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Geschraubte Sätze ./. Verständlichkeit

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Ich möchte auf Hans Peters Eingangsfrage hinweisen: Es geht in diesem Thread nicht um die Textkritik und nicht um diesen einen konkreten Satz. Die Frage wurde allgemein gestellt und in diese Richtung sollten wir bitte auch diskutieren:

 

Nun, mal von dem Streit HAZ ./. Tellkamp abgesehen, was haltet ihr von solchen Sätzen?

 

Aber vielleicht sind heute solche Sätze tatsächlich schwer verständlich? Weil heute kaum einer mehr so schreibt?

 

Das Thema finde ich interessant: Wie wirken lange Sätze auf die (modernen) Leser, was kann man damit erreichen? Wie sollte man als Autor die Arbeit mit solchen Sätzen handhaben? Schreibt ihr selbst so und wenn ja, wie geht ihr dabei vor?

 

Ich bin gespannt auf eure Meinungen und Erfahrungen.

 

Liebe Grüße,

Olga

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Ich denke nicht, dass hier jemand Uwe Tellkamp wirklich den Satz um die Ohren hauen wollte; der eine oder andere hat nur zu verstehen gegeben - und diese Frage hatte hpr ja auch gestellt -, dass ihm der Satz eben zu geschraubt ist und nicht eingängig genug. Das macht noch keine "Textkritik", wie ich glaube, sondern ist eine Meinungsäußerung, zu der jeder ein Recht hat.

 

Ich selbst bin zwiegespalten: Die Klammer ist für mich ein wenig zuviel des Guten, sonst empfinde ich den Satz eigentlich als elegant, und ein Bild wie die "Gespenster, die in der Braunkohle wohnen" macht mir sogar besondere Freude. Die "tertiären Schlafstätten" - na ja. Ich musste auch einen Moment überlegen.

Ich gebe übrigens zu, den "Turm" nach drei Seiten abgebrochen zu haben. Dabei liebe ich Thomas Mann...

 

Grüße, Christiane

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Hallo,

 

um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich habe absolut nichts gegen lange Sätze, das habe ich, hoffe ich, auch schon so weit deutlich machen können. In meinem Romanprojekterl habe ich ziemlich zu Beginn sogar einen Satz, der sich über 1,5 Seiten erstreckt, ein langer Bewusstseinsstrom, eine gedankliche Reise die Donau von Wien ans Schwarze Meer hinab. Ich habe mich beim ersten Vorlesen ein wenig vor diesem Satzungetüm gefürchtet, gebe ich zu, aber das Feedback war durchaus positiv. Ich denke, die Kernfrage ist weniger, wie lang ein Satz ist und wie viele Glieder er hat, sondern ob er bei aller Länge oder Kürze in sich selbst gut gegliedert und strukturiert ist. Falls ja, kann man sicherlich auch Monstersätze schreiben, die dennoch sehr gut lesbar bleiben. Falls nein, kann auch ein kurzer Satz schon zu Schwierigkeiten führen. So empfinde ich das jedenfalls.

 

Viele Grüße

 

Thomas

"Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges -

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Um noch einmal etwas allgemeiner auf HPRs Frage zu antworten (wobei ich finde, dass gerade diese Frage nicht in aller Allgemeinheit, sondern nur jeweils am konkreten Beispiel beantwortet werden kann), wie ich schon schrieb, liebe ich lange Sätze, als Leser und Autor. Was ich allerdings wichtig finde, ist, dass sie eingebettet sind in kurze. Nur hin und wieder so ein Ungetüm, das dann wie ein Bonbon genossen werden kann, das finde ich gut. Alles andere überfordert den modernen Leser - m.M. - auch.

 

LG Cornelia

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Ich möchte auf Hans Peters Eingangsfrage hinweisen: Es geht in diesem Thread nicht um die Textkritik und nicht um diesen einen konkreten Satz. Die Frage wurde allgemein gestellt und in diese Richtung sollten wir bitte auch diskutieren:

Ja Olga, völlig richtig, hier geht es nicht um Textkritik.

 

Aber der konkrete Satz ist dennoch wichtig, weil sich an dem zeigt, wie der gleiche Satz, die gleichen Worte auf unterschiedliche Leute so ganz unterschiedlich wirken.

 

Je nach dem Hintergrund eben. Auf die Braunkohle aus dem Tertiär wäre ich nie gekommen.

 

Aber ich denke schon, dass sich heute Leser viel schwerer mit langen, komplexeren Sätzen tun als früher. Darauf sollte man als Autor achten, nicht, dass man keine langen Sätze mehr schreiben darf, man sollte aber wissen, wie die auf viele Leser wirken.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Ja, Thomas, Cornelia, Olga, ihr habt alle Recht.

Natürlich fällen wir hier alle Geschmacksurteile (ich sträubte mich nur gegen ... ach egal).

Diesem Statement

Es würde mir auch arge Sorgen über mich selbst als Leser bereiten, wenn ich jeden einzelnen Satz eines jeden Schriftstellers gleich gut finden würde.
kann ich vollen Herzens zustimmen.

 

Cornelia, ich fürchte, es sind auch die Wessis, die an diese Marken denken ... eventuell nicht die ganz speziellen Marken, aber in allgemeinerer Form schon. Auch geprägt durch Film-Fernseh-Ostalgie.

Allerdings kenne ich doch auch einige Ex-DDRler, die es (sicher in geringerem Maße und eben spezieller) auch tun. Mir ging es im Turm nicht auf die Nerven.

 

So und jetzt, wie Olga sagt: Zurück zum Thema.

 

Ich persönlich liebe lange Sätze, bei anderen und auch bei mir selbst. Vornehmlich wegen der rhythmisch/musikalischen Möglichkeiten. Es gibt selbstverständlich auch lange Sätze, die nicht klingen.

Dann wiederum stößt man auf Sätze, denen man wegen ihrer Konstruktion kaum anmerkt, dass sie lang sind, dies z.b. sehr stark bei Uwe Timm, finde ich. Allgemein über lange Sätze zu reden, finde ich schwierig, man müsste die Konstruktion aufdröseln. (Angelika, huhu!)

Wo wird verschachtelt, wie geschickt ist es gemacht, wo wird aneinander gefügt, wo eingeschoben, wo werden Hauptsätze nur gereiht (ja, da hätte man doch auch nen Punkt machen können!).

 

Dass heute kaum einer mehr so schreibt - ohne es beweisen zu können, glaube ich das nicht.

 

Und es kommt natürlich darauf an, wen man ansprechen will.

Liebe Grüße

Claudia

Baronsky&Brendler: Liebe würde helfen  Ein Staffelroman 
Februar 21, Kampa

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Aber ich denke schon' date=' dass sich heute Leser viel schwerer mit langen, komplexeren Sätzen tun als früher.[/quote']

Das glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, man muss aufpassen, was man vergleicht. Wer heute nur leicht zugängliche und flott zu lesende Bücher mag, hätte früher vermutlich auch nicht Thomas Mann gelesen. Sicher braucht man für einen schwierigeren Sprachstil als Leser mehr Zeit. Aber die Leute, die solche Bücher lieben, nehmen sich die Zeit doch gern. (Und verzichten vielleicht lieber auf den neusten Dan Brown. ;))

 

Die Frage, welche Satzlänge ich gut finde, könnte ich nur mit einem klaren "Kommt drauf an" beantworten. ;)

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Weil es passt und ich die Rezension so mag, hier ein Auszug aus einer Besprechung von Dietmar Daths "Abschaffung der Arten" (auf kulturnews.de, gefunden bei amazon):

 

Die gute Nachricht ist, dass Dietmar Dath "Die Abschaffung der Arten" im Gegensatz zum Vorgänger "Waffenwetter" in ganzen Sätzen geschrieben hat. Die schlechte, dass diese Sätze so aussehen: "Sdhütz Arroyo saß vor prachtaltarbreiten Fenstern im Aussichtsrestaurant an Bord eines großen Lenkluftschiffs aus ionisierter Glamourfolie." 552 Seiten lang, mein Gott!

 

Wenn darin keine Liebe zu dieser Art von Romanen mitschwingt ...

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Aber ich denke schon' date=' dass sich heute Leser viel schwerer mit langen, komplexeren Sätzen tun als früher.[/quote']

Das glaube ich eigentlich nicht. Ich denke, man muss aufpassen, was man vergleicht. Wer heute nur leicht zugängliche und flott zu lesende Bücher mag, hätte früher vermutlich auch nicht Thomas Mann gelesen.

Aber Karl May und der kann auch lange (verständliche) Sätze drechseln ;-).

 

Im Ernst: Früher waren auch flott zu lesende Bücher in deutlich längeren Sätzen geschrieben, dort wo heute ein Punkt stünde, stand ein Komma, behaupte ich mal.

 

Wobei solche Sätze, das beweist ja Karl Mays breite Beliebtheit, durchaus auch für zehnjährige verständlich sind.

 

Ich glaube nicht, dass heute niemand mehr lange Sätze verstehen kann oder lesen will. Aber dass sie sich hart tun gegenüber früher. Leser des 19. Jahrhunderts hätten möglicherweise mit der knapperen heutigen Sprache Schwierigkeiten.

 

Das ist auch ein bißchen eine Modesache, AndreasE hat hier schon mal darauf hingewiesen, dass die Tendenz zu immer knapper geht.

 

Und ein bißchen lese ich das auch aus den Rückmeldungen zu Tellkamps Satz heraus. Wobei man das nicht überbewerten sollte, eine absolute Tendenz lässt sich daraus sicher nicht folgern.

 

Claudia schrieb:

Ich persönlich liebe lange Sätze, bei anderen und auch bei mir selbst. Vornehmlich wegen der rhythmisch/musikalischen Möglichkeiten. Es gibt selbstverständlich auch lange Sätze, die nicht klingen.
Möglicherweise ist das der Grund, dass komplexe Sätze vorgelesen sehr viel einfacher wirken, als wenn man sie liest? Den Verdacht habe ich zumindest.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Thomas Mann mit Dan Brown zu vergleichen, fand ich in der Diskussion über, was lesbare Sätze sind, nicht so passend. Es gibt auch sehr viele Autoren der Weltliteratur, die ohne lange Sätze auskommen.

 

Es ist m.M.n. auch nicht unbedingt die Länge entscheidend, ob ein Satz lesbar ist. Es gibt lange Sätze, bei denen die Nebensätze so wunderbar ineinandergreifen, dass das Verständnis gar nicht darunter leidet, sondern eher noch gefördert wird.

 

Unlesbar für mich sind Sätze, die sich im vierten oder fünften Nebensatz auf etwas beziehen, das es im ersten gab, was man aber schon wieder halb vergessen hat, sodass man wieder (auch mehrmals) von vorn anfangen muss, um den Sinn zu kapieren. Sprachrhythmus hin oder her, ich finde so etwas ungeschickt und nicht leserfreundlich.

 

Zu viele Bilder in einen einzigen Satz gedrängt ist auch nicht geschickt. Es verwirrt und verwässert unter Umständen sogar die Aussage, genauso wie zu viele Adjektive, die unterschiedliche Assoziationen hervorrufen und damit den Gesamteindruck schwächen.

Die Montalban-Reihe, Die Normannen-Saga, Die Wikinger-Trilogie, Bucht der Schmuggler, Land im Sturm, Der Attentäter, Die Kinder von Nebra, Die Mission des Kreuzritters, Der Eiserne Herzog, www.ulfschiewe.de

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Zu viele Bilder in einen einzigen Satz gedrängt ist auch nicht geschickt. Es verwirrt und verwässert unter Umständen sogar die Aussage' date=' genauso wie zu viele Adjektive, die unterschiedliche Assoziationen hervorrufen und damit den Gesamteindruck schwächen.[/quote']

Ja, das denke ich auch: Wenn die Satzteile zusammen ein Bild wecken, ist die Verständlichkeit hoch, wenn sie den Leser durch Bilder scheuchen, wird es schwierig.

 

Hans Peter

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Aber Karl May und der kann auch lange (verständliche) Sätze drechseln ;-).

 

Im Ernst: Früher waren auch flott zu lesende Bücher in deutlich längeren Sätzen geschrieben, dort wo heute ein Punkt stünde, stand ein Komma, behaupte ich mal.

Also, wenn du die Aussage so stark einschränkst - auf Abenteuer- und Spannungsliteratur, wenn ich dich richtig verstehe - dann magst du recht haben. Keine Ahnung. Das habe ich nie verglichen, schon gar nicht auf breiter Textbasis.

 

Aber auch wenn es stimmt (wie gesagt: ich weiß es nicht), kann man doch daraus keine Richtlinie für alle Autoren in allen Literatursparten ableiten. Wenn Dan Brown gut beraten sein sollte, kürzere Sätze zu schreiben als Karl May, heißt das doch nicht, dass Tellkamp kürzere Sätze benutzen sollte als Thomas Mann.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Ja, ich möchte auch gern nach Angelika rufen: Wie verschachtelt man geschickt? Gibt es da besondere Tricks, die dem Leser das Durchkommen erleichtern? Und was erschwert dieses Durchkommen dagegen?

 

In der Anthologie "Heiss und Innig" (Hrg. Bettina Hesse) gibt es eine Kurzgeschichte, die nur in einem einzigen Satz geschrieben ist, der über 4 Seiten geht. Interessanterweise ist mir das erst auf der zweiten Seite aufgefallen. Ich war wirklich erstaunt, dass ich das früher nicht gemerkt habe.

Ich weiß nicht, ob es danach eine Psychologie-Frage war, aber auf der dritten Seite stellte sich bei mir eine leichte Müdigkeit ein. Aber ich muss auch sagen, dass der Inhalt der KG mich nicht angesprochen hat - vielleicht wäre meine Wahrnehmung dann anders gewesen.

 

Allgemein habe ich nichts gegen die langen Sätze - wenn sie gut gemacht sind. Die Frage für mich ist also: Was ist denn ein gut gemachter, langer Satz und was kann man damit erreichen?

 

Liebe Grüße,

Olga

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Aber auch wenn es stimmt (wie gesagt: ich weiß es nicht)' date=' kann man doch daraus keine Richtlinie für alle Autoren in allen Literatursparten ableiten. Wenn Dan Brown gut beraten sein sollte, kürzere Sätze zu schreiben als Karl May, heißt das doch nicht, dass Tellkamp kürzere Sätze benutzen sollte als Thomas Mann.[/quote']

Eine Richtlinie will ja keiner ziehen (ich zumindest nicht). Was ich sagen will, ist nur: Dass früher lange, komplexere Sätze sowohl in literarischen wie unterhaltenden BÜchern üblicher waren. Vom Winde verweht oder Wilkie Collins schreiben auch längere Sätze.

 

Dan Brown schreibt kürzer als Karl May und Hemingway kürzer als Thomas Mann. Über die Qualität sagt das zunächst mal gar nichts aus.

 

Ich glaube aber schon, dass sich Leser an dem orientieren, was sie gewöhnt sind. Sprich: Ein Leser des 19. Jahrhunderts hätte sich mit Hemingway schwer getan und viele heutige Leser tun sich mit längeren Sätzen schwer. Was nicht heißt, dass es unmöglich ist, so zu schreiben oder zu lesen.

 

Und während früher komplexe Satzkonstruktionen eher als gebildeter, als literarischer galten, werden heute Schüler auf "In der Kürze liegt die Würze" gedrillt.

 

Das sollte man einfach im Kopf behalten. Was man daraus macht, ob man nun, wie Tellkamp "Dennoch!" sagt (und damit Erfolg hat) oder ob man sich der kurzen Sätze widmet oder ob man abwechselt oder noch was ganz anderes macht, das muss jeder Autor selbst entscheiden.

 

Spannend finde ich, wie der gleiche Satz hier so ganz andere Wirkung ausübt. Nicht nur die Geschmäcker sind verschieden, noch viel mehr die individuellen Hintergründe der Leser und damit deren Assoziationen und Bilder, die der gleiche Satz auslöst.

 

Hans Peter

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Dan Brown schreibt kürzer als Karl May und Hemingway kürzer als Thomas Mann.

Hemingway schrieb "Fiesta" ungefähr zur gleichen Zeit, als Mann den "Zauberberg" schrieb. Beides ist schon eine Weile her. ;) Vielleicht hängt es doch eher mit den künstlerischen Intentionen zusammen, welche Satzlänge man bevorzugt?

 

Wie gesagt, ich will gern glauben, dass du für bestimmte Bereiche der Literatur recht hast, Hans Peter. Mir widerstrebt es nur, daraus abzuleiten, dass "man" heute mit diesem oder jenem vorsichtig sein "muss".

 

Aber das muss natürlich jeder für sich entscheiden.

 

Schöne Grüße

 

Barbara

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Wie gesagt' date=' ich will gern glauben, dass du für bestimmte Bereiche der Literatur recht hast, Hans Peter. Mir widerstrebt es nur, daraus abzuleiten, dass "man" heute mit diesem oder jenem vorsichtig sein "muss".[/quote']

Dann lies mal Wolf Schneider oder andere Stilratgeber. Ich denke schon, dass heute gerne der Eindruck vorherrscht, dass lange Sätze schlecht seien und Leute, die sowas schreiben, damit Eindruck schinden wollten. Und es wird viel mehr auf Kürze Wert gelegt. Das war - vor allem in Deutschland - im 19. Jahrhundert ganz anders, als man sich an Latein und dem antiken Stil orientierte (Ich hatte noch Lehrer, die Deutsch mit lateinischer Grammatik sprachen ;-)).

 

Ich denke schon, dass es auch im Stil Moden gibt und die Satzlänge ist Moden unterworfen. Wolfgang Borchert ähnliche Literatur kenne ich im 19. Jahrhundert nicht, zumindest nicht in der deutschen Literatur. Die angelsächsische hat schon länger die Kürze vorgezogen.

 

Übrigens, Hemingway war gerade mal zwei Jahre alt, als Thomas Mann 1901 seine Buddenbrocks rausbrachte. Das sind schon zwei unterschiedliche Generationen, von zeitgleich lässt sich da kaum reden.

 

Darauf bezieht sich meine Warnung, mit allzu langen Sätzen vorsichtig zu sein. Man schwimmt da gegen den Strom. Was nicht heißt, das man nicht trotzdem Erfolg haben kann, siehe Tellkamp. Man sollte aber wissen, was man tut.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Wie gesagt' date=' ich will gern glauben, dass du für bestimmte Bereiche der Literatur recht hast, Hans Peter. Mir widerstrebt es nur, daraus abzuleiten, dass "man" heute mit diesem oder jenem vorsichtig sein "muss".[/quote']

Dann lies mal Wolf Schneider oder andere Stilratgeber.

Na ja. Loblieder auf die Kürze hat schon Ludwig Reiners gesungen (dessen "Stilkust" ist um 1940 erschienen, glaube ich). Vermutlich findet man sie schon bei Cicero.

Von Wolf Schneider habe ich eigentlich in Erinnerung, dass er gut erklärt, wie man komplizierte Sätze übersichtlich baut.

Und fürs Schreiben von Belletristik sind Stilratgeber sowieso nur von sehr begrenztem Nutzen, finde ich.

 

Man sollte aber wissen, was man tut.

Darauf können wir uns sofort einigen. Das sollte man in jedem Fall. Ob kurz oder lang. :)

 

Schöne Grüße

 

Barbara

die jetzt definitiv zu ihren kurzen und langen Sätzen zurückkehrt

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Guten Abend,

Ich weiß nicht, ob wolf schneider der passende Gewährsmann für uns ist, mit Literatur hat der Mann nicht wirklich was zu tun, er schrieb doch in erster Linie Stilratgeber für Journalisten. Journalistische Schreibe ist nicht literarisches Schreiben. Herzlichst jueb

"Dem von zwei Künstlern geschaffenen Werk wohnt ein Prinzip der Täuschung und Simulation inne."  

AT "Aus Liebe Stahl. Eine Künstlerehe."

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Dann lies mal Wolf Schneider oder andere Stilratgeber.

Ich denke, man sollte bei den Schreibratgebern immer bedenken, wen sie als Zielgruppe haben. Bei Wolf Schneider habe ich es auch so in Erinnerung, dass er hauptsächlich Journalisten anspricht. (Auch wenn viele seiner Ratschläge für die allgemeine Belletristik keineswegs verkehrt sind)

 

Viele Schreibratgeber richten sich an Anfänger. Und in meinen Augen wird dort ganz zurecht gefordert, zuerst kürzere, aktive Sätze schreiben zu lernen. Denn das ist die Grundlage, die man als Autor beherrschen sollte.

Lange Sätze, die funktionieren, sind schon eher was für Fortgeschrittene. Genauso wie der bewusste Einsatz von "Tell" usw. usf. (Und ich finde, dass es leider wenige Ratgeber für fortgeschrittene Autoren gibt, die diese Themen behandeln)

 

Liebe Grüße,

Olga

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Ich komm ja schon.

 

Aber so ganz sicher bin ich mir nicht, was ihr euch jetzt von mir wünscht. Soll ich was zu "Klammersätzen" sagen? Gern. Die deutsche Sprache liebt sie. Sie ist in ihrer syntaktischen Struktur gerade so aufgestellt, dass ein Element vorne im Satz und eins ganz hinten für der richtigen Aufbau sorgen. Das machen besonders gern die Verben und zwar schon in den kürzesten Sätzen

 

Position I   Verb 1                                 Verb 2

Julia          hat  Romeo vom Bahnhof abgeholt

 

Das ist schon eine Klammer: Die Verben umklammern den Satz.  

 

Aus dieser Struktur ergibt sich, dass man "schachteln", also Schachtel in Schachtel, Satz in Satz stopfen kann. Das geht bis zu einer gewissen Grenze gut, kann aber besonders durch eine Reihe von Relativsätzen vom Hölzchen aufs Stöckchen führen:

 

Gestern hat Julia Romeo, den sie seit undenklichen Zeiten nicht mehr gesehen hat, weil er nach jenem unseligen Kampf damals, anstatt zu ihr zu eilen, sich als Pilgersmann auf die Reise nach Jerusalem machte, wo er sich erst mit einem hergelaufenen Mann, der sich als Parzival ausgab, um den Heiligen Gral stritt, um sich als nächstes dem Weinbau in Apulien zu widmen, wo er ...vom Bahnhof abgeholt.

 

Das war eine Schachtelei, bei der man sich, wenn die letzte Klammer auftaucht, kaum noch erinnern kann, was die erste eröffnet hat. Das heißt aber nicht, dass Schachtelsätze schlechthin zur Unverständlichkeit führen. Es kommt wohl auf den Rezipienten an. Kleine Kinder beginnen mit Ein-Wort-Sätzen, es folgt der Zweiwortsatz etc. Von einem zehnjährigen Gymnasiasten kann man verlangen, dass er über die Hauptsatzstruktur hinaus versteht, wenn ein paar Schachteln hintereinander stehen. Die Frage heißt nicht: Schachtel oder nicht? Sondern: Wohin führt die Schachtelei? Weit weg vom Thema?

 

"Geschraubt" ist für mich wieder was anderes. Es klingt nach Manieriertheit. Jemand will besondere Redekunst unter Beweis stellen und befleißigt sich darob eines wahrlich an Zierrat und Kratzfüßchen aller Art reichen wiewohl der Ideen eher baren Satzes.

 

An diesem Zitat hier finde ich nichts Geschraubtes. Da haben wir

1. einen sehr einfachen Hauptsatz, an den sich ein Relativsatz anschließt. Das Semikolon danach wirkt auf den Syntax verarbeitenden Verstand wie ein Punkt, also ist hier erst mal Ruhe:

 

Das Dresden meines Temperaturgedächtnisses ist eine Winterstadt voller Fernwärmerohre und Heizungen, von deren Rippen die Farbe abgeplatzt war;

 

2. Hauptsatz, das Subjekt ist um eine Apposition erweitert.:

 

oft lag ich, ein Junge von zehn oder elf Jahren, nachts wach und lauschte den Flüsterstimmen der Gespenster,

 

Es folgt noch ein Relativsatz, der aus zwei Teilen besteht, der erste im Aktiv, der zweite im Passiv und da bekommt das Agens noch mal eine Apposition, diesmal in Klammern gesetzt.

 

die in der Braunkohle wohnten und durch die Überredungskünste von Riesaer Sicherheitszündhölzern und Flammat-Kohleanzünder (weiß, hartseifig – oder braun und zäh wie ›Plombenzieher‹-Toffeebonbons) aus ihren tertiären Schlafstätten gelockt wurden.

 

In mein Blödsinnsbeispiel oben habe ich neun Nebensätze geschaltet, von denen jeder das angeklungene Thema weiter hinausschiebt, so dass der Rückweg schwierig wird. In dem zitierten Satz ist syntaktisch gesehen alles bestens geordnet. Es sind drei Gedanken: Dresden - er als Junge - ein akustisches Erlebnis. Dafür braucht er zwei Hauptsätze, zwei Nebensätze, zwei Appositionen.

 

Die Gedanken evozieren ein dichtes Gedränge an Bildern. Deshalb liest man den Satz natürlich nicht so in einem Schluck. Ja und? Das ist eben so bei unverbrauchten Bildern. Gedichte lese ich auch langsamer als einen Einkaufszettel.

 

Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh. Eichborn 2021. 

Alicia jagt eine Mandarinente. dtv premium März 2018. Die Grammatik der Rennpferde. dtv premium Mai 2016

www.angelika-jodl.de

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Olga, Jueb, Barbara, ihr habt natürlich völlig recht, Stilratgeber sind nicht für Belletristik Autoren geschrieben worden. Ich wollte auf was anderes hinaus: Sie prägen das allgemeine Stilempfinden. Und das bevorzugt in unserer Zeit eher kurze Sätze.

 

Wer im 19. Jahrhundert auf dem Gymnasium mit Lateinübersetzungen getriezt wurde, war an lange, komplexe, verschachtelte Sätze gewöhnt, schrieb so, las so. Ein Stilratgeber, der ihm kurze Sätze hätte einbleuen wollen, hätte sich verdammt hart getan.

 

Wer in der Schule eingebleut bekommt, dass kurz beautiful ist, schreibt und liest ganz anders. Und die meisten tun sich heute mit dem Formulieren langer Sätze hart, so sie es versuchen, scheitert es, bevor sie das Ende des Satzes, den sie formulieren wollen, erreicht haben, schrecklich.

 

Thomas Mann hat nun mal mit Karl May bezüglich Stil mehr gemein als mit Wolfgang Borchert oder heutigen Autoren. Dass er diesen Stil weit besser schrieb als Karl May (und Karl May besser als die meisten seiner Zeitgenossen), ändert daran nichts.

 

Mehr wollte ich nicht sagen.

 

Danke Angelika, für deine Aufschlüsselung des Tellkampsatzes, ja, ich finde ihn auch klar formuliert. In diesem Fall glaube ich - das habe ich ja schon gesagt -, dass das Problem mit dem Satz eher die Bilder sind, die für den einen sofort ein Gesamtbild ergeben, weil sich Assoziationen bilden, bei anderen, die weder Braunkohle, Brikett noch hartseifige Kohleanzünder erlebt haben, gibt's da schnell Probleme.

 

herzliche Grüße

 

Hans Peter

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Hallo Angelika, danke für deine erleuchtenden und intelligenten Ausführungen. Ich erinnere mich noch mit Freude an deinen Vortrag in Oberursel. Du solltest hier im Forum viel öfter das Wort ergreifen. ;D

 

Schöne Weihnachten wünscht dir

 

Cornelia

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@Angelika

Vielen Dank für deine Ausführungen. Wie immer machen sie so einiges klarer, zum Beispiel die Sache mit dem Aufschieben des interessanten Teils - ich glaube, daran liegt es auch, warum ich Verschachtelungen mit Partizipien schlechter aufnehmen kann, als die mit Nebensätzen.

 

@Hans Peter

Aber Stilratgeber werden hauptsächlich von Autoren gelesen. Die breite Leserschaft wird von ihnen vermutlich weniger beeinflusst. Auch in der Schule werden meines Wissens sehr oft Klassiker (mit langen Sätzen) gelesen, weswegen das Empfinden "kurz ist schön" nicht unbedingt dort eingeprägt wird. Aber wie das Literaturprogramm auf deutschen Schulen aussieht, kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen.

 

Eine Frage des Genres ist das aber schon: In einem Thriller kommen kurze Sätze auch öfter vor als Verschachtelungen mit komplexen Bildern. Jemand, der hauptsächlich Thriller liest, könnte daher mit einem Satz wie von Tellkamp durchaus Schwierigkeiten bekommen.

Dass spezielle Bilder nicht für jeden funktionieren, ist klar - aber ich glaube, auch in kurzen Sätzen würden sie nicht funktionieren, wenn man als Leser damit nichts anfangen kann.

 

Liebe Grüße,

Olga

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Hallo zusammen,

 

nur aus meiner Erfahrung: In der Schule wird heute nur noch selten Literatur gelesen, die einem komplexen Satzbau verwendet, weil einige Schüler Sätze mit mehr als einem Nebensatz oder eine Ergänzung als "kompliziert" empfinden und von "noch komplexeren Varianten" einfach überfordert sind. Dann bleiben wichtige Motive oder Elemente dieser Sätze einfach "unentdeckt"- siehe die Untersuchungen zur Lesekompetenz. (Aus meinen Erfahrungen mit Schülern der EF und Q1, Gymnasium in der Vorstadt, kann ich das übrigens vorbehaltlos bestätigen.)

 

Der formale Unterschied Schrift- und Sprechsprache, der ja früher gerade im Satzbau deutliche Unterschiede ausgeprägt hat, hat u.a. in den letzten 50 Jahren deutlich abgenommen. Viele Autoren orientieren sich heute weit stärker an der Sprechsprache und deren Rhythmik, als an der etwas eigenwilligen Rhythmik, die z.B. Thomas Mann verwendet hat... siehe dessen Vorliebe für die Übertragung musikalischer Elemente in seinen Schreibton.

Dies, u.a., führt übrigens dazu, dass Tellkamps Satz heute als komplex gilt, obwohl er im Prinzip in dieser Schreibrichtung das nicht einmal ist. Wer Lust hat, kann gerne mal komplexe Sätze anderer Autoren zerlegen, die über eigene Hierarchieebenen der Nebensätze verfügen, was ein "gedankliches Mitsprechen" zur Basis eines Verständnisses macht.

 

Leider hat sich daraus die fatale Entwicklung abgeleitet, dass z.B. bei Kinder und Jugendbüchern der Satzbau immer weiter vereinfacht wird, niemand möchte ja Kinder überfordern, und das die Kinder so einfach keinen Zugang zu bestimmten Texten mehr erlernen, sondern später entdecken müssen. So sind übrigens auch bestimmte Schwurbelsätze entstanden, die eine wirkliche Beschäftigung mit einem Gefühl, einer Tat, einer Handlung durch einen Topos ersetzen, der keinen Eigenwert besitzt.

Nicht vergessen sollte man aber, dass Tellkamps Satz klärt, was der KIWI Vertreter da so formuliert- Literatur ist immer ein Zugang über die Sprache. Unterhaltung hat immer einen Zugang über den Plot. Beides kann auch anders erschlossen werden, aber nur dann, wenn es der betreffende Text das hergibt.

Oder zu Tellkamps Satz:Wer den Satz nicht lesen möchte, gehört einfach nicht zur Zielgruppe.

 

Gruss

 

Thomas

"Als meine Augen alles // gesehen hatten // kehrten sie zurück // zur weißen Chrysantheme". Matsuo Basho

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In der Schule wird heute nur noch selten Literatur gelesen

Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Danke dir für diesen Einblick. Eine Berufsschule ist vermutlich etwas ganz anderes, aber zumindest dort standen vor ein paar Jahren noch komplexere Bücher auf dem Programm - ich fand es damals sehr spannend, die Pflichtlektüre in Dt. mit der in Ru. zu vergleichen. Ich dachte wohl, dass in der "allgemeinen Schule" dann die Basis dafür geschaffen wird.

 

Liebe Grüße,

Olga

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