartsrelevanten Themen rangiert das doch nun wirklich ganz unten. Natürlich kann man sehr präzise auch das Liebesleben der Stubenfliege analysieren, aber wozu?

 

Nein, das Drama tritt erst auf den Plan, wenn man weiß, dass dies keine fiktiven Figuren sind, sondern wirkliche Menschen und Weggefährten des Autors. Aber da wird die Sache dann infam. Er überschüttet sie alle mit unsäglichem Gift und unsäglicher Verachtung. Die einzige Person, die gut dabei wegkommt ist die Gemischtwarenhändlerin. Sogar die Selbstmörderin wird in einem negativem Licht gezeigt, wobei die positivste Regung noch ein wenig Mitleid des Autors ist.

 

Man muss sich fragen, was zum Teufel hat diesen Mann geritten, ein solches beleidigendes Buch zu schreiben, entwürdigend für die dargestellten Menschen. Was für ein Hass, welche Niedertracht! Egal für wie unwürdig und erbärmlich er diese Menschen hält, hiermit hat er ihnen die letzte Würde genommen.

 

Und warum tut er das? Irgendetwas muss ihn so gekränkt haben (was das sein könnte, verrät er nicht), dass er so blindwütig um sich schlägt. Ich vermute mal, Herr Bernhard ist ein sehr ehrgeiziger Mensch gewesen mit enormen Geltungsbedürfnis und ein sehr eitler Mensch. Irgendetwas muss seine Eitelkeit verletzt haben, das er so blindwütig um sich schlägt.

 

Das ist das eigentliche Drama des Buches. Und es wirft für mich ein sehr schlechtes Licht auf den Verfasser selbst. Im Grunde tun mir die armen Wichte leid, die er so verhöhnt und an den Pranger stellt. Und dabei macht er sich eigentlich selbst zum Wicht. Und das schlimmste ist noch das Ende. Da sind sie ihm wieder die allerliebsten und Wien überhaupt die beste. Was soll das? Das ist irgendwie noch verhöhnend oben drauf.

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Ich versteh dich schon, Ulf, ich hab aber auch Antworten. Die erste heißt: Genau, was du hier als erstes schreibst, will der Autor erreichen:

 

Vom Stil her hat mich gar nichts beeindruckt' date=' eher haben mich Dinge gestört. Der Schreibstil ist lesbar, enthält aber eine Menge Holprigkeiten (vielleicht mit Absicht), die mir auf die Nerven gingen. Das sind die ewigen Wiederholungen, nicht nur von Namen und Worten, sondern auch von Aussagen und Inhalten. Man hat den Eindruck, allein dadurch hätte der Band um 50% gekürzt werden können. Und dazu unglückliche Konstruktionen wie: „Dann hättest du ja gleich in Wien bleiben können, sagte ich, sagte der Burgschauspieler.“ Davon gibt es zuhauf und das hier ist nur ein mildes Beispiel. Ich frage mich, was das soll.[/quote']

 

Das soll, in meinen Augen, diesen Effekt herstellen, wie er bei dir eingetreten ist: Man soll den Erzähler widerlich finden. Ein produktives Windei mit diesen Wiederholungen. Das ist gerecht, sagt sich Bernhard (denke ich), denn als Künstler sind wir sowieso alle nur Windeier.

 

Im Folgenden möchte ich aber schon widersprechen:

 

Ansonsten sind keine gekonnten Metaphern enthalten, keine weisen Einsichten, außer dass die Menschen oberflächlich und gekünstelt sind und dummes Zeug reden. Nichts Neues (gähn).

 

Jetzt zähl ich mal – Buch irgendwo aufgeschlagen, nur ein paar der Wendungen – von mir aus Metaphern – auf, bei denen ich lachen musste:

"der dümmste aller sogenannten Kronenkraxler" (damit meint er den nach Grafentum lechzenden Auersberger),

"kaum ein Nachtmahl [der Auersberger], das nicht ... ein eheliches Trümmerfeld und einen entsetzlichen Ehe-Gestank" hinterließ,

oder – dazu braucht es die Wiederholungen, die Wiedergabe einer fürchterlich aufgeregten Person wie der Jeannie Billigroth, die zu geifern anfängt, wenn sie sich rechtfertigen will: "... worauf die Jeannie sofort antwortete, sie habe ja gar nicht gesagt, der neue Mann sei ein Genie, die Zeitungen hätten geschrieben, der neue Mann sei ein Genie, nicht sie habe das gesagt, die Zeitungen hätten das geschrieben, alle Tage schrieben jetzt die Zeitungen von diesem Genie aus Deutschland, sie habe das nicht gesagt ..." – Ich hör da diese Person, ich seh sie! Und zwar noch effektiver auf diese summarisch trockene Weise als wenn er hier wörtliche Rede gebraucht hätte.

Solche Stellen gibt es zuhauf dann besonders auch beim Burgschauspieler.

 

Einspruch auch hier:

 

Es gibt keine Handlung, nur Gedanken und Personenbeschreibungen, Gesprächsfetzen, gelegentlich kleine Erinnerungen, ein paar angedeutete Zusammenhänge. Die Handlung könnte man also auf 3 Seiten zusammenfassen. Höchstens. Es gibt auch keine Dramaturgie, keinen Spannungsbogen. Die ganze Zeit wartet man auf eine Art Entladung, ein High Noon, aber da kommt nichts, es endet wie es anfängt, in Belanglosigkeit.

 

Es gibt eine Handlung: Ein Mann war mal sehr verliebt in die Wiener Künstlerszene und ihre diversen, v. a. weiblichen Figuren (aber auch vom Bett des Auersberger ist die Rede!), er hat sich recht heftig entliebt, während es bei ihm mit der Karriere dennoch irgendwie gut ging, ist eine andere daran zugrunde gegangen und hat sich aufgehängt. Wie reagieren die versammelten Figuren auf diesen Tod? Das ist eine gar nicht unspannende Frage, finde ich, diese Frage begegnet einem ja auch sonst immer wieder im Leben. Und die Antwort ist schon schlimm: Sie machen alle einfach so weiter, jeder mit seiner Deformation.

 

Das wäre auch meine Antwort für deine nächste Frage:

 

Denn wo ist überhaupt die Relevanz, bitte? Das es solche Menschen, die beschrieben werden, zuhauf gibt, und zwar in allen Bereichen der Gesellschaft, ist uns doch allen bekannt. Das wäre höchstens ein Thema am Rand eines interessanten Romans, aber nicht der gesamte Inhalt. Wen interessiert denn nun wirklich die Künstlerschickeria von Wien, mein Gott?

 

Die Künstlerschickeria von Wien natürlich als erstes. Dann aber auch schon alle die, die im Künstler eine besonders weise, irgendwie Ehrfurcht gebietende Figur sehen wollen – für die wird hier tüchtig was demontiert. Und drittens all die, die im Verhalten dieser paar Figuren ein menschlich eher weit verbreitetes Phänomen sehen. Nimm die Szene, wo die Jeannie Geld sammelt für den armen John. WIE sie das macht – als ich das gelesen habe, wusste ich: Genau das habe ich schon mal gesehen! Schon öfter!

 

Wenn es schließlich um die Person von Bernhard geht:

 

Und warum tut er das? Irgendetwas muss ihn so gekränkt haben (was das sein könnte, verrät er nicht), dass er so blindwütig um sich schlägt. Ich vermute mal, Herr Bernhard ist ein sehr ehrgeiziger Mensch gewesen mit enormen Geltungsbedürfnis und ein sehr eitler Mensch. Irgendetwas muss seine Eitelkeit verletzt haben, das er so blindwütig um sich schlägt.

 

Da gibt es hier sicher bessere Kenner als mich, aber so viel weiß ich, dass er weniger eitel war als kreuzungücklich: schwer krank, ärmliche Verhältnisse, Eltern, die ihn nicht wollten und so was.

 

Hier bin ich aber wieder – zu Teilen – mit dir einverstanden:

 

Und das schlimmste ist noch das Ende. Da sind sie ihm wieder die allerliebsten und Wien überhaupt die beste. Was soll das? Das ist irgendwie noch verhöhnend oben drauf.

 

Das Ende mochte ich auch nicht. Aber das muss man sicher alles noch für sich sehen.

 

Angelika

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Jetzt zähl ich mal – Buch irgendwo aufgeschlagen, nur ein paar der Wendungen – von mir aus Metaphern – auf, bei denen ich lachen musste:

"der dümmste aller sogenannten Kronenkraxler" (damit meint er den nach Grafentum lechzenden Auersberger),

"kaum ein Nachtmahl [der Auersberger], das nicht ... ein eheliches Trümmerfeld und einen entsetzlichen Ehe-Gestank" hinterließ,

oder – dazu braucht es die Wiederholungen, die Wiedergabe einer fürchterlich aufgeregten Person wie der Jeannie Billigroth, die zu geifern anfängt, wenn sie sich rechtfertigen will: "... worauf die Jeannie sofort antwortete, sie habe ja gar nicht gesagt, der neue Mann sei ein Genie, die Zeitungen hätten geschrieben, der neue Mann sei ein Genie, nicht sie habe das gesagt, die Zeitungen hätten das geschrieben, alle Tage schrieben jetzt die Zeitungen von diesem Genie aus Deutschland, sie habe das nicht gesagt ..." – Ich hör da diese Person, ich seh sie! Und zwar noch effektiver auf diese summarisch trockene Weise als wenn er hier wörtliche Rede gebraucht hätte.

Solche Stellen gibt es zuhauf dann besonders auch beim Burgschauspieler.

Natürlich sind das schon gekonnte Charakterisierungen. Wäre ja auch schrecklich, wenn da nichts wäre. Und den Burgschauspieler und seine dumme Selbstbeweihräucherung fand ich noch das Beste am Buch. Aber insgesamt hat mich da relativ wenig berührt. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich das Thema eigentlich uninteressant finde. Ich habe mich schon des Öfteren gefragt, nicht nur bei diesem Buch, warum Gegenwartsautoren so gern über Mittelmäßigkeit schreiben, über uninteressante Typen, über Spießer und Schmalspurbürger. Vor einer Weile habe ich mal Walsers "Fliehendes Pferd" gelesen. Alles Looser. Was ist daran so interessant? Gut geschrieben, aber so what?

 

PS.: Dabei mangelt es uns doch nicht an wichtigen Themen: Menschenhandel, Finanzhaie, Politik und Korruption, Mafia, Zynismus großer Unternehmen, wachsende Armut, Pharmaexzesse, Umwelt, Gesundheit, Neokolonialismus, Krieg, Rassismus, Migration ... Themen ohne Ende, über die man sich auslassen könnte. Was soll man da mit Schicksalen unwichtiger und uninteressanter Menschen anfangen?

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(Link ungültig)

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Aber Ulf!!

Das ist jetzt nicht dein Ernst... Du findest Künstler unwichtige und uninteressante Menschen?!

 

LG

jueb

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Aber Ulf!!

Das ist jetzt nicht dein Ernst... Du findest Künstler unwichtige und uninteressante Menschen?!

 

LG

jueb

Natürlich nicht. Aber die im Buch dargestellten kommen als ziemlich unwichtige Typen rüber, die im Leben nichts zustande gebracht haben, aber so tun als ob. :)

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Wenn es schließlich um die Person von Bernhard geht:

 

Und warum tut er das? Irgendetwas muss ihn so gekränkt haben (was das sein könnte, verrät er nicht), dass er so blindwütig um sich schlägt. Ich vermute mal, Herr Bernhard ist ein sehr ehrgeiziger Mensch gewesen mit enormen Geltungsbedürfnis und ein sehr eitler Mensch. Irgendetwas muss seine Eitelkeit verletzt haben, das er so blindwütig um sich schlägt.

 

Da gibt es hier sicher bessere Kenner als mich, aber so viel weiß ich, dass er weniger eitel war als kreuzungücklich: schwer krank, ärmliche Verhältnisse, Eltern, die ihn nicht wollten und so was.

 

 

Ich (das mag eine Einzelerfahrung sein, die mit Ort und Zeit des Studiums - Berlin, Achtziger Jahre - und Alter des Freundes/Kollegenkreises zu tun hat) kenne keinen anderen Autor ausser Kafka, bei dem es so schwer ist, ueber einen Text zu reden, ohne dass sofort die Biographie massiv ins Spiel gebracht wird wie Bernhard. Persoenlich finde ich das ein bisschen schade, weil damit - und in die Richtung driftet die Diskussion ja auch gerade ein wenig - suggeriert wird, dass der Text als solcher zu wenig sagt.

Ich moecht' kein Aussparen der Biographie fordern, auf gar keinen Fall, aber ich faende es interessant, wenn wir eine Weile lang beim Text bleiben koennten, also noch nichts ueber Bernhard vermuten, sondern erst einmal ueber den von ihm gewaehlten Erzaehler. Und das wuesste ich gern, Ulf: Hast Du diesen Erzaehler als jemanden erlebt, der gekraenkt worden ist (ich finde es extrem interessant, dass Angelika gesagt hat, sie faende keine Traurigkeit. Ich bin dazu auf weitere Eindruecke gespannt - mir ging's naemlich nicht ganz so, auch wenn ich dem im Vergleich zu anderen Texten von Bernhard schon zustimmen muesste)? Oder nimmst du es vom Autor an? In einem anderen interessanten Abschnitt sprichst du ja von Wuerde - meinst du hier, der Erzaehler nehme den uebrigen Figuren und damit sich selbst die Wuerde oder sprichst du hier ausschliesslich vom Autor?

Eventuell findest du diese Fragen aufgrund von biographischem Hintergrundwissen spitzfindig, ich habe aber dennoch das Beduerfnis, diese Unterscheidung zu machen, weil sie mir fuer die Frage "Sind das unwichtige, uninteressante Menschen?" wichtig scheint. "Unwichtig und uninteressant" wuerde fuer mich bedeuten, dass ueberhaupt keine Uebertragbarkeit besteht, und das ist fuer mich nicht der Fall.

 

Herzlich,

Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

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Das sind eine ganze Reihe von interessanten Fragen, Charlie. Ich versuche mich mal mit Antworten.

 

Zunächst finde ich es schwierig, Text von Biographie zu trennen, zumindest von dem bewussten Skandal. Der Text alleine hätte mich in keiner Weise so getroffen wie im Zusammenhang mit den Hintergründen. Ich hätte mich nur gefragt, mein Gott, was sollen diese Tiraden? Wie ich schon sagte, durch die Biographie gewinnt es an Drama. Ich glaube, man kann in diesem Fall Text nicht von Autor trennen. Die Sache ist autobiographisch und als solche auch zu verstehen, meine ich.

 

Ich vermute, der Hintergrund ist eine Kränkung. Der redet wie ein Gekränkter, einer der zurückschlagen möchte, auch wenn er es nur im Geiste tut. Er stellt die Menschen in ihrer Kleinheit dar, in ihrer erbärmlichen Unbedeutsamkeit. Wenn sie so unbedeutend wären, warum dann das ganze Gezeter, warum die ganze Energie, die auf dieses Pamphlet der Verachtung gegossen wird? Das kann ich mir nur durch eine vorangegangene Kränkung erklären.

 

Und, ja, er nimmt ihnen die Würde. Besonders eben da es sich nicht um fiktive Figuren handelt, sondern um lebende Menschen. Die schonungslose Darstellung eines erfolglosen, trunksüchtigen Musikers, ein Ehepaar, das hinter Äußerlichkeiten seine innere Lehre verbirgt, die Virginia Woolf von Österreich, etc. Und dass es dem Thomas Bernhard so wichtig ist, diese Menschen klein zu machen, das macht auch ihn klein. Ich finde es würdelos auch als Autor.

 

Und der Bernhard versteht das schon. Denn er lässt den Burgtheaterschauspieler plötzlich an Statur gewinnen, als der sich gegen die Attacken der Jeannie verteidigt. Er holt sich seine Würde zurück.

 

Ja, da kann ich Text von Person nicht trennen. Den Text allein hätte ich sonst vielleicht gar nicht zu Ende gelesen, weil es mich nicht sonderlich berührt hätte.

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Hallo, liebe Leute, Mitleser, Mitfragende oder auch Mitleidende,

jetzt bin ich auch hier, gestern war ich unterwegs, und möchte auch mit meinem Eindruck – also dem ersten, beginnen.

Nach einer früheren Lektüre von Bernhard war ich ungefähr vorbereitet, auf das, was mich erwartet: innerer Monolog, Gedankenlitaneien und gebetsmühlenartige Wiederholungen.

Und: ich habe sie genossen, damals wie nun beim Holzfällen. Ja, es ist ein Sound, Musik, mit Strophen und Refrain.

Allerdings kam mir der Schwall von Weitschweifigkeit bis zum Austreten und -leiern der Gedankenschleifen hier besonders auf den ersten ca. 10 bis 20 Seiten exorbitant vor, gewöhnungsbedürftig und ich schnaufte schon auf – hoppala – wo will der Gute hin.

 

Aber es wurde leicht, wie bei meinem ersten Bernhard-Buch, ich schwebte durch, selten so schnell und gerne gelesen. Denn ich konnte mich auf diesen Quasseler und Nörgler, dem gnadenlos Abkanzelnden einlassen.

Denn ja, hinter der Erregung wird mir eine Geschichte erzählt, auf eine Weise, wie ich es noch nicht hörte/las. Sicher, man meint, von diesen Leuten gehört zu haben, sie zu kennen, aber sie wurden mir nicht so präsentiert. Na gut, vielleicht sogar vorgeführt.

Und: der Erzähler berichtet von sich selbst, und bald erkennt man ja in seinem Ohrensessel den abgehalfterten versoffenen Typen, der nicht anders ist, als die, die er beobachtet. Die ganze Abrechnung/Erregung kommt aus ihm selbst, aus seiner Wut über sich selbst.

Ja, er hat etwas Trauriges, in seinem Selbstekel. Eine Verletzung? Guter Gedanke. Das knüpft bei mir an die Schilderung seiner Zeit mit den Auersbergern an, die ihn zu sich in die Gentzgasse holten und besonders mit nach Maria Zaal, wo er die Ehekapriolen der beiden Auersberger abmildern sollte, als Gesellschafter, als Gemütsdämpfer, der dem Ehepaar ein gewisse Erträglichkeit beschaffen sollte und ich glaube durchzuhören, dass dieses Ausnutzen sehr „eng“ und persönlich war. Gut, mag sein er (der Erzähler) frisst sich hier in eine seiner üblichen verzerrten Erinnerungen hinein. Aber es schien mir glaubwürdig.

 

Summa summarum, ich bin froh das Teil gelesen zu haben.

Soweit erst mal von mir.

Bea

 

und ich möchte hier ganz von der Biografie Bernhards weg bleiben und beschäftige mich jetzt damit nicht, lese nicht den Artikel.

"Wer nicht weiß, in welchen Hafen er will, für den ist kein Wind der richtige." Seneca

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Aber Ulf!!

Das ist jetzt nicht dein Ernst... Du findest Künstler unwichtige und uninteressante Menschen?!

 

LG

jueb

Natürlich nicht. Aber die im Buch dargestellten kommen als ziemlich unwichtige Typen rüber, die im Leben nichts zustande gebracht haben, aber so tun als ob.  :)

 

Das scheint mir so nicht zu stimmen. Letztendlich handelt der Text von einer Künstlerelite, die es - zumindest in den Augen der (Wiener) Gesellschaft durchaus zu etwas gebracht hat. Der Burgschauspieler, und der Auersberger in jedem Fall. Für mich geht es in diesem Text übrigens genau auch darum: was macht einen erfolgreichen Künstler aus? Wer bestimmt das? Was ist die Messlatte? Wie lässt sich eine künstlerische Existenz überhaupt rechtfertigen?

 

Für mich steckt in diesem Text viel darin über die Schwierigkeit, das Risiko und das Scheitern, wenn man sich in letzter Konsequenz für eine künstlerische Existenz entscheidet. Die Figur der Joanna z.B., die als ambitionierte und offenbar auch sehr talentierte Künstlerin anfing, im Alkohol und Prekariat endete und sich erhängt hat. Sie ist für mich übrigens alles andere als eine mittelmäßige Figur, im Gegenteil, auch eine Figur, die mich berührt hat, weil der Erzähler und auch die Abendgesellschaft sie auf sprechende Weise wegdrückt - und das gibt dem Text als Ganzes für mich auch eine gewisse Traurigkeit, die von der Komik nur teilweise verdeckt wird. In letzter Konsequenz steckt da auch noch die zynische Pointe drin. Die Joanna ist die aufrichtigste von allen (gewesen).

 

Ich stimme Charlie zu, den Text zunächst ohne den biografischen Hintergrund des Autors zu lesen. Mir tut Kafka, den ich als Autor immer noch sehr mag, so leid, dass seine Texte wohl für ewig gelesen werden unter dem Aspekt seines Vaterkomplexes.

 

LG

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Lieber Ulf,

 

so kann man wirklich nur schlecht über Romane oder - wie in diesem Fall - über Erzählungen sprechen, wenn du einfach Autor und Erzähler gleichsetzt. Im Übrigen, finde ich, dass du in deiner Argumentation einfach außer Acht lässt, dass der Erzähler den anderen Figuren die Würde nehmen mag, aber sich eben auch, und damit steht er - zumindest für mich - eigentlich noch viel würdeloser da als all die anderen - am Ende.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Ich (das mag eine Einzelerfahrung sein' date=' die mit Ort und Zeit des Studiums - Berlin, Achtziger Jahre - und Alter des Freundes/Kollegenkreises zu tun hat) kenne keinen anderen Autor ausser Kafka, bei dem es so schwer ist, ueber einen Text zu reden, ohne dass sofort die Biographie massiv ins Spiel gebracht wird wie Bernhard. Persoenlich finde ich das ein bisschen schade, weil damit - und in die Richtung driftet die Diskussion ja auch gerade ein wenig - suggeriert wird, dass der Text als solcher zu wenig sagt.[/quote']

Ich möchte Charlie da zustimmen und es eher noch weiter zuspitzen: Für mich lebt dieser Text ganz ohne jeden Zweifel aus sich selbst heraus, was ihn gut und interessant macht, ist gerade nicht das Autobiographische (ich find's sowieso immer heikel, wenn wir Leser so tun, als könnten wir wissen, warum ein Autor einen bestimmten Text geschrieben hat), sondern die großartige Art, wie der Text eine Atmosphäre schafft und Personen und Szenen zum Leben erweckt, während er so tut, als wäre er eine einzige kunstlose Wutrede. Auch mir ging es so, dass ich immer wieder dachte: O Gott, die kennst du doch, oder: Das hast du doch selbst schon oft genug erlebt.

 

Übrigens scheint mir das Geschehen in Holzfällen auch keineswegs eins zu eins irgendwelchen realen Gegebenheiten zu entsprechen, sondern nur in bestimmten Punkten, während anderes erfunden ist. Aber so viel weiß ich über Bernhard und die Wiener Kunstszene nicht, dass ich das wirklich beurteilen könnte.

 

Und in einer Hinsicht finde ich den Bezug zu realen Personen geradezu unausweichlich, weil ich nicht glaube, dass dieser Text von irgendeiner anderen Kunstszene handeln will als von der Wienerischen. Man könnte ihn nicht nach Berlin oder München oder Zürich oder wasweißichwohin verpflanzen. Weil dieses Phänomen, um das der Text ja ständig kreist - alle kommen nach Wien, um "ihre" Kunst machen zu können, und bleiben dann dort stecken und verheddern und verstricken sich immer tiefer und kommen NIE mehr daraus frei, und sie lieben es und hassen es zu gleich, finden sich gleichzeitig großartig und jämmerlich – ohne etwas über Wien zu wissen, ist in mir zumindest der Eindruck entstanden, dass es das so nur in Wien geben kann.

 

Ob das wirklich stimmt, finde ich fast nebensächlich, weil der Text für mich trotzdem weit über das Lokale und Konkrete hinausgeht. Er erzählt von Menschen, die in Situationen gefangen sind, die sie am Wachstum hindern; auch davon, wie man nach 20 Jahren (!) Abwesenheit sich augenblicklich wieder in alte Muster und Strukturen verstrickt, wenn man in die alte Heimat zurückkehrt. Für mich klingt darum in der Erzählstimme weniger Traurigkeit und noch weniger Gift mit, sondern vor allem Verzweiflung. Und ja, auch Zuneigung.

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Das ist das eigentliche Drama des Buches. Und es wirft für mich ein sehr schlechtes Licht auf den Verfasser selbst. Im Grunde tun mir die armen Wichte leid, die er so verhöhnt und an den Pranger stellt. Und dabei macht er sich eigentlich selbst zum Wicht. Und das schlimmste ist noch das Ende. Da sind sie ihm wieder die allerliebsten und Wien überhaupt die beste. Was soll das? Das ist irgendwie noch verhöhnend oben drauf.

 

Sie könnten einem leid tun, die armen Wichte, da hast du recht Ulf, man möchte schwanken zwischen lachen und heulen.

Aber wir lesen hier die Gedanken eines Menschen, ungeschönt, er schreibt für sich – diese Erzähler, nicht Bernhard, dieser Mensch, der selbst nur einer derer ist, was er weiß.  Ja, er verhöhnt vielleicht, aber er ist wütend, wütend auf sein Leben, dass er zum größten Teil mit diesen Menschen verbracht hatte.

Das macht für mich den Reiz dieser Erzählweise aus, das gnadenlose Festhalten an diesem zermürbenden inneren Monolog.

Und das Ende: ich bin nicht der Meinung, dass die alle ihm wieder die allerliebsten sind. Es hat etwas Beklemmendes an sich, wie er da nicht die Kraft, nicht den Mut oder sonst was hat, endlich, endlich - man hätte es ja nach all seinen »Erkenntnissen« erwartet - eine Kühle oder Abweisung behält. Aber nein, er muss sich retten in die altgewohnte Art, das Vertraute von damals - und hat er nicht daher im Graben am Anfang die Einladung angenommen. Ist er nicht dafür aus London zurückgekommen?

 

» .. dort und gerade auf dem Graben und auf der Kärntnerstraße, wahrscheinlich, weil ich endlich und entschieden dem monatelangen Alleinsein in meiner Währinger Wohnung, meiner mich ja schon stumpfsinnig machenden Isolation entkommen, entgehen wollte. »

 

Und am Ende dieses entsetzte Hineinrennen in die Innere Stadt, in Wien hinein, diese beste Stadt, die verhasste Stadt, dieses Laufen, um endlich darüber schreiben zu können,

»gleich und sofort und gleich und gleich, bevor es zu spät ist«.

 

Bevor es zu spät ist, um wieder Anschluss zu finden, dem endgültigen Alleinsein, Verlottern, Totsaufen, Vergrandeln zu entgehen? Wenigstens nicht allein?

Nein, ich habe kein Mitleid mit diesem Mann. Aber ich mag seine Geschichte, wie sie mir erzählt wurde.

Nicht dass ich in Bausch und Bogen diesen Erzählstil als einen gelungenen ansehen würde. Mir kam öfters beim Lesen der Gedanke, dass einem das mit den Worten »ist das Ihr Ernst?  zurückgegen werden würde (unabhängig davon, dass der Stil nun mal von Bernhard besetzt ist und alles eine müde Parodie werden würde).

Bea

"Wer nicht weiß, in welchen Hafen er will, für den ist kein Wind der richtige." Seneca

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So was in der Art wollte ich auch gerade sagen:

 

Letztendlich handelt der Text von einer Künstlerelite' date=' die es - zumindest in den Augen der (Wiener) Gesellschaft durchaus zu etwas gebracht hat. Der Burgschauspieler, und der Auersberger in jedem Fall. Für mich geht es in diesem Text übrigens genau auch darum: was macht einen erfolgreichen Künstler aus? Wer bestimmt das? Was ist die Messlatte? Wie lässt sich eine künstlerische Existenz überhaupt rechtfertigen?[/quote']

 

Looser sind das keine, die ersticken ja schon fast an ihrem Erfolg. Und auch bei deiner Frage nach der Messlatte gehe ich mit, jueb.

 

Aber hier nicht so ganz:

 

Die Figur der Joanna In letzter Konsequenz steckt da auch noch die zynische Pointe drin. Die Joanna ist die aufrichtigste von allen (gewesen).

 

Warum eigentlich? Weil sie sich umgebracht hat? Das schützt sie doch nur davor, dass über sie auch hergefallen wird. Über die Toten nix Böses – nach der Devise spricht ganz besonders der Burgschauspieler ganz grausig "... seine Stimme auf Trauerton einstellend" über "unsere liebe Tote" ("Aber wenn es unserer lieben Toten geholfen hat, sagte de Burgschauspieler, hat es ja seinen Sinn gehabt" – nämlich ihr seiner Ansicht nach total sinnloser Bewegungsunterricht).

 

Und der Erzähler – wenn der anfängt, sie als einzige Künstlerin unter all den Spießern und Kleinbürgern hervorzuheben, die die anderen für ihn darstellen (er tut es an zwei Stellen) – dann möchte ich ja schon mal wissen, wo er da sein Kriterium herhat. Ich befürchte, es ist der Strick, an dem sie hing, ihr Scheitern, ihre Erfolglosigkeit. Und nicht ihr Tanz oder ihr aufrichtiger Umgang mit den anderen.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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