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Angelika Jo

Adjektiv, Syntax und Bilder - Stilfragen zu Krachts Imperium

Empfohlene Beiträge

Ich habe das Buch gerade durchgelesen und das sind meine persönlichen Eindrücke:

 

Sperrig ist es nicht, dieser Eindruck der Leseprobe hat sich bestätigt. Ebenfalls der Effekt, dass er am Anfang gerne lange, in vielen Details schwelgende Beschreibungen schreibt, in der Folge, wenn er in die Szene hineingeht, werden die Sätze kürzer, die Beschreibungen nicht mehr so opulent.

 

Dass die Stimme nur stellenweise dandyhaft ist, hat sich für mich ebenfalls bestätigt. Er kommt seinen Figuren durchaus näher, auch wenn er sie immer mit Ironie, manchmal auch mokierend betrachtet.

 

Im letzten Drittel hatte ich Probleme, was hier schon angemerkt wurde, dass er seine Figur wieder demontieren würde, ist mir auch aufgefallen, allerdings auf andere Art. Ich hatte den Eindruck, dass er nach dem Ausflug zu den Sonnenesser-Betrüger immer mehr den Draht zu Engelhardt verliert. Während sie mir vorher lebendig vor Augen stand, schildert er sie jetzt nur noch. "Paranoia" und "Antisemitismus" schreibt er ihr zu, aber das sind für mich Zuschreibungen, das kann ich glauben oder nicht (zumindest den Antisemitismus glaube ich ihm nicht so recht). Aber er kann mir das nicht an der Figur zeigen, der Text verliert mich dort ein bißchen. Dort scheint es mir wirklich nur noch ein Wortfeuerwerk zu sein, das aber inhaltsleer bleibt.

 

Der Schluss ist wieder großartig gelungen, vor allem die Rückkehr zum Anfang, nun erscheinen die langen Sätze mit ihren Details als Einführungsszene eines Films.

 

Wie gesagt, mein persönlicher Eindruck von dem Buch.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Puh' date=' habe ich die letzten Stunden mit dem Lesen dieses heute erst enteckten, tollen Threads verbracht. Danke!  :)[/quote']

 

Was bin ich froh, Karla, dass endlich eine kommt und diesen thread enteckt. Wer weiß, wie lange er noch so eckig hätte rumlaufen müssen!

 

Daneben freue ich mich natürlich, dass dir die Lektüre gefallen hat.

 

Herzlich,

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Zunächst einmal ist dieser anachronistische Stil natürlich mit seiner Gespreiztheit für sich genommen komisch. Heute so zu schreiben ist automatisch ironisch - oder wird zumindest so wahrgenommen. Ich glaube aber, dass es mehr ist. Über die Leser will der Autor sich mit diesem Erzähler bestimmt nicht lustig machen. Eher parodiert er seine literarischen Vorbilder, insbesondere den schon vielfach erwähnten Mann. Der Erzähler setzt sich eine Maske auf, es ist die Maske des allwissenden Erzählers jener Zeit. Schon Thomas Mann hat ja mit seinem ironischen Erzähler den allwissenden Erzähler des 19. Jahrhunderts parodiert. Indem Kracht sich auf Mann bezieht, verdoppelt er die Ironisierung. Nun ist aber genau das das Moderne (bzw. Postmoderne) an dem Text: das Spiel mit den Formen.

 

Darauf wollte ich noch einmal zurückkommen, auf die von Andreas wahrgenommene Verdoppelung der Ironisierung.

 

Der Roman ist ja eine Collage aus der scheinbar biographisch angelegten Geschichte August Engelhardts und dem Schicksal der Comicfiguren Slütter, Pandora und Herr November. Da der Autor der "Südseeballade" zuvor selbst schon sein Spielchen getrieben hat, indem er seinen ausgedachten Figuren ein Zusammentreffen mit Jack London, Rasputin und Butch Cassidy erlaubt hat, bekommt für mich hier die Doppelbödigkeit dauern noch ein Stockwerk mehr dazu.

 

Ich wollte noch etwas zitieren aus dem Vorwort zu Bd. 11 der FAZ Comic-Klassiker-Serie "Corto Maltese" von Hugo Pratt. Da vermerkt der Comic-Experte Andreas Platthaus, dass die spektakuläre Biographie des Comic-Helden Corto Maltese noch übertroffen wird von der ihres Schöpfers Hugo Pratt, der sich so oft selbst erfand, dass kein Mensch weiß, welche seiner Angaben über Kriegsteilnahme als 14jähriger, Kenntnisse in mehreren abessinischen Eingeborenensprachen, Tätigkeiten als Spion, Partisan, Tänzer und Sänger stimmen. Hugo Pratt über sich selbst:

 

Ich verfüge über dreizehn Versionen meines Lebens. Heute wähle ich die siebte. Aus Liebe zur Zahl Sieben.

 

Und Platthaus über Hugo Pratt:

 

Es gibt wenige Zeichner, die so sehr mit einer spezifischen Stimmung ihrer Geschichten verbunden werden, wie es bei dem italienischen Globetrotter der Fall ist. Pratt - dieser Name steht für einen melancholischen Fatalismus, der vor der Folie des realen weltgeschichtlichen Geschehens alle Akteure zu Getriebenen macht, die nichts anderes zu verfolgen glauben als ihre persönlichen Phantasmagorien und doch nur das Wirken des Weltgeistes befördern. Mit Hegel könnte man sagen: Pratt hat seine Zeit in Comics gefasst.

 

Dasselbe kann man von meiner Seite her auch über "Imperium" sagen, dessen Autor die Ironie Thomas Manns ironisiert und neben dem "realen weltgeschichtlichen Geschehen" die erfundenen Figuren aus zeitgenössischen Comics zu gleichberechtigten Antagonisten erhebt. Ironisierung der Ironie und Erfindung des Erfundenen.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

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Ich komme jetzt gar nicht mehr dazu, wuerde aber, wenn's Euch recht ist (es lesen ja noch welche, oder?) den Thread nach Ostern sehr gern noch einmal beleben duerfen.

 

Fuers erste bedanke ich mich bei Angelika und vielen anderen fuer so viele Gedankenanstoesse und Augenoeffner! Ich habe hier sehr viele Anregungen bekommen, ueber die ich noch eine Weile nachdenken und nachlesen moechte.

 

Angelikas Fazit - ein Buch, das ihr gefaellt, das sie aber nicht moegen kann - war fuer mich ein richtiger Blitzeinschlag. Das finde ich blendend formuliert, und es kommt viel naeher als das, was ich auch erlebt habe und mit "So what?", "Leere", "etwas nicht verstanden haben" voellig unzureichend zu beschreiben versucht habe.

 

Mir hat dieser enorm kompakte, fast aus dem bunten Cover platzende und dabei so praezises, zielgerichtet gearbeitete Roman enorm imponiert. Mehr noch als "Faserland". Er hat mir viel Vergnuegen bereitet - weniger durch seine Komik, als durch seine Brillanz. Aber es ist auch ein Buch, in dem ich wohl noch mal blaettern, etwas pruefen, etwas anders betrachten, das ich aber nicht noch einmal lesen moechte. Und warum das so ist, weiss ich noch immer nicht ganz so genau.

Weshalb ich, glaube ich, nach Ostern den Thread in Ruhe noch einmal durchblaettere.

 

Vielen Dank und herzliche Gruesse,

Charlie

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

Lektorat, Übersetzung, Ghostwriting, Coaching www.charlotte-lyne.com

 

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Charlie,

 

ich würde auch gerne noch über das Buch reden. Habe es erst vor ein paar Tagen bekommen und will es über Ostern lesen. Danach könnten wir uns ins Gefecht stürzen, vielleicht finden sich noch Mitstreiter.

 

Liebe Grüße,

 

Mascha

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Groovy!

"Der soll was anderes kaufen. Kann der nicht Paris kaufen? Ach nein, in Paris regnet's ja jetzt auch."

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Zunächst einmal ist dieser anachronistische Stil natürlich mit seiner Gespreiztheit für sich genommen komisch. Heute so zu schreiben ist automatisch ironisch - oder wird zumindest so wahrgenommen. Ich glaube aber, dass es mehr ist. Über die Leser will der Autor sich mit diesem Erzähler bestimmt nicht lustig machen. Eher parodiert er seine literarischen Vorbilder, insbesondere den schon vielfach erwähnten Mann. Der Erzähler setzt sich eine Maske auf, es ist die Maske des allwissenden Erzählers jener Zeit. Schon Thomas Mann hat ja mit seinem ironischen Erzähler den allwissenden Erzähler des 19. Jahrhunderts parodiert. Indem Kracht sich auf Mann bezieht, verdoppelt er die Ironisierung. Nun ist aber genau das das Moderne (bzw. Postmoderne) an dem Text: das Spiel mit den Formen.

 

Darauf wollte ich noch einmal zurückkommen, auf die von Andreas wahrgenommene Verdoppelung der Ironisierung.

 

Der Roman ist ja eine Collage aus der scheinbar biographisch angelegten Geschichte August Engelhardts und dem Schicksal der Comicfiguren Slütter, Pandora und Herr November.

Da kann ich noch eine Anspielung beitragen: Erich Scheuermanns "Der Papalagi", ein (fiktiver) Bericht eines Südseehäuptlings, der Europa vor dem 1. Weltkrieg bereist habe. Witzig geschrieben, aber natürlich die Form von Romantik, der auch Engelhardt anhing.

 

Kam in den SIebzigern mit der Alternativbewegung nochmal richtig groß raus und soll mittlerweile mehr als 1,7 Millionen Auflage haben.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Ich lese es (langsam und genüsslich) momentan ausschließlich in der Mittagspause, weil ich mehrere andere "in Arbeit" habe und würde die Diskussion auch gerne bis nach Ostern verlängern.

 

Besonders, neben der Sprache und den ausgeklügelt verschachtelten Sätzen (die ich leichter zu verstehen finde als bei Mann) gefällt mir dieser ironische Ton des Erzählers, auch wenn es etwas "abgehoben" klingt. Darin finde ich mich wieder, insofern habe ich eher das Gefühl, mich zeitweise mit dem Erzähler zu identifizieren (und kann somit damit leben, dass er zu den Figuren distanziert bleibt).

 

Edit: weiß jemand, auf welches Bild sich der Autor auf Seite 92 bezieht?

Liebe Grüße, Susanne

 

"Books! The best weapons in the world!" (The Doctor)

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Besonders' date=' neben der Sprache und den ausgeklügelt verschachtelten Sätzen (die ich leichter zu verstehen finde als bei Mann) gefällt mir dieser ironische Ton des Erzählers, auch wenn es etwas "abgehoben" klingt.[/quote']

 

Ich habe mir jetzt, angeregt durch die Diskussion, einen Thomas Mann-Band vorgenommen, den ich noch nicht kannte. Ja, da hatte ich auch mehr Schwierigkeiten reinzukommen, weil es anfangs um trockenere Wissensvermittlung ging. ("Königliche Hoheit"). Aber sobald er bei seiner Figur Klaus Heinrich angekommen ist, wird's vergnüglich, und ich spüre ebenfalls die Ironie und den Ton wie vor dem ersten Weltkrieg.

Diesen Thread verfolge ich weiter, werde also auch nach Ostern sicher noch dabei sein.

 

LG

Christa

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Den "Papalagi" haben wir damals auch gelesen, HP. Aber es war eigentlich kein Roman, eher so etwas wie eine (naive) Sonntagspredigt, wenn ich mich recht erinnere.

 

Mascha, Christa, Charlie, Susanne - ich bin den ganzen April da.

 

Ein Bild sehe ich auch, Susanne, aber ich weiß nicht, welches (oder ob ich es mir nur einbilde) Aber ich bin auch nicht gerade der King in Kunstgeschichte.

 

Herzlich,

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

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Edit: weiß jemand' date=' auf welches Bild sich der Autor auf Seite 92 bezieht?[/quote']

 

Ob es ein konkretes Bild dazu gibt, das genau der Beschreibung entspricht, weiß ich nicht. Ich vermute es mal. Ich musste sofort an Bilder und Zeichnungen von George Grosz denken, der die Deutschen seiner Zeit karikiert und damit zur Kenntlichkeit entstellt hat.

 

Liebe Grüße

Andreas

"Wir sind die Wahrheit", Jugendbuch, Dressler Verlag 2020;  Romane bei FISCHER Scherz: "Die im Dunkeln sieht man nicht"; "Die Nachtigall singt nicht mehr"; "Die Zeit der Jäger"

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Ich habe mal eine comicartige Karikatur eines deutschen Urlaubers gesehen, inkl. Socken in den Sandalen, den hatte ich vor Augen.

Liebe Grüße, Susanne

 

"Books! The best weapons in the world!" (The Doctor)

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Den "Papalagi" haben wir damals auch gelesen' date=' HP. Aber es war eigentlich kein Roman, eher so etwas wie eine (naive) Sonntagspredigt, wenn ich mich recht erinnere.[/quote']

Richtig, genau deswegen erinnert Krachts Buch natürlich auch daran - ein wenig Ironie über diese Romantikpredigten. Wobei der Papalagi nicht nur Sonntagspredigt ist, sondern selbst auch wieder Ironie auf das Deutschland Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

 

Und "imperium" ist ja nicht nur Ironie - gleichzeitig lässt sich auch ein bißchen nostalgisch in die Zeit versinken, Queen Emma, die Kolonien (ja, ja wir wissen, das war alles nicht so tolle, aber dennoch schwelgen wir gerne drin und beides bietet Kracht im Doppelpack).

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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