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(Peter D. Lancester)

Leserunde: Die Vermessung der Welt

Empfohlene Beiträge

Hallo, liebe Kehlmann-Leser,

 

nachdem das Buch per Post bei mir eingetroffen war, habe ich es innerhalb von zwei Tagen gelesen, Tag und Nacht. Es war das Beste, was mir in der letzten Zeit untergekommen ist!

Mir hat die Gegenüberstellung dieser beiden Charaktere, ihre Lebenswege, ihre Forschungen, ihre Einstellung zu Frauen und vor allem die Art, das zu schildern, außerordentlich gut gefallen. Für mich persönlich einziger Schwachpunkt: die indirekte Rede, daran konnte ich mich bis zum Schluss nicht wirklich gewöhnen, weil sie mich von den Figuren distanzierte. Wiewohl ich sie als sprachliches Stilmittel auch schön fand.

 

Die Spannung wurde m.E. einfach durch den Stoff und wie er erzählt wurde, ständig aufrecht erhalten. Den Humor sah ich fast immer hervorblitzen, auf eine lakonische Art, die manche Stellen unvergesslich macht. Es ist schon wieder ein paar Tage her, dass ich es gelesen habe, aber ich sehe noch Humboldt und Bonpland bei der Besteigung des Chimborazo, in allerhöchste Not und Lebensgefahr geraten, und dabei so ulkig miteinander umgehen, dass mir allein das den Glauben an die Welt gerettet hat. Auch die Zeit auf den Flüssen im Urwald, die Beschreibung der Natur und das Fangen und Präparieren von Tieren hat mir sehr imponiert. Dabei wurde einmal sehr schön beschrieben, wie Humboldt nicht weiß, wo er hingucken soll, als die beiden nackten Eingeborenenfrauen vor ihm stehen-das zeigt seine Einstellung zur Sexualität sehr eindrücklich. Später erfahren wir ja, dass er eigentlich immer Knaben geliebt habe.

 

Dem Leben Humboldts und seiner Person wurde insgesamt größere Aufmerksamkeit gewidmet als der des Mathematikers Gauß, und das war mir auch ganz recht so. Dabei war mir Gauß zwar neu, aber nicht weniger interessant als Alexander. Als jemand, der daheim blieb und die Welt sozusagen in ihrem Kern vermisst, erscheint er am Schluss fast als „Sieger“gegenüber einem Forschungsreisenden voller Drang und Abenteuerlust, der im Gegensatz zu Gauß mit der Liebe nicht viel am Hut hat. Da fügen sich für mich die Handlungsstränge auch wieder zusammen, ebenso in der Passage, als in einem Brief klar wird, dass Humboldt das alles nur getan hat, um seinem Bruder etwas zu beweisen (er hat es nur für ihn getan). Das ist für mich eine zentrale Aussage des Romans, ebenso der Satz: „Das Romanschreiben, sagte Humboldt, erscheine ihm als Königsweg, um das Flüchtige der Gegenwart für die Zukunft festzuhalten.“Er hat es umgekehrt gemacht: er hat die Gesetze der Natur studiert, die nicht flüchtig sind und sie für die Nachwelt bewahrt.

 

An keiner Stelle habe ich nachgeschaut, ob die Recherchen Kehlmanns stimmen. Einmal, weil ich ihm blind vertraut habe, dann, weil ich vor langen Jahren selber ein Buch von Humboldt über seine Südamerika-Expedition gelesen habe. Das war allerdings ein wenig zäher als das von Kehlmann. Die Bilder von damals stiegen wieder in mir auf, und als ich 1993 in Venezuela war, habe ich einige Spuren von ihm gefunden, zum Beispiel in der Höhle mit den Fettvögeln. Wenn Humboldt so einen Roman über sich selbst geschrieben hätte, wäre er auch als Literat unsterblich geworden. Aber so ist das mit den Wissenschaftlern: sie sind nun mal ein bisschen trocken. Umgekehrt hätte Goethe mit seiner „Italienischen Reise“ auch keine Furore gemacht, hätte er in Belletristik, Lyrik und Dramatik nicht Außergewöhnliches hevorgebracht. Wirklich sehr gelangweilt habe ich das seiner Zeit aus der Hand gelegt.

 

Besonders ergreifend fand ich, dass der alternde Humboldt erfahren musste, dass es höhere Berge im Himalaya gibt. Und richtig bedauert habe ich ihn, als er bei der Russlandexpedition so viele Hände schütteln, so viele Empfänge über sich ergehen lassen musste, dass er gar nicht mehr zu seiner Lieblingsbeschäftigung, der Vermessung der Welt, kam. Und in dem Aufbruch von Eugen nach Amerika ist der Aufbruch einer ganzen Forschergeneration fortgesetzt: genial gemacht!

 

Fazit: ein wunderbares Buch, das mir eine schon bekannte Welt neu vor Augen geführt hat, mich gepackt und nicht wieder losgelassen hat. Ich bin froh, dass wir es miteinander gelesen haben, und es wird sicher nicht das letzte Buch sein, dass ich von diesem erstaunlichen jungen Autor lesen werde. Kehlmann ist es gelungen, nicht nur ein stimmiges Bild der Zeit zu malen, einschließlich des Aufbruchsgedankens der Französischen Revolution und des Napoleon-Zeitalters, sondern er schildert alles so lebendig, farbig und sinnlich, dass man mitten im Geschehen ist und unbedingt wissen möchte, wie es weiter geht.

Fünf Sterne

 

Immer noch begeisterte Grüße

Christa

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Für mich ist dieses Buch ein Leckerbissen. Ich geniesse jede Seite, bin etwa auf der Hälfte angelangt und bedaure, dass ich nicht mehr Zeit zum Lesen finde. Kehlmanns feinsinniger Humor hat es mir absolut angetan. Grandios finde ich die (teilweise nur winzigen) Details, mit denen er historische Persönlichkeiten und Begebenheiten zum Leben erweckt.

 

Allerdings: Wie geht es Euch damit auf der Seite 135? Hab´ich mich verguckt oder sind ihm da die Gäule durchgegangen?  :s01

 

 

Amüsierte Grüße von

 

Eva, die jetzt schnell weiterliest

 

:s13

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Hallo,

 

fertig, den Kehlmann geschafft oder hat er mich geschafft? Leider kann ich nicht in den Jubelgesang einstimmen. Weder in dem auf der Buchrückseite, noch hier im Forum. Nun ja, ursächlich liegt es daran, dass ich ein Buch, in dem zwei Wissenschaftler, die für mich mehr sind, als zwei irgendwo gehörte Namen, etwas anders erwartet habe. Ich habe das Buch aus der Sicht eines Wissenschaftlers, aus diesem Bereich komme ich, gelesen. Das war schon ein Kardinalfehler. Zusätzlich bin ich ein Freund von Biografien; ich bin neugierig auf andere Menschen, deren Ansichten und Meinungen.

 

Aus dieser Sicht hat mir Kehlmanns Buch nichts Neues vermittelt. Das begnadete Wissenschaftler oft ein eigenwilliges Liebesleben haben, ist allgemein bekannt; er hätte da ebenso Albert Einstein nehmen können. Das geniale Wissenschaftler Angst davor haben, "die Welt vermessen zu haben", sprich alles erkannt, und aus diesem Grund immer wieder in Todessehnsucht verfallen, weil sie danach keinen Lebenssinn mehr sehen; Kehlmann erwähnt das kurz beim jungen Gauß, ist auch allgemein bekannt.

Ich habe immer das Gefühl, Kehlmann sitzt mir heute, im Januar 2006, gegenüber und erzählt mir aus dieser Zeitposition die Geschichte. Ich habe nie empfunden, im Jahrhundert von Gauß und Humboldt zu sein. Daher wirken manche Erzählpassagen eigentümlich unwissend auf mich. Besonders ist mir das bei der Erklärung der Höhenkrankheit aufgefallen. Humboldt konnte nur die Wirkungen sehen und nicht wissen, was ihm widerfährt, dass ist korrekt. Aber die für mich empfundene Zeitposition des Erzählers ist die Gegenwart. Verstärkt wird das noch durch die indirekte Rede. Dadurch habe ich nie das Gefühl, die Geschichte direkt zu erleben, sondern sie erzählt zu bekommen. An manchen Sätzen bin ich kurz hängengeblieben; sie stehen im Widerspruch zu meinem Wissen und Lebenserfahrungen. Das Oval Office im Weißen Haus; wie sieht es denn nun aus oval oder elliptisch? Humboldt wird an einem Seil in den Krater eines Vulkanes hinabgelassen - naja, so wie es beschrieben wird, glaube ich das nicht ganz. Ich bin der Meinung, auch damals verstandt man schon etwas von bergsteigerischen Sicherungstechniken. Humboldt will am Orinoko seine Expeditionstagebücher fälschen, wirklich?

 

Nun aber weg von der nörgeligen Sichtweise eines Wissenschaftlers und hin zu der Sicht eines Lesers. Humboldt und Gauß sind für mich in ihrer Gegensätzlichkeit wunderbar dargestellt. Es wundert mich, dass sie bei diesem gegensätzlichen, schon antipodenhaften Charakter überhaupt ein Wort miteinander wechseln konnten. Beide stehen für die gegensätzlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung. Gauß - der Mathematiker von der Theorie zur Praxis und Humboldt - der Naturwissenschaftler genau umgekehrt.

Neben den beiden Wissenschaftlern entstehen für mich auch die Menschen Gauß und Humboldt. Gauß mit seinem gespaltenen Verhältnis zu Frauen; hat eine und schaut den anderen hinterher und hat in der Hochzeitsnacht nichts wichtigeres zu tun, als eine Konstante zu ändern, damit die Theorie wieder stimmt. Auf die Idee sollte ein Mann heute mal kommen! Ist soviel Skurrilität Fiktion oder Recherche Kehlmanns? Humboldt - Frauen, was ist das?

Gauß - Heulsuse, nur weil er die Summenformel als Kind findet und auch sonst recht maulfaul. Humboldt - jedem seine Erkenntnisse aufdrängend, auch wenn es niemanden interessiert. Besser kann man Introvertiertheit und Extroviertiertheit nicht darstrellen.

Das Verhältnis zwischen Gauß und seinem Sohn bleibt für mich ein eigenartiges Vater-Sohn-Verhältnis. Ich habe es bis zum Schluß nicht ganz verstanden. Gauß scheint davon beseelt zu sein, dass sein Sohn eine Kopie von ihm werden soll und ist bitter enttäuscht, als das nicht eintritt, ohne zu erkennen, warum das so ist; da hätte ich von Gauß mehr erwartet. Sein Sohn hat für mich etwas von Humboldt in sich, als er sich auf den Weg nach Amerika macht.

 

Stilistisch stört mich das viele 'möge', 'könne' usw. Das klingt für mich recht unentschlossen; eigentlich will ein Wissenschaftler etwas erreichen, dazu gehört Entschlossenheit. Die indirekte Rede ohne Interpunktion - der blanke Stress, zumindest auf den ersten zwanzig Seiten. Irgendwann habe ich mich daran gewöhnt und mein Lesetempo verlangsamt, aber viel mehr Seiten, als das Buch, hätte dieses Experiment nicht haben dürfen.

 

Zusammenfassend - es hat sich gelohnt, das Buch zu lesen. Ich habe etwas anderes erwartet, konnte aber Kehlmann folgen. Ich kann es mit gutem Gewissen und dem Attribut 'gelesen' ins Bücherregal stellen - aber auch nicht mehr.

 

Viele Grüße Dietmar

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Das Verhältnis zwischen Gauß und seinem Sohn bleibt für mich ein eigenartiges Vater-Sohn-Verhältnis. Ich habe es bis zum Schluß nicht ganz verstanden.

Hallo Dietmar,

 

ich versuche mal mein Verständnis für Gauß darzulegen, obwohl ich als Mutter seinen Sohn bedaure.

 

Gauß war hochbegabt, wie man heute sagen würde. Diese Menschen haben kein Verständnis für die langsamere Denkart ihrer Mitmenschen. Und da ihm der Sohn nicht zum Partner im Geiste wird, lässt er ihn fallen.

Etwas mehr emotionale Intelligenz, das gebe ich zu, hätte Gauß nicht schaden können.

Aber da stehe auch ich wieder vor der Frage: erdacht oder recherchiert. Letztendlich sehe ich Kehlmanns Buch als Roman, so, wie es wohl auch gedacht war.

 

Bei mehr Interesse und Zeit halte ich es mit Charlie und lese eine Biografie oder zwei. ;)

 

Liebe Grüße,

Editha

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Hallo Editha,

Gauß war hochbegabt, wie man heute sagen würde. Diese Menschen haben kein Verständnis für die langsamere Denkart ihrer Mitmenschen. Und da ihm der Sohn nicht zum Partner im Geiste wird, lässt er ihn fallen.

Etwas mehr emotionale Intelligenz, das gebe ich zu, hätte Gauß nicht schaden können.

Genauso sehe ich das auch und daraus geschlossen, dass Gauß keine soziale Komponente in seinem Charakter hat. Ich habe das bis zum Schluß nicht ganz glauben wollen, bzw. eine Erklärung dafür erwartet.

 

@Tin: Dank für's Lob; ich habe übrigens mehrere Tage überlegt, ob ich eine aus der Reihe fallende Kritik ins Forum stellen soll.

 

Viele Grüße Dietmar

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Hallo Dietman,

 

ich habe deine etwas "abweichende" Kritik ebenfalls gelesen und sie hat mir den Blick dafür erweitert, auf was man sonst noch achten könnte in so einem Buch. Als Wissenschaftler sind dir Recherchen (Bergsteigen), die Vermittlung des Jahrhundets, in dem das Ganze spielt und die Beziehungen der Menschen untereinander wichtig.

Ich als Pädagogin/ Therapeutin, Biografie-, Historien- und Naturliebhaberin habe natürlich erstmal auf anderes geachtet.

Aber es stimmt, das Ganze wirkt ein bisschen wie durchs Okular betrachtet, nicht so, als sei man selbst dabei gewesen.

Dass dir die Figuren durch die indirekte Rede fern geblieben sind, haben wir gemeinsam.

 

Solidargrüße

Christa

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So, nun bin auch ich mit dem Roman durch und habe auch sämtliche obigen Beiträge durchgelesen, was ich mir bisher wohlweislich verkniffen hatte.

 

Eine richtiger Disput ist ja nicht entstanden aus unserer Leserunde. Die Meinungen zum Roman sind überwiegend positiv. Und ich schließe mich da ebenfalls an.

 

Die indirekte Rede war am Beginn sehr gewöhnungsbedürftig, hat mich aber bereits nach wenigen Seiten überhaupt nicht mehr gestört. Dass der Roman solch herrlich humoristische Szenen hatte, hat mich positiv überrascht und ich musste erneut schmunzeln, als ich zahlreiche lustige Stellen kompakt hier im Thread wiederfand.

 

Der Roman war an keiner Stelle langweilig, die Protagonisten trotz ihrer Skurrilität glaubhaft und interessant.

 

Sprachlich ist der Roman sicher ein großes Vorbild. Dramaturgisch hat er mich nicht hundertprozentig zufrieden gestellt. Mir geht es da wie Editha (Antwort #23). Die ersten zwei Drittel hat Kehlmann durchgehalten, kapitelweise zwischen Gauß und Humboldt zu wechseln. Im letzten Drittel verwischt dies zum einen - Gauß' und Humboldts Erlebnisse vermischen sich, obwohl sie sich in unterschiedlichen Siituationen befinden - und zum anderen wird plötzlich Gauß Junior zum Protagonisten in zwei Kapiteln, obwohl er bislang eher Randfigur war. Beides fand ich nicht sonderlich glücklich gelöst und empfand es als dramaturgischen Bruch.

 

Aber diese 'kleine' Kritik schmälert nicht meine Freude über das Buch, das ich ohne Montségur eventuell gar nicht gelesen hätte.

 

Liebe Grüße

 

Roy

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(Peter_Dobrovka)

So, liebe Leute, es ist Zeit, Farbe zu bekennen: Ich hab es immer noch nicht zu Ende gelesen, aber ich habe dafür andere Sachen zu lesen angefangen. Ich denke nicht, daß es realistisch ist, daß ich damit jemals fertig werde. Also kommt hier mein Fazit.

 

Das Buch behandelt interessante Themen und es ist auch stilistisch nicht zu beanstanden. Dennoch ist meine Motivation, sich weiter damit zu beschäftigen, auf dem Nullpunkt angelangt, und ihr könnt euch sicher sein, daß ich mich ganz nachdrücklich selbst frage: Warum? Warum konnte es mich nicht packen?

 

Ein Buch ist offenbar doch mehr als die Summe seiner Teile, das wird mir hieran mehr als deutlich. Ich kann nirgends den Finger auf eine konkrete Wunde legen, das Ergebnis ist trotzdem sehr schwach. Mir liegen so seltsame Formulierungen auf der Zunge wie: Mir fehlt die Seele des Buches. Mir fehlen Protagonisten mit Zielen, bei denen ich mitfiebern kann, mir fehlt der Konflikt, die Spannung. Die Handlung plätschert distanziert-ironisch vor sich hin, unterhält mich anfangs sogar noch, aber ich habe nach 100 Seiten das unbewußte Gefühl, daß mich das alles gar nicht interessiert. Nach 200 Seiten dann ist es bewußt, und irgendwann bei nächster Gelegenheit greife ich nach dem Buch - und lege es wieder weg, zugunsten eines anderen Buches aus meinem ungelesenen Stapel, das mich mehr interessiert.

 

Da ist der Humboldt, der im Dschungel umhertappt. Er ist ein Genie, und doch ist er auch zugleich völlig chaotisch. Der Autor verwehrt mir jeglichen Einblick in seine Psyche: Was ist sein Ziel? Warum macht er mal dies mal jenes, und wann wäre er fertig? Sein Begleiter Bonpland ist mir da viel näher und menschlicher, doch er ist dazu verurteilt, im Schatten von Humbold diesem hinterherzutappen und scheinbar keinen eigenen Willen zu haben. Immer mal wieder begegnet man Kuriositäten, die mit einer ungeheuer nervigen Beiläufigkeit erzählt werden, wie zum Beispiel dem Deutschen, der auch im Dschungel umhertappt.

Meine Kritik geht aber noch tiefer: Ich bitte untertänigst um Entschuldigung, wenn ich da was mißverstanden habe, aber das ist a priori kein Stoff für einen Roman. Die Dschungelforschung ist ein guter Unterbau, eine gute Kulisse, aber es fehlt die Geschichte an sich. Kein Konflikt, keine Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt. Gar nichts.

Bei Gauß ist es ähnlich: Seine Kindheit war faszinierend, sein Aufstieg und alles. Aber dann, auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Die Schilderung des Nichts; und das reichlich ausführlich.

 

Na, hab ich am Ende doch noch einen Zipfel der Ursache zu fassen bekommen, warum ich das Interesse verloren habe. Danke für die Aufmerksamkeit.

 

Peter

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Schön, schön, schön:

 

Das SZ-Magazin hat eine hinreißende Kolumne mit Namen "Das Prinzip", in welcher jede Woche eine bestimmte Person, ein Sachverhalt, oder ähnliches, beleuchtet wird.

 

gestern erschienen:

 

Das Prinzip Daniel Kehlmann!

 

Gruß,

Marco! :s17

 

 

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SZ-Magazin #12 2006

 

DANIEL KEHLMANN

 

Die Euphorie, die Daniel Kehlmanns Buch Die Vermessung der Welt bei Kritik und Publikum ausgelöst hat, ist nicht zuletzt ein Effekt der jüngsten deutschen Gegenwartsliteratur. Der Roman des 31-Jährigen, der die Biografien Alexander von Humboldts und Carl Friedrich Gauß’ ineinander verzahnt, nimmt den größtmöglichen Abstand ein zu den vorhersehbaren Büchern der meisten jungen Autoren, ihren immergleichen Abbildungen der unmittelbaren Lebenswelt. Dass das Personal einmal nicht um 1970, sondern um 1770 geboren ist; dass es nicht an Identitäts-, sondern an Berechnungskrisen leidet, wird als befreiend empfunden und bürgt beinahe schon für ein Mehr an literarischer Qualität. Endlich, so der Tenor der Leser und Kritiker, sei hier wieder einmal ein junger Schriftsteller am Werk, der sich zu anderem als dem Protokollieren der eigenen provinziellen Befindlichkeit imstande fühlt, der über eine selten gewordene Bandbreite des Interesses und Wissens verfügt.

Die Lobeshymnen auf das seit Wochen die Bestsellerliste anführende Buch blenden jedoch einige Schwierigkeiten aus. Zuallererst die Frage nach der Darstellung von Wissenschaftsgeschichte. Der Roman inszeniert den altbekannten Widerstreit zwischen empirischer und theoretischer Erkenntnismethode als Gegenüberstellung zweier skurriler Forscherpersönlichkeiten; in zahlreichen Passagen besteht das Buch aus nichts anderem als einer Aneinanderreihung von biografischen Anekdoten. Man fragt sich bei der Lektüre immer wieder, was mit diesem Verfahren – jenseits der viel beschworenen »Komik« – eigentlich gewonnen ist. Wozu diese Umwandlung von Wissenschaftsgeschichte in Belletristik? Ein zweiter Einwand beträfe die Sprache Daniel Kehlmanns, die wiederkehrende Rede von der »Virtuosität« seines Stils. Ohne Zweifel durchzieht den Roman ein Sinn für lakonische Pointen. Aber das Prekäre der Sprache Kehlmanns besteht darin, dass sie diese Meisterschaft unaufhörlich ausstellt. Der Wille zum »gut Schreiben« ist dem Roman überdeutlich anzumerken. Kehlmann erliegt der Versuchung, sich wie der von ihm bewunderte Thomas Mann an seinem eigenen Tonfall zu berauschen.

Es stellt sich die Frage, welcher Anteil an dem ungeheuren Erfolg des Romans tatsächlich seiner spezifischen literarischen Qualität zukommt und welcher der Position, die er in der aktuellen deutschsprachigen Literatur einnimmt. Kehlmanns Buch erschien auf dem Höhepunkt des Überdrusses an den kümmerlichen Ausläufern der Pop-Literatur, den auf Romanformat gedehnten Büchern der Zeit- schriftenkolumnisten oder der schematisch konstruierten Alltagsprosa der Literaturinstituts-Absolventen. Nur vor diesem Hintergrund kann ein gut gemachter Unterhaltungsroman wie Die Vermessung der Welt plötzlich als ein Epoche machendes Werk erscheinen, das die Erzählkunst auf lange Zeit unerreichte Höhen zurückführt.

Daniel Kehlmann ist ein Platzhalter, der eine zunehmend als schmerzhaft empfundene Lücke innerhalb der deutschen Literatur zu füllen vermag: die Figur des literaturhistorisch gebildeten, handwerklich tadellosen jungen Schriftstellers, die man sämtlichen Bastarden der Zunft entgegenhalten kann. Kehlmann erzählt seine Geschichten in einer mit allen Wassern des Kanons gewaschenen Sprache – doch vielleicht markiert gerade diese Versiertheit ein Problem. Ist nicht ein Rest an Unverputztheit, an Risiko, an womöglich sogar provinzieller Subjektivität notwendig, um wahrhaft berührende und relevante Romane hervorzubringen? Wenn literarisch Schreiben heißt, immer wieder neue, noch unbekannte Kreuzungspunkte zu finden zwischen Eigenem und Überliefertem, zwischen Erfahrungen, Wahrnehmungen, Anschauungen und der literarischen Tradition, in die man sich als Schriftsteller einreiht: Dann ist das notorische Geschwätz der Alltagsprosa genauso weit entfernt von dem, worum es geht, wie die Souveränitätsgeste Daniel Kehlmanns.

ANDREAS BERNARD

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Hallo Peter! (eben geändert)

 

A priori ist es sicherlich nicht, denn viele andere, die das Buch gelesen haben, sehen das anders. Vielmehr ist es a posteriori, da du es aus der Erfahrung gewonnen hast. Und zwar Deine ganz eigene Erfahrung, die Du mit dem Buch gemacht hast. Eine Kritik ist subjektiv.

Viele Leser brauchen nicht immer ein Problem, das es zu überwinden gilt.

 

Anscheinend fanden einige dieses Konzept „vernünftig“ und konnten schmunzeln, fühlten sich unterhalten – dies unterstreichen die vielen anderen Postings.

 

Letztlich ist das eine Geschmacksfrage, da kann die Vernunft nicht mitreden.

 

Grüße,

 

Jonathan

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Vielmehr ist es a posteriori' date=' da du es aus der Erfahrung gewonnen hast. Und zwar Deine ganz eigene Erfahrung, die Du mit dem Buch gemacht hast. Eine Kritik ist subjektiv.[/quote']

 

Hey Johnny!

 

zwei Dinge:

 

1) ICH habe die Kolumne nicht geschrieben! Sie stammt aus einer Zeitschrift. Ich finde sie passend, aber auch diskutabel. Wenn du meine Einleitung gelesen hättest, wäre dir das aufgefallen. Deine Antwort also bitte an Herrn Bernard, nicht an mich!

 

2) Ich will mich nicht unbeliebt machen, finde aber manchmal, dass du in deinen Posts moftmals ziemlich - flau bist.

90 Prozent deiner Posts lesen sich etwa so: "Das ist nur deine Meinung." "Das ist subjektiv" "Das kann man nicht verallgemeinern" "Das ist Geschmacksfrage"

 

Denke deine Posts mal zu ihrem bitteren Ende, Johnny: Wenn jeder hier deine Einstellung hätte, wäre der Sinn dieses Forums obsolet, es würde sich in ein, um Douglas Adams zu zitieren, Logikwölckchen auflösen!

 

Es ist ein DISKUSSIONSforum, etwas zum AUSTAUSCHEN!!!

Jeglichen Meinungsaustausch mit einem "Das ist Geschmacksfrage" oder einem "Das ist Subjektiv" zu enthebeln, empfinde ich als Kontraproduktiv und nicht dem Sinn des Forums entsprechend.

Anstatt uns unsere Meinungen und Posts also ewig mit einem 'Die Geschmäcker sind verschieden' oder einem 'Das sehen andere Leute anders' um die Ohren zu hauen: Gib lieber mal DEINE Meinung zum besten!

 

Du magst das Buch. Warum? Was ist gut daran? Was gefällt dir? Weshalb ist der oben zitierte Artikel falsch? MEINUNGEN, GESCHMÄCKER, ANSICHTEN, die wären hier interessant gewesen.

 

Das würde ich als viel interessanter empfinden als dein Lieblingsargument, dass eine Meinung hier "Geschmacksfrage" ist! ;)

 

NATÜRLICH ist es Geschmacksfrage! Da oben steht der Geschmack einer Zeitschrift! Welchen Geschmack hast DU, Johnny? DAS ist es doch, was hier gepostet werden soll: Die eigene Meinung, und nicht die Feststellung, dass es Geschmacksfrage ist, ob man ein Buch mag oder nicht...

 

Und das meine ich nicht böse, nicht polemisch, sondern ganz sachlich und konstruktiv, weil man deinen Posts sonst nur ein Achselzucken und ein weiterblättern schenken kann, denn klar hast du Recht, das es Geschmacksfrage ist. Niemand hat etwas anderes behauptet...

 

Lieben Gruß,

Marco! :s17

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1. Vielen Dank für die Mühe, Marco - interessanter Artikel.

 

2. Fangt Ihr beiden schon wieder an?  :s16

   Wie wär's mal mit einem Zwiegespräch per PN?

 

Gruß

Jan

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Hallo Marco!

 

Ah! Mein Posting bezog sich auf Peters Posting, leider hatte ich nicht geschrieben: „Hallo Peter, diese ist meine Meinung …“

 

Aber: In meinen Posting stand eben auch nicht, dass es sich auf Dein Posting bezieht.

 

Wenn ich sage: Ein „a priori“ wie von Peter ist in diesem Kontext subjektiv und deswegen „a posteriori“. Also aus der Erfahrung gewonnen, nicht aus der reinen Vernunft, sonst wären die positiven Kommentare von uns „unvernünftig“.

 

Jede Debatte ist durch Subjektivität geprägt. Dies zu erwähnen, empfinde ich nicht als schädlich.

 

Leider bemerke ich, lieber Marco, dass du Dich seit dem „Hülsi“-Thread auf mich eingeschossen hast. Dies bedauere ich zutiefst und empfehle, etwaige Probleme per „PN“ zu lösen.

 

Dir stehe ich gerne zur Verfügung.

 

PS: Tut mir leid, Jan. Ich meine keineswegs Marco. Übrigens habe ich die SZ-Kritik noch gar nicht gelesen. PN wäre besser.

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(Peter_Dobrovka)

Auch unter dem Gesichtspunkt, daß du mich gemeint hast und nicht den SZ-Artikel, bleibt das meiste von dem, was Marco geantwortet hat, gültig.

Klar ist es meine Meinung und mein Geschmack. Aber das kann man doch irgendwo mal vertiefen, oder?

In der Tat würde mich interessieren, warum du das Buch gut findest, Jonathan.

Und bei Marco würde mich überhaupt erst mal interessieren, wie er es findet. Mit dem Artikel kann ich nicht diskutieren.

 

Peter

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Hallo Marco!

 

Ah! Mein Posting bezog sich auf Peters Posting, leider hatte ich nicht geschrieben: „Hallo Peter, diese ist meine Meinung …“

 

:-[

 

Da sieht man wieder, was passiert, wenn man die Leute nicht persönlich anspricht!

 

In dem Falle sei Punkt eins für unnötig erklärt, sorry!

 

Punkt zwei halte ich weiterhin für wichtig, und nicht nur für dich, sondern auch für andere...

Das Argument höre ich hier in letzter Zeit öfter. Von Einschießen ist also keine Rede, es war nur dein zweiter Post mit dem Argument, den ich in zehn Minuten gelsen hab, und vieleicht dein Fünfter in zwei Tagen. Fällt mir auf!

 

Ich fahr tatsächlich keine Vendetta gegen Dich!

 

Und das sei, öffentlich, als Entschuldigung und Friedensschluß zu verstehen!

 

Ich gehe hier NIEMANDEN persönlich an, selbst wenn ich mal grob werde, oder jemanden nicht verstehe!! :s04

Eine Klage oder Ruppigkeit von mir also bitte nicht persönlich, sondern aufs Forum und sachlich bezogen verstehen.

 

Und damit genug davon!

 

@Peter

 

Mich würde meine Meinung auch interessieren. Bin leider immer noch erst auf Seite 30 oder so, finde den Artikel aber schon zutreffend!

oder IST das schon eine Meinung? :s09

Es wirkt mir gut geschrieben, lustig, aber überwiegend belanglos...

 

 

Liebe, friedfertige Grüße, (Auch an Quiddy, falls der schon in den Textkritiken war!)

Marco!

*eigentlich ein ganz kuscheliger*http://smilies.montsegur.de/02.gif

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Hallo Peter,

 

das Buch habe ich zwar noch nicht zu Ende gelesen - liegt schon im Umzugskarton. Es würde vermutlich auch nicht meine Meinung ändern. Wieso ich es gut fand?

Eigentlich ganz einfach: Ich konnte lachen. Wenn nicht lachen, dann grinsen und schmunzeln.

Unterhaltungstechnisch war das Buch sehr gut. Es hat mich amüsiert und bei Laune gehalten. Zwar ist es für mich kein Buch, das ich innerhalb von ein paar Tagen durchlesen kann. Ich brauchte immer mal wieder Pausen bzw. hat es nie geschadet, wenn ich es mal beiseite gelegt habe. Schnell fand ich immer wieder ins Buch rein. Für mich bestand das Buch aus vielen lustigen Glossen, ich brauchte nicht wissen, was zehn Seiten vorher passierte.

Die Sprache, der Wortwitz und die vielen Pointen – klasse.

 

Aber: Ich denke nicht, dass ich mich in ein paar Jahren noch an dieses Buch erinnern werde. Dieses Buch hat keine Tiefe, keine tiefere Botschaft, keine Kernaussage. Eben – böse gesagt – ein aus Glossen zusammengeschustertes Buch. Deswegen ist für mich das Buch auch reine Unterhaltung, der einzige Anspruch an den Leser ist: versteht er den Witz?

 

Die Biografie dieser honorigen Persönlichkeiten hat mich fasziniert. Die Marotten, ihr starker Wille, ihre Prinzipien. Wobei ich davon ausgehe, dass einiges hinzugesponnen wurde. Aber darum ging es mir auch nicht.

 

Ausgesprochen gut hat mir die indirekte Rede gefallen. In meinen Augen eine Kunst, die nicht jeder beherrscht.

 

Nochmals: Lustig.

 

Wie ich in einem anderen Posting schon schrieb:

 

„Er interessiere sich mehr fürs Lateinische, sagte Gauß heiser. Auch könne er Dutzende Balladen.

Der Herzog fragte, ob da jemand geredet habe.“

 

Es kommt selbstverständlich noch besser.

 

„Dort auf der Brücke, sagte Bonpland, habe er auf einmal bedauert, als zweiter gehen zu müssen.

Das sei nur menschlich, sagte Humboldt.

Aber nicht bloß, weil der erste früher in Sicherheit sei. Ihm seien seltsame Vorstellungen gekommen. Wäre er der erste gewesen, etwas in ihm hätte gerne der Brücke, sobald er hinüber gewesen wäre, einen Tritt versetzt. Der Wunsch sei stark gewesen.

Humboldt antwortete nicht …)

 

„Humboldt hielt sich an sein Versprechen und mischte sich nicht in die Navigation. Wäre nicht ein Affe ausgebrochen, der ganz alleine den halben Proviant verzehrte, zwei Taranteln befreite und in der Kapitänskajüte alles in Fetzen riß, wäre die Reise ohne Störungen vorbeigegangen.“

 

Das macht einfach Spaß zu lesen!

 

Mehr kann ich im Moment nicht sagen, davon abgesehen: Für mich war dass das Wichtigste.

 

Liebe Grüße,

 

Jonathan

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Ja, also, ich bin sehr zwiegespalten, was dieses Buch angeht ...

 

Ich fand es anfangs nervig, wegen des Konjunktivs.

Dann interessant, als mir auffiel, dass mich der Konjunktiv plötzlich gar nicht mehr stört.

Dann lustig.

Dann langweilig, da mich die vielen Urwald-Epsioden so an T.C. Boyle erinnerten.

Dann wieder lustig.

Zwischendurch rührend.

Aber ganz am Ende leider unbefriedigend. Die beiden Handlungsfäden wurden zwar hübsch verquirlt, aber schlussendlich landet man bei Gaußens Sohn, und das Buch hört einfach auf, und ich fragte mich: Und jetzt? Was sagt mir das nun? Was soll das alles?

 

Mir fehlten vor allem zwei Dinge:

1. Eine richtige Mitte. Denn die große Begegnung zwischen Humbold und Gauß, die in meinen Augen der Höhepunkt hätte sein sollen/können/müssen wurde seltsam glanzlos abgefeiert.

2. Ein richtiger Schluss. Etwas Abrundendes. Das gab's nicht.

 

Mein Fazit: Ohne Zweifel gut geschrieben, lustig, bisweilen etwas angestrengt, unterm Strich aber überbewertet.

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(Peter_Dobrovka)

"Die Vermessung der Welt": Was schildert dann Kehlmann sonst, wenn nciht die Entwicklung dieser Wissenschaften? Ueberall wird er doch genau deswegen gelobt?

Wird er das?

Er beschreibt zwei Biographien, das ist alles.

 

Gauß ist ein Schnelldenker, das wird dadurch versinnbildlicht, daß alle Menschen ihm so vorkommen, als würden sie eine Pause machen, bevor sie antworten. Im Alter kommt ihm diese Pause dann immer kürzer vor. Er löst Rätsel, erfindet diese und jene Berechnungsmethode, vermißt als Beamter preußisches Staatsgebiet, das wird immer mal wieder erwähnt, aber auf die Wissenschaften selbst wird nicht einmal ansatzweise eingegangen.

Und ich glaube auch nicht, daß Kehlmann dafür gelobt worden wäre, wenn er uns diese wissenschaftlichen Methoden so genau und plastisch vorgestellt hätte, daß wir sie nachvollziehen können. :s22

 

Daß Humboldt überhaupt so etwas wie Wissenschaft betreibt, wird nicht mal klar. Kehlmann beschreibt ihn als hyperaktiven Besessenen, der im Urwald herumläuft, in Höhlen kriecht, Berge überquert und Grabstätten entweiht und dabei alles einsammelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich war regelrecht überrascht, als beiläufig erwähnt wurde, daß soundsoviele Quadratkilometer von Südamerika von ihm vermessen worden sind.

 

Das Buch ist für mich auch in erzählerischer Hinsicht sehr sehr schwach, es sollte dir um Gottes Willen nicht als Vorbild dienen.

 

Peter

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Es sollte dir um Gottes Willen nicht als Vorbild dienen.

 

Dem möchte ich widersprechen. Man hält es aus, von Peter D. verrissen zu werden ;-)

Tin, danke fuer deinen Zuspruch ;-).

Peter, wenn ich mir deine Kritik und die der anderen ansehe, vermute ich schon, dass die Wissenschaft selbst, das, was beide machen, im Roman selbst eher eine kleine Rolle spielen.

Aber wie schreibt man eine Geschichte, in dem es dem Protagonisten um eine Theorie, eine Wissenschaft, eine Philosophie geht, so sehr, dass er diesem Motiv alles andere unterordnet? Da muss dieses Gedankengebaeude doch zumindest in Grundzuegen klargelegt werden. Und Kehlmann stellt das ja offenbar zurueck zugunsten von Anekdoten, wenn ich die Meinungen hier mir durchlese, die meisten haben es gut gefunden, Peter, du eher nicht.

 

Trotzdem bleibt fuer mich die Geschichte einer Theorie ein Raetsel, denn auch Theorien haben ihre Geschichte, koennen zum alles bestimmenden Motiv von Menschen werden. Ich weiss, wenn du das in einem Roman verwurstet, wird es eher ein Nischenprodukt werden, dennoch beschaeftigt es mich. Weil es die ersten Kapitel dieses Romanprojektes von mir bestimmt.

 

Hans Peter

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Liebe Leserunde,

 

jetzt hatte auch ich Zeit für die Vermessung der Welt. Ich war auf den ersten Seiten ganz überrascht. Ich hatte außer Kehlmanns Erfolg und Allgegenwärtigkeit seiner immer traurig aussehenden Fotos wenig mitbekommen. Dann las ich das erste Kapitel. Und siehe da: Das erste Kapitel ist ein "Bauernstadel"! Da folgt ein Witz dem anderen. Ich hatte irgendwie etwas Ernst-Intellektuell-Schwieriges erwartet.

 

Vorischtig las ich weiter, und war freudig überrascht, dass nach dem Spaßfeuerwerk im ersten Kapitel sehr viel Witz und Ironie die Geschichte bestimmt. Meine Lieblingsstelle war die, an der Humboldt das "schönste deutsche Gedicht, frei ins Spanische übersetzt" vorträgt, da habe ich wirklich laut gelacht.

 

Überrascht war ich auch von der Schwerelosigkeit des Buches. Gerade die indirekte Rede, die beiden Herren im 18. Jahrhundert, die persönlichen Aufgaben – das alles hätte man auch schwer verstaubt erzählen können. Unglaublich, wie es Herrn Kehlmann gelungen ist, das Ganze so leicht und lesbar zu verpacken.

 

Ich legte keinen Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit (sonst greife ich zum Sachbuch), und wurde ganz wunderbar unterhalten. Im Gegenteil: Ich musste gerade an den Stellen schmunzeln, an denen Humboldt angeblich seine Eintragungen fälscht. Ich stellte mir nämlich vor, dass Kehlmann die Aufzeichnungen genau recherchiert hat – und finde es sehr witzig, da augenzwinkernd zu sagen: Die Wirklichkeit sah womöglich ganz anders aus.

 

Ich bin auch beeindruckt, dass der Stil durchgehalten wird. Kehlmann vorzuwerfen, er berausche sich letztendlich an seinem eigenen Stil, ist ungefähr so, wie eine Frau, die immer auf der Suche nach dem Richtigen ist, und wenn sie ihn dann gefunden hat, ihm vorwirft, dass er "zu gut" ist.

 

Der Schluss, an dem sich die beiden Hauptpersonen so nahe sind, dass die Wirklichkeiten und Ebenen verschwimmen, ist tatsächlich ein Bruch mit dem abwechselnden Erzähstrang vorher. Es geht auch viel mystischer, nicht mehr so wissenschaftlich zu. Vielleicht eine Reflektion dessen, dass die Männer im Alter nicht mehr so "buchstabentreu" sind, merken, dass es etwas neben dem zu Vermessenden gibt. So genau will ich es gar nicht analysieren: Das Buch hat mich wunderbar, auf hohem Niveau, unterhalten.

 

Danke, Herr Kehlmann.

 

Liebe Grüße,

Judith

 

PS: Wie sind die anderen Romane von ihm zu empfehlen? Warum, Quidam, soll "Ich & Kaminski" nicht so gut sein?

"Felix", FVA 2015,  jetzt als Kindle eBook // Ab 12.7.2021: "Liebe braucht nur zwei Herzen", Penguin Verlag // Sommer 2022: "Wenn dein Herz woanders wohnt", Penguin Verlag

www.judithwilms.com

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Mit fast einem Jahr Abstand zu den meisten anderen in dieser Runde habe ich das Buch jetzt endlich auch durch. Und lese nun diesen Thread nach und stelle fest, dass ich weitestgehend André und PeterD zustimmen muss.

 

Ich lege es weg und denke "Hm ... ok. Muss man nicht gelesen haben".

 

Das ist sehr schade, denn die Sprachbeherrschung ist gandios, es ist blitzblank poliert, und der Autor hat offenbar verdammt viel recherchiert, um eine so große Menge an Details dieser Zeit im dem Roman zu verquirlen - nicht nur die Personen, sondern auch die Politik, das Weltgeschehen und das Empfinden der Zeit. Mein allergrößter Respekt; dies ist ein ungeheuer intelligenter Roman.

Ich bin allerdings auch niemand, der recherchiert, wieviel davon tatsächlich stimmt - im Zweifelsfalle nichts, schließlich ist es bloß ein Roman; es ist mir zu mühselig, alles zu prüfen, wenn ich diese Daten nicht konkret benötige. Aber es wirkt jedenfalls "voll" und "rund" und nicht nach bloßer Staffage.

 

Denoch: Es ist keine interessante Geschichte in meinen Augen. Auch mir fehlen Mittelteil und Ende. Schon früh beginnt alles zu verpuffen, in Fatalismus, sich steigernder Senilität, dem Gefühl der Unbedeutendheit, zu wenig geschafft zu haben, zu früh geboren zu sein ("was nur später einmal alles möglich sein wird!"), von der Zukunft überholt zu werden.

 

Die indirekte Rede ... Also eine Kunst sehe ich darin nicht. Auf mich wirkt es nachhaltig wie eine Marotte. "Wie mache ich meinen Roman künstlerisch? Distanziert, alterümlich, mit trockenem Humor?" Die indirekte Rede bewirkt natürlich den lakonischen Humor. In direkter Rede wären viele der Szenen kein bisschen komisch. Somit ist sie ein - mir eher pretentiös erscheinendes - Mittel zum Zweck.

Das ist eine Weile lang lustig, nach 50 oder 100 Seiten konnte ich darüber aber immer weniger schmunzeln, weil es mir einfach zu gewollt aufgetragen war. Das ist, wie wenn man den 17. Roman von Terry Pratchett oder Douglas Adams liest - irgendwann ist es nicht mehr komisch, weil man die Mechanik nun kennt, die immer wieder die selbe ist. Jedenfalls geht mir das hier so.

 

Darüberhinaus hat mich ungeheuerlich gestört, wie Gauss und Humboldt neben all ihrer als im Grunde autistisch beschrieben Genialität ganz offenbar in mehr als einer Hinsicht völlig lebensuntauglich sind. In den Episoden, die hier von vielen als skurril beschrieben werden, wirken sie auf mich sogar größtenteils wie alberne Schießbudenfiguren, und ich habe keinen der Protagonisten im Buch jemals ernst nehmen können. Und aus diesem Grund tat mir Humbold auf seiner letzten Reise auch nicht leid - wo er in seinem Drang, wenigstens hier und dort einmal selbst einen Stein zu sammeln oder eine Magnetfeldmessung vorzunehmen, beschrieben wird wie ein dickköpfiges Kind, das heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke liest.

 

Die kurzen philosophischen Exkurse, die aufblitzenden tieferen Weisheiten, Belehrungen und philosophischen Gedanken sind mir insgesamt zu beiläufig und zu albern verpackt. Es bleibt mir nichts haften.

 

Gerade zum Ende hin hat das Buch für mich mehr und mehr seines Charmes verloren, der Witz hatte sich abgenutzt - und leider war nicht viel mehr da, als dieser Witz. Die verbleibende Handlung, deren Konsequenzen und die Altherrengedanken über ihre Leben und die Welt waren mir insgesamt zu dünn. Der Ringschluss mit Eugen war zwar gut gemeint, hat es aber für mich nicht mehr gerettet.

 

Tja, soviel zu meinen Eindrücken: Ein hochintelligenter Autor mit einer hervorragenden Sprache - aber für mich ein leider eher uninteressantes Buch.

 

Andreas

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