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Angelika Jo

Adjektiv, Syntax und Bilder - Stilfragen zu Krachts Imperium

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Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem Frühstück wieder eingeschlafen waren. Der Norddeutsche Lloyd, Gott verfluche ihn, sorgte jeden Morgen, reiste man denn in der ersten Klasse, durch das Können langbezopfter chinesischer Köche für herrliche Alphonso-Mangos aus Ceylon, der Länge nach aufgeschnitten und kunstvoll arrangiert, für Spiegeleier mit Speck, dazu scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier.

 

Dies die beiden ersten Sätze aus Christian Krachts "Imperium". Dazu schrieb MelanieM im Nachbarthread folgendes:

 

Der erste Satz im Buchladen zog mich noch rein - rein subjektives Erleben meinerseits. Aber dann kommt es zu einer Reizüberflutung in meinem persönlichen Empfinden. Und das ist weniger durch die Adjektive allein bedingt, sondern durch die Verschachtelung der Sätze. Die Verschachtelung ist durchaus gekonnt - man merkt, dass der Autor sein Handwerk beherrscht und seinen eigenen ironischen Unterton pflegt - das ist für jeden, der ein bisschen Ahnung hat, offensichtlich.

 

Trotzdem werde ich durch die Verschachtelung, durch die vielen, in nur einem Satz verpackten Informationen aus dem Lesefluss geworfen. Dieses Buch will erarbeitet werden, wenn man es gewohnt ist, schnell zu lesen und dabei viele Informationen schnell aufzunehmen, muss man bei diesem Buch drei Gänge zurückschalten. Das wiederum vermindert für mich den Lesegenuss. Ich sehe Bilder, aber eine Flut - dann muss ich zurückschalten, damit ich den Faden nicht verliere.  

Der Satz fängt mit einer allgemeinen Aussage an - über die Schiffsreise - aber dann geht er in einem einzige Satz bis in klitzekleine Details - er verweilt nicht, sondern packt gleich sehr viele Informationen vom Hundertsten ins Tausendste in den Satz.  

Und diese Form der Verpackung - alles auf einmal  ist nicht jedermanns Sache.

 

Drei Dinge wurden hier angesprochen:

1. die Vielzahl der Adjektive (hier ein bisschen zurückgenommen, an anderer Stelle aber moniert, vor allem die „langbezopften Chinesen“)

2. die „Bilderflut“

3. die „Verschachtelung“

 

Beginnen wir mit dem letzten. Was ist „Verschachtelung“? Von Schachtelsätzen spricht man, wenn ein Hauptsatz in sich einen Nebensatz birgt, der wiederum einen, der noch einen usw. Die deutsche Sprache bietet diese Möglichkeit, vor allem der Relativsatz kann sich dabei hervortun als abgründige Leiter hinab in immer weitere Gedankengänge, wenn man etwa vom Roman „Imperium“, dessen Autor gewisser Schäbigkeiten bezichtigt wurden, die speziell ein Redakteur eines Blattes aussprach, dessen Name mir hier nicht mehr einfallen will, der aber sicher allen Forumsmitgliedern bekannt ist, die ihrerseits ... Schachtelsätze dieser Art – Relativsatz auf Relativsatz – führen den lesenden Geist von einem Gedanken zum nächsten, obwohl der erste noch gar nicht fertig ist. Dann bekommt man Schwierigkeiten mit dem Verstehen.

 

Nun zu Kracht und den beiden Sätzen zu Beginn.

Da haben wir im ersten Satz drei nacheinander geschaltete Hauptsätze, getrennt durch das Adverb „dann“ und die Kopula „und“:

 

Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab,

 

An den Hauptsatz schließt sich ein sehr kurzer finaler Nebensatz an, der noch einen gleichfalls kurzen Relativsatz nach sich zieht:

um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem Frühstück wieder eingeschlafen waren.

 

Im zweiten Satz:

Der Norddeutsche Lloyd, Gott verfluche ihn, sorgte jeden Morgen, reiste man denn in der ersten Klasse, durch das Können langbezopfter chinesischer Köche für herrliche Alphonso-Mangos aus Ceylon, der Länge nach aufgeschnitten und kunstvoll arrangiert, für Spiegeleier mit Speck, dazu scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier.

haben wir einen einzigen Hauptsatz vor uns, einmal unterbrochen durch eine Apposition - Gott verfluche ihn -, einmal durch einen sehr elegant eingefügten konditionalen Gedanken - reiste man denn in der ersten Klasse -  ,der seiner besonderen Struktur wegen mehr einem Fragesatz ähnlich sieht als einem Nebensatz: Das Verb steht vorne, es gibt keinen Nebensatzeinleiter  („wenn“ normalerweise). Dass es überhaupt ein konditionaler Nebensatz ist, lässt sich an dem „denn“ ersehen, das wir aus altmodisch klingenden Wendungen wie „Geben ist seliger denn Nehmen“ oder "schöner denn je" kennen.

 

 

Schluss: Zwei Hauptsätze, der eine beherbergt zwei kurze Nebensätze, der andere einen, der sich noch dazu nicht als solcher aufführt. Allerdings stimmt es schon, dass viele Informationen in eine syntaktische Struktur gepackt werden, beide Sätze sind relativ lang. Aber: Beim Schachtelsatz stecken Informationen ineinander – das macht das Verstehen schwierig – hier kommen sie nacheinander! Überhaupt sind sie geprägt durch ein sehr bedächtiges Nacheinander in ihren feineren syntaktischen Strukturen:

 

Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament,

 

dreimal nacheinander die adverbiale Ortsangabe, eingeleitet jeweils durch dasselbe Wort. Darauf folgt drei Hauptsätze nacheinander, alle beschreiben ein Nacheinander des Geschehens:

 

da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab.

 

Im zweiten Satz ist das ganze lange Objekt ein einziges Nacheinander, ein Aufzählen der Köstlichkeiten, für die der Norddeutsche Lloyd sorgt:

 

...für herrliche Alphonso-Mangos aus Ceylon, der Länge nach aufgeschnitten und kunstvoll arrangiert, für Spiegeleier mit Speck, dazu scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier.

 

Die syntaktische Struktur ist so angeordnete, dass der lesende Geist den Worten folgen kann  - die Sätze stecken nicht ineinander, man muss nicht beständig nach dem Verb am Ende eines Nebensatzes suchen, sondern alles fließt hübsch nacheinander dahin.

 

Wenn jetzt jemand sagt – schön und gut, aber mich reißt das trotzdem aus meinem Lesefluss – dann wird das so sein. Ich weiß, dass Lerner unserer Sprache prinzipiell sich in kurzen Sätzen wohler fühlen als in langen. Lerner, also Leute mit anderen Muttersprachen oder Kinder. Normalerweise legt sich das mit fortschreitendem Lernprozess. Und natürlich ist der individuelle Geschmack auch noch da, er kann sich melden und sagen, dass ihn die Länge von Sätzen prinzipiell nicht erfreut. Klar. Nur hieß der Einwand:

 

Und diese Form der Verpackung - alles auf einmal  ist nicht jedermanns Sache.

 

Und das meine ich, widerlegt zu haben. Hier kommt nichts auf einmal, sondern - sogar extrem betont - nacheinander.

 

Erlaubt mir, hier zu unterbrechen, ich muss aus dem Haus.

Heute Abend mache ich gerne weiter mit den beiden anderen Punkten.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Ohha! Das hört sich beinahe schon danach an, dass Leser, die diese Sätze nicht mögen, noch in den Lerner- bzw. Kinderschuhen stecken. Du hast ja "widerlegt", dass es nicht jedermanns Sache ist.

Echt?  :-? Es darf doch hoffentlich noch immer "nicht jedermanns Sache sein".

 

Im anderen Thread kam die Frage auf, ob der Text besser würde, wenn man die Adjektive einfach streichen würde. Hier mal der Versuch, damit jeder selbst das lesen kann:

 

Unter den Wolken, unter der Sonne, unter dem Firmament, da war erst ein Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke zum Mittag, und ein Boy schritt das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem Frühstück wieder eingeschlafen waren. Der Norddeutsche Lloyd, Gott verfluche ihn, sorgte jeden Morgen, reiste man denn in der ersten Klasse, durch das Können chinesischer Köche für Alphonso-Mangos aus Ceylon, für Spiegeleier mit Speck, dazu Hühnerbrust, Garnelen, Reis und ein Porter Bier.

 

Natürlich ist das jetzt zu extrem. Aber so sehe ich zumindest schnell, welche Adjektive benötigt werden - und das sind doch schon einige.

 

Ich möchte gerne noch ausprobieren, wie es wäre, die Sätze zu entschachteln und wie das wirkt:

 

Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag. Ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem Frühstück wieder eingeschlafen waren. Der Norddeutsche Lloyd, Gott verfluche ihn, sorgte jeden Morgen für Reisende der ersten Klasse für ein wundervolles Mahl. Die langbezopften chinesischen Köche arrangierten dafür herrliche Alphonso-Mangos aus Ceylon, der Länge nach aufgeschnitten und kunstvoll arrangiert. Sie brachten Spiegeleier mit Speck, dazu scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier.

 

Jetzt könnte man noch ein paar Adjektive streichen, die eine Verbverdopplung, das "für .. für" und sicher noch einiges. Ich wollte es einfach nur mal wirken lassen, ohne zu sagen, dass es so definitiv besser sei! Wobei ich es so sicherlich leichter lesen kann.

 

Die Verschachtelung der Sätze mag gekonnt und korrekt sein. Ich glaube MelanieM sagte im letzten Thread, dass der erste Satz sie hineingesogen hätte, der zweite aber eine Reizüberflutung verursacht hätte. Ich denke, das Problem könnte auch in den Bildern selbst liegen. Der erste Satz hat ruhigere Bilder: Himmel, langes Tuten, sanftes Wecken, schlafende Passagiere.

Der zweite Satz besteht weniger aus ruhigen Bildern als aus Informationen: ein norrdeutscher Lloyd, erste Klasse Reisende, chinesische Köche, kunsvoll arrangierte Alphonos-Mangos  und anderes Essen.

Beide Sätze führen vom Großen zum Detail. Vom Himmel - auf ein Schiff - zu den Passageren auf den Liegen. Und vom gottverfluchten Lloyd - über die erste Klasse - zu den Köchen - zu der Mango und anderem Essen.

Aber hier, finde ich, sieht man schon, dass es im zweiten Satz weitaus weniger gelungen ist. Der Lloyd ist schon sehr detailliert. Es geht also nicht wirklich vom Allgemeinen ins Spezielle. Und ich glaube, dass hier die Schwierigkeit liegt. Der erste Satz führt uns durch einen Zoom zum Schauplatz. Der zweite zoomt nicht wirklich, sondern schwenkt eher - und durch die Verschachtelung wirkt das sehr schnell; es fehlt der Punkt als Atempause. Vor allem fokussiert der erste Satz den Schauplatz - das Schiffsdeck. Der zweite Satz beginnt aber mit dem Fokus auf dem Lloyd (da er schon so detailliert beschrieben wird, ein Mensch ist (also kein Mensch, sondern Schiffslinie ;D), nicht austauschbar wirkt), kommt aber nie mehr auf ihn zurück.

 

Das ist mal mein Senf   :s02

Na, ich bin gespannt auf die Diskussion hier!

Herzliche Grüße,

Jurenka

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Ohha! Das hört sich beinahe schon danach an, dass Leser, die diese Sätze nicht mögen, noch in den Lerner- bzw. Kinderschuhen stecken. Du hast ja "widerlegt", dass es nicht jedermanns Sache ist.

Echt?  :-? Es darf doch hoffentlich noch immer "nicht jedermanns Sache sein".

 

 

Vielen Dank, Jurenka.

Genau so erlebe ich es nämlich auch.

 

Gruß, Melanie

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Beide Sätze führen vom Großen zum Detail. Vom Himmel - auf ein Schiff - zu den Passageren auf den Liegen. Und vom gottverfluchten Lloyd - über die erste Klasse - zu den Köchen - zu der Mango und anderem Essen.

Aber hier, finde ich, sieht man schon, dass es im zweiten Satz weitaus weniger gelungen ist. Der Lloyd ist schon sehr detailliert. Es geht also nicht wirklich vom Allgemeinen ins spezielle. Und ich glaube, dass hier die Schwierigkeit liegt. Der erste Satz führt uns durch einen Zoom zum Schauplatz. Der zweite zoomt nicht wirklich, sondern schwenkt eher - und durch die Verschachtelung wirkt das sehr schnell; es fehlt der Punkt als Atempause. Vor allem fokussiert der erste Satz den Schauplatz - das Schiffsdeck. Der zweite Satz beginnt aber mit dem Fokus auf dem Lloyd (da er schon so detailliert beschrieben wird, ein Mensch ist, nicht austauschbar wirkt), kommt aber nie mehr auf ihn zurück.

 

 

Auch das habe ich genauso erlebt - der erste Satz zeugt von Ruhe - aber im zweiten Satz bricht das ruhige Bild - es wird unruhig, überflutet und kommt nicht mehr zum Ausgang zurück.

 

Gruß, Melanie

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Ohha! Das hört sich beinahe schon danach an, dass Leser, die diese Sätze nicht mögen, noch in den Lerner- bzw. Kinderschuhen stecken. Du hast ja "widerlegt", dass es nicht jedermanns Sache ist.

Echt?  :-? Es darf doch hoffentlich noch immer "nicht jedermanns Sache sein".

 

Entschuldigung, wenn das so angekommen ist. Widerlegt zu haben glaube ich die Behauptung, in den beiden Sätzen von Kracht käme "alles auf einmal". Welcher jedermann auch immer sich welche Sachen zu eigen macht, geht mich weder was an noch interessiert es mich besonders.

 

Und zur sachlichen Klarstellung hier:

Aber hier, finde ich, sieht man schon, dass es im zweiten Satz weitaus weniger gelungen ist. Der Lloyd ist schon sehr detailliert. Es geht also nicht wirklich vom Allgemeinen ins Spezielle. Und ich glaube, dass hier die Schwierigkeit liegt. Der erste Satz führt uns durch einen Zoom zum Schauplatz. Der zweite zoomt nicht wirklich, sondern schwenkt eher - und durch die Verschachtelung wirkt das sehr schnell; es fehlt der Punkt als Atempause. Vor allem fokussiert der erste Satz den Schauplatz - das Schiffsdeck. Der zweite Satz beginnt aber mit dem Fokus auf dem Lloyd (da er schon so detailliert beschrieben wird, ein Mensch ist, nicht austauschbar wirkt), kommt aber nie mehr auf ihn zurück.

 

"Der Lloyd" ist kein Mensch, sondern die Schiffslinie unter der das Schiff fährt, von dem die Rede ist.

 

Angelika, jetzt aber wirklich weg

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Der zweite Satz beginnt aber mit dem Fokus auf dem Lloyd (da er schon so detailliert beschrieben wird' date=' ein Mensch ist, nicht austauschbar wirkt), kommt aber nie mehr auf ihn zurück.[/quote']

 

Ich hatte mal das Vergnügen, mit Hapag Lloyd den Ozean zu überqueren, daher wusste ich gleich, was das ist.

 

@Angelika, ich konnte das sehr gut nachvollziehen mit dem "Nacheinander". Das ist wohl der Grund, dass es mich nicht aus dem Lesefluss gerissen hat, wie es schon bei anderen Texten passiert ist. Da suche ich dann nach einem Zusammenhalt-der hier gegeben ist. Muss jetzt auch runterfahren, vielen Dank für diese aufschlussreichen Erörterungen!

 

Herzlichst

Christa

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Hoppala, da bin ich ja mal die ganz falsche Linie gefahren  ;)

Gut, lesen sollte man schon können. Wo war noch mal der Workshop beim montsegúr-Treffen "Ausschreibungen richtig lesen"? Den können wir ja erweitern.

 

Dennoch schmälert das nur begrenzt mein Empfinden. Damit geht es zwar tatsächlich wieder mehr vom Allgemeinen zum Detail. Die Informationsfülle ist im zweiten Satz trotzdem erheblich größer und das Folgen damit - für mich - schwieriger.

 

Dann bis später ...

Liebe Grüße,

Jurenka

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Der zweite zoomt nicht wirklich' date=' sondern schwenkt eher - und durch die Verschachtelung wirkt das sehr schnell; es fehlt der Punkt als Atempause. [/quote']

Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, der Punkt bzw der fehlende Punkt. Sätze, die viele Informationen nebeneinander stellen, wirken heute verschachtelt, auch wenn sie das grammatikalisch gar nicht sind.

 

Und werfen Leser schnell aus dem Text. Angelika hat uns das ja auch schon mit dem Telkamp-Satz gezeigt, der ebenfalls grammatikalisch gar nicht sehr verschachtelt war, von vielen aber so wahrgenommen wurden.

 

Möglicherweise sind solche Sätze, wenn sie gesprochen werden, auch viel einfacher zu verstehen. Weil dann die Stimme das modulieren kann, was vielen heutigen Lesern als Atempause fehlt.

 

Danke, Jurenka, für deine Beispiele. Das zeigt ja schön, wie unterschiedliche beide Versionen wirken - obwohl sie eindeutig den gleichen Inhalt haben.

 

Möglicherweise werden Punkt und Komma auch unterschiedlich wahrgenommen? Beide sind ja Satzzeichen, die eine Pause, eine Trennung andeuten. Und ich vermute mal, dass früher Texte sehr viel mehr Kommas enthalten haben als Punkte, ganz egal, ob bei Thomas Mann oder Karl May.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Zunächst einmal finde ich es sehr interessant, dass der scheinbar so verschachtelte Textauszug so verschachtelt gar nicht ist.

 

Jurenkas Umformungen zeigen, wie ich finde, sehr genau auf, was Kracht mit dieser Sprache leistet: Er erzeugt einen ganz bestimmten Ton. Einen Ton, der sich auf einen anderen Tonfall bezieht: Das ist spätes 19., frühes 20. Jahrhundert, das ist Thomas Mann. (In Jurenkas Umformung ist z. B. das "Gott verfluche ihn" ein Fremdkörper.) So etabliert Kracht neben der opulenten Szenerie vor allem seinen Erzähler und charakterisiert ihn als Ironiker.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Dass der Lloyd eine Schifffahrtslinie ist, ist mir als Hamburgerin selbstverständlich klar - aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich Jurenkas Empfinden teile - die Lesbarkeit des Textes ist durch die Art, wie die Sätze aufgebaut wurden, reduziert, denn sie bedient sich nicht der an das normale gesprochene Wort angelehnten Sprache, sondern einer Kunstform, die zwar verständlich ist, aber so nicht gesprochen wird.

Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste - aber der erneute Bezug zum Ausgangsbild fehlt. In seiner vollsten Ausprägung würde man es "Ideenflucht" nennen - wenn ein Wort das nächste gibt, darauf aufbaut, aber der vorherige Bezug gar nicht mehr kommt. Hier gibt es Ansätze, wobei die grammatikalischen Regeln nach wie vor eingehalten werden, was bei einer echten Ideenflucht nicht mehr der Fall ist.

 

Gruß, Melanie

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Ja, das passt doch wieder hervorragend - danke Andreas. Der Sprachstil orientiert sich am früheren Stil und ist damit vielleicht "unmodern"?

 

Weil es mir Freude macht, mag ich den Absatz nochmals umformulieren - moderner wohl:

 

Unter den langen Wolken und unter der herrlichen Sonne erklang ein langgedehntes Tuten und anschließen rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag. Der malayische Boy lief leise über das Oberdeck, um die Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem Frühstück wieder eingeschlafen waren. Jeden Morgen versorgte das Kreuzfahrtschiff die Passagiere der ersten Klasse mit einem feudalen Mahl. Die chinesischen Köche mit ihren langen Zöpfen verzierten dafür Mangos, tischten Spiegeleier mit Speck, scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier auf.

 

Naja, ein Versuch  :)

Jetzt muss ich aber auch los.

Bis später. Herzliche Grüße,

Jurenka

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Unter den langen Wolken und unter der herrlichen Sonne

Das weckt bei mir andere Bilder, weil ich mich frage: Lange Wolken, wieso dann Sonne?

 

Insofern ist Krachts Version "Unter den langen, weißen Wolken" zwar ein Adjektiv mehr, aber weckt bei mir eher ein Bild, auch das "prächtig" klingt anschaulicher als "herrlich".

 

Was zeigt, dass es gar nicht so einfach ist mit diesem Text.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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die Lesbarkeit des Textes ist durch die Art' date=' wie die Sätze aufgebaut wurden, reduziert, denn sie bedient sich nicht der an das normale gesprochene Wort angelehnten Sprache, sondern einer Kunstform, die zwar verständlich ist, aber so nicht gesprochen wird. [/quote']

Melanie, das glaube ich nicht, ganz im Gegenteil wird oft so gesprochen. Vom Hundertsten ins Tausende, nur durch Komma getrennt. Aber beim Lesen sind wir anderes gewohnt.

 

Ich vermute sogar, dass - von einem guten Sprecher gesprochen - viele, die den Text jetzt als "überladen" empfinden, ganz anders wahrnehmen würden.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Was zeigt' date=' dass es gar nicht so einfach ist mit diesem Text.[/quote']

 

Ich noch mal kurz. Mein "Verdacht", dass es gerade die Adjektive (und Adverben) sind, die diesen Textausschnitt so reizvoll machen, hat sich für mich bestätigt.

 

Das hier sind sie:

langen weißen prächtigen hellen langgedehntes eindringlich malayischer sanftfüßig leise behutsamem langbezopfter chinesischer herrliche aufgeschnitten kunstvoll arrangiert scharf eingelegte aromatischen kräftiges englisches

 

Alles, was man da rausoperiert, lässt es kalt, leer und tot aussehen, finde ich, macht es zwar schneller und einfacher lesbar, ohne dass es jedoch diese einzigartige Atmosphäre vermittelt. Und die ist so, als wäre ich selbst dabei gewesen.

 

Christa-bis denne

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Hallo zusammen,

 

wenn man sich nur die ersten beiden Sätze ansieht, wird eins klar: Kraft arbeitet hier mit einer Zeitlichkeit und einem Zeitkollerit, die er durch bestimmte Stilmittel erst in den Text einbringt und die alle eine bestimmte Funktion haben.

Konkret:

 

Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament

Indem er hier drei grammatisch gleiche oder zumindest gleichwertige Konstruktionen verwendet, erreicht er einen bestimmten Effekt: Im Prinzip gibt es drei mögliche Anfänge und somit eine gewisse Verzögerung oder Sperre.

 

da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag,

Das "da" setzt die ersten drei Satzelemente in einen bestimmten zeitlichen Bezug und ordnet sie ein. Das "Tuten" verweist auf die Fortbewegungsart- und führt ein Schiffsmotiv ein, die Schiffsglocke ordnet die ersten Zeitverweise genau ein und führt das Motiv der Fortbewegung weiter. In Verbindung mit den ersten Motiven ist aber schon durch die Blickweise klar, dass es sich um eine bestimmte Form der Schiffsreise handelt.

 

und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem Frühstück wieder eingeschlafen waren.

 

der "malayische Boy" ordnet den Text zeitlich ein, weil die Bezeichnung eben nur in einer bestimmten Zeit verwendet wurde. Denn die Bezeichnung "Boy" bezieht sich darauf, dass er nie "Herr" sein kann- und hat eine rassistische Nebenbedeutung. Das bedeutet nicht, dass der Text eine hat, sondern verweist auf den Zeitpunkt der Handung. "Malayisch" selber grenzt den Zeitraum weiter ein, weil er sich in Verbindung mit "Boy" eben auf die niederländische Kolonialgeschichte bezieht.

Dazu gehört auch Oberdeck, was die später auftretenden Figuren einortet und eine bestimmte Form des Koloniallebens.

 

 

Der Norddeutsche Lloyd, Gott verfluche ihn,

Hier dient "Gott verfluche ihn" sicherlich zur Charakterisierung des Erzählers, während der "Norddeutsche Lloyd" sich weiter auf die Fortbewegung bezieht und nun eine Verbindung zur Zeit schlägt.

 

sorgte jeden Morgen, reiste man denn in der ersten Klasse, durch das Können langbezopfter chinesischer Köche für herrliche Alphonso-Mangos aus Ceylon, der Länge nach aufgeschnitten und kunstvoll arrangiert, für Spiegeleier mit Speck, dazu scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier.

 

",reiste man denn in der ersten Klasse" ordnet die Figuren weiter ein, ist aber schon ein Kommentar zu den ersten Absätzen, genau wie die Menüzusammenstellung. Dabei dienen die "langbezopften, chinesischen Köche" ebenfalls dem Zeitkollerit, sowie bedienen eine bestimmte Vorstellung wie der "malayische Boy".

 

Somit hat der Erzähler hier Zeit und Zeitkollerit niederländische Kolonialzeit eingeführt, das gesamte kommentiert und die "Reise erster Klasse" und die später dazu kommenden Figuren eingeordnet.

Sprachlich ist das äußerst elegant, weil hier jedes Adjektiv, jeder Nebensatz eine erweiterte Bedeutung hat. Sicherlich ist das für den Leser nicht leicht konsumierbar- im Sinne der Lesefreundlichkeit. Kraft erarbeitet hier aber eine ganze Menge, die er im weiteren Verlauf für seinen Roman braucht.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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die Lesbarkeit des Textes ist durch die Art' date=' wie die Sätze aufgebaut wurden, reduziert, denn sie bedient sich nicht der an das normale gesprochene Wort angelehnten Sprache, sondern einer Kunstform, die zwar verständlich ist, aber so nicht gesprochen wird. [/quote']

Melanie, das glaube ich nicht, ganz im Gegenteil wird oft so gesprochen. Vom Hundertsten ins Tausende, nur durch Komma getrennt. Aber beim Lesen sind wir anderes gewohnt.

 

Ja, es gibt solche Leute - die sich im Gespräch in Details verlieren. Aber dann kann dreierlei passieren:

1. alle schweifen gemeinsam ab

oder

2. andere Gesprächspartner kommen wieder gemeinsam auf den Ausgangspunkt zurück

oder

3. nach und nach ziehen sich alle diskret zurück, bis der Abschweifer allein im Zimmer sitzt

 

Da aber in der Literatur eine andere Kommunikation erfolgt - nämlich der Autor dem Leser einseitig etwas erzählt - wird im allgemeinen eine Sprachform erwartet, die es dem Leser möglichst leicht macht, bei der Stange gehalten zu werden.

 

Und Krachts Stil ist kein Stil, der es jedem Leser leicht macht, bei der Stange gehalten zu werden. Das ist nichts, was man bewerten muss, sondern einfach eine Tatsache. Es gibt Leute, denen gefällt es und es gibt Leute, denen es nicht gefällt.

 

Gruß, Melanie

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Ich hatte eben nicht das gefühl, da schweift einer ab. Die Melodie des Satzes hat mir ganz klar gezeigt, wo ich in Gedanken Pausen machen muss und was wie zusammen gehört. Und als Norddeutsche war mir auch gleich klar, wer oder was der Norddeutsche Lloyd sein soll. Das klärt aber dann auch Probleme - wenn man den Lloyd nicht einordnen kann, dann versteht man den Satz ja gar nicht. Vielleicht ist das Problem ja eines der Erfahrungen. Dassman bestimmte Leseerfahrungen braucht, um die Sätze zu mögen.

 

Und nein, die Adjektive dürfen eben nciht weg, dann wird es sehr austauschbar. Und bei mir hat sich auch dieses comicartige Gefühl durch genau die Adjektive im ersten Satz eingestellt, die prächtige Sonne, das helle Firmament, die langen weißen Wolken zeichnen ein Bild, das mit Klischees spielt, finde ich. Schon an der Stelle lächelt man, weil es eine Verzerrung gibt ins zu Schöne.

 

Viele grüße

annette

http://annette-amrhein.de/

Ein Beitrag in "Zeit zum Genießen",  Insel Verlag 2021 

ebook für Kinder: 24 Geschichten für Weihnachten und Advent, amazon

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Zunächst einmal finde ich es sehr interessant, dass der scheinbar so verschachtelte Textauszug so verschachtelt gar nicht ist.

 

Jurenkas Umformungen zeigen, wie ich finde, sehr genau auf, was Kracht mit dieser Sprache leistet: Er erzeugt einen ganz bestimmten Ton. Einen Ton, der sich auf einen anderen Tonfall bezieht: Das ist spätes 19., frühes 20. Jahrhundert, das ist Thomas Mann. (In Jurenkas Umformung ist z. B. das "Gott verfluche ihn" ein Fremdkörper.) So etabliert Kracht neben der opulenten Szenerie vor allem seinen Erzähler und charakterisiert ihn als Ironiker.

 

Liebe Grüße

Andreas

 

Ich finde diesen Einstieg, der auf mich einen starken Sog entwickelt und mich durch seine Sprache sofort in die Zeit und an den Ort des Geschehens versetzt, auch äusserst gelungen. Verstehen kann man die sprachlichen Bezüge auf das ausgehende 19./beginnende 20. Jahrhunderts nur, wenn man mit Literatur aus dieser Zeit vertraut ist. Gefallen muss der Stil einem auch dann noch lange nicht. Mir machen die ersten beiden Sätze Lust auf mehr.

 

Angelika, danke für die schöne Analyse des Anfangs!

 

Mascha

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Da aber in der Literatur eine andere Kommunikation erfolgt - nämlich der Autor dem Leser einseitig etwas erzählt - wird im allgemeinen eine Sprachform erwartet, die es dem Leser möglichst leicht macht, bei der Stange gehalten zu werden.

 

Wer behauptet denn sowas?

Koennen wir vielleicht wenigstens "im Allgemeinen" an dieser Stelle mal definieren?

Mir zumindest ist eine solche Forderung an die Ausdrucksmittel von Literatur voellig fremd.

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Wer behauptet denn sowas?

Koennen wir vielleicht wenigstens "im Allgemeinen" an dieser Stelle mal definieren?

Mir zumindest ist eine solche Forderung an die Ausdrucksmittel von Literatur voellig fremd.

 

Dito.

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Ich gebe euch völlig recht; das Zeitkolorit ist durch Worte und Stil von Kracht toll getroffen.

Und ich hatte das gleiche Gefühl beim Schreiben der letzten Version: Hier geht einiges an Stimmung verloren. Dennoch liest sich für mich auch meine letzte Version einfacherer.

 

die Lesbarkeit des Textes ist durch die Art' date=' wie die Sätze aufgebaut wurden, reduziert, denn sie bedient sich nicht der an das normale gesprochene Wort angelehnten Sprache, sondern einer Kunstform, die zwar verständlich ist, aber so nicht gesprochen wird. [/quote']

Melanie, das glaube ich nicht, ganz im Gegenteil wird oft so gesprochen. Vom Hundertsten ins Tausende, nur durch Komma getrennt. Aber beim Lesen sind wir anderes gewohnt.

 

Das mag vielleicht sein, aber sicher nicht in der Kombination mit den Worten, oder?

Firmament, schritt sanftfüßig ab, um jene, reiste man denn, langbezopfter etc.

Und bestimmt ist der norddeutsche Lloyd ein Hindernis, wenn man nicht gleich begreift, dass das Schiff damit gemeint ist. Es mag also von der Leseerfahrung bzw. ganz einfach vom Wissen des Lesers abhängen, ob er den Inhalt aufnehmen kann.

Und je mehr Spezialwissen gefordert wird (damit meine ich jetzt nicht einmal speziell "Imperium"), desto mehr Leser verliert man wohl.

 

Mir kommt es ein wenig vor, wie die Diskussionen damals beim zweiten James Bond mit Daniel Craig. Der war ja brutal schnell geschnitten, was extrem viele abgeschreckt hat.

Krach scheint sich ja eher am älteren Stil zu orienieren und der kann in der heutigen Zeit sicher den Lesefluss hemmen - und dem einen gefallen und dem anderen eben nicht.

Bleibt die interessante Frage aus dem anderen Thread: Gibt es überhaupt allgemeingültige Qualitätskriterien oder ist doch alles einfach nur geschmackssache?

 

Viele Grüße,

Jurenka

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Zunächst einmal finde ich es sehr interessant, dass der scheinbar so verschachtelte Textauszug so verschachtelt gar nicht ist.

 

Jurenkas Umformungen zeigen, wie ich finde, sehr genau auf, was Kracht mit dieser Sprache leistet: Er erzeugt einen ganz bestimmten Ton. Einen Ton, der sich auf einen anderen Tonfall bezieht: Das ist spätes 19., frühes 20. Jahrhundert, das ist Thomas Mann. (In Jurenkas Umformung ist z. B. das "Gott verfluche ihn" ein Fremdkörper.) So etabliert Kracht neben der opulenten Szenerie vor allem seinen Erzähler und charakterisiert ihn als Ironiker.

 

Liebe Grüße

Andreas

 

Ich finde diesen Einstieg, der auf mich einen starken Sog entwickelt und mich durch seine Sprache sofort in die Zeit und an den Ort des Geschehens versetzt, auch äusserst gelungen. Verstehen kann man die sprachlichen Bezüge auf das ausgehende 19./beginnende 20. Jahrhunderts nur, wenn man mit Literatur aus dieser Zeit vertraut ist. Gefallen muss der Stil einem auch dann noch lange nicht.

 

Ganz und gar einverstanden, Mascha! Das finde ich ist auch eine der Qualitäten solch fein gearbeiteter Texte: Man braucht diese Art Vorwissen nicht, um reingezogen zu werden, aber wenn man es hat, öffnen sich einem weitere Türen.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Man braucht diese Art Vorwissen nicht' date=' um reingezogen zu werden, aber wenn man es hat, öffnen sich einem weitere Türen.[/quote']

 

Man kann andererseits auch durchaus das Vorwissen haben, auch einige Bücher des 19. Jahrhunderts sehr schätzen, und dennoch zieht es einen nicht in die Geschichte, denn die Literatur des 19. Jahrhunderts ist ja auch heterogen.

 

@Charlie & Mascha

Ihr habt mich da missverstanden - mit im Allgemeinen bezog ich mich darauf, dass ein Autor normalerweise keinen Dialog mit seinem Leser führt, sondern er ist der Erzähler und der Leser nimmt es auf.

 

Gruß, Melanie

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Ich verstehe trotzdem nicht, was du dann gemeint hast, Melanie.

 

Herzlichst

jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Ich verstehe trotzdem nicht' date=' was du dann gemeint hast, Melanie.[/quote']

 

Dass Leser nicht mit dem Buch in einen Dialog treten und nachfragen können und dass der Autor deshalb seine Leser fesseln muss, damit sie das Buch weiterlesen und nicht weglegen, wenn es ihm wichtig ist, dass er gelesen wird.

 

Ich habe das übrigens ganz wertneutral gemeint. Dennoch verstärkt sich der Eindruck, dass meine offene, neutrale Meinungsäußerung - warum ich persönlich den Stil nicht mag - dazu genutzt wird, krampfhaft aufzeigen zu wollen, dass ich falsch liege. Ich habe niemandem seinen Geschmack abgesprochen, weil ihm Kracht gefällt. Ich habe nirgendwo gepostet, dass dieses Buch nicht gut wäre. Im Gegenteil, diese ganze Diskussion wäre überhaupt nicht zustande gekommen, wenn ich das Thema nicht aufgebracht hätte, weil mich der Inhalt des Buches interessiert hat und ich einfach nur wissen wollte, ob der Stil so bleibt oder nicht. Diese Frage ist schon lange beantwortet worden. Ich persönlich hätte es spannend gefunden, wenn man mal vergleicht, was den einen fasziniert und den anderen eben nicht. Stattdessen wird es nicht gleichermaßen wertneutral stehen gelassen - wie es eigentlich angemessen wäre - sondern bekommt so einen Touch in die Richtung: "Wichtige Leute haben dieses Buch gelobt, also ist es gut."

 

Wenn damit sowieso schon alles gesagt ist, kann man sich die Diskussion auch schenken - denn Diskussion lebt doch von unterschiedlichen Wahrnehmungen, die man gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen sollte.

 

Gruß, Melanie

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