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MelanieM

Schreibregeln brechen

Empfohlene Beiträge

Hier der Romananfang von Alison Luries "Ein ganz privater kleiner Krieg" (sehr gut verkaufter Roman, die Autorin ist Trägerin des Pulitzerpreises):

 

20. März. Ein kalter Frühlingsmorgen. Es hat in der Nacht geregnet, die Schneekruste auf dem Rasen vor dem Haus ist durchlöchert und alles ist nass und glitzert: der feinkörnige Kies der Einfahrt, das Eis in der Rinne daneben, die kahlen Ulmenzweige vor dem Badezimmerfenster. Die Sonne scheint seitlich auf das Haus, strahlend, ungerührt. Als Erica Tate zum Frühstückmachen hinunterkommt und durch das Küchenfenster blickt, spürt sie ihr Gefühlsbarometer, das in der letzten Zeit einen ungewöhnlichen Tiefstand hatte, um einige Grade steigen.

 

Warum ich diesen Einstieg gelungen finde:

 

1. Wir werden über Zeit  – Jahres- und Tageszeit – informiert. So steht der Text vom ersten Satz an in einem zeitlich (wie lokal) verortbaren Rahmen. Das erlaubt, so wie es hier gemacht ist,

 

2. einen unmittelbaren Einstieg in die Szene. Also keine Weitschweiferei, sondern über das Wetter kommen wir gleich an die Hauptfigur, deren Stimmung nicht direkt, sondern über das Wetter, über den Blick nach draußen, deutlich wird. Und das

 

3. als Metapher: Denn das Wetter vorher stand nicht einfach so da, sondern leitet über zum "Gefühlsbarometer". Auf dieser Ebene:

 

4. sprachlich nämlich, zeigt die Autorin ganz nebenbei, wie visuell sie schreiben kann. Der "feinkörnige Kies", der "durchlöcherte Rasen" – ich seh die Szenerie. Nicht ins Letzte ausgepinselt, aber mit erfrischend unverbrauchtem Vokabular.

Danke, Angelika, sehr gute Analyse.

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Das Wetter birgt aber trotz Koontz gutem Beispiel eine große Gefahr. Ich habe zwei Lektorinnen erlebt, die sich darüber lustig machten, dass jedes zweite Manuskript mit dem Wetter anfängt. Vermutlich läuten bei vielen Lektoren bei Wetter alle Alarmglocken auf.

 

Sehr gute Analyse, Hans Peter. (Da sieht man mal wieder den Fachmann in dir!)

 

Jedoch die Geschichte mit den beiden Lektorinnen … das mag ja sein, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Koontz' oder Melanies Wetter-Romaneinstiege auch nur im Ansatz einen Hinderungsgrund oder ein Problem dargestellt hätten, selbst wenn Wetteranfänge in Lektoratskreisen längst so etwas wie ein Running Gag geworden sind.

 

Liebe Grüße

Ramona

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Also, mir persönlich wäre wohler, wenn man hier nicht die Texte von Forumsteilnehmern gereicht bekäme. Textkritik findet ja woanders und nicht umsonst im nicht öffentlichen Teil statt. Und es finden sich bestimmt genug Beispiele, an denen man klären kann, wie sinnvoll – oder -los – es ist, mit dem Wetter einzusteigen.

Angelika

Ein Punkt, der mir offen gesagt, auch zu denken gibt.

 

Liebe Grüße

Ramona

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@Angelika: Sehr gut anaylisiert.

 

Es sind auch genau jene Punkte, die Koontz in seinem Romanfang beherzigt. Und dieser Anfang stimmt den Leser vom ersten Satz an, auf die gesamte Grundatmosphäre des Romans ein. (Es ist übrigens eine Zeitreisestory.)

 

Was mir an deinem Beispiel auch sehr gut gefällt bzw. was ich interessant finde, da wir ja vom "Brechen von/mit Grundregeln" reden … Hier wird eine Menge (sachlich) aufgezählt, aneinandergereiht, was man ja eigentlich vermeiden sollte. Doch die Art und Weise, die Lebendigkeit, mit der die Autorin dies macht, hebelt die Grundregel locker aus.

 

------

 

Wir hätten hier nun also schon mehrere Beispiele für Stufe-3-Autoren.

 

Liebe Grüße

Ramona

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Vielen Dank!

 

Der Roman ist übrigens schon im letzten Jahr erschienen, ist der Beginn des Prologs von "Schicksalsstürme", der 1428 in Heiligenhafen spielt.

 

Gruß, Melanie

Der Romananfang gefällt mir, wie gesagt, ausgezeichnet!

 

Liebe Grüße

Ramona

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Ich habe noch ein Beispiel von Don Winslow, die Sprache des Feuers, er schildert ausführlich, wie ein Feuer entsteht, sich ausbreitet, etc. Alles das, was man nicht tun soll, weil Infodump.

 

Wie man es trotzdem macht, zeigt sich hier:

 

 

Jack, der Held ist in dem Polizeikurs für Brandfachleute. Und dort sagt der Dozent:

"Also, was passiert bei einem Feuer? Es verläuft genau nach der Dramenkurve eines klassischen Dreiakters, Gentlemen. Und zwar im Rhythmus einer Liebesaffäre: Oxidation, erster Akt: Die Schwelphase. Die Liebeswerbung, wenn Sie so wollen, die chemische Reaktion zwischen dem Sauerstoff und festen Molekülen, wobei der Sauerstoff versucht, Wärme in der Festmaterie zu erzeugen. Die Werbephase kann einen Sekundenbruchteil dauern - wenn es eine heiße Affäre mit Benzin oder Petroleum oder einem anderen flüssigen Brandbeschleuniger ist, den leichten Mädchen an der entflammbaren Straßenecke, könnte man sagen. Oder, um die Metaphern zu wechseln, flüssige Brandbeschleuniger sind die Aphrodisiaka der Werbephase.  

[...]

Aber die Schwelphase kann auch Stunden oder gar Tage dauern. Das brennbare Material muss hofiert und verwöhnt werden, zum Essen ausgeführt, ins Kino eingeladen werden. "Komm am Sonntag zum Dinner, meine Eltern möchten dich gern kennenlernen." Das Feuer ist ein geduldiger Verführer ...

[...]

Es hängt alles nur vom Brennstoff ab, Gentlemen. Ist er eine kühle Blondine, mit hohem Flammpunkt und niedriger Wärmeleitfähigkeit, dann erkaltet die Beziehung wegen mangelnder Leidenschaft. Sie können machen, was sie wollen, Gentlemen, die frigide Zicke springt nicht an. Oder ist sie eine heiße Nummer? Niedriger Flammpunkt, hervorragende Wärmeleitfähigkeit? Dann bleiben Sie dran, dann geht die Post ab. Die Hitzestrahlung an der Decke übersteigt den Zündpunkt aller Gegenstände im Raum, und jetzt fangen die Feen an zu tanzen.

Was meine ich mit dieser esoterischen und etwas weibischen Bezeichnung? Kurz vor dem Flashover, der Durchzündung, Gentlemen, sehen Sie, wie sich kleine Gasflämmchen in der Luft entzünden. Das sind die tanzenden Feen, und wenn man die sieht, ist es Zeit, den Rückwärtsgang einzulegen, Gentlemen. Denn die tanzenden Feen kündigen den dritten Akt an - Wuuusch! -, die Flashover Phase. Alle brennbaren Oberflächen erreichen den Zündpunkt, und jetzt ist das Feuer völlig außer Kontrolle. Eine rasende Leidenschaft, die alles verschlingt. Nichts kann ihr widerstehen, alles Brennbare macht die Beine breit und ergibt sich der Feuerorgie."

Originalbeitrag:

(Link ungültig)

Buch:

(Link ungültig)

 

Warum funktioniert das?

 

Er erklärt nicht: Was ist Feuer? WIe breitet es sich aus? Woran erkennt man den Brandherd und ob es sich um Brandstiftung handelt oder um Selbstentzündung.

 

Sondern lässt mich das Feuer erleben, erzählt etwas, das ich nicht wusste. Er macht aus dem Feuer eine Person, der Vergleich mit Dramenkurve ist originell und der mit der Liebesaffäre auch.

 

Sowas im Krimi darzustellen, dazu gehört Mut. Und Können. Natürlich ist Feuer in Südkalifornien mit den immer neuen Waldbränden ein Problem.

 

Da wird nicht nur was über Feuer gesagt, sondern auch über den Dozenten (Macho, aber dennoch sympathisch), über die Zuhörer (alles Männer, wir schreiben 1998).

 

Grüße, Hans Peter

 

PS: Das habe ich schon mal vor über einem Jahr eingestellt, glaube aber, dass es zum Thema passt.

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Also' date=' mir persönlich wäre wohler, wenn man hier nicht die Texte von Forumsteilnehmern gereicht bekäme. Textkritik findet ja woanders und nicht umsonst im nicht öffentlichen Teil statt.[/quote']

 

Es ging hier ja nicht um Textkritik im engeren Sinne - insofern ist es für die Diskussion und Analyse m.E. unwichtig, woher die Ausschnitte stammen. Ich fand das Beispiel von Martin sehr spannend und hatte auch nicht den Eindruck, dass hier jemand verrissen wird, sondern fand die Art der Analyse, die sich ja deutlich von der normalen Textkritik unterscheidet, interessant - weil man sich hier auf einer anderen Ebene damit auseinandersetzt.

 

Gruß, Melanie

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Also' date=' mir persönlich wäre wohler, wenn man hier nicht die Texte von Forumsteilnehmern gereicht bekäme. Textkritik findet ja woanders und nicht umsonst im nicht öffentlichen Teil statt.[/quote']

 

Es ging hier ja nicht um Textkritik im engeren Sinne - insofern ist es für die Diskussion und Analyse m.E. unwichtig, woher die Ausschnitte stammen. Ich fand das Beispiel von Martin sehr spannend und hatte auch nicht den Eindruck, dass hier jemand verrissen wird, sondern fand die Art der Analyse, die sich ja deutlich von der normalen Textkritik unterscheidet, interessant - weil man sich hier auf einer anderen Ebene damit auseinandersetzt.

 

Gruß, Melanie

 

Habe auch kein Problem damit, im Gegenteil. Und verrissen wurde hier sowieso nichts. Der Text ist schon älter, und es ging mir auch um die Analyse als "Gegenstück" zu Koontz' Passage.

 

Vielleicht ist eine solch konstruktive Diskussion ja ganz interessant für "Außenstehende".

 

Ich finde, dass der Thread zeigt, dass hier geballte Kompetenz am Werke ist. :s04

So hab ich mir das gewünscht, als ich bei Montsegur an die Tür klopfte.

 

Beste Grüße

Martin

_________________________________________________

www.martinconrath.de

Jede Art des Schreibens ist erlaubt - nur nicht die langweilige (Voltaire)

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An dem von Angelika Jo eingefügten Beispiel, finde ich gerade folgende beiden Aspekte sehr gut getroffen, die Angelika benennt:

 

3. als Metapher: Denn das Wetter vorher stand nicht einfach so da, sondern leitet über zum "Gefühlsbarometer". Auf dieser Ebene:

 

4. sprachlich nämlich, zeigt die Autorin ganz nebenbei, wie visuell sie schreiben kann. Der "feinkörnige Kies", der "durchlöcherte Rasen" – ich seh die Szenerie. Nicht ins Letzte ausgepinselt, aber mit erfrischend unverbrauchtem Vokabular.

 

Die Metapher - kalter Frühlingstag - es ist kein Winter mehr, obwohl es sich so anzufühlen scheint in Verbindung zum Gefühlsbarometer, das einen unmittelbaren Zusammenhang zeigt und dann die Bilder - jeder kennt den Anblick der kleinen Löcher, die das herabtropfende Tauwasser im Schnee hinterlässt. Da ist sofort ein Bild im Kopf, das mit dem Ende des Winters verbunden wird.

 

Gruß, Melanie

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An dem von Angelika Jo eingefügten Beispiel, finde ich gerade folgende beiden Aspekte sehr gut getroffen, die Angelika benennt:

 

3. als Metapher: Denn das Wetter vorher stand nicht einfach so da, sondern leitet über zum "Gefühlsbarometer". Auf dieser Ebene:

 

4. sprachlich nämlich, zeigt die Autorin ganz nebenbei, wie visuell sie schreiben kann. Der "feinkörnige Kies", der "durchlöcherte Rasen" – ich seh die Szenerie. Nicht ins Letzte ausgepinselt, aber mit erfrischend unverbrauchtem Vokabular.

 

Die Metapher - kalter Frühlingstag - es ist kein Winter mehr, obwohl es sich so anzufühlen scheint in Verbindung zum Gefühlsbarometer, das einen unmittelbaren Zusammenhang zeigt und dann die Bilder - jeder kennt den Anblick der kleinen Löcher, die das herabtropfende Tauwasser im Schnee hinterlässt. Da ist sofort ein Bild im Kopf, das mit dem Ende des Winters verbunden wird.

 

Gruß, Melanie

 

Ja, das ist alles sehr schön beschrieben und von literarischer Qualität. Allerdings zieht mich als Romananfang der Text von Koontz eher in die Geschichte rein. Aber das ist vermutlich, weil Koontz Thriller schreibt und bestrebt ist, seine Leserschaft gleich zu packen.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Ja, das ist alles sehr schön beschrieben und von literarischer Qualität. Allerdings zieht mich als Romananfang der Text von Koontz eher in die Geschichte rein. Aber das ist vermutlich, weil Koontz Thriller schreibt und bestrebt ist, seine Leserschaft gleich zu packen.

Der Übersetzer Wulf Berner hat die Stimme, the Voice, von Koontz auch sehr schön ins Deutsche transportiert.

 

Hans Peter, ich verdaue gerade noch dein Don-Winslow-Beispiel … http://smilies.montsegur.de/33.gif

 

Liebe Grüße

Ramona

Inspiration exists, but it has to find us working! (Pablo Picasso)

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Also' date=' mir persönlich wäre wohler, wenn man hier nicht die Texte von Forumsteilnehmern gereicht bekäme. Textkritik findet ja woanders und nicht umsonst im nicht öffentlichen Teil statt.[/quote']

 

Es ging hier ja nicht um Textkritik im engeren Sinne - insofern ist es für die Diskussion und Analyse m.E. unwichtig, woher die Ausschnitte stammen. Ich fand das Beispiel von Martin sehr spannend und hatte auch nicht den Eindruck, dass hier jemand verrissen wird, sondern fand die Art der Analyse, die sich ja deutlich von der normalen Textkritik unterscheidet, interessant - weil man sich hier auf einer anderen Ebene damit auseinandersetzt.

 

Nein, nein, alles gut, macht nur, wie ihr meint.

 

Ich wollte nur von meiner Seite aus klar stellen, warum ich mich zu den Textbeispielen aus eigenen Reihen nicht äußern werde, obwohl mich das Thema selber interessiert.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Ja' date=' das ist alles sehr schön beschrieben und von literarischer Qualität. Allerdings zieht mich als Romananfang der Text von Koontz eher in die Geschichte rein. Aber das ist vermutlich, weil Koontz Thriller schreibt und bestrebt ist, seine Leserschaft gleich zu packen.[/quote']

 

Das ist die andere Autorin auch, Ulf: bestrebt, die Leserschaft zu packen. Halt mit einem anderen Sujet. Kein Thriller, ein Ehedrama. In dem dann auch die Fetzen fliegen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder gute Autor die Leser von Anfang an an den Haken nimmt. Aber nicht alle. Die anderen Fische schnappt sich die Konkurrenz.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Ja' date=' das ist alles sehr schön beschrieben und von literarischer Qualität. Allerdings zieht mich als Romananfang der Text von Koontz eher in die Geschichte rein. Aber das ist vermutlich, weil Koontz Thriller schreibt und bestrebt ist, seine Leserschaft gleich zu packen.[/quote']

 

Das ist die andere Autorin auch, Ulf: bestrebt, die Leserschaft zu packen. Halt mit einem anderen Sujet. Kein Thriller, ein Ehedrama. In dem dann auch die Fetzen fliegen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder gute Autor die Leser von Anfang an an den Haken nimmt. Aber nicht alle. Die anderen Fische schnappt sich die Konkurrenz.

 

Angelika

 

 

Ich denke, an diesem Diskussionsbeispiel zeigt sich dann auch wieder der persönliche Geschmack - man erkennt bei beiden Autoren die Qualität, aber jeder hat andere Lesevorlieben.

 

Das sind m.E. auch wesentliche Punkte - unabhängig vom persönlichen Geschmack zeigt sich die Qualität der Ausdruckskraft. Nicht jeder würde jedes Buch lesen wollen, aber man erkennt, dass der Autor sein Handwerk versteht - obwohl eben auf den ersten Blick angebliche NoGos verwendet werden.

 

Gruß, Melanie

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Da der Thread gerade etwas ruht, ist vielleicht die Zeit für einen anderen „Regelbruch“ gekommen. So heißt es zum Beispiel, man solle Adjektive und Adverbien, wann immer möglich, meiden wie der Teufel das Weihwasser. Hier nun das Textbeispiel einer Studentin von Sol Stein,  das sehr deutlich gegen diesen „Rat“ verstößt.

 

Trotz der vielen Adjektive und Adverbien nimmt mich die Stimme der Autorin gefangen. Als schriebe hier ein Naturtalent, dass sich nicht weiter um „Regeln“ schert, dafür aber über ein beeindruckendes Gespür für Wortkombinationen verfügt und den Text entsprechend eindrucksvoll „komponiert“.

 

Liebe Grüße

Ramona

 

------------------------

 

Hohe Gräser und die tiefhängenden Zweige von verwilderten Bäumen

schürften und trommelten gegen die Karosserie, Steine polterten laut

unter den Reifen. Als der Wagen weiterrumpelte, schoss ein Schwarm

erschrockener Amseln explosionsartig aus dem Gehölz auf. Einen Augenblick

lang flatterten und wirbelten sie durch die Luft wie verkohlte Papierfetzen

im Sog von Flammen, dann waren sie verschwunden. Elizabeth blinzelte.

Die Fantasie konnte einem merkwürdige Streiche spielen …

 

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Stimmt, der Text erzeugt sofort Bilder und nimmt einen gefangen. Ich denke, es liegt an der Wortgewalt, an den Bildern, die jeder kennt, die aber so noch nicht allzu oft in Worte gefasst wurden. Die Sprache hat sich um neue Vergleiche und Bilder bemüht, die interessant sind, aber durch das, was sie beschreiben, einen Erkennungswert haben.

 

Man hat so etwas selbst schon erlebt, aber hier wird es mit ganz neuen Metaphern beschrieben. So, dass man nicht einfach darüber hinwegliest, weil jedes einzelne Adjektiv eine Information für das Gesamtbild enthält und kein klischeebeladenes Stereotyp ist - was aber irgendwann geschehen könnte, wenn sich andere Autoren diese Bilder inflationär zunutze machen würden.

 

Gruß, Melanie

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Hohe Gräser und die tiefhängenden Zweige von verwilderten Bäumen
Okay, das erzeugt zwar Bilder - aber das habe ich so in der Tat schon sehr oft gelesen. Hohe Gräser ... da ist meiner Meinung nach nichts Neues dran. Auch der Schwarm erschrockener Amseln kommt mir bekannt vor, auch wenn es sonst vielleicht Sperlinge waren. Beste Grüße, Barbara

Jedenfalls bleibt die Tatsache, dass es im Leben nicht darum geht, Menschen richtig zu verstehen. Leben heißt, die anderen misszuverstehen ... Daran merken wir, dass wir am Leben sind: wir irren uns. (Philip Roth)

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schoss ein Schwarm erschrockener Amseln explosionsartig aus dem Gehölz auf. Einen Augenblick lang flatterten und wirbelten sie durch die Luft wie verkohlte Papierfetzen

 

Das hier finde ich innovativ, weil es tatsächlich dieses Bild bei mir erzeugt.

In diesem kurzen Satz wird die Geschwindigkeit deutlich, mit der der Schwarm aufsteigt. Durch das Wort "flattern" wird das Flügelrauschen hörbar, durch das Wirbeln und den Vergleich mit den verkohlten Papierfetzen die Farbe der Vögel und die Panik, die die erschrockenen Tiere verspüren.

 

Gruß, Melanie

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Dieses Beispiel ist für mich hart an der Grenze. Gut geschrieben, ohne Frage. Jedes einzelne Bild wunderbar, aber alle zusammen, da prasseln doch eine Menge Eindrücke und Bilder gleichzeitig auf einen ein. Ich finde das verwirrend und würde so nicht schreiben.

 

Es gibt für mich andere Beispiele, wo eine Aneinanderreihung von vielen Adjektiven z.B. eine starke Wirkung erzielen kann, solange man das eher als Ausnahme verwendet. Sonst wird es schnell ermüdend.

 

Die Empfehlung, mit Adjektiven sparsam umzugehen, ist ja nicht per se gegen Adjektive gerichtet, die werden durchaus gebraucht. Substantive sind ja meist Dinge, Adjektive beschreiben diese Dinge und produzieren dadurch intensivere Bilder im Kopf. Je mehr davon aber gegeneinander streiten, um so mehr verwirrt es, besonders wenn sie sich nicht ergänzen, stattdessen unterschiedliche Assoziationen hervorrufen.

 

Dann sollte man sich schon entscheiden, welches Adjektiv das wirkungsvollste ist und die anderen weglassen. Die Gesamtwirkung wird dadurch meist erhöht. Das ist so ein bisschen wir ein einzelner Farbklecks in einem monochromen Bild. Der leuchtet dann besonders.

 

Aber so etwas stur anzuwenden und systematisch alle Adjektive zu streichen, das st natürlich lächerlich. Alles eine Frage der Wirkung, die man erzielen will. :)

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Aber so etwas stur anzuwenden und systematisch alle Adjektive zu streichen, das st natürlich lächerlich. Alles eine Frage der Wirkung, die man erzielen will.  :)

Yep. Sehe ich ganz ähnlich.  :)

 

Liebe Grüße

Ramona

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Hohe Gräser und die tiefhängenden Zweige von verwilderten Bäumen

schürften und trommelten gegen die Karosserie, Steine polterten laut

unter den Reifen. Als der Wagen weiterrumpelte, schoss ein Schwarm

erschrockener Amseln explosionsartig aus dem Gehölz auf. Einen Augenblick

lang flatterten und wirbelten sie durch die Luft wie verkohlte Papierfetzen

im Sog von Flammen, dann waren sie verschwunden. Elizabeth blinzelte.

Die Fantasie konnte einem merkwürdige Streiche spielen …

Sicher kein Thriller, aber poetisch und es wirkt.

 

Warum?

1. aktive, ungewöhnliche Verben (Flatterten, wirbelten, poltern, schürfen, trommeln).

2. nicht die üblichen Adjektive

3. Sehr lautmalerisch.

 

Also ein bißchen ein Verstoß gegen das Adjektivgebot, aber weil die Autorin weiß, wie Texte wirken, passt es. Nicht passen würde es in dieser Form:

 

Hohe Gräser und lange Zweige von grünen Bäumen

schlugen gegen die Karosserie, Immer wieder wurden Steine von den Reifen hochgeschleudert. Als der Wagen weiterfuhr, flog ein Schwarm

schwarzer Amseln plötzlich aus dem Wald auf. Einen Augenblick

lang flatterte der Schwarm in der Luft, dann begann er zu verschwinden ...

 

Herzliche Grüße, Hans PEter

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Ich glaube, wichtig ist auch, dass es ein neues Bild ist. Keines, das man so gut kennt, dass man es überliest und gleich wieder vergisst.

 

Nur leider werden gute Bilder dann so oft kopiert, bis sie zu einem gewöhnlichen, stehenden, ausgelutschten Begriff werden. Hinzu kommt, dass sie oft schlecht kopiert werden und dann die Wortkomposition nicht mehr stimmt.

 

Gruß, Melanie

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Klasse herausgestellt, dieses Pro und Contra, Hans Peter! Nun hätten wir neben dem Stufe-3-Beispiel auch noch ein Stufe-1-Beispiel.

 

Da ist ganz sicher was dran, Melanie.

 

Liebe Grüße

Ramona

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Hohe Gräser und die tiefhängenden Zweige von verwilderten Bäumen

schürften und trommelten gegen die Karosserie, Steine polterten laut

unter den Reifen. Als der Wagen weiterrumpelte, schoss ein Schwarm

erschrockener Amseln explosionsartig aus dem Gehölz auf. Einen Augenblick

lang flatterten und wirbelten sie durch die Luft wie verkohlte Papierfetzen

im Sog von Flammen, dann waren sie verschwunden. Elizabeth blinzelte.

Die Fantasie konnte einem merkwürdige Streiche spielen …

 

--------------------------

 

 

Ich habe das Thema bisher sehr interessiert verfolgt. Keine Ahnung, zu welcher Kategorie ich mich zählen soll – 1,2 oder 3 - , ich weiß nur, dass ich mein erstes Kinderbuch nicht lesen kann, weil ich da so ziemlich jeden Fehler gemacht habe, den ein Autor nur machen kann. Inzwischen versuche ich, einen Text so weit wie möglich zu komprimieren.

Daher gefällt mir dieser wortgewaltige Text nicht besonders. Die Bilder, die beim Leser entstehen, sind allerdings schön, fast poetisch. Aber der Text würde viel stärker wirken, wenn die Autorin sich und ihrer Sprache, ihrer bildlichen Überzeugungskraft mehr zutrauen würde.

 

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Hohe Gräser und die tiefhängenden Zweige von verwilderten Bäumen

schürften und trommelten gegen die Karosserie, Steine polterten laut

unter den Reifen. --------------------------

 

 

Zweige schürfen und trommeln … warum nicht das stärkere Verb nehmen, trommeln? Beide Verben behindern sich und jedes hat nur noch die halbe Wirkung.

Und laut polternde Steine – ein klarer Pleonasmus. Mich stört er.

 

 

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Als der Wagen weiterrumpelte, schoss ein Schwarm

erschrockener Amseln explosionsartig aus dem Gehölz auf.

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Wenn Vögel „explosionsartig“ auffliegen, muss sie wohl irgendwas erschreckt haben.

 

 

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Einen Augenblick lang flatterten und wirbelten sie durch die Luft wie verkohlte Papierfetzen im Sog von Flammen, dann waren sie verschwunden. Elizabeth blinzelte.

Die Fantasie konnte einem merkwürdige Streiche spielen …

 

--------------------------

 

 

Sie flattern und wirbeln … alles, was Flügel hat, flattert, das ist ein alltäglicher Ausdruck. Dem wird das bildhaftere, viel stärkere Verb „wirbeln“ dazugesellt …  das aber, imho,  das zweite, bessere Verb stark schwächt. Und dann: gibt es das Verb „aufschießen“?  

 

Wäre es mein Text,  würde ich ihn so schreiben (der „Sog von Flammen“ wäre mir auch too much, den würde ich weglassen):

 

Hohe Gräser und die tiefhängenden Zweige von verwilderten Bäumen

trommelten gegen die Karosserie, unter den Reifen polterten Steine.  Als der Wagen weiterrumpelte, schoss ein Schwarm Amseln explosionsartig aus dem Gehölz.  Einen Augenblick lang wirbelten sie durch die Luft wie verkohlte Papierfetzen, dann waren sie verschwunden. Elizabeth blinzelte.

Die Fantasie konnte einem merkwürdige Streiche spielen …  

 

Ich habe früher, in meinen Anfängen, dazu geneigt, Bilder, Metaphern mit  vielen farbigen Adjektiven und Verben den Lesern geradezu in den Kopf zu hämmern, immer wieder, möglichst noch in mehreren, aufeinander folgenden Sätzen. Davon bin ich abgekommen (bis auf die Ausnahmen natürlich  :):

 

Just my two cents …

(Sorry, falls ich das mit den Zitaten nicht hingekriegt haben sollte. Die Vorschau sagt mir leider nichts darüber.)

 

Gruß, Catherine

"Geh, hast du gesagt, du störst mich. Wenn man in die Seele derer blickt, die sich zwingen, getrennt von ihr zu leben, stört man immer." Robert Crottet: Negri, Tagebuch einer Katze

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Ich kann mir vorstellen, dass die Verbdopplungen rhythmische Gründe haben, und ich finde auch, dass bei allen Verbesserungsvorschlägen der Rhythmus des Textes leidet (aber da es ein Beispiel von Sol Stein ist - ich kenne seine Schreibratgeber nicht - muss es wohl eine Übersetzung sein? Dh der Rhythmus des Textes des Übersetzers leidet.)

Allerdings finde ich den Ausschnitt auch nicht allzu ergreifend, da unpräzise. Habe zB noch nie hohe Gräser an Autos schürfen hören, trommeln schon gar nicht, auch das laute Poltern der Steine ist überflüssig, verwässert das Ganze noch zusätzlich; hier hätte ich, wenn überhaupt, gern einen genaueren Höreindruck. Und explosionsartig? Wie muss ich mir das vorstellen? Wie aus der Kanone geschossen?

Im Allgemeinen neige ich nicht zur Adjektivverteufelung, und ich finde auch nicht, dass bloßes Streichen der Adjektive hier (wie ihr schon sagtet) viel ausrichten würde.

Mir geht's ein wenig wie Barbara mit diesem Text. Im Endeffekt ist es vermutlich Geschmackssache, ob man sich an dem Unpräzisen reibt oder an den Dopplungen. Oder ob man sich von dem Eindruck gefangennehmen lässt.

Liebe Grüße

Claudia

 

Edit: Was die Gräser betrifft, die sind's ja, die "schürfen", für's Trommeln sind die Zweige verantwortlich: Vielleicht werden Pflanzenexperten nachweisen können, dass es durchaus schilfartige Gräser gibt, die schürfen können, in meiner Vorstellung sind "hohe Gräser" aber erst einmal ziemlich friedlich. Und sie so zusammen mit den Zweigen trommeln zu lassen (die ja eigentlich auch schürfen und schaben und kratzen, ich bin mal mit dem Auto ins Gebüsch gefahren, hab's noch ganz gut im Ohr, vermutlich betrifft das Trommeln aber das Dach, ah, so wird man zum Korinthenkacker!) genau das ist es, was mich ein bisschen verwirrt zurücklässt.

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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