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ChristineN

Fehler bei der Verwendung der Erzählstimme

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Generell: Die meisten Autoren schreiben halt so langweilig, dass mir alles, was irgendwie ein wenig Spannung reinbringt, willkommen ist.

 

Wobei ich der Meinung bin, dass solche Hinweisschilder, nach dem Motto 'Achtung, lieber Leser, jetzt wird es spannend' dann auch nix mehr nutzen  ;D

 

Ich würde mich als Autor in einem solchen Moment fragen, warum ich denn glaube, dass meine Erzählung selbst so wenig die Aufmerksamkeit des Lesers fesselt, dass ich ihn mit solchen Hinweisen wieder aufwecken muss.

 

Spannung entsteht immer nur dadurch, dass sich der Leser sich an diesem bestimmten

Punkt der Geschichte etwas fragt. Und dazu muss man den Leser bringen: Sich etwas zu fragen. Egal, wie man das macht. Wenn die Frage im Kopf auftaucht, hat man den Leser. Taucht stattdessen eine Gedanke wie "hmm, wieso schreibt der das jetzt, das ist doof" auf, hat man ihn nicht.

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Ich liebe ja den kleinen Kniff, den John Irving gerne anwendet: Er knallt dem Leser hin, WAS passiert, worauf dieser kaum erwarten kann zu erfahren, WIE es dazu kam.

 

Speziell erinnere ich mich an eine Szene in "Owen Meany", da heisst es ungefähr: "Das war der Tag, an dem Owen Meany meine Schwester tötete". Und damit kriegt er einen, immer, ohne dass es billig wirkt.

 

Mascha

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Mir ist dieses Phänomen erst kürzlich begegnet (ich glaube, es war bei dir, Andrea). Ich habe ihm zugezwinkert und gedacht: ah, endlich mal wieder eine Vorausdeutung. Hat mich nie gestört, bis mal jemand (nicht von hier) meinte, das mache man in der modernen Unterhaltungsliteratur nicht mehr. Glücklicherweise habe ich es dann immer öfter mal wieder angetroffen.

 

Christa

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(Peter_Dobrovka)

Warum sollte diese "Regel" akademisch korrekt sein? Ist sie gar nicht. Präteritum ist Vergangenheit, und daraus kann man sehr wohl ableiten, dass der Erzähler weiß, was in der Erzählzukunft liegen wird. Der verlinkte Artikel vermischt Richtiges mit ziemlich viel - äh - Dünnsinn.

 

Eine andere Frage ist es, ob es den Geschmack des Lesers trifft. Wie man mal wieder sieht, liebt es der eine, während der andere schon mal deswegen ein Buch weggelegt hat. Man kann es nun einmal nicht allen recht machen.

 

Wo stehe ich? Ich liebe es.

 

Klar, wenn das Versprechen nicht eingelöst wird, ist man als Leser vergrätzt. Ich auch. Aber meistens liegt das an der laschen Dramaturgie; die ist dann auch ohne Vorausdeutungen nicht besser.

 

Peter

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Also eine ungefähre Vorahnung, was auf den Leser zukommen könnte, die habe ich in allen meiner drei Bücher schon im ersten Absatz, wenn nicht sogar im ersten Satz. Ein wenig verschleiert, nicht so offensichtlich, aber doch, um eine Erwartungshaltung oder eine leicht bedrohliche Stimmung zu erzeugen.

 

Im weiteren Verlauf verlasse ich mich dann bei Szenen- oder Kapitelenden mehr auf brennende Fragen, die sich aus der Handlung ergeben. :)

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Warum sollte diese "Regel" akademisch korrekt sein? Ist sie gar nicht. Präteritum ist Vergangenheit, und daraus kann man sehr wohl ableiten, dass der Erzähler weiß, was in der Erzählzukunft liegen wird. Der verlinkte Artikel vermischt Richtiges mit ziemlich viel - äh - Dünnsinn.

 

 

Laut Aussage der Quelle zur Literarischen Sprache eben nicht, Zitat:

 

"Literarisches Deutsch ist heute in der Masse das Deutsch des Romans. Dort spricht die Er­zähl­stim­me grundsätzlich im Prä­te­ri­tum. Dieses Prä­te­ri­tum ist hier kein Ver­gan­gen­heits­tem­pus, sondern ver­rich­tet die­selbe Auf­gabe wie das Prä­sens in der ge­spro­che­nen Spra­che.

 

Das Prä­te­ri­tum als Erzählzeit des Romans berich­tet nicht von Ver­gan­ge­nem, son­dern schil­dert die er­zähl­te Zeit als Gegen­wart und Wirk­lich­keit der Ge­schich­te. Die Hand­lung spielt sich un­mit­tel­bar vor den Au­gen des Le­sers ab. Spielt der Ro­man im 14. Jahr­hun­dert, wird nicht dem Le­ser von ei­ner fer­nen Ver­gan­gen­heit be­rich­tet. Es ist um­ge­kehrt: Der Le­ser steht mit­ten im 14. Jahr­hun­dert und be­trach­tet die Vor­gän­ge, die sich um ihn her­um ab­spie­len. Daß es so und nicht um­ge­kehrt ist, wird bei Roma­nen deut­lich, die in der Zu­kunft spie­len. Auch sie wer­den im Prä­te­ri­tum er­zählt."

 

Oder seid Ihr anderer Meinung, rein akademisch?

 

mlG

Christine

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Man kann einen Roman auch in der Gegenwart erzählen, und das nicht nur akademisch.

 

Die Kompetenz der "Quelle" ist eher anzuzweifeln.

 

Andrea

Neu: Das Gold der Raben. Bald: Doppelband Die Spionin im Kurbad und Pantoufle

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Warum sollte diese "Regel" akademisch korrekt sein? Ist sie gar nicht. Präteritum ist Vergangenheit, und daraus kann man sehr wohl ableiten, dass der Erzähler weiß, was in der Erzählzukunft liegen wird. Der verlinkte Artikel vermischt Richtiges mit ziemlich viel - äh - Dünnsinn.

 

 

Laut Aussage der Quelle zur Literarischen Sprache eben nicht...

 

Oder seid Ihr anderer Meinung, rein akademisch?

 

Liebe Christine,

 

gerne eine rein akademische Antwort von mir. Ich habe mir ein paar der "Tutorials" angesehen. Da sitzen wohl Leute, die einiges gelesen haben. Die kühnen Gedanken, die sie aus dem gesammelten Wissen entwickeln, sind allerdings hie und da bedenklich. Vielleicht liegt es auch nur an der Form, da manche Aussagen sehr hastig zusammengeknüpft werden. Entknüpfen wir mal:

 

Zitat:

 

"Literarisches Deutsch ist heute in der Masse das Deutsch des Romans.

 

Wird so sein.

 

Dort spricht die Er­zähl­stim­me grundsätzlich im Prä­te­ri­tum.

 

Von "grundsätzlich" kann keine Rede sein. Ausgesprochen beliebt ist als Erzähltempus auch das Präsens. Wolf Haas - allerdings eine bemerkenswerte Ausnahme - verfasst seine Brennerromane im Perfekt.

 

Dieses Prä­te­ri­tum ist hier kein Ver­gan­gen­heits­tem­pus ...

 

Ja. Das ist ein wichtiger Gedanke!

 

sondern ver­rich­tet die­selbe Auf­gabe wie das Prä­sens in der ge­spro­che­nen Spra­che.

 

Nein. Das geht an der Sache vorbei. Präsens in der gesprochenen Sprache ist zumeist dialogisch. Erzählt wird dort aber meistens nicht, sondern gefragt, kommentiert, mitgeteilt. Ein Ehepaar am Frühstückstisch unterhält sich im allgemeinen im Präsens. Sehr selten erzählen sie sich dabei Geschichten.

 

Das Prä­te­ri­tum als Erzählzeit des Romans berich­tet nicht von Ver­gan­ge­nem, son­dern schil­dert die er­zähl­te Zeit als Gegen­wart und Wirk­lich­keit der Ge­schich­te. Die Hand­lung spielt sich un­mit­tel­bar vor den Au­gen des Le­sers ab. Spielt der Ro­man im 14. Jahr­hun­dert, wird nicht dem Le­ser von ei­ner fer­nen Ver­gan­gen­heit be­rich­tet. Es ist um­ge­kehrt: Der Le­ser steht mit­ten im 14. Jahr­hun­dert und be­trach­tet die Vor­gän­ge, die sich um ihn her­um ab­spie­len. Daß es so und nicht um­ge­kehrt ist, wird bei Roma­nen deut­lich, die in der Zu­kunft spie­len. Auch sie wer­den im Prä­te­ri­tum er­zählt."

 

Oder im Präsens oder im Perfekt, je nach Stimmung und Tonlage, die der Autor wünscht. Als Aussage über die Zeitlosigkeit des Erzähltempus stimmt der Abschnitt (und würde auch stimmen, wenn im Präsens geschrieben wird oder abwechselnd in verschiedenen Tempora). Deshalb kann man im Präteritum als Erzähltempus bedenkenlos Worte wie jetzt, heute oder sogar morgen verwenden. (Letzteres hat eine Riege von Literaturwissenschaftlern schon einmal schier in den Wahnsinn getrieben, da sie davon ausgingen, dass Präteritum = Vergangenheit und morgen = Zukunft. Und dann heißt es in einem Roman " ... morgen war Weihnachten". Inzwischen weiß man besser, warum das kein Widerspruch ist.)

 

Mit einem freundlich-akademischen Morgengruß,

Angelika

 

P.S. Mit Andrea überschnitten. Nun - gleiches Resultat, wie es scheint, mit und ohne akademischem Gedöns. ;)

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Hiezu steht dort:

 

"Neben dem Präteritum kommt auch das Präsens als Erzähltempus vor. In diesem Fall steht die Vergangenheit statt im Plus­quam­per­fekt im Per­fekt:

 

Nachdem er gefrühstückt hat, verläßt er das Haus."

 

Ich will bei Gott nicht auf Regeln herumreiten (bin ja selber ein Praktiker), und sicher schreibt sich ein guter Roman auch ohne diese Formeln ständig im Kopf zu haben. Ich würde mich halt gerne mit der trockenen Theorie irgendwie sattelfest anfreunden, um mich in der Praxis leichter zu tun, ohne ständig im Hinterkopf zu haben - ist das nun einfach grottenfalsch, oder als Stilmittel legitim? Lektoren sind "leider" oft Germanisten mit harter Theoriebildung, so meine Erfahrung.

 

mlG

C.

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Hiezu steht dort:

 

"Neben dem Präteritum kommt auch das Präsens als Erzähltempus vor. In diesem Fall steht die Vergangenheit statt im Plus­quam­per­fekt im Per­fekt:

 

   Nachdem er gefrühstückt hat, verläßt er das Haus."

 

Ich will bei Gott nicht auf Regeln herumreiten (bin ja selber ein Praktiker), und sicher schreibt sich ein guter Roman auch ohne diese Formeln ständig im Kopf zu haben. Ich würde mich halt gerne mit der trockenen Theorie irgendwie sattelfest anfreunden, um mich in der Praxis leichter zu tun, ohne ständig im Hinterkopf zu haben - ist das nun einfach grottenfalsch, oder als Stilmittel legitim? Lektoren sind "leider" oft Germanisten mit harter Theoriebildung, so meine Erfahrung.

 

Der Zusammenhang stimmt wieder. Präsens und Perfekt sind zwei Zeiten, die sich zugetan sind, ebenso wie Präteritum und Plusquamperfekt. Das mag an den verwendeten Hilfsverben liegen, die die zusammengesetzten Zeiten verwenden und die formal wie Präsens und Präteritum auftreten. Speziell in Temporalsätzen mit nachdem sind diese Kombinationen fast zwingend:

 

Nachdem Christine sich ausgiebig den Kopf zerbrochen hat, schlägt sie in einem berühmten "Tutorial" nach.

 

Nachdem Angelika selbiges Schrifttum studiert hatte, kratzte sie sich erst mal am Kopf.

 

 

Ob Theorie Spaß machen kann? Kommt auf die Theorie an und den Kopf dazu.  :s22

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Du solltest mich mal beim Theoretisieren über "wo ist denn jetzt das Restaurant, das war doch gestern noch da?" erleben ...  

:s18 Angelika

 

P.S. Unter "Allgemeines" hatten wir bei der Besprechung von Uwe Timms "Entdeckung der Currywurst" den Tempusgebrauch schon mal am Wickel.:

 

(Link ungültig)

 

Die Antworten 106 und 107 beziehen sich aufs Tempus und zwar speziell auf Timms Kunst, damit zu jonglieren.

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Hallo!

 

Und noch ein bisschen mehr Theorie, nämlich über den personalen Erzähler, um den es hier ja letztlich ging:

 

Zitat von dieser Seite hier:

 

Die personale Erzählsituation (Link ungültig) (Link ungültig)

 

"Das Vorherrschen von Erzähltechniken wie Beschreibung oder szenische Darstellung (in Form dialogischer Partien) erweckt den Anschein, hier sei kaum noch ein Erzähler am Werk, der sich vermittelnd zwischen die Geschichte und den Leser stellt. Damit wird in der 'personalen Erzählsituation' ein sehr hoher Grad von "Unmittelbarkeit" erzeugt, die tatsächlich natürlich nur eine Wirklichkeitsillusion sein kann."

 

Und diese Illusion zerstört man, wenn man sich dann doch als Erzähler unvermittelt einmischt und dem Leser etwas erklärt, was die Figur selbst in diesem Moment nicht wissen - höchstens ahnen - kann.

Das heißt im ungünstigsten Fall, dass ich den Leser aus dem Kopfkino, aus dem Film herausreiße, den ich erzeuge durch meine Erzählung. Weil er irritiert ist und denkt 'hm, wie kann die Figur denn das jetzt wissen?'

 

Und überhaupt, warum eigentlich nicht mit einer Ahnung arbeiten, die die Figur zögern lässt, die Wohnung zu verlassen. Vielleicht tobt draußen ein Gewitter, es kommt ein mysteriöser Anruf, der den Protagonisten innehalten lässt, es wird eine Stimmung aufgebaut, die bedrohlich scheint, bei der man als Leser mit der Figur zusammen spürt, dass es besser wäre, er bliebe heute zuhause.

 

Zugegeben, das ist mehr Arbeit als einfach einen Satz zu schreiben wie:

"An diesem Tag hätte er besser nicht das Haus verlassen, denn es sollte ihm Schlimmes passieren".

Aber will man die Illusion der Nähe zur Figur aufrecht erhalten, dann lohnt sich diese Arbeit ab und an schon.

 

Viele Grüße

Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Das Beispiel ergäbe mehrere Möglichkeiten:

Die Figur erzählt selbst von dem Ereignis und reflektiert "hätte ich nur nicht das Haus verlassen".

Möglichkeit zwei wäre ein auktorialer Einschub ... nur ein solcher Erzähler könnte sich in dieser Weise einmischen, dann wäre tatsächlich die Illusion zerstört. Anders bei der ersten Variante, dann denkt der Erzähler als Figur ja selbst später so.

 

LG

Anni

Autorin | Ein  Buch schreiben

Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher

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Das Beispiel ergäbe mehrere Möglichkeiten:

Die Figur erzählt selbst von dem Ereignis und reflektiert "hätte ich nur nicht das Haus verlassen".

Stimmt, als Rückblende wäre das nämlich auch möglich - rein aus der Sicht der Figur, ohne Erzählereinmischung. Ich glaube das ist es, was John Irving macht (Mascha hat ihn etwas weiter oben als Beispiel genannt).

 

Lieben Gruß

Susann

Eat the frog in the morning (Mark Twain)

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Das Beispiel ergäbe mehrere Möglichkeiten:

Die Figur erzählt selbst von dem Ereignis und reflektiert "hätte ich nur nicht das Haus verlassen".

Stimmt, als Rückblende wäre das nämlich auch möglich - rein aus der Sicht der Figur, ohne Erzählereinmischung. Ich glaube das ist es, was John Irving macht (Mascha hat ihn etwas weiter oben als Beispiel genannt).

 

Lieben Gruß

Susann

 

Irving geht ein wenig anders vor. Er würde ganz konkret schreiben: "Es war ein wundervoller Maimorgen, als meine Frau starb." Und dann geht er zurück und erzählt, wie es dazu kam. Also keine Andeutungen, sondern er knallt dem Leser eine Tatsache vor den Latz, ohne die Spannung rauszunehmen. Das finde ich wahnsinnig clever, aber es ist bei Irving auch ein wenig Masche. Sparsam eingesetzt finde ich es genial.

 

Mascha

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(Peter_Dobrovka)

Laut Aussage der Quelle zur Literarischen Sprache eben nicht, Zitat:

 

"Literarisches Deutsch ist heute in der Masse das Deutsch des Romans. Dort spricht die Er­zähl­stim­me grundsätzlich im Prä­te­ri­tum. Dieses Prä­te­ri­tum ist hier kein Ver­gan­gen­heits­tem­pus, sondern ver­rich­tet die­selbe Auf­gabe wie das Prä­sens in der ge­spro­che­nen Spra­che.

Das ist inkorrekt. Angelika hat es teilweise bereits beleuchtet.

Zugegebenermaßen ist das Präsens in mündlich erzählten Geschichten etwas häufiger anzutreffen als in der Schriftsprache. Aber das hat eher mit der lockereren Verwendung der Sprache im Mündlichen zu tun.

[blue]Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist! Ich seh heute aus dem Fenster, und da steht dieser Typ da, du weißt schon, der immer samstags da steht. Ich geh mal gleich zu ihm runter um ihm zu sagen, was ich von seinem Getue da halte und so. Oh, Mann, das war nicht schlau. Wenn ich gewusst hätte, dass er von diesem Verein ist, hätt ich das mal lieber sein lassen. Aber das konnt ich ja nicht wissen. Also, ich geh runter und sag zu ihm ...[/blue]

So redet man. Tempi werden bunt durcheinandergeworfen wie man sie gerade braucht. Und auch hier ist trotz Präsens die Vorausdeutung möglich. Niemand wird ernsthaft ankommen und sagen: "Du erzählst im Präsens, also kannst du das nicht wissen, also ist das ein Fehler."

Da muss man vielleicht wirklich bei Adam und Eva anfangen. Was ist eine Geschichte? Und was bedeutet es, sie zu erzählen?

Eine Geschichte ist etwas, das bereits passiert ist. Die Erzählung stellt sie dem Rezipienten zur Verfügung. D.h., was man erzählt, ist bereits geschehen, auch wenn es nur erfunden ist. Selbstverständlich weiß man als Erzähler deswegen auch, wie sie ausgeht, und kennt alle Ereignisse und Hintergründe, die sich erst nach der aktuell geschilderten Szene ergaben.

 

Das Prä­te­ri­tum als Erzählzeit des Romans berich­tet nicht von Ver­gan­ge­nem, son­dern schil­dert die er­zähl­te Zeit als Gegen­wart und Wirk­lich­keit der Ge­schich­te. Die Hand­lung spielt sich un­mit­tel­bar vor den Au­gen des Le­sers ab.

Der gewünschte Effekt ist tatsächlich der, dass sich das vor den "Augen" des Lesers abspielen soll. Aber trotzdem ist es Vergangenheit. Wenn ich jemandem ein Ereignis erzähle, das mir vor 10 Jahren passiert ist, ist es auch dann vor 10 Jahren passiert, wenn ich es im Präsens erzähle und dabei so intensiv erzähle, dass es meine Zuhörer geradezu miterleben können.

 

Daß es so und nicht um­ge­kehrt ist, wird bei Roma­nen deut­lich, die in der Zu­kunft spie­len. Auch sie wer­den im Prä­te­ri­tum er­zählt."

Gutes Argument. Aber genau genommen gibt es gar keine Romane, die in der Zukunft spielen, hehe.

[blue]Mein Name ist Ishak Sigmen. Ich wurde geboren im Jahre 2933 der alten Zeitrechnung, nur wenige Jahre nach dem großen Meteoreinschlag. Ich will euch berichten von den Heldentaten des Norok Buhannen, die ich als sein treuer Begleiter persönlich mitverfolgen konnte.[/blue]

Science-Fiction-Romane bzw. Romane, die in der Zukunft angesiedelt sind, spielen zwar technisch gesehen nach unserer Gegenwart, sind aber so verfasst, dass der Leser eine Position in einer noch ferneren Zukunft einnimmt, und von dort aus die Geschehnisse als Vergangenheit wahrnimmt.

Eine Geschichte, die tatsächlich in der Zukunft spielt, nennt man Prophezeihung, und sie wird im Futur abgefasst.

 

Peter

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Na ja, Peter, das Ich in deinem Beispiel ist aber auch nicht das erlebende Ich, sondern das erzählende. Wer das einführt, hat jedenfalls keine Probleme mit auktorialen Einschüben, denn das erzählende Ich entspricht weitgehend dem auktorialen Erzähler.

 

Ich persönlich rechne es einem Erzähler hoch an, wenn er mir von Beginn an klarmacht, was er kann/darf und was nicht. Wenn er sich also seine Regeln setzt. Durchbricht er später die Regeln, die er selbst aufgestellt hat, empfinde ich das oft als Schwäche.

 

Twitter: @autorlekt

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(Peter_Dobrovka)

Es gibt immer einen Erzähler. Im Zweifelsfall ist es der Autor selbst.

Der Verzicht auf Vorausdeutungen und auktoriale Kommentare ist stets nichts weiter als eine Selbstbeschränkung, um gewisse Effekte zu erzeugen oder zu vermeiden.

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Ich bin ganz bei Susann. Ich fühle mich als Leser bevormundet, wenn ein Erzähler (der sich bis dato im Text freundlicherweise zurückgehalten hat, um den Erzählfluss und Wirklichkeitsillusion (schönes Wort, sorry) nicht zu brechen (s. a. Bethold Brecht), jetzt plötzlich einen allwissenden Ausflug in die Zukunft macht und Böses androht. Ich möchte diese Bedrohung eher athmosphärisch erleben und mir selbst erschließen. Die Handlung, die Beschreibung, die sichtbare Reaktion der Figur kann andeutend, vorausweisend sein, der Erzähler bitte nicht - finde und empfinde ich.

Neues wagen, Spaß haben, Mensch bleiben.

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(Peter_Dobrovka)

Das mag sein und auch legitim sein, aber das ist eine Geschmacksfrage und kann und darf nimmer als "Fehler" bezeichnet werden.

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