ThomasM Geschrieben 4. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Hallo, ich habe da jetzt mal eine ganz banale, blöde Frage. Aufgefallen ist's mir nämlich gerade am Beispiel von "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin. Kurze Einleitung: Bis heute bin ich eigentlich immer davon ausgegangen, dass bei direkter Rede immer ein Absatz vor dem nächsten Dialogträger kommt. Ich habe das auch nie hinterfragt und nie so richtig darauf geachtet. (Fiktives) Beispiel: "Du miefst wie ein Schwein", sagte sie und rümpfte die Nase. "Schweine sind reinliche Tiere." "Dann stinkst du eben noch mehr als ein Schwein." "Hättest dir ja auch ein Schwein aussuchen können, musste ja nicht ich sein." So kenne ich es jedenfalls. Bei Döblin hingegen würde die Stelle so aussehen: "Du miefst wie ein Schwein", sagte sie und rümpfte die Nase. "Schweine sind reinliche Tiere." "Dann stinkst du eben noch mehr als ein Schwein." "Hättest dir ja auch ein Schwein aussuchen können, musste ja nicht ich sein." Was nu? Was ist die heute gängige Standardvariante? Ist Variante 2 einfach eine veraltete Darstellungsform oder ist das heute noch üblich, aber mir Blindschleiche nicht aufgefallen? Gibt's etwa Beispiele für Mixvarianten, wo im gleichen Buch vielleicht beide Varianten nebeneinander stehen - bei langen Dialogpassagen Absätze, bei kurzen keine neuen Absätze? Viele Grüße Thomas (PS: Von Saramago rede ich jetzt gar nicht mal, bei dem ist das dann sowieso ganz anders ohne Anführungszeichen und alles in einem langen Fließtext.) "Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges - Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
(Dorit) Geschrieben 4. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Lieber Thomas, dein erstes Beispiel würde ich durchaus als Standard bezeichnen. Zumindest ist es die gefühlt häufigste Variante. ABER: Zum einen haben viele Verlage eigene Regeln, die man dann meistens im Lektorat kennen lernt und entsprechend adaptiert. Zum anderen gibt es natürlich unzählige Spielarten. Aktuellstes für mich ist Eugen Ruges "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Er spielt mit der direkten Rede und da es im ganzen Buch so ist, gewöhnt man sich daran. Ich persönlich kann daraus zwar keinen wertsteigernden Unterschied des Buches an sich ableiten, aber das ist sicher Geschmacksfrage und Menschen, die das fachlich besser beurteilen können als ich, sehen darin vielleicht auch eines der vielen Mosaiksteinchen, die das Buch letztlich diesen Preis haben gewinnen lassen. Richtig schwierig finde ich es, wenn in normaler Unterhaltungsliteratur zu so einem Stilmittel gegriffen wird. Das fühlt sich für mich dann so an, als ob jemand im kleinen Schwarzen zum Kaffeetrinken bei Freunden erscheint. VG, Dorit Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
(Christiane) Geschrieben 4. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Ja, genau wie Dorit sagt, ist dein erstes Beispiel das bei Unterhaltungsliteratur übliche. Und Döblin gehört ja nicht dazu, sondern ist ausgewiesene Kunst (sorry, aber hier muss ich dieses blöde E/U einfach verwenden). Der darf das also Wir gewöhnlichen Sterblichen (also ich; bei Dir kann ich es nicht beurteilen ) sollten die Finger davon lassen. Schöne Grüße Christiane Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
ThomasM Geschrieben 4. Dezember 2011 Autor Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Hallo Dorit, hallo Christiane, vielen Dank für eure Rückmeldungen. Gut zu wissen, dass ich nicht etwas Neues, Wichtiges völlig verpasst habe. Viele Grüße Thomas "Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges - Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
MelanieM Geschrieben 4. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Variante 1 ist leserfreundlicher - weil man sofort weiß, wer redet. Variante 2 ist missverständlich und lähmt das spontane Entstehen von Bildern im Kopf. Es kann als Ausdrucksmittel verwendet werden, wenn genau das gewünscht ist - spontane Bilder zu unterdrücken und damit eine andere Ebene zu öffnen. Das wird von den Lesern aber nicht in der Unterhaltungsliteratur akzeptiert, weil es den Lesefluss hemmt und sie aus den spontanen Bildern herausreißt, die sie eigentlich sehen wollen - wie einen inneren Kinofilm. Wer aber absichtlich zu einem Buch greift, das mit Ausdrucksmitteln experimentiert oder neue Stilrichtungen geht, ist auch bereit, die Botschaft dazwischen zu lesen. Allerdings sollte man als Autor auch nur dann zu solchen Mitteln greifen, weil man wirklich eine Aussage dadurch transportieren und eloquenter ausdrücken will und nicht, weil man hofft, damit endlich ernsthafte Literatur zu schreiben. Denn dann geht der Schuss nach hinten los und es wirkt lächerlich. Gruß, Melanie Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
(Olga) Geschrieben 4. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Die erste Variante ist gebräuchlicher und für einen gewöhnlichen Dialog am besten geeignet. Figur A sagt etwas - durch einen Absatz mache ich als Leser eine Pause, habe also Zeit, das Gesagte auf mich wirken zu lassen - Figur B sagt etwas. Möchte man eine andere Wirkung erzielen, so muss man genauer analysieren, welche Abweichungen was bei einem Leser erzeugen und ob dies dem entspricht, was man als Autor beabsichtigt. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass auch Unterhaltungsleser für verschiedene Stilmittel durchaus empfänglich sind. Hier ist mMn eher auf die Dosis zu achten und darauf, die Leser entsprechend mitzunehmen. Mein spontanes Gefühl: Keine Absätze - keine Zeit. Der Dialog wird etwas schneller, hektischer, in diesem Fall auch "streitiger". Wenn mehrere Figuren reden, dann könnte man damit durchaus rüberbringen: "Alles redete durcheinander", ohne das explizit sagen zu müssen. Man kann auch mehr Absätze einfügen und wiederum eine neue Wirkung erzielen. Sehr schön fand ich das im Roman "Seide" von Alessandro Baricco: Hervé Joncour legte eine Zigarette auf die Tischkante und sagte: „Und wo genau soll dieses Japan liegen?“ Baldabiou hob die Spitze seines Spazierstocks und wies damit über die Dächer von Saint-August. „Immer geradeaus.“ Sagte er. „Am Ende der Welt.“ (Meine Rezension zum Buch ist hier (Link ungültig) (Link ungültig) zu lesen) Liebe Grüße, Olga P.S. Würde das Thema nicht eher ins Handwerk passen? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
ThomasM Geschrieben 4. Dezember 2011 Autor Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 Hallo noch mal, ich bin da ganz bei Olga - ich empfinde die Wirkung der Absätze auch als etwas besser sortiert und damit leserfreundlicher, würde aber die andere Variante jetzt nicht kategorisch für Unterhaltungsliteratur ablehnen wollen. Wie schon gesagt, mir ist es jetzt erst das erste Mal so richtig aufgefallen - vorher habe ich, von offensichtlichen Ausnahmen wie Saramago abgesehen - nicht auf diesen Unterschied geachtet. Olgas Überlegung, die zweite Variante für eine Darstellung des Durcheinanderredens zu verwenden, finde ich sehr interessant. Absolut nachvollziehbar, aber ich wäre selbst so nicht draufgekommen. (Viel du noch lernen musst, junger Padawan!) Übrigens habe ich das Thema hier im Einsteigerbereich eingestellt, weil ich mir selbst ziemlich grün hinter den Ohren mit der Frage vorgekommen bin. So was Offensichtliches wie Unterschiede in der Absatzgestaltung, und ich Vogel komme erst jetzt drauf? Viele Grüße Thomas "Man schreibt nicht, was man schreiben möchte, sondern was man zu schreiben befähigt ist."&&- Jorge Luis Borges - Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
MelanieM Geschrieben 4. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 4. Dezember 2011 So, wie es in Olgas Beispiel ist, ist es durchaus in der Unterhaltungsliteratur gebräuchlich, denn die wörtliche Rede wird an die Handlung des Erzählenden angeschlossen. Ohne Absatz. Das praktiziere ich auch. Aber wenn zwei Leute miteinander reden, sollte jeder einen neuen Absatz bekommen - der Übersichtlichkeit halber - wenn man den Lesefluss der Leser nicht stören möchte. Im Übrigen gibt es Verlagsvorgaben, an die man sich natürlich auch stilistisch hält - es sei denn, man kann begründen, warum man etwas anders ausgedrückt/ dargestellt haben möchte. Wenn man das nicht kann, sollte man sich m.E. nicht auf solche Experimente einlassen, denn dann schadet es mehr als dass es nutzt. Gruß, Melanie Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
(Peter_Dobrovka) Geschrieben 13. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 13. Dezember 2011 Die Antworten, die hier irgendeine Unterscheidung zwischen E und U Literatur treffen, befremden mich. Variante 1 ist übersichtlicher und damit etwas lesefreundlicher. Heute ist es Standard, vor einigen Jahrzehnten hatte ein solcher Standard sich noch nicht herausgebildet. Mehr Geheimnis enthält das Thema nicht. Aber ob es so gedruckt wird oder anders, entscheidet der Lektor des Verlags. Peter Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
(Olga) Geschrieben 14. Dezember 2011 Teilen Geschrieben 14. Dezember 2011 Aber ob es so gedruckt wird oder anders, entscheidet der Lektor des Verlags. Eben nicht nur, wenn etwas bewusst als Stilmitteil eingesetzt wird. Sicherlich können solche Sachen auf reine Kosmetik hinauslaufen, aber oft steckt eben mehr dahinter und entfaltet die eine oder andere Wirkung. Ob diese Wirkung tatsächlich ihr Ziel erreicht, hängt nicht zuletzt von der Umsetzung, vom Umfeld und vielen anderen Dingen. Grundätzlich versuche ich als Autor mir immer vor Augen zu halten, was "Kleinigkeiten" bewirken können. Manchmal kommt Erstaunliches ans Licht und bereichert mich in meiner Arbeit ungemein. Ist aber nur meine Erfahrung, die ich gemacht habe. Viele Grüße, Olga Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...